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Karl Wilhelm
Ferdinand von Funck

 

 


In Russland und in Sachsen, 1812 – 1815

(aus den Erinnerungen des sächsischen Generalleutnants und Generaladjutanten des Königs)

© 1930 by C. Heinrich, Dresden

 

Наш адрес: ruzhany@narod.ru

Inhaltsverzeichnis

In Russland und in Sachsen, 1812 – 1815

Vorwort.

Karl Wilhelm Ferdinand von Funck wurde am 13, Dezember 1761 zu Schöppenstedt als Sohn des Landkommissars und späteren Hof- und Kommissionsrates Karl August Funcke, auch Funcken geschrieben, geboren. Die Familie stammte aus Schweden und war erst vor kurzem in Braunschweig-Wolfenbüttel ansässig geworden. Die Brüder des Vaters standen in kursächsischem Dienste, der eine als Landkammerrat, der andere als Geheimer Rat und Gesandter am russischen Hofe; sie waren 1728 und 1742 geadelt worden. Karl August Funcke wurde am 9. Juli 1763 ebenfalls in den Adelsstand erhoben, er war Herr auf Groitzsch und Teuchern.

 
 
     
  Karl Wilhelm Ferdinand
von Funck
 

Neunzehnjährig trat Karl Wilhelm Ferdinand am 21. März 1780 als Sousleutnant in das sächsische Regiment Garde du Corps. Wahrscheinlich an eine alte Form des Namens anknüpfend nannte er sich „Funck“; so wird er auch in allen sächsischen Listen und amtlichen Schreiben geschrieben. Er wurde bereits am 25. August 1784 Premierleutnant und schien eine zukunftsreiche militärische Laufbahn vor sich zu haben. Allein der damals in hoher Blüte stehende Gamaschendienst, die Öde der Abrichterei und Drillerei, dazu gespannte Verhältnisse zu Vorgesetzten verleideten ihm bald den Dienst; 1787 nahm er den Abschied, bezog die Universität Göttingen und widmete sich geschichtlichen Studien. Aber ehe noch seine erste große Arbeit, eine Geschichte Kaiser Friedrichs II., erschien, gewann ihn der alte Reitergeneral Graf Bellegarde, der den jungen geistvollen und hochgebildeten Mann sehr schätzte, für das sächsische Heer zurück. Am 11. Juli 1791 trat Funck als Rittmeister in das neugebildete Husarenregiment (das Stammregiment des späteren 2. Sächs. Husarenregiments Nr. 19) ein. Zunächst war Radeberg, vom 1. Oktober an Cölleda sein Standort. Von 1794–1796 nahm er an den Rheinfeldzügen teil, 1801 wurde er aggregierter Major in Artern, 1804 wirklicher Major, 1805 Generaladjutant des Kommandierenden Generals der Kavallerie von Zezschwitz; in dieser Stellung blieb er auch bei der Herbstmobilmachung 1806.

Der Reiterdienst hatte aber seine wissenschaftlichen und literarischen Neigungen nicht verdrängen können. Abhold den Zerstreuungen der kleinen weltverlassenen Standorte, schrieb er für die „Horen“ und unterhielt mit den bedeutenden Männern seiner Zeit einen lebhaften Briefwechsel. Mit Hardenberg-Novalis trat er in freundschaftlichen Verkehr, als dieser 1797 nach Artern kam. An vielen Briefstellen erwähnt Novalis seinen Namen. Kreisamtmann Just schreibt in dieser Zeit: „Einen großen Teil des Winters 1799–1800 verlebte Novalis auf der sächsischen Saline Artern, und in diesem Städtchen lebten damals zwei Männer, die ihrem Stande Ehre machten: der Major von Funck und der Rittmeister Thielmann (der später bekannte General). Liberalität der Gesinnung, Bildung des Geistes, mehr als oberflächliche Bekanntschaft mit der neuesten Philosophie und Literatur, Sammlung der besten Schriften – das alles mußte Hardenberg bald zu ihnen hinführen. Denn jeder fand dabei seine Rechnung; Gewinn und Genuß für alle ..“ Ludwig Tieck berichtet in seiner Lebensdarstellung des Novalis, daß Funck es war, der den Dichter zu seinem „Heinrich von Ofterdingen“ anregte. Selbst in den Weimarer Kreisen war Funck ein bekannter Mann. So schreibt einmal August Wilhelm von Schlegel an Goethe (Jena, 24. September 1797): „Wir haben hier verschiedentlich interessanten Besuch von Fremden gehabt; daß der Rittmeister von Funck hier war, werden Sie vielleicht wissen ...“

Merkwürdigerweise schreibt Funck in seinen Erinnerungsschriften nichts von seinen literarischen Bekanntschaften. Das läßt sich nur daraus erklären, daß die Ereignisse ihn vollkommen auf militärischem Gebiete fesselten. Im Kriege gegen Napoleon wurde er als Adjutant des sächsischen Oberbeiehlshabers in tapferem Kampfe verwundet und gefangen. Sein General berichtet darüber an den Kurfürsten: „Der Major von Funck hat seiner Funktion als Generaladjutant mit eben dem Eifer und der Tätigkeit vorgestanden, die ihn schon bei dem gleichen Aufträge im Jahre 1805 so vorteilhaft auszeichnete. Der ganze Tag der Schlacht (bei Jena) zeigte mir seine Unerschrockenheit und seinen Mut, dessen Opfer er bei der Leitung der Truppen auf dem Schneckenberge wurde. Es bleibt bloß der Wunsch übrig, daß ein immer ausgebreiteterer Wirkungskreis ihm auch immer mehr und mehr Gelegenheit geben möge. Eurer kurfürstlichen Durchlaucht Beweise seiner großen Brauchbarkeit, seines Diensteifers und seiner unterthänigsten Dankbarkeit an den Tag zu legen. “

Aber ehe noch dieses hohe Lob in Dresden eintraf, langte der Major selbst am Hofe an. Napoleon hatte ihn geschickt mit der Auflorderung an den Kurfürsten, die Stadt nicht zu verlassen, sonst würde das Land als feindlich angesehen, während er jetzt noch annähme, daß Sachsen nur von Preußen gezwungen an dem Kriege teilgenommen hätte. Das bestimmte Auftreten des jungen Majors riß den kopflos verwirrten Hof aus seiner Erregung. Er überredete den Kurfürsten zum Bleiben und zum Verhandeln mit dem Kaiser. Auf den unsicheren und schwankenden Friedrich August wirkte diese Entschlossenheit außerordentlich. Er ernannte schon am 27. Oktober Funck zu seinem Flügeladjutanten. Zwei Monate später beförderte er ihn zum Oberstleutnant, am 7. Februar 1807 zum Obersten und Generaladjutanten.

Ständig um den König, verlebte er drei Jahre voller großer innerer und äußerer Ereignisse. Er wurde der Vertraute und Berater Friedrich Augusts, den er auch auf den Reisen nach Polen begleitete. Mit den Generälen und Diplomaten des Kaiserlichen Hauptquartiers kam er in nahen Verkehr, ja, Napoleon selbst, der ihn sehr gut leiden konnte, zog ihn öfters ins Gespräch. Über diese Zeit berichtet Funck eingehend in dem Teile seiner Erinnerungen, den ich 1928 unter dem Titel „Im Banne Napoleons“ veröffentlicht habe.

 
 
     
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Funck stand von Anfang an im scharfen Gegensätze zu dem damals am Hofe allmächtigen Grafen Marcolini und seiner Anhängerschaft. Auch sein freundschaftliches Verhältnis zu Thielmann lockerte sich bald, als er erkannte, welche eigensüchtigen Pläne den ehrgeizigen Mann beherrschten. Dem König war Funck stets in rückhaltloser Treue ergeben. Er erkannte wohl seine Fehler, die erwägungsreiche Unentschlossenheit und das Suchen nach einer Stütze, aber niemand hat ihn so liebevoll bei aller Kritik zu verstehen gesucht und so treulich geschildert, wie er.

Am 6. April 1809 ernannte ihn der König zum Generalmajor und Generalinspektor der Kavallerie. Auf die Beteiligung an dem aufs neue ausbrechenden Krieg mußte Funck zu seinem größten Schmerze verzichten, da ihn der König nicht aus seiner Nähe ließ. Er mußte die Flucht nach Leipzig und weiter nach Frankfurt mitmachen. Auch bei dieser Gelegenheit gelang es ihm, wie so oft in Warschau und in Dresden, Unbesonnenheiten und Mißgriffe zu verhüten.

Nach Schluß des Krieges sandte ihn der König nach Schönbrunn zum Kaiser, um über Gebietserweiterungen Sachsens in Böhmen zu verhandeln. Diese Besprechungen führten zu keinem Ergebnis, weil Funck den militärisch richtigen Gedanken betonte, daß ein schmaler Streifen südlich des Erzgebirges nur eine Gefahr für Sachsen bedeute, der Kaiser aber einer Ausdehnung bis in die Leitmeritzer Gegend nicht zustimmen zu können glaubte.

Mit großem Geschick beteiligte sich Funck, am 20. Februar 1810 zum Generalleutnant und Kommandeur der 1. Kavalleriebrigade ernannt, an dem Neuaufbau des sächsischen Heeres. Bei der Zusammenziehung der Truppen für den russischen Feldzug übernahm er, erfreut, sich wieder im Felde betätigen zu können, die 1. Kavalleriedivision (21. der Großen Armee); als General Gutschmid am 7. Juni 1812 in Pulawy starb, wurde Funck Führer seiner Division, der 22. der Großen Armee.

Mit ihr focht er unter Reyniers Oberbefehle während des Jahres 1812. ln anschaulicher und fesselnder Weise schildert er in den hier vorliegendem Bande seine Erlebnisse als Führer braver und unerschütterlich tapferer sächsischer Truppen in einem Kampfe für fremde Ziele. Besonders anziehend wirkt seine Darstellung des Stimmungsumschwunges unter den Sachsen.

Schon lange hatten die Anhänger der Gersdorf-LangenauMarcolini-Partei am Hofe zu Dresden den uneigennützigen und scharfkritischen Funck dem König zu entfremden gesucht. Anfangs 1813 gelang ihnen das durch ein schlaues Ränkespiel. Man erzählte dem Könige, Reynier wollte den General, der sich mit ihm nicht vertrüge, los sein, Reynier aber brachte man bei, der König wollte seinen alten Ratgeber zwar gern wieder in Dresden haben, möchte aber einen so bewährten General dem Führer der Sachsen während des Krieges nicht gern entziehen. So glaubte schließlich jeder von beiden, er erweise dem andern einen großen Gefallen, wenn er die Abberufung Funcks befürworte.

Nach Sachsen zurückgekehrt, mußte Funck die Flucht des Königs nach Plauen, Regensburg und Prag, sowie die erzwungene Rückkehr nach Dresden mitmachen. In Sachsen sah er, wie der Franzosenhaß im steten Steigen war, wie aber das Land in unzählige Parteien zerrissen wurde und niemand eigentlich recht wußte, was er wollte. Nur über eines war man sich klar: es mußte anders werden! Funck konnte, jetzt auf Wartegeld gesetzt, bei seinen Beziehungen zu den ersten Familien des Landes und zu der französischen Generalität, die wechselnden Stimmungen sehr gut beobachten. Er hat sie trefflich geschildert.

Nach der Schlacht bei Leipzig übernahm der sächsische Überläufer Thielmann den Oberbefehl über die Sachsen. Trotz seines Angebotes wurde Funck nicht verwendet, was aber das russische Generalgouvernement nicht hinderte, ihn „wegen Dienstverweigerung“ am 1. Januar 1814 zu entlassen. Nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft stellte ihn der König aber wieder ein und sandte ihn in das Hauptquartier Wellingtons, 1816 in diplomatischem Aufträge nach London.

Nach seinem Abschiede lebte Funck, mit literarischen Arbeiten beschäftigt, in Wurzen. Daß seine Arbeiten, wie das „Gemälde aus dem Zeitalter der Kreuzzüge“ (4 Teile, 1820 bis 1824) von der Wissenschaft anerkannt wurden, beweist seine Ernennung zum Ehrendoktor der Universität Marburg.

Am 7. August 1828 starb Funck in Wurzen. Aus seiner Ehe mit der bereits 1797 verstorbenen Luise Elisabeth von Unruh waren drei Söhne und eine Tochter hervorgegangen, alle drei Söhne starben, wohl auch mit an den Erschöpfungen der Feldzüge, vor dem Vater. Nur die mit dem Freiherrn Ernst von Blümner auf Frohburg verheiratete Tochter Luise überlebte ihn.

ln Wurzen schrieb Funck seine Erinnerungen nieder, nicht in fortlaufender Form, sondern in einzelnen Aufsätzen, denen er allgemeine Überschriften gab, wie „Charaktere“, „Sachsen als Königreich“ usw. Sie kamen aus dem Nachlasse seines Neffen, des Generalleutnants und Generaladjutanten von Witzleben an König Albert, der sie zum Teil am 11. Mai 1877 dem Direktor des Hauptstaatsarchivs von Weber aushändigte, wobei er es „ihm überließ, welche Schriftstücke zu sekretieren oder zu kassieren sein möchten“.

Drei Foliobände hat sich der König aber zurückbehalten. Aus seinem Nachlasse übergab sie König Georg im Jahre 1902 dem Hauptstaatsarchive. Die neuen Verfügungen erlauben ihre Veröffentlichung.

Funck war in schwerer Zeit an hervorragender Stelle nicht nur Zuschauer, sondern Mitwirker. Seine glänzende Vorbildung und sein geschulter Blick ließ ihn im Laufe der Ereignisse manches erkennen, was den anderen verborgen blieb. In einem klaren und gepflegten Stile schrieb er nieder, was er sah und dachte. Manches davon mutete ganz neuzeitlich an. Diese Erinnerungen haben nicht nur für die sächsische, sondern für die gesamte Geschichte hohen Wert. Für Sachsen haben sie deshalb besondere Bedeutung, weil sie zu den wenigen Werken gehören, die der Lage von Land und König gerecht werden, ohne in einseitige Beschönigung zu verfallen. So verurteilt er als Soldat den Übergang bei Leipzig scharf, aber er sucht ihn verständlich zu machen aus allem, was Sachsen gelitten hatte. Mit innigem Mitgefühl gedenkt er des Königs. Die Landesteilung erfüllt ihn mit aufrichtigem Zorn: „Sollen denn die Sachsen für alles, was sie getan und aufgeopfert haben, bloß dadurch belohnt werden, daß man die Hälfte des Landes nimmt? Und sind denn die Völker immer noch nur Gegenstände des Eigennutzes, die gleich einer Herde Vieh gegenseitig ausgetauscht und verkauft werden? Wozu haben wir denn Napoleon bekämpft, wenn das nicht anders werden soll!“

Wenige Tage nach dem Eintreffen der Unglücksnachricht von der Verstümmelung des Landes schloß Ferdinand von Funck seine Erinnerungen ab. Wer seine Werke liest, lernt nicht nur die Geschichte Sachsens in ernstester Zeit kennen, er macht auch die Bekanntschaft eines tapferen Soldaten, eines feinen, gewandten Diplomaten und eines ausgezeichneten, liebenswerten Mannes, der mit inniger Liebe an seinem Wahlvaterlande Sachsen hing.

Die hier wiedergegebenen Erinnerungen umfassen seine Niederschriften aus den Jahren 1811–1815. Sie sind ohne Kürzungen und Veränderungen wiedergegeben, denn nur dadurch vermitteln sie uns ein Bild dessen, was ein den Ereignissen nahestehender hochgebildeter Mann mitten in dem Wirren und Werden empfand und sah. An der Wahrhaftigkeit Funcks kann nicht gezweifelt werden. Ich fand z. B. in den Niederschriften des späteren Generals von Schreibershofen, der der Gersdorfschen Partei nahe stand, genau die gleichen Urteile, wie bei Funck,

Bei der Schreibung der Ortsnamen im Feldzuge 1812, die sehr schwankt und bald russisch, bald polnisch oder litauisch ist, habe ich mich der Einheitlichkeit wegen an die deutsche Generalstabskarte 1 : 300 000 gehalten. Die Skizze dient nur dazu, allgemeine Anhalte zu geben.

Dresden, am Tage von Sedan 1930.

Dr. Artur Brabant

Oberstaatsarchivar am Sächsischen Hauptstaatsarchiv.

 

 

1812. Der russische Feldzug

Vorbereitungen 1811

Das sächsische Armeekorps, das zu dem Feldzuge gegen Rußland bestimmt war, wurde schon im Anfang des Mai 1811 mit Ausschluß der Garde du Corps und Artillerie zusammengezogen (eingerückt den 12. Mai). Die Truppen bezogen Kantonierungsquartiere auf dem rechten Ufer der Elbe zwischen Großenhain, Torgau und Lübben. Nur die Regimenter, deren Standquartiere im Bezirk dieser Gegend lagen, blieben darin stehen. Für die taktische Ausbildung der Truppen war diese Einrichtung sehr vorteilhaft. Sie konnten nicht nur im einzelnen, sondern auch in Brigaden sich üben. Sie benutzten diese Gelegenheit mit großem Eifer, besonders die Kavallerie, die in den zum Teil unfruchtbaren Ebenen ihres Kantonierungsbezirks weitläufige und bequeme Exerzierplätze fand. Billig hätte sie aber für die außerordentlichen Kosten, die dadurch den Offizieren jeden Grades und auch den Gemeinen verursacht wurden, einige Entschädigung erhalten sollen. Die Truppen waren wie zu einem Feldzuge ausgerückt, d. h. sie hatten nichts mitnehmen dürfen als was sie vorschriftsmäßig im Mantelsack führten. Jeder mußte nun seine besten Sachen täglich tragen; alle die kleinen Zugänge, die sie von ihren Wirten gehabt hatten, hörten auf, und die Bauern wollten ihren zahlreichen, viel zu eng Einquartierten nichts geben.

in der an sich armen Gegend waren durch die Menge der Truppen alle Lebensmittel zu beinahe unerschwinglichen Preisen gestiegen, und der Soldat mußte oft von Brot und Wasser eben, weil sein geringer Sold für die Unterhaltung seiner Equipage, die von oben her mit unerbittlicher Strenge gefordert wurde, kaum zureichte. Man war grausam genug, unnötigen Putz, für den die Wirtschaftskassen nichts vergüteten, von ihnen zu fordern und für seine Anschaffung dem Gemeinen und dem Subalternoffizier Abzüge zu machen (Pompons, Federstütze, Trompeter).

Diese, und besonders die Kavalleristen, waren am übelsten daran. Nach der neuen Einrichtung sollten sie zwar Rationen erhalten, aber man gab ihnen nur das Hartfutter; für das sparsam zugemessene Heu und Stroh bekamen sie eine Vergütung in Geld, die aber mit den wirklichen Preisen in gar keinem Verhältnis stand. Für den Zentner Heu vergütete man ihnen 16 Groschen, für das Schock Stroh 2 Taler 12 Groschen; sie konnten aber das Heu nicht unter 1 Taler 16 Groschen bis 2 Taler, das Stroh nicht unter 8–10 Taler erkaufen. Und weil man stets von 4 zu 4 Tagen den Aufbruch nach einer ändern, unbestimmten Gegend ankündigte, so konnte auch keiner nur einen geringen Vorrat anschaffen und hing völlig von der Willkür der Lieferanten ab.

Den Subalternen mit Einschluß der Kapitäns waren nur zwei Pferde erlaubt, auf denen sie ihre ganze Equipage und den ausdrücklich geforderten, unnötigen Staat ihrer Galauniformen usw. mitfortbringen mußten. Bei der Infanterie durften die Offiziere ihr Gepäck auf Wagen legen, der Kavallerie war das untersagt. Natürlich mußten sie ihre Sachen in den schlechten Bauernstuben, wo sie meistens mit den Gemeinen zusammenlagen, verderben. Auch ihr Unterhalt kostete ihnen weit mehr, als in den Garnisonen, denn, um einmal warm zu essen, mußten sie in die benachbarten Städte reiten und dort bei den Gastwirten ihr Geld verzehren. Besonders hart traf dies die leichte Kavalleriebrigade, die zwischen Großenhain und Mühlberg in einer der ärmsten und schlechtesten Gegenden Sachsens lag. Von der ändern Brigade war bloß das Kürassierregiment von Zastrow ausgerückt und stand in einer besseren Gegend bei Lübben, wo das Dragonerregiment Albert seine Quartiere behalten hatte. Die Infanterie aber lag größtenteils in kleinen Städten.

Für das Land war diese lange Kantonierung sehr drückend. Während die reichen Gegenden an der Saale, Mulde, Elster und Unstrut, von allen Besatzungen entblößt, über den Mangel an Absatz ihrer Produkte klagten, litten die Bezirke am rechten Elbufer durch den Druck der Einquartierung und der unaufhörlichen Magazinfuhren nach Brot und Fourage. Bloß die Lieferanten, die Magazinbeamten und die Gastwirte gewannen.

Um die Gegend von Pegau, die aus besondern Gründen begünstigt wurde (Zezschwitz), zu entschädigen, legte man das Dragonerregiment Prinz Johann dahin, das sonst in Mühlberg sein Standquartier hatte, wo jetzt das in und bei Pegau in Besatzung stehende Regiment Prinz Clemens in Kantonierung lag. Sehr leicht hätte man jedes von diesen Regimentern in seinem Bezirk lassen können und damit dem Lande viel Geld und die Last der Fuhren, den Offizieren einen beträchtlichen Aufwand ersparen können, aber es schien, als ob die Verwaltungsbehörden der Armee einen außerordentlichen Aufwand, hinter dem ihre Rechnungsablegungen sich immer mehr erschwerten, nicht ungern sahen.

Alles schwebte in einer seltsamen Ungewißheit. Ein Korps von 20 000 Mann stand zusammengezogen, mit allem bis auf das Geschütz, das aber leicht von Dresden auf der Elbe nachgebracht werden konnte, versehen, als wäre es im Begriff, einen Feldzug zu eröffnen. Aber es stand allein. Die Bayern waren in ihrem Lande, die Franzosen bei Hamburg, Und welchem Feinde sollte es gelten? Den Preußen? Mit 20 000 Mann, denen höchstens noch 10 000 aus Sachsen nachrücken konnten, ließ sich doch der Feldzug nicht eröffnen. Es konnte also auf nichts abgesehen sein als auf eine Art politischer Neckerei, die den Preußen Besorgnis machen sollte. Dieser Zweck wurde aber nur schwach erreicht, weil sie sehr gut von allem unterrichtet waren, was bei uns vorging, weil preußische Offiziere in Uniform und in bürgerlicher Kleidung uns fleißig umschwärmten und der preußische, sowie der russische Gesandte in Dresden uns mit der größten Bequemlichkeit beobachteten. Wenn aber Napoleon auch nur die Absicht hatte, Besorgnisse in Berlin zu erregen, und wir uns nicht weigern durften, dabei mitzuwirken, so hätte doch dieses auf eine weniger kostspielige und für das Land weniger drückende Weise geschehen können. Napoleon kümmerte sich so wenig um die Kantonierungsdörfer, in denen wir lagen, wie um die inneren Verhältnisse, die diese Maßregel für Sachsen lästig machte. Er wollte, daß zum Scheine ein Korps zusammengezogen werden sollte, aber ob einige Quadratmeilen mehr oder weniger in diesen Bezirk eingeschlossen würden, war ihm sehr gleichgültig.

Ehe der Marschall Davout von Hamburg und die Bayern aus ihrem Lande herankommen konnten, hätten wir hundertmal aus den entlegensten Provinzen des kleinen Sachsens uns versammeln können, und eine nur etwas mehr ausgedehnte Garnisonierung in dem Wittenberger Kreise und den beiden Lausitzen würde diesem Zwecke vollkommen entsprochen haben. Es kam nur darauf an, die Sache in diesem Lichte dem Kaiser und dem Marschall Davout vorzulegen. Aber dem Obersten Langenau, der deshalb an diesen nach Hamburg geschickt war, lag zuviel daran, dieses kriegerische Schauspiel im Frieden auszuführen. Er wußte, wie schon zwei Jahre früher, sich zum Ausleger der Forderungen des Kaisers zu machen und drehte sie so, wie damals, zu seinen, nicht zu des Landes Vorteilen.

Er regierte das Triumvirat, das damals Sachsen beherrschte: den Minister Senfft und die Generale Gersdorf und Thielmann. Der erste wollte Premierminister werden und die Finanzen verwalten, um stets Geld genug für die Bedürfnisse seiner herrschsüchtigen und verschwenderischen Frau zu haben. Der zweite suchte nichts, als Verwirrung in die Verwaltung der Armee zu bringen, um nie Rechnung ablegen zu müssen und sich dadurch zum Millionär zu machen, und der dritte brauchte Geld zum Spiel und um den Weinhändler zu bezahlen und wollte zugleich der Konnetabel von Sachsen werden. Alle drei wollten nur einen Zustand, der von dem gewöhnlichen, wo der König dem Gange der Dinge folgen konnte, abwich, um diesen stets in Besorgnis und Spannung zu erhalten und so sich ihm notwendig zu machen.

Langenau übersah sie alle, schmeichelte allen, beförderte ihre Absichten und war im voraus gewiß, alles so zu verwirren, daß sie von ihm abhängig werden mußten, um nachher einer nach dem ändern auf die Seite geschoben und von ihm gestürzt zu werden.

Marcolini, schlau genug, um wohl einzusehen, daß aller dieser Aufwand vermieden werden könnte, und stets in Furcht, durch den Minister Senfft um seinen bisherigen allmächtigen Einfluß auf den König zu kommen, hing doch durch die Teilung des Gewinnstes von der Verwaltung der Armee zu fest mit Gersdorfen zusammen, um geradezu diesem entgegenarbeiten zu können, und unterstützte Langenau bei dem Könige, weil er ihn noch für zu unbedeutend hielt, ihm zu schaden. Er ließ daher der Sache ihren Lauf; und der König, der durch die Furcht vor Napoleon zu allem zu bewegen war, folgte blindlings den Anträgen der drei Verbündeten, weil sie stets im Namen des Kaisers mit ihm sprachen und ihm versicherten, daß alles, was sie vorschlugen oder verlangten, der Wille Napoleons oder des gefürchteten Davout wäre.

Langenau hatte sich im Jahre 1809 dadurch wichtig gemacht, daß er nach dem Feldzuge an der Donau vorgab, von dem Fürsten von Pontecorvo, dem Fürsten von Neufchätel und dem Kaiser selbst den Plan zu der neuen Organisation der Armee erhalten zu haben, daß dieser einer Umschmelzung bedurfte, und daß sowohl Napoleon als auch Berthier und Pontecorvo dieses geäußert hätten, was allerdings wahr war; aber nie hatten sie sich auf das einzelne eingelassen, noch viel weniger die Personen bestimmt, die an die Spitze gestellt werden sollten, wie Langenau vorgab.

Niemand kann dies besser wissen als ich, weil der Kaiser selbst in Schönbrunn, sowie der Fürst von Neufchätel und auch der gegenwärtige Kronprinz von Schweden, der es aufrichtig gut mit uns meinte, ausführlich mit mir darüber gesprochen hatten. Langenau hat damals gar nicht mit dem Kaiser gesprochen. Weil er aber dreist genug war, es vorzugeben, und weil Senfft, der über die Armee verfügen wollte und doch von allem, was das Militär anging, gar nichts verstand, durch ihn wirken wollte und ihn aus diesem Grunde unterstützte, glaubte der König alles, was er ihm sagte.

Den größten sowie für das Land nachteiligsten Beweis dafür gab er durch die Erbauung der Festung Torgau. Napoleon hatte längst verlangt, daß wir eine Festung an der Elbe haben sollten, und Wittenberg dazu bestimmt. Eine Menge örtlicher Umstände, besonders die Universität, machten den König dagegen abgeneigt. Er wünschte der Sache ganz auszuweichen oder wenigstens Zeit zu gewinnen. Zu Schönbrunn sprach der Kaiser im Juli 1809 mit mir davon, und da ich leise äußerte, ob nicht vielleicht Torgau bequemer dazu liegen möchte, verwarf er dieses geradezu und erklärte, daß er Wittenberg verlange, doch mit dem Zusatz, daß er alsdann in die Schleifung der Werke von Dresden willigen würde. Ich sagte dies dem König wieder, aber man hoffte noch immer auszuweichen. Im Jahre 1810 erneuerte der Kaiser sein Verlangen und forderte zugleich, weil er unsere Gewohnheit, alles durch Personen des Zivilstandes zu betreiben und das Militär von allem, was nicht auf den Exerzierplatz gehörte, auszuschließen, kannte, daß ein General die Oberaufsicht über den Bau führen müsse. Es wurden nun sogleich Pläne und Anschläge gemacht, und es fand sich, daß die Befestigung von Wittenberg um mehr als eine Million wohlfeiler sein würde als die von Torgau. Dieser Grund und des Königs Ergebung in den Willen Napoleons waren hinreichend zur Entscheidung, und die Universität konnte auch leicht an einen ändern Ort verlegt werden. Aber dem General Gersdorf war der Umstand, daß ein General die Oberaufsicht führen sollte, nicht gleichgültig. Als Chef des Generalstabes konnte er den Hof nicht verlassen, und Wittenberg war zu entfernt, um von Dresden aus eine Oberaufsicht zu führen, bei der 100 000 Reichstaler in seinen Beutel fallen mußten. Daß er von der Befestigungskunst gar nichts verstand und darüber die Ingenieure allein walten lassen mußte, war für ihn kein Grund. Er wollte nur keinen General angestellt haben, der seine Rechnungen hätte kontrollieren können, es mußte daher alles versucht werden, um Torgau und nicht Wittenberg zu befestigen. Die Schwierigkeit war, den König zu bewegen, der auf der buchstäblichen Erfüllung der Forderung des Kaisers bestand.

Langenau wurde mit den Plänen beider Festungen nach Paris gesandt, verzehrte 1000 Dukaten, von denen er noch jetzt keine Rechnung abgelegt hat, und verkündigte bei seiner Rückkehr den ausdrück ichen Willen des Kaisers, daß nicht Wittenberg, sondern Torgau eine Festung werden sollte und zwar nach einem sehr erweiterten Plane.

Gersdorf, stets sehr schlau, schlug nun mich zur Oberaufsicht vor, nachdem er bereits mit Marcolini einig war, daß e r sie bekommen und beide den Profit teilen sollten. Natürlich geschah auch dieses. Aber noch eine Verlegenheit war zu besiegen. Napoleon hatte verlangt, mit einem sächsischen Ingenieur über den Bau zu sprechen. Man schickte den Major Aster nach Paris, und dieser erfuhr nun gleich, daß der Kaiser zwar Torgau noch immer nicht für den schicklichsten Ort hielte, daß er jedoch aus Gefälligkeit gegen den König eingewilligt habe, aber zugleich außer Torgau auch die Befestigung von Wittenberg verlange.

Der Anschlag für Torgau war auf 6 Millionen gemacht worden, die unvollendete Ausführung kostete weit mehr. Bei dem Ausbruch der Feindseligkeiten mußte Wittenberg, wie vorher verlangt worden war, gleichfalls befestigt werden. Die ungeheuere Summe für Torgau war weggeworfen. Zwei Städte, anstatt einer, wurden durch Belagerungen verheert. Für zwei Städte mußte Sachsen den Preußen und Russen die Belagerungskosten bezahlen, und der General Gersdorf, der im Januar 1810 keinen Groschen Vermögen und 19 000 Taler Schulden hatte, kaufte im Juni 1812 für 100000 Taler Güter.

Das Zuchthaus, das bisher in Torgau gewesen war, mußte an einen ändern Ort verlegt werden. Man wählte dazu das Schloß Lichtenburg. Dort war das Grabmal einer dänischen Prinzessin, zu dessen Unterhalt nach einer alten Stiftung jährlich von Kopenhagen einige tausend Taler bezahlt wurden. Man besann sich zu spät auf diesen Umstand. Die Leichname wurden nun mit vielen Feierlichkeiten unter militärischer Begleitung an einen ändern Ort gebracht, aber der dänische Hof zog von nun an die Unterhaltungsgelder ein, die sehr gut zur Versorgung eines alten Militärs oder Staatsdieners hätten angewendet werden können. Um solche Kleinigkeiten kümmerte sich der Minister Senfft nicht, obgleich überall Klage über Mangel an Geld zur Versorgung verdienter Männer geführt wurde.

Die bayerischen Truppen, die auch in Kantonierungen versammelt gewesen waren, gingen im Juni, nachdem ihr König sie gemustert hatte, in ihre Quartiere zurück. Man erwartete dasselbe in Sachsen. Nach langen Zögerungen kam endlich der König nach Mühlberg. Es wurden zwei Tage lang (22. und 23. Juli) Manöver gemacht, aber ganz anders benahm sich der König dabei, als ehemals. Sonst war es Gebrauch, daß die Obristen, wenn ihre Regimenter exerzierten, und die Generäle, die die Manöver kommandierten, ihre Dispositionen durch den Generaladjutanten dem König überreichten und einen Offizier abschickten, der bei dem König blieb und auf seine Fragen die gehörigen Erläuterungen gab. Alle Generäle und Obristen wurden stets, gewöhnlich auch die Obristleutnante, zur Tafel gezogen. Von dem allem geschah nichts. Die Dispositionen mußten den Divisionsgenerälen übergeben werden, die allein nebst dem Obristen Langenau den König begleiteten und die einzigen waren, mit denen er sich unterhielt. Man zeigte ihm, was und wie er es sehen sollte. Der Exerzierplatz und die Stellungen wurden verändert, ohne daß deshalb eine Veränderung der Disposition, die dazu nicht paßte, erlaubt wurde, wenn irgendein Manöver nicht gelingen sollte. War beschlossen, daß es gelingen sollte, so führte man den König unter irgendeinem Vorwande weg, damit er die Fehler, die vorfielen, nicht sehen konnte. So glaubte er dann mit eigenen Augen gesehen zu haben; und da er mit niemand sprach, konnte er auch nicht erfahren, wie es eigentlich zugegangen. Zur Tafel wurde niemand gebeten. Der König mußte den ersten Tag in der fürchterlichsten Hitze, nachdem die Manöver von früh um 5 Uhr bis zum Mittag um 1 Uhr gedauert hatten, noch nach Torgau, um die Festung zu besehen und in Graditz die Stuterei in Augenschein zu nehmen. Daß er soviel wie nichts von allem gesehen hatte, war natürlich.

Den zweiten Tag fuhr er vom Exerzierplätze wieder nach Dresden. Mit solchem flüchtigen Schaugepränge blendet man die Monarchen und überredet sie dann, daß sie alles mit eigenen Augen gesehen hätten.

Anstatt wie die Bayern in ihre Standquartiere zurückzugehen, bezogen die Truppen nun eine neue Kantonierung im Wittenberger Kreise (eingerückt 24. Juli). Bloß eine Brigade, die zu den Arbeiten kommandiert war, ging nach Torgau und in die nahen Besatzungen ab. Den König ließ man, wie einen General, eine Meldung an Napoleon machen, daß er seine Armee gesehen und mit ihrer Taktik, Haltung usw. zufrieden gewesen wäre. Diese Erniedrigung sollte, so spiegelte man ihm vor, einen Befehl des Kaisers nach sich ziehen, daß die Truppen nun nach Hause gehen könnten. Napoleon aber, der sich um solche Kleinigkeiten nicht kümmerte, antwortete mit einer Höflichkeit – und das Korps blieb zur großen Last des Landes und der Finanzen beisammen.

So vergingen die Monate Juli, August, September, Oktober in unbequemer, kostspieliger Untätigkeit. Der König reiste nach Warschau ab, und Preußen sah sehr gleichgültig zu, daß 20 000 Sachsen um einige Meilen näher als gewöhnlich an seinen Grenzen standen. Die gleichfalls armen Gegenden des Wittenberger Kreises wurden ganz erschöpft, und im November mußte das Korps, da immer noch kein Befehl zum Einrücken kam, nach der Oberlausitz, in die Nachbarschaft von Bautzen, marschieren (eingerückt den 27. November), wo es in der volkreichsten Gegend Sachsens, die, durch Fabriken blühend, ihren eigenen Bedarf an Brotkorn und Fourage aus anderen Provinzen ergänzen muß, noch einmal soviel kostete, wie in seinen Standquartieren. Die Elbgegenden und die preußische Grenze gegen Berlin blieben unbesetzt, die politische Maßregel konnte also nicht sehr dringend gewesen sein.

Winter 1811/1812. Personalia.

Vom 1. Januar 1812 an bekamen die Offiziere ihre Rauhfutterrationen nicht mehr in Geld, sondern in Natura.

Um Weihnachten setzten sich die Divisionsgeneräle, die sich bisher nicht aus Dresden entfernt hatten, in rasche Bewegung, musterten die Truppen und sahen ihren Bewegungen zu. Dennoch verzog sich der Aufbruch noch bis zum Februar, wo wir, mit den nötigen Feldbedürfnissen versehen, nach der Niederlausitz aufbrachen (eingerückt 14. Februar).

Die Armee wurde nun zu dem Feldzuge organisiert. Der General Lecoq bekam das Kommando der ersten Infanteriedivision besonders und zugleich des Ganzen. Er nahm sein Hauptquartier in Guben. Unter ihm unmittelbar stand die Kavalleriedivision Funck.

Der General Gutschmid war Chef der zweiten Division Infanterie, doch unter Lecoq, und unter ihm stand wieder die Kavalleriedivision Thielmann.

Dem General Thielmann zu Gefallen hatten die beiden Kavalleriebrigaden zu Divisionen umgeschaffen werden müssen; er sowohl wie ich waren jedoch nur bloß Brigadegeneräle, doch mit dem Unterschied, daß wir beiden vom 1. März an jährlich 2000 Taler Feldzuschuß bekamen, die Generalmajore hingegen jeder nur 1000 Taler.

Der Obriste Langenau war Chef des Generalstabes der Armee. Außerdem hatte jede Infanteriedivision noch ihren Generalstab nebst seinem Chef, die sogenannten Kavalleriedivisionen sowie die Infanteriebrigaden aber nur jede zwei Adjutanten.

Eifersüchteleien zwischen Lecoq und Gutschmid, zwischen ihren Umgebungen, Fehlgriffe Langenaus, der die Verhältnisse der Kavallerie nicht kannte, despotische Anordnungen von seiner Seite, die oft, wo sie die Kavallerie angingen, als unausführbar zurückgenommen werden mußten, und unzählige Schreibereien nahmen die erste Zeit weg.

Thielmann stand in Cottbus, und die schwere Kavallerie in der umliegenden Gegend. Mein Quartier war in Lieberose, und meine Regimenter lagen an der Grenze gegen Beeskow und Frankfurt, mit Ausnahme des ersten Bataillons Husaren, das ganz auf dem rechten Flügel gegen Crossen hin verlegt war.

Wir gaben uns nun die Miene, als ob wir Feindseligkeiten von Preußen vermuteten. Ich erhielt Befehl, genaue Nachrichten einzuziehen von allem was über der Grenze vorginge. Ich hatte Feldposten auszusetzen und unaufhörlich zu patrouillieren. Ein Regiment Infanterie und eine Batterie wurden an meine Ordre gewiesen. Ich sollte Stellungen aussuchen und Dispositionen auf den Fall eines Angriffs entwerfen und einschicken. Auf meine Frage, von woher ich auf Unterstützung rechnen und wohin ich im Falle der Übermacht des Feindes mich zurückziehen sollte, antwortete mir der Obriste Langenau spitzig, von einem Rückzuge sei nicht die Rede, und die Unterstützung wäre die Sache des kommandierenden Generals. Ich schickte nun den Entwurf zu einer Stellung ein, wie man ihn im Zimmer machen kann, wenn einem alle Notizen fehlen, und er war gut. Bei einer mündlichen Aussprache hielt ich aber mit meiner Meinung über eine so seltsame Schulübung für Generäle nicht zurück, und Langenau gab alles zu und entschuldigte sich mit der groben Unwissenheit einiger meiner Kameraden. Übrigens hütete ich mich wohl, die Truppen in der schlechten Jahreszeit durch Feldwachen und Vedetten zu ermüden. Eine Grenze von mehr als zehn Meilen konnte dadurch nicht gedeckt werden. Zweckmäßige Sammelplätze und Polizeipatrouillen waren vollkommen hinreichend; andere Generäle, die ängstlich wie im Angesicht des Feindes Wache hielten, machten sich dadurch nur lächerlich, denn in dem ganzen Bezirk zwischen Berlin und Frankfurt standen damals nicht 500 Preußen.

Die Zusammensetzung des Generalstabes zeigte deutlich genug die Absicht, die man dabei gehabt hatte. Lecoq war dem Namen nach und Langenau in Wirklichkeit der Oberbefehlshaber des Korps. Jener besitzt bei einer glänzenden Tapferkeit doch nicht die Gaben, die einem Anführer nötig sind. Es fehlt ihm an Festigkeit und, stets eifersüchtig auf sein Ansehen, wagt er nicht, es zu behaupten, aus Furcht, es aufs Spiel zu setzen. Seine herrschende Schwachheit ist eine unbegrenzte kranke Eitelkeit, die, immer argwöhnisch, sich leicht beleidigt glaubt und die eingebildete Beleidigung schwer verzeiht, ihre Befriedigung aber bloß in dem Scheine sucht. Wer dieser Eitelkeit, die mit einem unglücklichen Mangel an Selbstvertrauen verbunden ist, zu schmeicheln versteht, ist gewiß, ihn zu beherrschen.

Gutschmid, ebenso eitel wie er, hatte mehr Vertrauen zu sich selbst oder besser mehr Leichtsinn. Er besaß schöne militärische Talente, die er durch den Dienst bei den leichten Truppen in den Rheinfeldzügen ausgebildet hatte. Aber sein zerrütteter Körper und die gänzliche Verwirrung seiner Vermögensverhältnisse hatte seinen Geist geschädigt. Ehe er nicht morgens durch eine halbe Flasche Rum sich belebt hatte, war er nicht fähig, seine Gedanken zu sammeln, und unaufhörlich mußte er durch den Genuß starker Getränke seine Lebensgeister wecken. Von 10 Uhr des Vormittags an war er imstande, bis zum Mittagessen tätig zu wirken. Vom Tische stand er halbbetrunken auf, oft auch mußte er halbberauscht ins Bett getragen werden. Wenn er ausgeschlafen und wieder von neuem getrunken hatte, konnte er wieder einige Stunden tätig sein, doch nur, wenn es die Umstände unumgänglich notwendig machten. Zu seinen Schwachheiten gehörte, daß er, obgleich er nie mit gebildeten Frauen in Verbindung gestanden hatte, sich für unwiderstehlich hielt, alle Weiber in sich verliebt glaubte und sich mit Siegen rühmte, wo er nicht einmal bemerkt worden war. Es konnte dies niemand mehr auffallen als mir, weil ich von Jugend auf mit ihm gelebt hatte, und da sein Gedächtnis verlorengegangen war, oft von ihm Anekdoten, als wären sie ihm selbst begegnet, erzählen hörte, die er früher von mir erfahren hatte. Neben dieser nur lächerlichen Eitelkeit besaß er aber eine Eigenschaft, die ihn seinen Freunden gefährlich machte, eine Mißgunst, die durch nichts zu befriedigen war. Alles Gute, was einem ändern begegnete, den Beifall, den ein anderer einerntete, betrachtete er als einen Raub, der an ihm geschehen wäre, und haßte den ändern selbst da, wo er selbst den größten Vorteil davon zog, und sein Haß blieb nicht untätig, er ruhte nicht eher, als bis er sich gerächt hatte. Der gute Zustand eines Regiments unter seinen Befehlen, für den er selbst von dem Könige einen Dank einerntete, war hinreichend, ihn zu den unversöhnlichsten, rachsüchtigsten Feinden des Obristen zu machen.

Der General Thielmann besitzt Talente und ist ein trefflicher Kopf, aber sein Charakter ist die personifizierte, rücksichtslose Eigensucht selbst. Eitel und voll unbeschreiblichen Vertrauens auf sich selbst, hat er sich zu überzeugen gewußt, daß er zugleich der rechtschaffenste und tugendhafteste Mann in der Welt sei, und daß er bloß der Menschheit nutze, wenn er sich überall an die Spitze zu drängen und alles, was andere besitzen, sich zuzueignen strebt.

Von diesen dreien war Gutschmid am leichtesten zu beherrschen. Seine arbeitsscheue Trägheit machte ihn von seinem Generalstabe, dessen Chef der Obristleutnant Zezschwitz war, abhängig, und seine ewigen Geldverlegenheiten lieferten ihn in die Gewalt eines jeden, der ihm 50 Taler zu seinen stets dringenden Bedürfnissen vorschießen konnte, und die Kriegskasse, über die Langenau durch den Armeeintendanten Major Ryssel disponierte, bot dazu die Mittel dar.

Schwerer war es, die stets mißtrauische Eitelkeit des kommandierenden Generals zu befriedigen. Um ihn zu gewinnen, verschrieb der Minister Senfft für ihn das Offizierskreuz der Ehrenlegion; Langenau bekam gleich das silberne Kreuz, beide in der Voraussetzung, daß sie diese Auszeichnung noch verdienen würden. Thielmann hatte schon vorher durch die Vorsprache des Marschall Davout, bei dessen Kindern Thielmanns Schwägerin als deutsche Erzieherin angestellt war, und des Grafen Narbonne, den er in München deshalb angelegen hatte, im Sommer 1810 das Offizierskreuz erhalten. Gutschmid starb bald vor Eifersucht, daß man es nicht auch ihm gegeben hatte, aber Langenau hatte ihn gewiß genug, um seinen Ingrimm nicht zu achten.

Thielmann war unzufrieden, daß er nicht das Kommando des ganzen Korps hatte. Er konnte es nicht ertragen, einem sächsischen General gehorchen zu müssen, und sein ganzes Streben ging dahin, mit einem Korps Sachsen zu einer französischen Armeeabteilung gesandt zu werden. Langenau, der sich mit ihm weder vertragen konnte, noch auch entzweien wollte, unterstützte seine Wünsche, und der Minister Senfft tat alles, was Langenau wollte. So wurde denn in Dresden durch den französischen und westfälischen Gesandten die Sache so eingeleitet, daß der König von Westfalen, der den rechten Flügel der Großen Armee kommandieren sollte, den General Thielmann nebst den Truppen unter seinem Befehl für sich verlangen mußte. Dies geschah jedoch erst in der Folge.

Das Offizierskreuz der Ehrenlegion hatte den General Lecoq mit der Bedingung ausgesöhnt, daß Langenau, unabhängig von ihm, für den König das Journal der Armee führen sollte, eine Bedingung, durch die das Ansehen des kommandierenden Generals zu einem bloßen Scheingepränge herabgesetzt wurde. Der König erfuhr nun nicht mehr durch ihn, sondern durch einen Untergeordneten, was bei der Armee vorging. Langenau verfügte dadurch über alle Belohnungen, alle Beförderungen. Das Schicksal aller einzelnen, aller Offiziere, ja des Generals selbst war in seiner Hand. Lecoq war schwach genug, bei dem Könige keine Einwendungen dagegen zu machen, ja selbst zuzugeben, daß diese Bedingung ausdrücklich in die königliche Instruktion gesetzt, und, damit kein Zweifel darüber entstehen könnte, der Armee bekannt gemacht würde. Für dieses Opfer belohnte ihn das bis dahin wenigstens noch nicht verdiente Goldene Kreuz.

Die Maschine war nach und nach in Gang gekommen. Man hatte sich verständigt, und es schien Ordnung herrschen zu wollen. Mit dem kommandierenden General hatte man durchgängig Ursache, zufrieden zu sein. Sein Betragen war anständig und zugleich fest. Der Generalstab zeigte einige Züge von Despotismus, die man jedoch noch der Unerfahrenheit seines Chefs zugute hielt (erst Obristleutnant Ryssel, dann Koppenfels). Langenau hatte den Grundsatz angenommen, eine höhere Stelle könne nie irren, d. h. nie einen Irrtum eingestehen und einen Fehlgriff nie verbessern. Er beging aber deren, besonders aus Unkunde der Verfassung der Kavallerie, so manche, daß er doch von diesem Grundsatze abgehen mußte, aber jeder zurückgetane Schritt wurde dann durch eine Grobheit bemäntelt. Als ich einst mit ihm darüber freundschaftlich sprach, meinte er, man würde nicht fragen, ob der Befehl ausgeführt sei, wenn er etwa als unausführbar befunden würde, aber eine noch so gemäßigte Vorstellung dagegen könne nicht angenommen werden. – Jedermann ließ sich das gesagt sein.

Noch immer war man, wenigstens bei der Armee, ungewiß, ob wir unter den Befehlen des Generals Lecoq zu einem größeren Armeekorps stoßen oder unter einem besonderen französischen Anführer den Feldzug machen würden. Hätte der General Lecoq etwas mehr Energie besessen, so würde allerdings das erste wünschenswerter und der Würde des Königs und der Armee angemessener gewesen sein. Bei dem Feldzuge 1809 an der Donau hatten wir wenigstens die Formen einer verbündeten Macht beibehalten, deren Hilfskorps unter seinem eigenen Anführer dem Oberbefehl eines französischen Feldherrn gehorchte. Freilich war der jüngere General Zezschwitz, der damals dem Namen nach die Sachsen kommandierte, nicht gemacht, diesen Auftrag mit Anstand durchzuführen, aber die Ordnung erhielt sich von selbst, die Geschäfte wurden durch seinen Generalstab besorgt, und der Fürst Pontecorvo, ob er gleich die meiste Zeit keine anderen Truppen als die Sachsen unter sich hatte, behandelte doch stets ihren kommandierenden General als ihren Anführer und ehrte dadurch ihre Nationalität.

Selbst im Jahre 1807, wo der General Polenz in Preußen nur eine Division Sachsen kommandierte, waren diese Formen beobachtet worden, aber der Minister Senfft hatte für solche Rücksichten, für die Behauptung der Würde seines Königs keinen Sinn. Sein Ehrgeiz war, durch blinde Unterwerfung unter jede französische Anordnung sich die Gnade und den Schutz Napoleons zu erwerben; für die Armee wurde auch nicht die geringste Bedingung gemacht.

In der Mitte des Märzes erhielten wir die Nachricht, daß der General Reynier ernannt sei, die Sachsen zu kommandieren. Bald nachher erschien er im Hauptquartiere Guben.

Nach der Schlacht von Wagram, als der Kronprinz von Schweden, damals Fürst von Pontecorvo, abgerufen wurde, um Seeland gegen die Engländer zu verteidigen, hatte Reynier während des Waffenstillstandes den Oberbefehl über die Sachsen geführt und sich bei der Armee vom General bis auf die Gemeinen verhaßt gemacht. Es würde eine Ungerechtigkeit sein, ihm die Schuld dieses üblen Verständnisses, das beinahe in Empörung ausartete, beizumessen. Sie lag aber ebenso wenig bei den Sachsen, denn keine Armee ist leichter zu gewinnen als die sächsische. Der Grund ist teils in Mißverständnissen, teils in dem Umstande zu suchen, daß Reynier im Kommando auf Pontecorvo folgte, auf den Feldherrn, der vor allen anderen das Talent besitzt, sich die Liebe seiner Untergebenen zu erwerben, und der von den Sachsen angebetet wurde, und daß er es mit dem Eintritte des Waffenstillstandes übernahm. Das Verdienst, das sich das Korps im ganzen und das sich einzelne unter seinem Vorgänger erworben hatten, war ihm unbekannt; seine großen Feldherrntalente konnte er nicht vor ihren Augen entwickeln, weil der Krieg aufgehört hatte. Und da mit dem Waffenstillstände auch der Grad der Freiheit, den der Soldat im Angesicht des Feindes genießt, eingeschränkt werden mußte, so mußten Reyniers erste Schritte dem Soldaten unangenehm sein.

Der General Reynier besaß in einem ausgezeichneten Grade alle Gaben eines vollendeten Feldherrn für den Krieg, aber auch nicht eine von denen, die zu der Regierung einer Armee gehören. Eine besorgte Vorsicht, der auch das kleinste nicht entging, ein scharfer, sicherer Blick, eine durch nichts zu störende Unerschrockenheit, eine ruhige Besonnenheit, eine Übersicht und Beurteilung des Bodens, in der vielleicht kein Feldherr ihn übertroffen hat, ein unerschöpflicher Reichtum an Hilfsquellen, eine seltene Gabe, aus den geringfügigsten Umständen die Absichten des Feindes fast immer mit Sicherheit zu erraten und die hohe Ruhe, mit der er im Augenblicke der Gefahr die zweckmäßigen Anstalten zu finden wußte und anordnete, waren Eigenschaften, die bei ihm durch die Erfahrungen von siebzehn Feldzügen, die er als General gemacht hatte, unterstützt wurden.

Bei allen diesen herrlichen Gaben fehlte ihm jedoch gänzlich die Gabe der Volkstümlichkeit. Sein Charakter, ja selbst sein ganzes Wesen waren dazu nicht geschaffen. Er war lang, gut gewachsen und in seinem vierzigsten Jahre noch wohl erhalten und ein schöner Mann. Sein Auge war scharf, aber nicht feurig, in seiner gebogenen, schön geformten Nase und seinen regelmäßigen Gesichtszügen lag jedoch durchaus nichts Edles, nichts Wohlwollendes, sondern der Ausdruck kalter Härte, der mit einem weichlichen, beinahe tierischen Zuge um den breiten Mund und die starken Lippen unangenehm abstach. Seine ganze Haltung hatte etwas Steifes und dabei doch durchaus nichts Großes, Ehrfurcht gebietendes. Er hatte in seiner Jugend gestammelt, nur durch große Anstrengungen hatte er diesen Naturfehler überwunden, den er durch eine leise, singende, oft beinahe lallende Aussprache, die es oft schwer machte, ihn zu verstehen, zu verbergen suchte.

Er war ein wissenschaftlich gebildeter Mann und liebte ein ruhiges, betrachtendes Leben. Doch wußte er diese Lieblingsneigung seiner Pflicht unterzuordnen, und nie hat es wohl einen tätigeren, für alles, was zum eigentlichen Kriege gehört, sorgfältigeren Anführer gegeben, als den General Reynier.

Dagegen aber waren ihm alle Einzelheiten der Verpflegung, der Disziplin und der kleinen Taktik verhaßt. Er würde kaum im Stande gewesen sein, ein Bataillon auf dem Exerzierplatze zu kommandieren, und von dem Wesen der Kavallerie und ihrem wahren Nutzen hatte er gar keinen Begriff. Sie war ihm bloß reitendes Fußvolk, eine Gattung von Kriegern, die sich geschwinder bewegt als die Infanterie und die er ohne Schonung und ohne Nutzen anstrengte und, ehe sie noch recht gebraucht werden konnte, zugrunde richtete. Märsche von 8–10 Meilen achtete er für nichts Außerordentliches; und wenn sie nur ankamen, so war es ihm gleichgültig, ob die Pferde noch gehen konnten oder nicht, ein Fehler, den er mit vielen französischen Generälen gemeinsam hatte.

Höhere Strategie, die Geschützkunst und alle Zweige der Wissenschaften des Ingenieurs waren die Fächer, in denen er sich vor allen auszeichnete. Aber er liebte und besaß auch andere Kenntnisse. Die Literatur seines Volkes nicht nur, sondern auch die englische und italienische hatte er fleißig studiert; daß er ein guter Mathematiker war, versteht sich von selbst, und er besaß ein außerordentliches Talent, Sprachen zu verstehen und in ihr Wesen schnell einzudringen. Sprechen konnte er außer der französischen und italienischen keine, daran hinderte ihn der Fehler seines Organs. Aber er verstand und las das Englische und Spanische, hatte viel Deutsch begriffen und in Egypten sich mit dem Arabischen beschäftigt.

Nun, seit vier Wochen aus Spanien zurückgekehrt, wurde er zu dem Feldzuge nach Polen befohlen und auf dem Marsche studierte er die polnische Sprache, und ich habe Gelegenheit gehabt, mich von den schnellen Fortschritten, die er darin machte, zu überzeugen.

Bei Tische und in Gesellschaft öffnete er selten den Mund und brachte seine Gäste oft in Verlegenheit, weil er still dasaß und starr vor sich hinblickte. Wenn aber unter den übrigen zuweilen die Rede auf einen Gegenstand kam, der ihn anzog, so mischte er sich mit wenig Worten ins Gespräch, und stets waren diese treffend. So hörte ich ihn einige Male Bemerkungen über die Grammatik und das Wesen der polnischen Sprache einschieben, die von seinem tiefen Eindringen in ihre Eigentümlichkeiten zeugten. In Lublin besah er mit mir einige Klöster und erriet schnell die polnischen Inschriften, aber er hütete sich, ein Wort polnisch auszusprechen; und wenn Dolmetscher ihm die Aussagen eines Polen übersetzten, verbesserte er nicht selten die Übersetzung oder ließ sie wiederholen, und wenn er sagte: „So ist das nicht, so hat er nicht gesagt!“, dann hatte er sich nicht leicht geirrt.

Mißgunst und kleinlichen Neid kannte er nicht, aber Argwohn, Geiz und Verachtung der Menschen waren Flecken in seinem Wesen. Die Deutschen verachtete er aus Vorurteil; am wenigsten liebte er die Sachsen, und er gab sich nicht die Mühe, sie kennen zu lernen. Als er 1809 in Preßburg das Kommando über die Sachsen übernahm, wußte er, daß sie mit Leib und Seele dem Fürsten Pontecorvo ergeben waren, und verschmähte es, sich ihre Zuneigung zu erwerben. Gewohnt, von diesem angeredet und freundlich begrüßt zu werden, wenn er an ihren Linien im Galopp vorüberflog, sahen sie nun ihren neuen Kommandeur finster und steif auf einem schlechten Pferde vorbeireiten, ihrem Gruß nicht einmal danken und sie keines Blickes würdigen, als etwa um einen Tadel auszusprechen. Er hatte sich geschmeichelt, als Kriegsminister des Königs von Neapel die langersehnte Ruhe zu genießen und sah in seiner plötzlichen Abberufung von dieser Stelle, um das Kommando der Sachsen zu übernehmen, einen Beweis der Ungnade oder des Mißtrauens des Kaisers. Er konnte daher diesen Posten nicht mit guter Laune antreten. Bei seiner Abreise hatte er seine Equipage nicht mitbringen können und nur in der Eile sich ein Paar Pferde kaufen müssen. In der Folge richtete er sich besser ein, und in dem russischen Feldzuge war er stets gut, selbst glänzend beritten, aber der erste Eindruck hatte nachteilig auf die Truppen gewirkt, und seine Unart, keinen Gruß zu erwidern, selbst wenn Generäle den Hut vor ihm zogen, nicht immer und höchstens durch Lüftung des seinen zu danken, stach gegen die Freundlichkeit Pontecorvos ebenso nachteilig ab wie sein damals wenig versprechender Aufzug gegen den seines Vorgängers.

Der schwache, in seinem Äußeren nicht vorteilhafte und in seinen weitläufigen Vorträgen ebenso unverständige wie verwirrte General Zezschwitz war ihm durchaus zuwider, und nach ihm beurteilte er das Ganze. Ein unangenehmer Vorfall kam hinzu, ihm das Korps der Offiziere verhaßt zu machen. Zu dem General Gutschmid, der in der Wahl seiner Gesellschaft selten glücklich war, hatte sich nach dem Gefecht von Stampfen ein Mensch gefunden, der sich Lasalle nannte, das Kreuz der Ehrenlegion trug und sich für einen französischen Kapitän und Adjutanten des Fürsten von Neufchâtel ausgab. Er wurde mir vorgestellt, als ich in Preßburg war, und schien mir gleich damals sehr zweideutig. Er sprach schlecht französisch und gab doch vor, kein Wort deutsch zu verstehen. Gutschmid machte großes Wesen aus ihm, ich aber sah bald, daß sie sich nur miteinander betranken und sich gegenseitig belogen, der eine, indem er unaufhörlich mit seinen Kriegstaten, der andere, indem er mit seinem Einfluß bei dem Fürsten von Neufchâtel sich brüstete; Gutschmid glaubte durch ihn die Gunst dieses gefürchteten Machthabers und so wenigstens die Rolle eines Konnetabels von Sachsen zu erlangen. Als ich nach Dresden zurückkam, erfuhr ich, daß der General Zezschwitz schwach genug gewesen war, für diesen Menschen das Kreuz des Heinrichsordens zu verlangen, und nur mit Mühe erhielt ich einen Aufschub der Gewährung, indem ich dem König vorstellte, daß ein Adjutant des Fürsten von Neufchâtel sich schwerlich zum Galopin eines sächsischen Brigadegenerals machen würde, daß also dieser Mensch wahrscheinlich ein Betrüger sein müßte. Der nächste Kurier brachte die Entwicklung seiner Geschichte mit.

Lasalle war als ganz gemeiner Falschspieler entlarvt und in einem öffentlichen Hause zu Preßburg von einem sächsischen Subalternoffizier gemißhandelt worden. Da er die angebotene Genugtuung nicht annahm, wollten ihn die übrigen in der Gesellschaft nicht leiden, und Gutschmid mußte ihn aufgeben. Er ging nun zu dem General Reynier, und dieser, ohne die Sache zu untersuchen, glaubte in dem Betragen der Sachsen ein Vergehen gegen die Würde der französischen Uniform zu sehen und befahl, ebenso unüberlegt wie eigenmächtig, daß sie nach wie vor mit Lasalle umgehen sollten. Der kam nun keck in das Schauspiel und mischte sich unter die sächsischen Offiziere, und da diese gleich zusammentraten und ihm andeuteten, daß er sich entfernen sollte, verließ er das Parterre und erschien gleich darauf in Reyniers Loge. Dagegen war nichts zu tun; als aber der kommandierende General die unverzeihliche Übereilung beging, ihn, von vier Gendarmen begleitet, in das Parterre zurückzuschicken, verließen sofort alle Offiziere das Schauspielhaus. Reynier nannte dies Betragen Empörung und Meuterei, wollte die Offiziere zwingen, in das Schauspiel zu gehen und drohte, die Rädelsführer arretieren und ihnen den Prozeß machen zu lassen. Er bedachte sich jedoch anders, nachdem der General Zeschau zu ihm gegangen war und ihm den Vorgang der Wahrheit gemäß vorgetragen hatte. Die ganze Sache wurde unterdrückt und Lasalle von Preßburg weggeschickt.

Er rechtfertigte im Laufe weniger Tage zu Wien das Betragen der Sachsen. In einem Spielhause, wo französische Offiziere seine Betrügereien entdeckt hatten, wurde er der Polizei übergeben, und es stellte sich heraus, daß er keineswegs Offizier, sondern ein Abenteurer der niedrigsten Klasse war, der sich selbst das Kreuz der Ehrenlegion verliehen hatte. Er wurde öffentlich am Pranger ausgestellt mit einer Tafel, die seine Betrügereien kundgab, und nachher fortgejagt.

Reyniers Betragen bei dieser Geschichte kann auf keine Weise entschuldigt und selbst bei einem so kalten, besonnenen Mann nur durch seine groben, verachtenden Vorurteile gegen die Deutschen erklärt werden. Er selbst bekam dadurch etwas mehr Achtung für diese, aber ihre Liebe hatte er sich völlig verscherzt. Auch wo er völlig recht hatte, tadelten sie ihn später, und bei einer Gelegenheit, wo Gutschmid sich zum wenigsten eine große Unbesonnenheit hatte zu Schulden kommen lassen, nahm alle Welt Partei für diesen. Gutschmid wurde dadurch so aufgeblasen, daß er nun diese Geschichte, in der er völlig den kürzeren gezogen und sich unrühmlich genug auf Kosten eines Untergebenen herausgemacht hatte, mit einer Menge von Zusätzen, die er am Ende selbst glaubte, ausschmückte und mit großer Selbstgefälligkeit bei jeder Gelegenheit erzählte. Er wollte Reynier gefordert und ihn dadurch so erschreckt haben, daß er ihn durch eine Erniedrigung hätte aussöhnen müssen. Noch den Tag nach Neujahr erzählte er in Hoyerswerda bei dem Oberst Lobkowitz diese Geschichte bei Tische mir und den Übrigen, die wir doch recht gut wußten, daß kein Wort davon wahr war.

Nicht mit Freuden vernahm also das Korps, daß Reynier zum Anführer bestimmt war; und die, welche vorher am meisten mit ihrer Widersetzung gegen ihn geprahlt und sich über ihn aufgehalten hatten, wurden nun seine eifrigsten Schmeichler. Ich hatte ihn in Preßburg kennengelernt und war in guten Einvernehmen von ihm geschieden. Sobald er in Guben angekommen war, hielt ich es für meine Pflicht, mich ihm vorzustellen. Ich fand ihn kalt und steif, wie immer, doch nahm er mich nach seiner Art mit Auszeichnung auf. Bei dieser Gelegenheit machte ich auch die Bekanntschaft seiner Umgebungen, die eben nicht geeignet waren, ihrem General Achtung zu erwerben. Zwei von ihnen kannte ich schon von Preßburg her. Sein Chef des Stabes, der aber erst in Kalisch zu uns kam, war der Obrist, nachher General Gressot, ein Mann von vierzig Jahren, der sich durch die Geläufigkeit, mit der er im schwäbischen Dialekt deutsch sprach, durch viele Geschmeidigkeit im Umgange, nicht aber durch militärische Talente auszeichnete. Er glänzte nicht durch Tapferkeit und entschuldigte seine Vorsicht gern durch die Schwäche seines Gesichts; wer indessen bei Reynier war, konnte sich der Gefahr nie ganz entziehen, und Gressot wußte wenigstens den Anstand zu beobachten. Der Bataillonschef Charlet war der Adjutant und der Vertraute des Generals, vielleicht um ein paar Jahre jünger als er, schlau und verschmitzt, aber ein trefflicher Soldat, der mit einer an Verwogenheit grenzenden Tapferkeit und nie zu ermüdender Tätigkeit einen geübten Blick und eine schnelle Übersicht verband. In seinem breiten Gesicht lag der Ausdruck der Gemeinheit, wahrscheinlich war er sehr niederer Herkunft. Zwei Galopins oder Adjoints, wie sie sich nannten, waren neu hinzugekommen. Der eine hieß Vintimille, der andre Granmaison. Sie sollten, besonders jener, aus ansehnlichen Familien sein, waren aber sehr arm, schlecht equipiert und besaßen sowohl die Klugheit des Augenblicks als auch die gänzliche Unwissenheit in allem übrigen, die man bei so manchem Franzosen findet.

Der Charakter der Rechtlichkeit, der allen vieren, und besonders den beiden ersten fehlte, zeichnete allein den Obristen Veuneville, der auf dem Marsche zu Reynier kam, vorteilhaft aus. Schon sein Äußeres stach gegen die unansehnliche Gestalt der andern merklich ab. Er war ein junger Mann von 28 Jahren, stolz, eitel und wenig unterrichtet, wie die meisten Franzosen, aber in seinen Sitten, in seinem ganzen Betragen sah man, daß er eine vornehme Erziehung genossen und in der guten Gesellschaft sich gebildet hatte. Nach Art seiner Landsleute verachtete er alle Nichtfranzosen, aber er machte schnell eine Ausnahme, wo er auf die Formen und Sitten der feineren Kreise stieß. Er war nicht Reyniers Wahl gewesen, der ihn daher auch weniger gebrauchte, als die andern, aber er zeigte bei jeder Gelegenheit Mut und Entschlossenheit und eine gewisse Überlegenheit, die nicht bloß die vornehmere Erziehung, sondern auch die bloße Rechtlichkeit gibt und die seinen Kameraden und selbst dem General oft sichtbar drückend wurde.

Auch aus diesen Umgebungen läßt sich auf den Charakter der Hauptperson schließen. Reynier kannte den Krieg aus Übung, die Welt aus der Geschichte, aber er kannte die Menschen nicht und verschmähte zu seinem Schaden, sie kennenzulernen. Gewohnt, alles durch sich selbst zu tun, wollte er keine Gehilfen, sondern nur blinde Werkzeuge. Seiner Lieblingsneigung, dem Studieren, nachhängend, überließ er gern die Besorgung der Einzelheiten andern und wurde dadurch von Menschen, die er verachtete, von Charlet, später von Langenau, ja selbst von seinem Koch und seinem Kammerdiener abhängig, weil er argwöhnisch von jedem, den er achten zu müssen fürchtete, sich zurückzog, um ja nicht einmal eine Vorstellung anhören, in eine Erläuterung seiner Befehle eingehen zu müssen. In der Revolution aufgewachsen, an das Spiel niedriger Leidenschaften und den steten Sieg der Selbstsucht über Tugend und Rechtschaffenheit gewöhnt, glaubte er an keine Rechtlichkeit mehr, und weil er sich besser gefühlt hatte, als die meisten, mit denen er zusammengekommen war, hielt er nun alle Menschen für schlecht. Er wußte, daß der Kaiser ihn nicht liebte, dem er getrotzt hatte, und daß er auf einem schlüpfrigen Punkte stand, auf dem ihn nur der Bedarf des Kaisers, der ihn als Feldherrn brauchte, erhalten konnte. Er sah in jedem, der nicht durch ganz untergeordnete Talente oder durch den Makel unredlicher Handlungen in seiner Gewalt war, einen Gefährlichen, der zum Werkzeug seines Falles werden könnte.

Schon in Ägypten, wo selbst Davout noch Brigadegeneral gewesen war, hatte er als Divisionsgeneral ein abgesondertes Kommando gehabt und sich mit Widerwillen unter Menous Oberbefehl gebeugt. Nach seiner Rückkehr hatte er beim Oberkonsul die Wiedereinsetzung in die Rechte des Dienstalters gefordert, und, als dieser ihn mit Ausflüchten hinhalten wollte, ihm sein bekanntes Werk über Ägypten überreicht mit der Erklärung, daß er es bekanntmachen würde, wenn er binnen vier Wochen nicht die verlangte Genugtuung erhalten hätte. Der Zeitpunkt verstrich, und das Buch wurde in England gedruckt. Bonapartes Zorn mußte doch der Notwendigkeit nachgeben, und Reynier nahm wieder ein Kommando in Italien an, bis er als Kriegsminister in Neapel angestellt wurde. Von dort rief ihn 1809 Napoleon zurück, um in Preßburg die Sachsen zu übernehmen.

Die große Anhänglichkeit dieses Korps war dem Fürsten von Pontecorvo zum Vorwurf gemacht worden, und auch dieses trug dazu bei, daß Reynier sich so wenig um die Zuneigung seiner Untergebenen bekümmerte. Im folgenden Jahre bedurfte der Kaiser eines geschickten Generals in Spanien. Reynier, der Davout, Victor, Mortier und so manchen jüngeren mit dem Marschallstabe beehrt sah, weigerte sich und nahm endlich den Auftrag nur unter der Bedingung an, daß er nie einem im Dienste jüngeren Anführer, welchen Rang er auch haben möchte, untergeordnet werden sollte. Im Winter 1811 kam Suchet mit einem Befehl des Kaisers, nach dem Reyniers Korps zu ihm stoßen sollte. Er schrieb ihm sogleich, daß er zwar diesen Befehl befolgen müßte, daß er sich aber keineswegs anmaßen würde, Reynier als seinen Untergebenen zu betrachten. Diesem aber war eine solche persönliche Abmachung nicht hinreichend. Er zog sofort sein Korps zusammen, überfiel die Spanier in Estremadura, schlug sie, ließ seine Truppen eine vorteilhafte Stellung einnehmen und verließ sie an dem Tage, an dem Suchet ankam, indem er diesem schriftlich erklärte, daß er gegen ihn nichts hätte, aber von seiner mit dem Kaiser geschossenen Abmachung nicht abgehen könnte.

Ohne Napoleons Erlaubnis kehrte er nach Paris zurück, lebte als Privatmann und heiratete ein liebenswürdiges Mädchen von 18 Jahren; doch kaum war er einige Wochen verheiratet, so ließ ihn Napoleon kommen und übertrug ihm, ohne das Geschehene zu erwähnen, abermals das Kommando der Sachsen. Mit Recht konnte ihn das Bewußtsein, dem Despoten getrotzt zu haben und ihm doch unentbehrlich als Feldherr zu sein, stolz machen, aber er fühlte auch, welche Behutsamkeit seine Verhältnisse erforderten. Überzeugt, daß Napoleon ihm nie ganz verzeihen, ihn nie zum Marschall machen würde, strebte er nur danach, unabhängig zu werden und zu dem Ende Schätze zu häufen. Bei der geringen Sorgfalt, die er auf seine Wirtschaft verwendete, bei der unglaublichen Art, wie er sich von seinen Leuten betrügen ließ, konnte er nicht wohl durch erlaubte Mittel reich werden. Sich selbst zu Schleichwegen herabzulassen, war er zu stolz, aber er erlaubte jede Erpressung, jeden noch so groben Betrug, wenn ihm nur auf eine gute Art ein Vorteil davon zufloß. Und indem er dabei sich doch vor sich selbst schämte, vermehrte sich sein Argwohn gegen jeden, dessen Handlungsweise er als einen stillen Tadel der seinigen betrachtete und den er für klug genug hielt, den Grund seiner Nachsicht zu durchschauen.

Sowie es bekannt wurde, daß Reynier in Dresden angekommen wäre und nächstens im Hauptquartiere Guben erscheinen würde, setzte sich alles mit verdoppelter Tätigkeit in Bewegung, um vor ihm im schönsten Glanze zu erscheinen. Man erwartete nun eine Reihe von Paraden, Musterungen und Manövern und ärgerte sich, als man sich getäuscht sah, daß alle diese Anstrengungen vergebens gemacht worden waren. Reynier besah zwar einige Brigaden, doch nicht alle, zu der meinigen kam er gar nicht. Alles Schaugepränge war ihm zuwider, die gute Haltung der Truppen übersah er, selbst ihre Geschicklichkeit bei der Ausführung ihrer Bewegungen. Seine nüchterne Gleichgültigkeit gegen alles, was zu der bloßen Taktik gehört, ging beinahe zu weit, sie entsprang aber aus dem Bewußtsein, daß dieses durchaus seine schwache Seite war. Von den Bewegungen der Kavallerie besonders verstand er gar nichts, und deshalb verachtete er sie. Bei dem Geschütz allein hielt er sich auf.

Die Truppen fühlten sich durch die Kälte und den geringen Anteil, den er an ihnen nahm, beleidigt; die Offiziere ärgerten sich, daß er sie keiner Aufmerksamkeit würdigte, und die Generäle verdroß es mit Recht, daß er kaum ein Wort mit ihnen sprach, alle Aufklärung nur von Langenau forderte und ihre Zurüstung, ihn zu bewirten, verschmähte. Nachdem er einen Teil der Regimenter nur im Fluge, die übrigen gar nicht gesehen hatte, kehrte er nach Guben zurück. Das ganze Korps war unzufrieden mit ihm und spottete über den ärmlichen Anzug seiner Umgebungen, doch mit nichts söhnten sich die Truppen so schnell aus, wie mit seiner Abneigung gegen Schaugepränge und die ewigen Musterungen, deren die französischen Generäle sonst nie genug haben konnten. Dieses war auch die schwache Seite des Fürsten von Pontecorvo gewesen, der damit die Armee nicht wenig geplagt hatte. Reynier erwarb sich zuerst die Zuneigung der Truppen, daß er nach ermüdenden Märschen ihnen Ruhe ließ; und bei dem den Sachsen eigenen guten Willen und dem Ehrgeiz, der den Gemeinen wie den Offizier auszeichnete, litten weder die Kriegszucht und die Haltung noch die Übungsfertigkeit der Regimenter unter dieser, in der Tat doch übertriebenen Gleichgültigkeit des Oberbefehlshabers.

Aufbruch

Reynier war den 16. März in Guben angekommen, am 27. und 28. brach das Korps aus seinen Kantonierungen in der Niederlausitz auf. Es marschierte in drei Hauptabteilungen. Die erste, unter General Lecoq, ging über Crossen, Grünberg, Neusalz und Fraustadt, die zweite unter dem General Gutschmid über Züllichau, Karge usw. Die beiden Kavalleriedivisionen, jede mit einem Regimente leichter Infanterie und einer reitenden Batterie verstärkt, machten den Vortrab, die vier Infanteriebrigaden nebst der Fußartillerie folgten.

Die dritte Abteilung bestand aus der Reserveartillerie, dem Park, den Pontons, dem Train, der Intendanz, dem Fuhrwesen und den Lazaretten. Diese konnten aber erst im Mai aufbrechen.

Der kommandierende General nebst seinem Gefolge war bei der ersten Abteilung. Der Marsch ging nach Kalisch, wo, wie man versicherte, das Korps eine Kantonierung an der Proszna beziehen sollte.

Die erste Abteilung bestand aus den Regimentern Prinz Clemens- und Polenz-Chevaulegers und Husaren, zusammen 2000 Pferde, einer reitenden Batterie (Roth), zwei Fußbatterien, jede zu 6 Kanonen und 2 Haubitzen, sämtlich von Sechspfündern, einem Regiment leichte Infanterie, dem Grenadierbataillon Liebenau und den Infanterieregimentern Prinz Anton, Prinz Friedrich und Prinz Clemens, ungefähr 8000 Mann in 9 Bataillonen, 9 vierpfündigen Regimentskanonen, einer Kompagnie Sappeurs und einer Pontonierkompagnie.

Zu der zweiten Kolonne gehörten die Regimenter Garde du Corps, Zastrow-Kürassiere und Prinz Albert-Dragoner, 1800 Pferde, eine reitende Batterie (Hiller), zwei Fußbatterien unter dem Major Auenmüller, 1 Regiment leichte Infanterie, die Grenadierbataillone Anger, Spiegel und Eychelberg und die Linienregimenter König und Niesemeuschel, also gleichfalls 9 Bataillone, ungefähr 8000 Mann, 9 vierpfündige Regimentskanonen. Das Bataillon Eychelberg blieb zur Bedeckung der dritten Kolonne nebst einer Schwadron Dragoner von Prinz Albert zurück.

Wir waren noch nicht weiter als bis Fraustadt gekommen, als es bekannt wurde, daß der König von Westfalen die Trennung der schweren Kavallerie von der zweiten Kolonne gefordert hatte, um sie mit der Kürassierdivision des Generals Lorge zu vereinigen. Reynier widersetzte sich dieser Trennung mit allen Kräften, aber seine Vorstellungen fanden beim Kaiser kein Gehör. Er mußte dem Genera Thielmann auch die reitende Batterie Hiller überlassen, und Thielmann hatte nun seinen Zweck, ein abgesondertes Korps Sachsen bei einer französischen Armee zu kommandieren, erreicht. Er gewann dadurch den großen Vorteil, daß er nun seine Meldungen unmittelbar nach Dresden an den König erstatten und ihm melden konnte, was er für gut hielt. Für das VII. Armeekorps hingegen war dieser Abgang ein schmerzlicher Verlust. Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Truppenarten war dadurch aufgehoben, wir hatten viel zu wenig Kavallerie. Schon in einem gewöhnlichen Feldzuge würde dieser Mangel nachteilig gewesen sein, um so mehr mußte er alle unsere Unternehmungen lähmen in einem Feldzuge, wo wir einen an Anzahl von Truppen jeder Art und ganz besonders an Kavallerie uns weit überlegenen Feind beschäftigen, aufhalten und bekämpfen sollten, und dieses in einem ganz ebenen Lande und in Provinzen, wo keine Magazine waren und alle Bedürfnisse aus entlegenen Orten zusammengebracht werden mußten.

Der General Reynier hoffte wenigstens, indem er den Befehl des Kaisers, die schwere Kavallerie nebst der reitenden Batterie unter dem General Thielmann abzugeben, buchstäblich befolgte, das Regiment Albert-Dragoner für das VII. Korps zu retten, aber der General Thielmann war nicht willens, ihm dieses zu lassen. Indem er anzeigte, daß es zu seiner Brigade gehörte, glaubte er zugleich sein Kommando zu vergrößern und sich bei den Generälen des Korps, zu dem er nun gehörte, einzuschmeicheln. Er erreichte aber nur diese Absicht, denn Reynier mußte zwar, nachdem wir über Kalisch hinaus waren, auch das Regiment Albert abgeben, sogar die Schwadron, die bei der dritten Kolonne geblieben war, aber weil dieses Regiment leicht beritten war, wurde es nicht zu der Kürassierdivision Lorge, sondern zu einer ändern Abteilung geschlagen, bei der es auch, bis auf wenige einzelne, die das Glück hatten sich zu retten, in dem unglücklichsten aller Feldzüge umgekommen ist.

Unsere ganze Kavallerie bestand nun in den 2000 Pferden der ersten Division, die zu den 16 000 Mann Infanterie in gar keinem Verhältnis standen. So sehr es aber daher nötig gewesen wäre, diese kleine Anzahl zu schonen, so wenig wurde darauf Bedacht genommen. Außer der Menge von Ordonnanzen, die von den Offizieren des Generalstabes und der Intendanz zu Reitknechten gebraucht wurden, mußte noch eine Eskorte von 30 Pferden ins Hauptquartier kommandiert werden, von denen Reynier in einem feindlichen Lande sich überall begleiten ließ. Da er oft die Pferde wechselte und gewöhnlich in einem übereilten Schritt oder Paß ritt, so ermüdeten sich die Pferde der Eskorte, die ihm im Schritt nicht folgen konnten und durch immerwährendes Jagen und Stocken sich erhitzten, so sehr, daß die Regimenter, ungeachtet, daß sie durch das tägliche Exerzieren den Winter hindurch gut in Atem waren, doch schon auf den ersten Märschen eine Menge kranker und lahmer Pferde zählten. Dazu kamen noch die äußerst karg zugemessenen Rationen, die schlechterdings zu solcher Arbeit nicht hinreichten, und der Mangel an Ställen im Hauptquartiere für die Eskorte. Im Kriege können freilich solche Rücksichten nicht gelten, aber auf dem Marsche, wo uns alles daran lag, den Feldzug mit kräftigen Pferden zu eröffnen, hätten sie nicht ohne Zweck erschöpft werden sollen.

Bei Neusalz in Schlesien gingen wir auf einer, von unsern Pontonieren geschlagenen Schiffsbrücke über die Oder und bald nachher kam der Befehl, daß die ganze Schwadron Probsthayn von nun an als beständige Eskorte in das Hauptquartier kommandiert werden sollte. Dieser Probsthayn war ein guter Kopf; in Gesellschaft sah man ihn gern, weil er Witz hatte und sich in der Rolle des Lustigmachers gefiel. An Mut fehlte es ihm nicht, dagegen gebrachen ihm alle Eigenschaften, die zu einem guten Offizier gehören, und seine Gesinnungen, sowie sein ganzes Betragen waren niedrig. Bei Preßburg hatte er auf einer Insel in der Donau gestanden, der Mühlaue, wo ein Paar Französinnen wohnten, namens Duplessis. Sie waren hübsch, aber von äußerst zweideutigem Rufe, und Reynier, der sie oft in bürgerlicher Kleidung besuchte, hatte dort an Probsthayn einen Menschen kennengelernt, der zu Geschäften dieser Art in gleichem Grade Geschick wie guten Willen besaß. In der Zeit, da die sämtlichen sächsischen Offiziere gegen Reynier aufgebracht waren, hatte Probsthayn sich bei ihm und noch mehr bei seinem Koch und Kammerdiener in Gunst zu setzen gewußt, auch mitunter, nicht sowohl bei dem General selbst, als bei seinem Adjutanten Charlet den Kundschafter und Angeber gemacht. Durch diesen Kanal wurde er auch jetzt zum Kommandanten des Hauptquartiers gemacht. Reynier, der stets argwöhnisch auf den fernsten Anschein eines Zweifels an seiner Gewalt oder an seiner höheren Kenntnis eifersüchtig war, ließ sich am leichtesten von Menschen, die er für verächtlich hielt, lenken und folgte oft den Einblasungen Probsthayns, der in kurzem ein gefürchteter Mann bei dem Korps wurde und dessen Mannschaften nun, da sie überall zum Eintreiben von Lieferungen und zu Exekutionen gebraucht wurden, ohne Aufsicht sich groben Ausschweifungen überließen. Schon in Polen fingen sie an zu plündern, ohne daß jemand ihnen Einhalt tun durfte, weil das Bedürfnis der Küche oder des Stalles des Generals jedesmal der Vorwand war.

Das Husarenregiment, das, in zwei Bataillone geteilt, den Dienst von zwei Regimentern versehen mußte, wurde durch diese Einrichtung um hundert Pferde geschwächt, die unnötig und bloß um den Wunsch eines einzigen zu erfüllen, anstatt der vorigen dreißig unnütz im Hauptquartiere zu Grund gerichtet wurden.

Die Verpflegung in Schlesien wurde von dem Lande mit größter Ordnung und Pünktlichkeit geleistet, im Herzogtume Warschau aber fing es schon an zu fehlen. Die Ernte des vergangenen Jahres war sehr schlecht gewesen, alle Vorräte hatten abgeliefert werden müssen, um die Magazine jenseits der Warthe und an der Weichsel zu füllen und um die polnische Armee zu versorgen; die Ausfuhr aus dem österreichischen Galizien war gesperrt, und eine Menge Truppen, auf die man nicht gerechnet hatte, weil sie nach dem ersten Plane weiter nördlich gehen sollten, kamen in dieser armen und sandigen Gegend zusammen. Bayern, Württemberger und Westfalen drängten sich mit uns, kreuzten unsere Kolonnen und hatten alle Lebensmittel und Fourage aufgezehrt. Bei den letzten herrschte überdies noch große Unordnung; sie nahmen mit Gewalt mehr, als ihnen zukam, oft das Drei- und Vierfache, und schleppten den Vorspann mit fort, so daß es überall an Fuhren gebrach. Rauhfutter fehlte gänzlich, besonders Stroh, so daß die Häuser abgedeckt werden mußten um zu Streu und zum Lager zu dienen. Die Ställe waren offen und das Wetter kalt und naß. Täglich hatten wir Schnee und Regen und die Wege waren abscheulich. Die Artillerie litt sehr, sowohl in dem tiefen Sande, als in den Morästen. Dabei ging der Marsch unordentlich, weil wir bald Rasttage machen mußten, um den Bayern und Württembergern, die vor uns waren, einen Vorsprung zu lassen, bald gab es wieder Märsche von 10 und 11 Stunden, weil der König von Westfalen uns mit seinem Korps drängte.

In Polen

Wir sehnten uns daher mit Recht nach den Erholungsquartieren bei Kalisch, die man uns verheißen hatte, aber wir bekamen sie nicht. Der König von Westfalen hatte diesen Weg nicht nehmen sollen; da er aber nun einmal sich hierher geworfen hatte, so mußten wir eilen, ihm Platz zu machen. Noch schlimmer war es in der Gegend von Sieradz, wo ich am 11. März mit der Vorhut ankam. Die Bayern hatten alle Vorräte aufgezehrt und den Rest auf requirierten Wagen mitgenommen. Der Unterpräfekt war aus Verzweiflung weggegangen, und sein Stellvertreter bat mich selbst um Exekutionstruppen, weil niemand seine Verordnungen befolgen wollte. Die Bauern waren mit ihrem Vieh in die Wälder geflüchtet, die ausgezehrten Dörfer standen leer. Es fehlte an Brot, an Fourage und an allen Lebensmitteln, und dennoch mußten wir hier zwei Tage stillhalten, weil wir aus Mangel an Vorspann nicht vorwärtskamen, und doch voraus wußten, daß es in der Gegend von Vidawa noch schlechter sein würde.

Reynier, mit seinen eigenen Quartieren unzufrieden, eilte voraus, um bessere zu bekommen, und nahm allein 60 bis 80 Vorspannpferde weg, um mehrere Stationen in einem Tage zu machen, während seine Pferde in starken Märschen nachgingen. Die Eskorte, deren größter Teil ihn dennoch begleiten mußte, während er selbst nebst seinem Generalstabe mit Vorspann fuhr, wurde dabei völlig zugrunde gerichtet und mußte, stets unter Probsthayns Kommando, von dem Regimente ersetzt werden.

Wir brachen am 15. aus der Gegend zwischen Sieradz und Vidawa auf und gingen in 4 ermüdenden Märschen über Petrikow und Sulejow bis Opoczno in Neugalizien. Die Entfernung betrug in gerader Linie etwa 16 starke Meilen, mit den Umwegen nach den Quartieren aber gewiß über 20. In den über alle Beschreibung schlechten Wegen, in grundlosen Morästen und auf verdorbenen Holzdämmen, bei dem starken Schnee- und Regenwetter und bei der schlechten Verpflegung mit vermodertem Heu und Dächerstroh und verdorbenem Korn oder Hafer wurden die Pferde der Kavallerie und besonders des Geschützes sehr mitgenommen. Wir mußten unterwegs schon oft requirieren, doch geschah es in Ordnung. Es wurde alles, was wir an Lebensmitteln nahmen, geschätzt und darüber quittiert.

Das Hauptquartier, das vor uns in Petrikow angekommen war, ruhte daselbst in guten Quartieren aus. Aber schon herrschten Kabalen und Hetzereien. Langenau war Reyniers rechte Hand geworden, durch ihn gingen alle Anordnungen, und Lecoq, der noch immer der Kommandierende General der Sachsen hieß, war zu gänzlicher Nullität herabgesetzt. Als er wenigstens noch an den Meldungen an den König teilnehmen wollte, gab ihm Reynier zu verstehen, daß er weiter nichts sei, als Kommandant einer Division, und nahm ihm, um ihn zu kränken, ohne irgendeinen Vorwand die Kavalleriedivision, die unter seinem Befehle stand, und gab sie dem General Gutschmid, der jetzt auch bei Petrikow angekommen war, und nun, nach Thielmanns Abgang, ein um 2000 Pferde und eine leichte Batterie größeres Kommando hatte als der ältere General. Lecoq maulte, fühlte sich unglücklich und tröstete sich mit der Justiz, die man ihm ließ, die aber bei sehr viel Schreiberei doch in einem auf dem Kriegsfuße stehenden Korps wenig Bedeutung hatte.

Nach zwei Rasttagen bei Opoczno ging endlich die Vorhut in drei Märschen über Przysucha, Wierzbica und Skaryszew nach Zwolen, eine Entfernung, die mit Umwegen etwa 16 Meilen betragen konnte. Das Regiment Prinz Clemens-Chevaulegers, oder, wie es jetzt genannt wurde, Ulanen, marschierte rechts über Konskie nach Opatow, und die beiden Infanteriedivisionen bezogen eine Kantonierung von der Pilica bis Radom, wo das Hauptquartier sich einrichtete.

Wir standen in dieser Gegend vom 24. April bis zum 13. Mai in einer weit ausgedehnten Kantonierung und benutzten die Zeit zur Ausbesserung der Equipage und zu fleißiger Übung der Truppen. Der Mangel an Fourage und die schlechten Einrichtungen unserer Intendanz machten unsere Gegenwart dem Lande sehr drückend und hinderten auch die Erholung der Kavallerie.

Die Provinz war nach der schlechten vorjährigen Ernte durch die wiederholten, ihre Kräfte übersteigenden Lieferungen nach Warschau völlig erschöpft. Wir mußten nach allen Seiten Exekutionstruppen schicken, die sehr oft, ohne etwas ausgerichtet zu haben, zurückkamen. Auf diese Weise und zu den häufigen Ordonnanzen hatten die drei Kavallerieregimenter, ohne die Eskorte zu rechnen, fast immer einige hundert Pferde unterwegs. Das zahlreiche Personal der Intendanz kümmerte sich um nichts. Ryssel, sein Gehilfe Girschner und die übrigen Proviantoffizianten gingen ihren Vergnügungen nach, erpreßten Geld von Pachtern und Landedelleuten und ließen die Verpflegung gehen, wie sie wollte. Sie gaben Anweisungen auf Magazine, ohne sich zu bekümmern, ob Vorräte darin waren, und nicht selten mußten die Kommandierten mit den unglücklichen Vorspannbauern zehn, zwölf Meilen weit umherziehen, ehe sie den dreitägigen Bedarf für eine Kompagnie auftreiben konnten. Die beiden Regimenter Polenz und Husaren hatten unausgesetzt bloß zum Fassen der Bedürfnisse gegen 150 Pferde auf der Straße, und die abgetriebenen Pferde und Ochsen des Vorspanns blieben unterwegs liegen, ohne den Ort der Bestimmung erreichen zu können, und mußten streng bewacht werden, damit sie nicht entwischten. Zu jeder dreitägigen Fassung mußte der Vorspann mit Gewalt zusammengetrieben werden.

Den polnischen Autoritäten, besonders dem tätigen Präfekten Malachowski zu Radom, fehlte es nicht ganz an Mitteln und auch nicht am guten Willen, die Sache mit Ordnung zu besorgen, aber es war eine schlimme Seite Reyniers, daß er den Obrigkeiten nie erlaubte, eine Anordnung zu treffen, sondern alles nach eigenen despotischen Befehlen und doch ohne gehörige Kenntnis der Umstände einrichten zu wollen.

Wir handelten wie in Feindesland; auf geschärfte Befehle des Obergenerals mußten wir alle Böden, alle Scheunen und Ställe im ganzen Distrikt visitieren, die Vorräte aufschreiben und wie in einer belagerten Stadt, nachdem wir das notwendige Bedürfnis der Einwohner bis zur Ernte abgerechnet hatten, den Rest in strengen Beschlag nehmen. Diese Maßregel führte zu nichts, aber mit sovieler Schonung wir auch bei der Ausführung zu Werke gingen, so empörte sie alle Eigentümer und lähmte zugleich alle Anstalten der Landesverwaltung.

Es wurde noch ärger, nachdem durch einen Befehl die sämtlichen Adjutanten nach Radom gerufen worden waren, um von dem Obristen Langenau die bestimmte Erklärung zu hören: „Derjenige Regiments- oder Bataillonskommandeur, bei dessen Abteilung es nur einen Tag an Lebensmitteln und Fourage fehlt, wird sofort als unfähig zum Dienst nach Hause geschickt. Wie er sich die Bedürfnisse verschafft, ist seine Sache; für jeden Exzeß aber wird er bestraft, und die Brigadegeneräle sind für beides verantwortlich. “

Dieser Befehl war so widersinnig, daß ich ihn dem Adjutanten nicht glauben wollte. Ich ging selbst nach Radom, aber von Langenau war keine vernünftige Erklärung zu erlangen. Er verschanzte sich hinter seinem gewohnten Geniespruch, das Wohl des Ganzen erfordere außerordentliche Maßregeln, und hinter dem Willen Reyniers. Der aber ließ sich auf keine Erklärung ein. Er unterbrach sogleich den Vortrag, indem er behauptete, es wäre genug vorrätig, wir müßten es nur gehörig anzufangen wissen. Auf den Befehl, den Langenau in seinem Namen gegeben hatte, ließ er sich gar nicht ein. Wenn er nicht hören wollte, so war es unmöglich Gehör von ihm zu erlangen.

Später wurde mir es erst klar, was zu so unvernünftigen Verordnungen Veranlassung gegeben hatte. Man hatte von seiten der Departementsregierungen versäumt, sich mit Gressot oder Charlet abzufinden, und dafür wurde nun das Land auf alle Weise gedrückt. Es gehörte eine so gut disziplinierte Armee wie die unsrige dazu, um den größten Ausschreitungen zu entgehen. Dennoch ging es nicht überall ganz friedlich ab. Die Polen klagten, der General Lecoq und seine Auditeurs hielten Verhöre und beschrieben eine Menge Papier. Selbst bis nach Dresden waren die Beschwerden über Einzelne gegangen; es ergingen strenge Befehle und Untersuchungen – und alles blieb im Laufe des Feldzugs liegen.

Bei uns aber herrschte Krieg aller gegen alle. Wer irgendwo ein Magazin fand, nahm es für sich und besetzte es mit einer Wache. Wurde ein anderes Regiment dahin gewiesen, so mußte es ohne Fassung wieder abgehen. Die Fuhren und Kommandierten wurden durch die vergeblichen Wege bis ins Unglaubliche vermehrt.

Reynier wohnte indessen im Hause des Präfekten, aß mit seinem ganzen Generalstabe an seinem Tische, lud sich Gäste, wie er wollte, und nahm es übel, wenn der wirkliche Wirt den Wirt machen wollte. Er besaß in solchen Dingen ein kaltes Blut und eine Fassung sondergleichen. Gutschmid brüstete sich mit dem ihm aufgetragenen Kommando über die Kavallerie; Reynier, von dem er noch bis vor vier Monaten so verächtlich gesprochen hatte, war jetzt sein Held und, wie er versicherte, sein bester Freund. Wegen seiner besonderen Kenntnisse des Vorpostendienstes sollte ihm das Kommando der Vorhut übertragen worden sein.

Er legte sich nach Jasciniec, einem Landhause des Ministers Matuszewicz, ließ sich liefern, gab Gastmähler und sprach von Sicherheitsmaßregeln auf den Vorposten, die jedoch nicht genommen wurden, da wir hinter der Weichsel sehr ruhig standen und noch kein Krieg erklärt war. Er sah übrigens die Kavallerie nur ein einziges Mal, als sie nebst der reitenden Artillerie bei Zwolen exerzierte, und war in der Regel jeden Tag zweimal betrunken.

Am 13. Mai änderte die Vorhut ihre Quartiere, indem sie sich nördlich an der Weichsel hinabzog. Das ganze Korps bewegte sich in dieser Richtung. Das Hauptquartier kam nach Kozienice, Gutschmid legte sich nach Cecichow (6 km w. Iwangorod), ich selbst nahm mein Quartier in Gora an der Weichsel, Pulawy gegenüber (Gora Pulawska, Pulawy jetzt Nowo Aleksandrja). Die gänzliche Aufzehrung aller Lebensmittel im Departement von Radom machte diese Maßnahme notwendig. Reynier, der voraussah, daß es uns bei Eröffnung des Feldzuges daran mangeln würde, wollte sich die Hilfsquellen jenseits der Weichsel aufsparen und daher solange, wie nur immer möglich, auf dem linken Ufer der Weichsel verweilen. Er hatte darin vollkommen recht, aber der Eigensinn, mit dem er auf einer ebenso eigenwilligen wie verderblichen Art der Verpflegung beharrte, war fehlerhaft. Sie brachte uns selbst um einen Teil der Vorräte, die wir hätten benutzen können.

Am 16. oder 17. kam er nach Pulawy, wo er in dem Schlosse sein Quartier nahm. Ich ging zu ihm und empfing mündlich seine Befehle, mit der Vorhut nach Lublin zu gehen, dort zwar eine ausgedehnte Kantonierung zu beziehen, diese aber so einzurichten, daß die verschiedenen Posten einander schnell unterstützen könnten und daß zugleich alle Übergänge über den Wieprz von Krasnostaw bis Kock beobachtet würden. Von den Russen, die am Bug standen, sollte ich soviel, wie möglich, Nachrichten einzuziehen suchen und ihm täglich Me dung darüber machen. Zu meiner Rechten sollte ich mich mit den polnischen General Hauke, Kommandanten zu Zamosc, und links mit einem polnischen Obristen, der in Kock stand, und nachher mit dem hannoverischen General Hammerstein, der diesen ablösen würde, in Verbindung setzen. Mit Gutschmids Kommando der Vorposten schien Reynier nicht recht zufrieden zu sein. Er befahl mir, meine Meldungen unmittelbar an ihn selbst zu richten, doch dem General Gutschmid zugleich von allem Nachricht zu geben.

Ich glaubte, er würde in dem schönen Schlosse zu Pulawy bleiben, aber ich erfuhr, daß er nach Kozienice zurückgehen würde. In Pulawy war ein junger Mann, der bei der Präfektur von Lublin angestellt war, namens Dszebowski, für den Reynier eine ihm ungewöhnliche Achtung zeigte, weil er mit den Großen in Warschau und durch diese mit dem Herzog von Bassano in Verbindung stand. Auch vor dem Fürsten Czartoryski, dem Besitzer von Pulawy, hegte er einige Scheu, überdies setzte er voraus, daß der König von Westfalen, der gegenwärtig in Warschau war, Pulawy für sich nehmen würde, und er wollte sich von diesem nicht verdrängen lassen. Er ging deshalb in sein altes Hauptquartier zurück. Nachdem ich in Lublin eingerückt war, mußte eine Ordonnanzlinie von Krasnostaw über Lublin bis Kozienice, 18 Meilen lang, eine andere von Kozienice bis Opatow, wo das Regiment Ulanen stand, eine dritte von Opatow zu mir nach Lublin und eine vierte von Kozienice nach Petrikow zur Verbindung mit dem Train und den Lazaretten, die sich nun in verschiedenen Abteilungen von Kalisch näherten, aufgestellt werden. Da die Nachrichten sehr schnell befördert werden mußten, so waren auf jedem Posten, der nicht über zwei Meilen weit reiten konnte, wenigstens drei Mann nötig, die oft abgelöst werden mußten, bei der sehr geringen Anzahl von Kavallerie eine sehr lästige Einrichtung!

In Lublin fand ich die beste Ordnung und eine treffliche Polizei. Der Präfekt, Fürst Jablonowski, hatte für alles gesorgt und wurde durch tätige und kluge Präfekturbeamte auf das Kräftigste unterstützt. Die Truppen wurden gut und pünktlich verpflegt, und die Vorsorge des Präfekten ging soweit, daß zu jeder Stunde 80 Vorspannwagen in einem alten Klosterhofe bereitstanden, die, sobald ich sie brauchte, durch andere ersetzt wurden, nur bat mich der Fürst, daß ich meine Forderungen allemal ihm mitteilen und keine eigenmächtigen Requisitionen erlauben möchte. Natürlich war ich des gern zufrieden und befand mich wohl dabei, denn nie hat es bei den eigensinnigen, oft bloß neckenden Forderungen Reyniers nur eine halbe Stunde lang weder an Vorspann, noch an der Erfüllung des Geforderten gemangelt.

Ich meldete dem Obergeneral die gute Ordnung, die ich gefunden hatte, aber ich erzeigte dem Präfekten damit einen schlechten Dienst, denn sofort wurde Reyniers Argwohn und seine unselige Neigung, keine Einrichtung, die er nicht selbst gemacht hatte, bestehen zu lassen, rege. Zuerst kamen Befehle zu plötzlichen Quartierveränderungen, die nun alle Maßregeln des Präfekten vereitelten. Die Fourage und die Lebensmittel, die er an einen Ort hatte schaffen lassen, mußten nun von neuem aufgeladen und oft an denselben Ort, von wo sie abgefahren waren, wieder zurückgeschafft werden.

Auf Reyniers ausdrücklichen Befehl hatte ich das Regiment von Polenz in der linken Flanke, deren äußerster Posten bei Firlej (zwischen Kock und Lubartow) stand, das erste Bataillon Husaren im Mittelpunkt und das zweite in der rechten Flanke von Piaski bis gegen Krasnostaw aufgestellt, aber in der Nacht vom 20. auf den 21. erhielt ich Befehl, das Regiment Polenz nach Lublin und das erste Bataillon Husaren nach Piaski zu legen, und noch am 21. sollte die Umquartierung gemacht sein. Von Lublin bis zum linken Flügel waren 7 Meilen. Es erforderte Zeit, die entlegenen Posten zu benachrichtigen. Mit übereilten Märschen wurde die Sache möglich gemacht. Wir bekamen eine Masse maroder Pferde. Der Präfekt mußte das zu Lubartow errichtete Depotmagazin in größter Eile wegschaffen, weil die Westfalen es zu nehmen drohten und auch einen großen Teil davon wegschafften. Und kaum hatte ich die Erfüllung des Befehls gemeldet, so mußte ich nicht nur Lubartow, 4 Meilen von Lublin, wieder besetzen, sondern auch das Magazin mußte wieder gefüllt werden, weil Reynier es später benutzen wollte. Selbst eine Bäckerei sollte dort angelegt werden. Der Präfekt hatte diese in Lublin und stellte die Unbequemlichkeit vor, sie von hier, wo alle Anstalten dazu im Gange waren, zu verlegen, aber Reynier beharrte auf seinem gemessenen Befehle. Als ich diesen dem Präfekten zeigte, legte er mir ein Schreiben von Dczebowski vor, dem Gressot auf Reyniers Befehl das Gegenteil geschrieben hatte. Wir sahen einander verwundert an, beide Schreiben waren von einem Datum! Am Ende wurden wir einig, daß der Präfekt mir sein Wort gab, im Falle es verlangt würde, den geforderten Vorrat an Brot in Lubartow niederzulegen, und ich mir mit der Zweideutigkeit half, in meiner Meldung zu sagen, das geforderte Brot würde in Lubartow bereit sein.

Solcher Neckereien und einander aufhebende Befehle folgten noch eine Menge. Es kamen Proviantoffiziere nach Lublin, die Befehle vorzeigten, alle Vorräte und Vorspann des Departements mit Beschlag zu belegen und für die künftige Verpflegung der Armee vorzubereiten; wenn sie aber die mustergültigen Anstalten der Präfektur sahen, mußten sie selbst gestehen, daß sie so viel nicht leisten könnten. Sie blieben nun da, ließen sich selbst verpflegen und taten nichts.

Bei dem Mangel, der auf dem Marsch und in der letzten Kantonierung geherrscht hatte, war der dreitägige eiserne Vorrat, den jeder Mann bei sich führen sollte, aufgezehrt worden. Ich hatte dies gemeldet und den Befehl erhalten, ihn hier zu ersetzen. Der Präfekt war dazu willig. Ein zweiter Befehl verlangte, ich sollte überdies noch einen zweitägigen Bedarf sowohl für die Avantgarde, als auch für das ganze Korps bereithalten, der auf Wagen nachgefahren werden sollte, und auch die dazu nötigen Fuhren in Lublin bei der Hand haben, um jederzeit bereit zu sein, binnen einer halben Stunde aufzubrechen. Auch dieses leistete der Präfekt, so drückend auch die Erhaltung der vielen müßigen Menschen und Pferde zum Transport in Lublin war.

Nun kam ein dritter Befehl, ich sollte sofort einen achttägigen Vorrat von Fourage und Brot für das ganze Korps fordern. Es war zweifelhaft gelassen, ob der früher befohlene zweitägige und der dreitägige eiserne Bedarf für die Vorhut darunter begriffen sei oder nicht, d. h. ob die Armee auf 10 oder 8 Tage und die Vorhut auf 13 oder auch auf 8 Tage im ganzen, den täglichen Bedarf ungerechnet, versehen werden sollte. Ich fragte deshalb an, anstatt der Antwort kam aber der Befehl, das achttägige Brot sollte binnen 24 Stunden zu Zwieback oder, wie es hieß, zu pain biscuité gemacht werden. Der Präfekt stellte die Unmöglichkeit vor, das Brot in so kurzer Zeit, und ehe es kalt geworden wäre, in den zum Brot und nicht zum Zwieback geheizten Öfen biskuitieren zu lassen, auch wollte er nicht mehr als im ganzen auf 8 Tage liefern, weil Dczebowski selbst mit einer schriftlichen Anweisung von Gressot kam, in der nur auf 8 Tage im ganzen gefordert wurde. Ich schrieb nun dringend um Verhaltungsbefehle und erhielt zur Antwort, es bliebe bei den mir gegebenen Befehlen. Wäre der Präfekt nicht ein so sehr billigdenkender Mann gewesen, so hätte ich mit ihm zerfallen müssen, wir aber einigten uns dahin, daß er über den Vorrat auf 8 Tage für das ganze Korps auch noch den auf 2 Tage für die Infanterie und auf 5 Tage für die Armee bereitzuhalten, ich aber, wenn er nicht gefordert würde, ihn nicht zu erwähnen versprach.

Er mußte jedoch nachher noch geliefert werden, obwohl auch die Westfalen in Lubartow einen Vorrat auf 14 Tage erhielten und überdies noch 200 000 Portionen aus dem Lubliner Departement für die Große Armee geliefert worden waren.

Von dem eiligen Biskuitieren wollte Reynier nicht abgehen. Er schickte Proviantoffiziere, es zu besorgen; das heiße Brot mußte nun sofort zerschnitten, in die zum Biskuitieren noch nicht gehörig abgekühlten Öfen geschoben und dann aufbewahrt werden. Der Erfolg war, daß das weiche Brot in dem viel zu heißen Ofen schnell eine harte, ungenießbare Rinde bekam, inwendig aber feucht blieb und verdarb. Der ganze Vorrat von hundert und einigen sechzig tausend zweipfündigen Brotportionen mußte später, nachdem wir ihn eine Weile auf 400 polnischen Wagen nachgeschleppt hatten, weggeworfen werden, weil weder Menschen noch Tiere ihn genießen konnten. Ich habe die ganzen über diese Verhandlung gewechselten Schriften aufgehoben, und sowohl die Verwaltungsbehörden von Lublin, als auch die sächsischen Offizianten der Intendanz müssen sich der hier buchstäblich angeführten Verhandlung noch erinnern.

Die große Eile war übrigens ganz unnütz, denn wir standen bis zum 17. Juni in Lublin, und hätte Reynier nur 4 Tage zugestanden, so würde aus dem guten Brote auch guter Zwieback geworden sein. Das Departement mußte nun überdies noch einen zweitägigen Bedarf an Zwieback liefern, und jene seltsamen Forderungen konnten wohl keinen anderen Zweck haben, als die Regierung zu bewegen, sich auf eine andere Art durch Gressot, Charlet und Ryssel mit dem Generalkommando abzufinden. Mir selbst machte ich übles Spiel, indem ich versäumte, die Sache einzuleiten, aber ich hatte noch immer so viel von Reyniers kalter und strenger Uneigennützigkeit gehört, daß ich glaubte, ihn durch eine solche Einmischung tödlich zu beleidigen. Mein Nachfolger im Kommando der Vorhut, der General Gablenz, verstand es besser und war auch geschickter, die Wege zu finden, auf denen es geschehen mußte, so, daß Reynier nicht darum zu wissen schien.

Uns gegenüber in der Linie von Brest-Litowsk bis Berestecko (am Styr, 30 km s. Luck) jenseits des Bug stand eine mächtige Armee unter dem Befehle des Generals Fürsten Bagration und Kaminski. Jener hatte sein Hauptquartier in Luck, dieser zu Kowel. Zu Bagrations Korps gehörten die vier Infanteriedivisionen Kapczewicz, Lichazow, Rajewski und Tscherbatow nebst weiteren 5 Infanterieregimentern, 3 Regimenter Jäger zu Fuß, 3 Regimenter Husaren, 1 Regiment Ulanen, 3 Regimenter Kosaken und 6 Kompagnien Artillerie, jede mit 12 Kanonen.

Kaminskis Korps bestand aus 6 Divisionen Infanterie, 13 Regimentern Kosaken, Kalmücken, Tartaren und Baschkiren und 70 Feuerschlünden.

Der größte Teil dieser Truppen hatte jedoch den Feldzug in der Wallachei mitgemacht, die Regimenter waren nicht vollzählig und hatten viele Kranke. Man schätzte die Anzahl beider Korps nicht höher als 80 000 Mann. Sie waren stets in Bewegung, marschierten fleißig hin und her, besserten die Wege, sprachen bald von Angriffen, bald von nahem Frieden; ihre Demonstrationen schienen auf einen nahen Übergang zu deuten. Sie hatten häufig Musterungen, bei denen bald der Kaiser Alexander, bald der Großfürst Konstantin erwartet wurden. Der Kaiser sollte selbst am 27, Mai bestimmt in Luck erwartet worden, unterwegs aber wieder nach Wilna zurückgekehrt sein.

Die Grenze dem Bug entlang wurde von den Kosaken sehr streng bewacht. Bekannte Leute wurden von dem jenseitigen Ufer sofort zurückgewiesen, wer aber nicht bekannt war, in das Innere geführt. Bauernweiber, die auf Kähnen übergefahren waren, um auf den jenseitigen Wiesen, die ihnen gehörten, Gras zu holen, wurden dort behalten; nur mit großer Mühe konnte eine Dame, die auf beiden Seiten ansässig war, die Erlaubnis bekommen, ihre zurückgelassenen Kinder, die sie nicht nachholen lassen durfte, nur einmal in Gegenwart eines Kosakenoffiziers zu sehen. Sie durfte nicht leise mit ihnen sprechen, und einige kleine Geschenke, die sie mitgebracht hatte, erregten großen Verdacht.

Auf unserer Seite standen zwischen dem Wieprz und dem Bug anfangs zwei polnische Kavallerieregimenter, die sich aber bald zurückzogen und nach Warschau marschierten. Die Linie von Pulawy, wo nun auch das Ulanenregiment Prinz Clemens angekommen war, und wo in der Nähe die reitende Batterie stand, bis Krasnislaw, drei Meilen diesseits Zamosz, war nun durch eine Brigade leichter westfälischer Kavallerie bei Kock und Lubartow und durch meine Brigade besetzt. Die leichte Infanterie war noch jenseits der Weichsel zurück. Zwischen dem Wieprz und dem Bug war zwar kein Militär, sondern nur Bauernwachen bei den Dörfern, die von den polnischen Straßenbereutern, Straszniks, angeordnet wurden. Durch diese Straszniks und durch Zollbeamte erhielt ich jedoch immer ganz gute Nachrichten, die zuverlässiger waren als die, welche mir der General Hauke, der stets einen Übergang und Angriff der Russen voraussah, aus Zamosz mitteilte. Uber den Wieprz durfte auf Reynieres Befehl durchaus keine Patrouille geschickt werden, wohl aber konnte ich durch einzelne Offiziere den Bug beobachten und über den Boden und die Vorgänge Nachrichten einziehen lassen.

Der Bug ist in diesen Gegenden nicht über 70 bis 90 Schritte breit, und da das Wasser im Frühling fiel, an vielen Orten zu Pferd zu überschreiten. Die Einwohner fürchteten Streifereien der Kosaken und wanderten häufig aus. Eine Menge von Familien von den schönen Gütern zwischen dem Wieprz und Bug kamen mit ihrem Gepäck durch die Stadt und flüchteten in das Innere des Landes. Der Präfekt zog unter der Hand die öffentlichen Gelder aus den Kassen an sich, und die westfälische Kavallerie verließ Lubartow und Kock, wodurch eine große Lücke in unserer Stellung entstand. Daß es den Russen leicht gewesen wäre, uns zu verjagen, ist keinem Zweifel unterworfen, aber sie schienen nicht minder von uns einen Überfall zu besorgen und uns für weit stärker zu halten als wir waren, wenigstens erhellte dies aus den Erkundungen, die sie einzuziehen bemüht waren. Ihr Zweck schien zu sein, sich in den fruchtbaren Gegenden von Volhynien zu erholen, die Truppen wieder vollzählig zu machen und sie zu dem nahen Feldzuge instand zu setzen, zugleich auch alle Magazine und Vorräte aus den Grenzprovinzen rückwärts nach dem Dniepr zu fortzubringen. Daß sie diesen größtenteils erreichten, ist wohl ausgemacht, aber eben so gewiß ist es auch, daß Reynier die Absicht des Kaisers erfüllte, mit einem kleinen Armeekorps eine weit größere Macht lange zu beschäftigen, denn sicher hätte Bagration seine Rüstungen ebensogut beendigen können, wenn er näher bei Mohilew gestanden hätte. Er würde dann nicht von der Hauptarmee getrennt, nicht genötigt gewesen sein, erst ein zweifelhaftes Gefecht mit Davout zu bestehen, ehe er sich mit ihr vereinigen konnte. Vielleicht mochte auch die Ungewißheit über das, was Österreich tun könnte, dazu beitragen, ihn länger, als nötig war, uns gegenüber aufzuhalten, aber den größeren Vorteil zog doch Napoleon aus dieser Zögerung. Hätte Bagration die Gegend, die er doch nicht behaupten wollte, gleich aufgegeben und sich der Hauptarmee genähert, oder wäre er mit Macht in das Herzogtum Warschau eingedrungen, so würde Napoleon schwerlich bis nach Moskau gekommen sein. Unsere Besorgnis, daß er uns angreifen würde, wurde in den ersten Tagen des Juni durch die bestimmte Nachricht, daß der größte Teil der russischen Armee sich nordwärts zöge, gehoben.

Obwohl die Kavallerie wenig Ruhe genoß, so hatte sie sich doch bei der guten Verpflegung im Lubliner Departement sehr erholt, die Pferde waren in trefflichem Zustande und zugleich gut im Atem. Auch die Infanterie hatte in guten Quartieren ausgeruht, überall herrschte die beste Stimmung. Nur die Kleidungsstücke fingen an abzureißen. Ein ganzes Jahr lang hatten die Truppen nun schon kantoniert, in dem schlechtesten Wetter und bei sehr bösen Wegen einen Marsch von mehr als 80 Meilen gemacht und nicht durch Benutzung ihrer alten, in den Standorten zurückgelassenen Montierungsstücke ihren Anzug schonen können. Bei den meisten waren Stiefel, Schuhe und Beinkleider gänzlich zerrissen, so daß keine Ausbesserung mehr helfen konnte. Nach der bestehenden Einrichtung sollten die Stücke am 1. Mai ausgedient sein und durch die neuen ersetzt werden, die bei dem Train dem Korps auf einer Reihe von Wagen nachgeführt wurden. Es war daher nicht nur die gesetzmäßige Zeit, wo dieses geschehen sollte, sondern auch ein bequemer Zeitpunkt, wo es geschehen konnte. Die Mannschaften wunderten sich, daß es zum ersten Male unterblieb, und auf die Erinnerungen der Regimentskommandanten erfolgten erst gar keine, dann ausweichende Anworten. Die Verwaltungsbehörden rechneten mit dem Verlust in dem nahen Feldzuge. Waren die Montierungen ausgegeben, so gingen sie mit dem Mann verloren, blieben sie aber auf dem Wagen, so erbte sie die Intendanz von jedem, der bleiben oder gefangen werden konnte, – und dem König wurden sie als mit dem Mann verloren angerechnet. Da Reynier diesen schändlichen Mißbrauch duldete und Lecoq ihn nicht zu rügen wagte, so blieb uns nichts übrig, als die Mannschaften, so gut es ging, zu vertrösten.

Das Hauptquartier belustigte sich, so gut es konnte, zu Kozienice, Es wurde gehörig in Küche und Keller geliefert, und einige Frauenzimmer von gefälligen Sitten gewährten ihnen Unterhaltung. Jeder hatte die seinige, Reynier die Geliebte des jovialen Abts von Sieciechow, Langenau eine andere und Gutschmid gemeine Freudenmädchen, die der Armee folgten. Bei dem Abte, den er fleißig besuchte, fand er Wein im Überfluß und wurde daher nur in kurzen Zwischenräumen nüchtern.

Der König von Westfalen, der überall durch seinen tollen Aufwand und seine mutwilligen Forderungen sich bei den Polen verhaßt gemacht hatte, kam endlich von Warschau nach Pulawy (Nowo Aleksandrja) und verlangte, um doch auch einmal etwas zu tun, über die sächsischen Truppen Revue zu halten. Unsere Artillerie mußte ihm dazu auf jedem Relais 40 Trainpferde zum Vorspann schicken. Bei der Infanterie verlangte er Manöver ausgeführt zu sehen, zu denen er Bewegungen und Kommandowörter vorschrieb, die bei der sächsischen Armee nicht eingeführt waren und über die er sich selbst nicht deutlich erklären konnte. Reynier wollte sich einmischen und zog selbst den Degen, um zu kommandieren, da aber die Evolutionstaktik nicht seine Stärke war, so wurde dadurch die Verwirrung nur noch größer. Gutschmid, bei dessen Division dieses vorfiel, wollte helfen, er war aber der Infanterie-Kommandowörter nicht mächtig und schadete mehr als er nutzte. Ein heftiges Regenwetter machte endlich der Sache ein Ende, und Langenau benutzte diese fehlgeschlagene Musterung, über die er dem Könige Meldung erstattete, um die beiden Obersten Brochowski und Vogel, denen er nicht wohl wollte, zurückrufen und verabschieden zu lassen.

Bei der Division Lecoq ging es besser, weil hier der Divisionsgeneral, dessen Stärke in der Evolutionstaktik bestand, sich des Ganzen annahm, die Irrtümer verbesserte und weil der König von Westfalen, nun schon der Sache überdrüssig, nach Pulawy zur Tafel eilte und die Truppen die verlangten Bewegungen ausführen ließ, ohne sie durch seine Einmischung verwirrt zu machen. Die Kavallerie bei Lublin war ihm zu entfernt; er wollte wieder nach Warschau zurück und begnügte sich daher, das am nächsten stehende Regiment Ulanen zu sehen. Daß dieses, weil er es in der Nähe von Pulawy sehen wollte, acht Meilen hin und her vergebens marschieren und dann von früh 6 bis mittags 12 Uhr auf ihn warten mußte, waren Kleinigkeiten, auf die ein französischer Prinz nicht achtete. Weil seine zahlreichen Adjutanten keine Pferde mitgebracht hatten, mußte ich 12 der schönsten und am besten zugerittenen Pferde aus den anderen Regimentern auslesen und sie für diese Herren nebst ebensovielen Ordonnanzen nach Pulawy schicken. Sie wurden nun, mit den prächtigen Chabraken und den schweren unbehilflichen Stangengebissen des französischen Generalstabes ausgeziert, von den Adjutanten bestiegen. Aber die Pferde waren eine leichtere Zäumung gewöhnt und für die halbfranzösischen Reiter zu mutig. Die ganze Adjutantur saß daher wieder ab, ließ ihre glänzenden Chabraken auf kleine polnische Bauernklepper, von den Franzosen Coniacs genannt (von dem polnischen Worte Kón = Pferd) legen und bestieg diese zur größten Belustigung der Zuschauer, denn nichts konnte sich lächerlicher ausnehmen als das schwere, reich gestickte und tief herabhängende Pferdezeug und die von Gold und Silber starrenden Uniformen auf den unansehnlichen, schlecht gestriegelten, mit vorgestrecktem Kopf laufenden kleinen Pferden neben den schmutzigen, oft nur aus Stricken bestehenden polnischen Trensenzäumen. Der König selbst ritt ein herrliches engliches Pferd, dessen er aber nicht Meister war, er mußte sich daher immer in einiger Entfernung halten, und da Reynier bei ihm blieb, und folglich niemand sich einmischte, so führte das Regiment seine Übungen vortrefflich aus.

Gutschmid war gegen seine Gewohnheit bei der Musterung seiner Division nüchtern gewesen. Sein geschwächter Körper ertrug dies weniger, als die ihm zum Bedürfnis gewordene Anspannung durch starke Getränke. Er hatte bei dem Manöver sich erhitzt, vielleicht auch geärgert und im heftigen Regen sich erkältet. Er kam schon krank in sein Quartier zurück, konnte der Musterung des Ulanenregiments nicht beiwohnen und ließ sich, nachdem Hieronymus nach Warschau zurückgegangen war, nach Pulawy bringen, wo er immer schwächer wurde und in den ersten Tagen des Juni in seinem fünfzigsten Jahre sein Leben beschloß.

Die westfälische leichte Kavallerie hatte Lubartow und Kock geräumt und alle Vorräte von dort mitgenommen. Der Wieprz, der bis Kock gegen Nordwesten fließt und sich dort, mit der Pysmienica vereinigt, plötzlich gegen Südosten wendet, um sich etwa drei Meilen unterhalb Pulawy in die Weichsel zu ergießen, schied jetzt die Sachsen von den Westfalen. Die geringe Ordnung, die bei diesen herrschte, wo die Generäle sich nicht nur die ausschweifendsten Requisitionen von Lebensmitteln, sondern auch von Kaffee, Zucker, Reis, Rum, feinen Weinen usw. erlaubten, und alles was ihnen gefiel, z. B. die besten Gemälde und Kupferstiche aus den Schlössern von Kock und Lubartow mitnahmen, hatte bald die ansehnlichen Vorräte dieser Gegend teils verzehrt, teils verdorben. Sie litten an Fourage den größten Mangel und der General Thielmann, der in Adamow stand, schickte seinen Adjutanten, den Grafen Seydewitz, zu mir, um für die beiden sächsischen Regimenter im Lubliner Departement Futter aufzutreiben. So billig es schien, unsern Landsleuten von unserm Überfluß mitzuteilen, so wenig war doch der Präfekt geneigt, Truppen zu verpflegen, die nicht auf seine Gegend angewiesen waren, und ich selber hatte von Reynier einen gemessenen Befehl erhalten, alle Vorräte des Lubliner Bezirks für das siebente Armeekorps aufzubewahren. Ich fragte daher um Verhaltungsmaßregeln an, die Antwort war ganz in Reyniers Charakter. Er erlaubte mir, Thielmann die Fassung auf eine gewisse Anzahl von Tagen zu gestatten, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß er die Vorräte müßte abholen lassen und daß dazu schlechterdings kein Wagen aus dem Lubliner Departement gegeben werden sollte. Reynier aber wußte sehr gut, daß Thielmann jenseits des Wieprz keinen Vorspann würde auftreiben können, weil die Westfalen längst alles fortgeschleppt hatten. Die Erlaubnis mußte daher unbenutzt bleiben, und ein Versuch Thielmanns, von dem Präfekten dennoch die Fuhren zu erhalten, scheiterte an der Standhaftigkeit dieses Mannes.

Ich erhielt endlich den Befehl, am 6. Juni mit der Vorhut aufzubrechen und mich in Eilmärschen der Straße, die von Warschau nach Brest führt, zu nähern, in vier Tagen sollte ich in der Gegend von Nowominsk und Kaluszyn eintreffen und zugleich die ganzen Vorräte an Futter, Brot, biskuitiertem Brot und Branntwein mitbringen. Wir brauchten dazu 800 Wagen; der dreizehntägige Vorrat von Brot und Zwieback war zum Teil noch in den Öfen, und der Befehl kam so plötzlich, daß es unmöglich war, alles in einem Transport mit fortzuschaffen. Ich mußte daher ein Kommando in Lublin zurücklassen und meine Märsche so einrichten, daß die Wagen mir in den nächsten Tagen in nicht gar zu großer Entfernung folgen konnten.

Ich ging den 6. bis Firlej (12 km nö. Lubartow), den 7. nach Serokomla (11 km nö. Kock) und weil ich die Nachricht hier von dem Aufbruche der Wagenkolonne aus Lublin erhielt, den 8. bis Zelechow (25 km n. Iwangorod). Es war sehr warmes Wetter eingetreten und bei der drückenden Hitze der Marsch in dem dürren Lande diesseits des Wieprz sehr beschwerlich. Als wir bei Zelechow ankamen und uns eben einquartieren wollten, kam ein Kurier uns entgegen mit dem Befehl, daß alles wieder umkehren sollte, weil Reynier selbst den 10. bei Lublin sein und dort sein Quartier nehmen wollte. Es blieb uns nichts übrig, als den Mittag bei Jarczew (5 km ö. Zelechow) Futter aufzunehmen und auf derselben Straße wieder zurückzureiten. Wir erreichten den Abend das ganz ausgezehrte Serokomla wieder, wo wir von unsern Vorräten leben mußten. An die Wagenkolonne nahm der vorauseilende Kurier von mir den Befehl mit, nach Lubartow zurückzukehren, wo ich den 9. übernachtete. Am 10. waren wir wieder in Lublin.

Reynier kam um Mittag dort an, die Brigade Sahr rückte nach Lubartow, das 2. leichte Infanterieregiment nach Lublin und die Husaren wieder in ihre Quartiere. In 5 Tagen hatte die Kavallerie einen vergeblichen Marsch – die nächsten von 24, die entferntesten von 38 deutschen Meilen hin und her gemacht. Wie sehr dieses ohne Not die Pferde mitnehmen mußte, bedarf wohl keiner weiteren Untersuchung. Ihr Bogen über Kock – ich hätte kürzer nach Zelechow kommen können! – war mir vorgeschrieben worden, weil die Westfalen noch zum Teil bei Adamow standen. Ob übrigens Reyniers Eigensinn und seine Art, die gegebenen Befehle alle Augenblicke zu ändern oder ein Mißverständnis der Befehle des Kaisers oder irgendein Einfall des Königs von Westfalen daran Schuld war, habe ich nie bestimmt erfahren können.

Die Division Lecoq und die Brigade Klengel von der 2. Division standen nahe bei Warschau am rechten Ufer der Weichsel, von Praga bis Garwolin (50 km sö. Praga).

Die Nachricht von dem Abmarsch des Fürsten Bagration aus Volhynien wurde am 11. durch einen Brief des Generals Stutterheim, Chef des Generalstabes des Fürsten Schwarzenberg, aus Lemberg bestätigt. Wir erfuhren daraus, daß der General Doktorow in Luck geblieben war, um die Reserven zu organisieren, daß er aber nächstens durch den General Tormassow, der ein neues Korps aus der Wallachei heranführen sollte, abgelöst werden würde.

Da Reynier jetzt in Lublin angekommen war, übernahm er die Korrespondenz mit den fremden Generälen und der Zivilbevölkerung auf dieser Seite, die ich bisher geführt hatte, selbst. Er schreckte die Spitzen durch ein kaltes und schroffes Betragen zurück und wurde nur erst freundlich, nachdem Dzembowski, auf den er immer viel Rücksichten nahm, in Lublin angekommen war. Er war viel zu verschlossen, um auch nur durch eine entfernte Andeutung unsere Neugier über den Plan des Feldzugs im allgemeinen und über die Bestimmung des 7. Armeekorps zu befriedigen, doch habe ich Ursache zu glauben, daß er, wenn er auch den wirklichen Erfolg nicht voraussehen konnte, doch an einem so glänzenden Ausgang, wie ihn die bisherigen Unternehmungen Napoleons gehabt hatten, zweifelte. Eines Tages, da Gressot bei mir war und einige Karten auf meinem Tische lagen, über die wir uns unterhielten, wurde dieser gesprächig genug, sich über Reyniers Ansichten auszulassen. Er bezeichnete auf der Karte die Gegend zwischen dem Dniepr und dem Niemen, um Smolensk, Orza und Witepsk und meinte, weiter dürfe der Kaiser in dem ersten Feldzuge nicht vorgehen. Hier müßte er eine befestigte Winterstellung nehmen, und wenn der Frieden nicht zustande käme, besonders seinen Rücken und seine Verbindung mit Warschau sichern, um dann mit erneuten Kräften den zweiten Feldzug zu beginnen. Ich bemerkte, um ihn noch weiter zum Sprechen zu bringen, daß das Zurückweichen der Russen, von dem wir hörten, ihre Armee mutlos machen und Napoleon zu irgendeinem glänzenden Schlage Gelegenheit geben würde, aber er antwortete kurz: „Gewonnene Schlachten werden diesen Krieg nicht endigen. Es kommt darauf an, wer am Ende des ersten Feldzugs noch eine schlagfertige Armee haben wird.“ Der Erfolg hat diese Ansicht, die aus Reyniers und nicht aus Gressots Kopfe kam, hinlänglich bestätigt.

Wenige Tage nach seiner Ankunft erfuhren wir, daß der König von Westfalen sein Quartier nach Lublin verlegen wollte. Zwei Kavaliere aus seinem Gefolge, ein Herr von Oberg und ein Herr von Gilza erschienen, um eine Wohnung für ihn in Beschlag zu nehmen, aber keine, selbst nicht das große und wirklich schöne Haus des Präfekten, schien ihnen gut genug, doch blieben sie bei diesem stehen. Der Fürst von Jablonowski war nichts weniger als erfreut darüber, da er die ausschweifenden Forderungen des Königs kannte, der unter anderem von dem Präfekten von Kalisch verlangt hatte, daß er einen Turm, der den Fenstern des Königs – auf ein paar Tage – die Aussicht benahm, abtragen lassen sollte. Der Präfekt, der ein gesetzter und glaubwürdiger Mann war und seinen Distrikt trefflich verwaltete, hat mir dies bestätigt mit dem Zusatz, daß der König auf seine Gegenvorstellung ihn gefragt hatte: „Was kann denn das kosten? Etwa 100 Taler?“ Es war ein starker steinerner Turm!

Reynier tat sehr emsig, auf die Ankunft des Königs eine Menge Vorbereitungen zu bestellen, und räumte selbst sein Quartier, indem er ein Gartenhaus vor der Stadt bezog, aber an seinem heimlichen Lächeln sah man, daß er nicht daran glaubte. Er haßte den König ebensosehr, wie er ihn verachtete, und ärgerte sich, daß er auch nur dem Namen nach unter seinen Befehlen stehen sollte. Seine beiden Abgeschickten behandelte er sehr höflich, aber spöttisch.

Auch ein Offizier vom Generalstabe des Fürsten Schwarzenberg kam nach Lublin, um Abrede mit Reynier zu nehmen, der nach seiner gewöhnlichen Art ihn so behandelte, daß er nie wußte, wie er mit ihm daran war, bald äußerst höflich, bald, als ob er sich vergäße, mit seiner stolz verachtenden Weise. Nachdem er noch eine Reise nach Zamosz gemacht hatte, um die Festung zu sehen, reiste er am 16. Juni nach Warschau ab.

Ich brach an demselben Tage mit dem Generalstabe Gutschmids, der nun der meinige hieß, da ich an die Stelle des Verstorbenen getreten war, und mit der Vorhut nach der neuen Bestimmung am Bug auf.

Vormarsch

Reyniers Generalstab hatte sich noch durch den Obristen Brulé, einen, wie ich glaube, geschickten Ingenieur und durch den Kapitän Carré, der Gressots Adjutanten machte, vermehrt. Brulé mußte in Begleitung einiger sächsischer Offiziere eine Erkundung am Bug oberhalb der Gegend von Cholm vornehmen, die jedoch wohl nur die Aufmerksamkeit der Feinde auf diese Gegend lenken sollte, denn unsere Bewegung nördlich entwickelte bald den Plan des Feldzugs.

Ich mußte in sechs Tagen bis Wengrow am Liwiec marschieren; die Österreicher, die jetzt in das Departement von Lublin eingerückt waren, folgten mir auf dem Fuße. Die Avantgarde unter dem General Mohr, mit dem ich schriftlich in Verbindung stand, rückte nach Siedlce. Wir nahmen eine Stellung bei Wengrow, hielten Liw (5 km sw. Wengrow) und Sokolow (30 km ö. Wengrow) besetzt und schickten Patrouillen gegen Drohiczyn, Granne und Nur (am Bug).

Der Krieg war erklärt, der Kaiser drang über Kowno in Litauen ein und es schien, als ob die Armee unter Hieronymus (die aus 20 000 Sachsen, etwa 15 000 Westfalen und einigen polnischen Kavallerieregimentern bestand und noch durch neue polnische Einrichtungen vermehrt werden sollte), an die sich noch 30 000 Österreicher anschlossen, bestimmt wäre, dem russischen Korps in Volhynien und den aus der Wallachei zurückkehrenden Truppen die Spitze zu bieten und zugleich der Hauptarmee den Rücken frei und die Verbindung mit Warschau offen zu halten. Allerdings wurde dazu eine Masse von 70 000 Mann erfordert, und hätte der Kaiser diesen Plan ferner befolgt und nicht, um schnell zu enden, uns gar zu sehr geschwächt, so hätte der Feldzug kaum einen so traurigen Ausgang genommen. Wir wären dann stark genug gewesen, die Litauer und die russischen Polen, die zum Aufstand bereit waren, zu schützen; und es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich behaupte, daß der Kaiser, wenn er nur Waffen, an denen es ihm nicht fehlte, und grobes Geschütz gegeben hätte, am Ende des Feldzugs ohne Aufwand von seiner Seite und durch die bloßen Bemühungen der Polen eine Verstärkung von 80 000 Mann frischer, für ihre Freiheit beseelter Truppen erhalten hätte, die ungeheuren Hilfsquellen dieser Provinzen an Pferden, Getreide, Branntwein und Schlachtvieh nicht gerechnet. Dazu wäre freilich auch eine vernünftige Verwaltung dieser Vorräte in diesen Provinzen erforderlich gewesen, woran gar nicht gedacht wurde und, nachdem wir zu sehr geschwächt worden waren, um sie zu schützen, auch gar nicht mehr gedacht werden konnte. Freund und Feind verzehrten und verdarben in wenig Monaten, was zur Erhaltung der sämtlichen Armeen auf zwei Jahre vollkommen hingereicht hätte. Durch unsere Verwüstung der Felder und der Herden und die feindliche Behandlung der Untertanen erbitterten wir ein Volk, das uns als seine Befreier begrüßt hatte, und zwangen es, mit unsern Feinden gemeinsame Sache zu machen. Reynier ist hierbei nicht ganz frei von Vorwurf, weil er unsre ebenso unerfahrene wie räuberische Intendanz schalten ließ, wie sie wollte, weil er voraussah, daß wir das Land nicht würden behaupten können, aber der größte Tadel fällt doch auf den Kaiser se bst, der seine wesentlichen Vorteile so ganz verkannte und der festen Idee, daß er den Feind durch einen glänzenden Schlag zum Frieden nötigen könnte, alle anderen Rücksichten aufopferte.

Schon die Wahl des Königs Jérôme zum Oberbefehlshaber dieser Armee war nicht glücklich. Der Kaiser kannte seinen Bruder und hatte eine sehr geringe Meinung von dessen militärischen Gaben. Im Jahre 1809 sagte er mir in Schönbrunn über Jérômes Feldzug in Sachsen: „Ich begreife nicht, was der König von Westfalen in Sachsen gemacht hat. Das war doch eine leichtfertige Sache, nicht wahr?“ Um so weniger konnte er ihn für einen so wichtigen Posten, wo er nicht nur den Feind bekämpfen, sondern auch den Aufstand organisieren sollte, geeignet halten, er hatte ihm auch keinen Gehilfen zugeordnet, der ihm hätte seinen Kopf leihen können. Aber wahrscheinlich lagen politische Ursachen zugrunde. Er glaubte, die Österreicher würden sich eher bequemen, unter einem kaiserlichen Prinzen, der selbst eine Krone trug, zu stehen, als unter einem kaiserlichen General. Auch Reynier, der keinem jüngeren Feldherrn gehorchen wollte, konnte dem Bruder des Kaisers den Gehorsam nicht verweigern. Wahrscheinlich wollte Napoleon das alles noch besser ordnen, aber der Drang der Begebenheiten und die weite Entfernung hinderten ihn.

Unsere Patrouillen sahen einzelne Kosaken jenseits des Bug, aber der Strom trennte sie. Dreißig Pferde von einem Kosakenposten, die zwischen Drohiczyn und Ruska über den Strom schwammen, wurden von den diesseitigen Einwohnern aufgehascht und zwei Kosaken, die ihnen folgten, gefangengenommen. Die Nachrichten, die ich dem General Reynier übersenden konnte, lauteten, daß der General Essen mit einem Korps von 10–12 000 Mann (ohne die Kosaken) zwischen Bielsk und Bransk stehe und seine Vorposten bis an den Bug vorgeschoben habe. Oberhalb Brest-Litowsk sollten 12 Regimenter Kosaken und ein Korps von 18 000 Mann sich zusammengezogen haben. Die Westfalen und Polen waren nördlich in der Richtung auf Ostrolenka abmarschiert, und Reynier umging nun den General Essen, indem er mir Befehl schickte, den 23. nachmittags aufzubrechen, die Nacht unterwegs zu bleiben und den 24. ganz früh rechts von dem Punkte (Wiezkow), wo die Westfalen übergegangen waren, bei Brok durch eine Furt über den Bug zu setzen. Das wurde pünktlich ausgeführt. Ich nahm eine Stellung gegen den Nurzec, den die Russen besetzt hatten. Zwischen meinen und den feindlichen Patrouillen fielen hier zum ersten Male in ziemlicher Entfernung einige Schüsse. Trotzdem ich außer meinen drei Kavallerieregimentern bloß die reitende Batterie bei mir hatte, veranlaßte doch diese Bewegung das russische Korps, sich aus seiner Stellung bei Bielsk zurückzuziehen, Bialystok zu räumen und sich nach der Gegend von Pinsk zurückzuziehen. Da die Westfalen bereits den Narew überschritten hatten, unsere Infanteriedivisionen aber auf der Straße nach Pultusk marschierten und somit ziemlich weit entfernt waren, so würde ein rascher Angriff des General Essen mit seiner mir weit überlegenen Macht meine Kavallerie schnell haben über den Bug zurücktreiben können, nicht ohne Gefahr für die Kanonen, die auf einer schlechten Fähre übergefahren werden mußten. Aber es scheint, daß die Russen es sich zum Grundsatz gemacht hatten, auf keinem Punkte zuerst die Grenze zu überschreiten.

Merkwürdig ist, daß schon hier, so nahe bei Warschau, wo nichts die Verbindung unterbrach, die Löhnung ausblieb. In Sachsen wurde das Geld richtig ausgezahlt, und an Gelegenheiten, es zur Armee zu bringen, fehlte es nicht, aber ein Wechselgeschäft des Grafen Marcolini und des Generals Gersdorf hinderte die Auszahlung. Das Geld wurde nämlich in Sachsen in Silber geliefert. Unter dem Vorwand, die Transportkosten zu vermindern, kaufte man in Sachsen Louisdore dafür und schickte diese nach Warschau. Das Geld stieg dadurch in Sachsen zu einer solchen Höhe, daß man den Louisdor mit 13 Groschen 4 Agio gegen sächsische Spezies und 20 Kr. erkaufen mußte. Das war der Vorteil des Grafen Marcolini, der die sächsischen Schatullengelder, die größtenteils in Gold eingingen, in Händen hatte und nun seine Louisdore zu diesem ungeheuren Preise der Kriegskasse überließ; geringere Summen verschaffte der General Gersdorf und den Rest Leipziger Bankiers. In Warschau standen die Louisdore sch echt und fielen durch die Überhäufung bald noch tiefer. Man konnte in den größeren Städten gegen preußisches oder polnisches Geld nach dem 21-Guldenfuß kaum 6, höchstens 8 Groschen Agio bekommen; auf dem Lande mußte man den Louisdor zu 5 Taler preußisches Geld weggeben. Die Offiziere, denen ihr Traktement in Gold, der Louisdor zu 5 Taler 13 Groschen 4 Pfennige ausgezahlt wurde, verloren nun an jedem Louisdor 21 Groschen 4 Pfennige. Und da man dem Gemeinen kein Gold geben konnte und auch den großen Verlust der Kriegskasse nicht anrechnen wollte, so blieb die Löhnung auf 3 Löhnungstage ganz aus.

Da wir das sächsische Geld und die 20 Kronen in Polen nicht höher als das preußische oder polnische Geld ausgeben konnten, so hätte der König ohne Nachteil der Armee an der Löhnung und allen Zahlungen für Kriegsbedürfnisse 5% ersparen können, wenn er nach meinem in Dresden gemachten Vorschlage als Herzog von Warschau polnisches Geld nach dem 21-Guldenfuße hätte schlagen und uns damit bezahlen lassen. Ich hatte gleichfalls darauf angetragen, den Offizieren die Hälfte in polnischen Kassenbillets mit Vergütung von 4 Pfennigen Agio auf den Taler zu geben und dazu die Kassenbillets in Polen einzuwechseln. Dadurch wären schnell die Kassenbillets durch das Einwechseln gestiegen und in Kurs gekommen, und die Regierung hätte den wesentlichsten Vorteil davon gehabt. Aber solche Vorschläge fanden kein Gehör, weil der Graf Marcolini für seine Person dabei keinen unmittelbaren Gewinn sah, und der General Gersdorf, unbekümmert um den Schaden seines Herrn und der Armee, erwarb sich die fortdauernde Gunst Marcolinis durch seine Gefälligkeit, ihm ansehnliche Geldvorteile zuzuwenden. Das Land selbst hatte dadurch einen zwiefachen Verlust, denn da die Juden in Polen die Louisdore einwechselten und sie dann nach Leipzig zur Messe brachten, wo sie bis auf 14 Groschen Agio gestiegen waren, so kauften sie nun für 20 Taler preußisches Geld soviel Ware, wie sie vorher mit 23 Taler 16 Groschen bezahlt hatten.

Bei Brok (12 km s. Ostrow, am Bug) biwakierten die Truppen, und bis zum Dezember konnten sie nie wieder einquartiert werden. In der gegenwärtigen Jahreszeit waren die Biwaks angenehm, aber in der Folge wurden sie sehr lästig. Bloß die Divisionsgeneräle hatten die meiste Zeit irgendeine Hütte oder eine Scheune zum Quartier, die Brigadegeneräle selten.

Die Not der unglücklichen Vorspannbauern war schon jetzt fürchterlich. Weder ihnen, noch ihren Pferden durfte irgendeine Verpflegung gereicht werden, und in dem armen sandigen Lande fanden sie auch nichts Grünes für ihr Vieh. Selbst das verfaulte Dachstroh mußten wir zu unsern Biwaks in Anspruch nehmen und überdies die Bauern als Gefangene bewachen. Wo ich mich sehen ließ, fielen sie herdenweise mir zu Füßen und baten um Entlassung. Bei Brok sah ich sie mit Schaudern über eine krepierte Kuh herfallen und das halbverdorbene Fleisch mit Begierde verzehren. Viele entflohen, indem sie Pferde und Wagen im Stiche ließen. Ich war froh, daß Reynier den folgenden Tag, den 25., selbst nach Brok kam, um wenigstens den Vorwurif von mir abwälzen zu können. Er requirierte in den Dörfern für die Bauern, aber die Einwohner hatten selbst nichts, und dennoch schleppten wir noch lange das nicht eßbare biskuitierte Brot mit uns herum.

Ich meldete dem General Reynier die Vorposten, die ich ausgestellt hatte, und nach seiner gewöhnlichen Weise verwarf er sie und schrieb mir vor, wie er sie ausgesetzt haben wollte. Es war aber genau dasselbe, was ich schon getan hatte, so daß auch nicht eine Vedette zu ändern nötig war. Es war aber seine Art, daß er durchaus alles selbst gemacht haben wollte und durchaus nicht zugestand, daß andere es auch könnten. Später meldete ich ihm stets: „Ich habe, bis auf Ihre Anordnung, diese oder jene Maßregel getroffen ...“ Er setzte dann gewöhnlich eine unbedeutende Kleinigkeit hinzu und war zufrieden; aber selbst machen sollte man nichts, doch würde er es sehr übelgenommen haben, wenn man die nötigen Anstalten versäumt hätte. Sehr selten billigte er das Geschehene, doch tadelte er es auch nicht, sondern er gab sich den Anschein, es als nicht geschehen zu betrachten und es nun, oft genau so, wie es schon bestand, als käme alles von ihm, erst anzuordnen.

Am 26. brach die Vorhut, zu der noch ein leichtes Infanterieregiment gestoßen war, von Brok auf und marschierte in mäßigen Märschen über Ostrow und Szumowo nach Zambrowo (30 km nö. Ostrow). Hier vereinigte sich das ganze Korps, ich übernahm das Kommando der zweiten Division, die Gutschmid gehabt hatte, die 22. der Großen Armee, General Gablenz führte die Vorhut. Das Korps biwakierte in Position, und wir machten zwei Rasttage. Am 26. hatte mir der General Mohr noch aus Sokolow, wo er mit der österreichischen Avantgarde eingetroffen war, geschrieben.

Am 30. stand unsere Vorhut bei Wysoki Massowiecki (20 km sö. Zambrowo), der nächste österreichische Vorposten auf dem linken Ufer des Bug, 6 Meilen von uns zwischen Sokolow und Drohiczyn und ihr Korps bei Siedlce. Sie wußten noch nicht, daß der Krieg erklärt sei und hatten gar keine Vorsicht gebraucht. Von der Seite von Bielsk und Bransk waren wir gar nicht gegen einen Angriff gedeckt, aber Reynier schien sich ganz sicher zu fühlen und wollte von keinem Posten auf dieser Seite hören.

Den 1. Juli brachen wir auf und gingen in drei Märschen nach Bialystok, wo wir am 4. Rasttag machten. Die Russen hatten diese freundliche und hübsche Stadt, die mehr durch und durch preußisch als polnisch oder russisch gesinnt war, erst vor wenigen Tagen verlassen und die Einwohner hart behandelt. Bei unserm Anmarsch fanden wir im Walde noch überall die Blätter von dem mitgenommenen und unterwegs zerrissenen und zerstreuten Stadtarchiv, an dem die Russen ihre Rache ausgelassen hatten, die vielen Familien, deren Dokumente dadurch verloren gingen, nachteilig wurde. Ein österreichisches Kommando von 30 Husaren vom Regiment Hessen-Homburg kam hier zu uns.

Die Seitenarmee, die, wie wir glaubten, Napoleons rechte Flanke und seinen Rücken schützen sollte, war also nun in Bewegung. Voraus und zugleich etwas weiter nördlich gingen die Polen und Westfalen, auf diese folgten die Sachsen und zuletzt kamen die Österreicher. Ein sächsisches Grenadierbataillon war in Praga bei Warschau geblieben, um das Nachsenden der Transporte zu decken, es sollte in der Folge bis Bialystok nachrücken. Ein Zwischenraum von einigen Tagemärschen war zwischen jedem Korps. Wir rückten stufenweise vor, indem die Richtung der Westfalen nach Minsk, die unsrige nach Mohilew und die der Österreicher gegen die Moräste der Jasiolda und des Pripjet gegen Pinsk hindeutete. Auf diese Weise konnten wir schnell nach unserer Flanke Front machen und eine Abteilung die andere unterstützen, um das aus Volhynien vordringende russische Korps zu empfangen. Unser linke Flanke war durch den Marsch der Hauptarmee über Wilna und durch die Korps der Bayern und Preußen, die nördlich von der Hauptarmee gegen Dünaburg und Riga vorgingen, gedeckt.

Dieser Plan, nach dem die Armeen in einem Keil vorgingen, dessen Spitze, das Hauptheer des Kaisers, auf beiden Seiten durch mächtige Echellons unterstützt wurde, war allerdings wohlberechnet, und eine solche Masse mußte unwiderstehlich sein. Aber ebenso richtig war auch die Maßregel des Feindes ersonnen, die mit ungeschwächten Kräften sich schnell zurückzogen und uns ein weites, zwar fruchtbares, aber doch nur unvollkommen angebautes, von den Einwohnern verlassenes Land zu durchziehen überließen. Auf einem Flächeninhalt, so groß wie Deutschland, verlängerten sich, da die Spitze unaufhaltsam vordrang, bald die Linien so sehr, daß ungeheuere Lücken entstehen mußten und die Verteidigung der damals am meisten ausgesetzten rechten Flanke äußerst schwer wurde. War aber einmal diese Flanke durchbrochen, dann hörte auch die Verbindung der Hauptarmee mit ihren Stützpunkten und ihrer Grundlinie Warschau–Königsberg auf und selbst ihre Siege mußten am Ende ihr zum Verderben gereichen. Daß Napoleon die Gefahr einer solchen Lage nicht sollte eingesehen haben, läßt sich nicht denken, er rechnete fest auf die betäubende Wirkung eines großen Schlages. Er führte von jeher seine Kriege wie ein Parteigänger, seine siegreichen Feldzüge waren Handstreiche an der Spitze von Hunderttausenden.

Wir brachen am 5. Juli von Bialystok auf und marschierten ohne Rasttag in sechs Märschen bis Slonim, wo wir den 10. ankamen. Es wurden überall, wo wir biwakierten, sorgfältige Stellungen genommen. Wir brachen mit Tagesanbruch auf, lagen des Mittags 5–6 Stunden still und setzten den Marsch bis gegen Abend fort. Die Divisionen marschierten mit einem weiten Zwischenraume, den der Train und die ungeheure Wagenkolonne, die gewöhnlich eine deutsche Meile lang war, ausfüllten. Der Marsch ging zu dreien in der besten Ordnung und, was ich besonders den beiden Infanteriebrigaden meiner Division nachrühmen muß, ohne Stocken und Zögern. Bei jedem Halt wurde in Divisionen oder halben Divisionen aufmarschiert, die Kolonne geschlossen und die Leute lagerten sich dann gliederweise nachdem sie die Gewehre zusammengesetzt hatten.

Von Bialystok aus, in dem ehemaligen Podlachien, hatten wir dichte Waldung und viel Sand, doch war der Schatten in den schönen Sommertagen angenehm. Aber so wie wir das Gebiet der alten Woiwodschaft Nowogrodek, jetzt das Gouvernement Slonim, betraten, hörten die Wälder auf, der Boden hob sich allmählich, und auf den hohen Ebenen Litauens drückte uns die brennende Hitze des Sommers, die durch den Mangel an Wasser noch drückender wurde. Unser Weg ging fast immer bergauf, doch auf einem durchaus flachen Erdreich, wo nirgends die Abwechselung eines Hügels das Auge erfreute. Oft legten wir ganze Stunden zurück, ohne eine Spur von Wasser zu sehen, und nur zuweilen wurde die Einförmigkeit durch eine breite, unsere Richtung gewöhnlich quer schneidende Vertiefung unterbrochen, wo in einem ekelhaft grünschwarzen Moorgrunde ein in tausend kleine Rinnen geteilter, kaum merkbar fließender Bach lief und eine schlechte Erquickung gab. ln diesen Vertiefungen lagen auch die größtenteils von ihren Einwohnern verlassenen Dörfer, wir fanden wohl auch Brunnen, aber mit 12–15 Eimern waren sie versiegt, und man mußte dann lange warten bis wieder etwas Schlamm sich darin sammelte. Auch das Wasser der Moorbäche war trübe, morastig, übelschmeckend und riechend. Die Pferde dursteten lange, ehe sie sich bequemten, dieses Wasser zu saufen, und nur die Not konnte die Menschen dazu bewegen. Doch fanden wir einen Ersatz in den elenden Dörfern. Fast in jedem entdeckten wir einen oder mehrere Eiskeller, die ganz flach, oft fast zu ebener Erde angelegt und schlecht verwahrt, den noch reichen Vorrat von Eis enthielten, was uns eine herrliche Erquickung bot. Wo es immer möglich war, versorgten wir uns mit Essig, und dieser, mit Eis genossen, war uns unser liebstes Getränk. Auch Meth, den wir hier und da fanden, wurde auf diese Weise fleißig getrunken.

Das Getreide stand herrlich in diesen Gegenden, das Korn war gewöhnlich 7 Fuß hoch und hatte reiche, lange Ähren. Ebenso üppig standen Hafer und Gerste, die noch grün waren, auch der Weizen schien gut zu stehen. Soweit das Auge reichte, sah man nichts als fruchtbare Felder, die nur zuweilen mit sumpfigen Gebüschen abwechselten. Hätte man diese Gegenden schonen können und wollen, sie würden allein hingereicht haben, die Armee lange Zeit zu ernähren. Aber schon hatte die regelmäßige Verpflegung aufgehört. Wir bekamen kein Futter mehr für die Pferde, sondern mußten grün fouragieren, d. h. das Samengetreide, das eben geschoßt hatte, abhauen. Zum Lager wurde der in der Blüte stehende Roggen genommen. Auf den Feldern wurden mittags und nachts die Biwaks gemacht und oft mußten wir stundenlang weiter marschieren, um einen Platz zu finden, wo Menschen und Vieh Wasser haben konnten.

Das verdorbene Brot aus dem Lubliner Departement war weggeworfen worden, den eigentlichen Zwieback schleppten wir noch mit und die Wagen wurden behalten, um das Brot nachzufahren das die Intendanz jedesmal in der Nacht backen ließ. Aber der Eigensinn des Intendanten, den Reynier unterstützte, ließ uns das nicht genießen. Anstatt das Brot, das in der Nacht gebacken war, auszugeben, wurde es auf requirierte Wagen geladen und nachgefahren, die Mannschaften aber an das Brot der vorhergehenden Nacht gewiesen. Dieses konnte aber von dem ermüdeten Vorspann nicht so schnell, wie wir marschierten, nachgebracht werden. So geschah es denn, daß wir zuletzt auf mehr als 1200 Bauernwagen für 4–5 Tage Brot nachschleppten und doch den bittersten Hunger litten, weil die Wagen uns nie erreichten. Der Vorrat, den die Leute trugen, war aufgezehrt, wie das wenige, das die Kompagnien auf ihren Brotwagen hatten; Salz und Essig, sowie das trockene Zugemüse, das man nachfuhr, waren durch die schlechten Anstalten des Intendanten noch weit zurück. Die Leute mußten sich nun bei der Hitze mit dem schlechten Fleisch der auf der Stelle geschlachteten Kühe behelfen und murrten mit Recht, daß sie es ohne Brot nicht genießen könnten.

Reynier war bei allen Vorstellungen taub und antwortete lakonisch: „Sie haben Brot, der Intendant läßt backen“. Auf eine Erläuterung ging er durchaus nicht ein, sondern verwies ohne Umstände zur Ruhe. Ich ließ endlich einmal der Bäckerei das frischgebackene Brot nehmen und unter die Leute verteilen. Reynier sagte nichts darüber, er vergab mir aber diese Handlung nicht. Ein strenger Befehl verbot, den Zwieback, den die Leute selbst trugen, anzugreifen. Reynier verlangte nicht nur, daß man seinen Befehlen unbedingt gehorchen, sondern auch ihm glauben sollte, wenn er sagte: „Sie haben Brot!“, obgleich man das Gegenteil nur zu bestimmt nicht nur wußte, sondern auch beweisen konnte.

Was eigentlich die Intendanz mit dieser widersinnigen Einrichtung beabsichtigte und worin eigentlich der Vorteil steckte, den sie daraus zog, habe ich nicht einsehen können, aber auf irgendeinen Gewinn war es dabei abgesehen. Ein großer Nachteil, der uns noch daraus erwuchs, bestand in der ungeheuren Anzahl von Fuhrwerken, die wir nachschleppten. Auf den kleinen, ohne alles Eisen gebauten, zerbrechlichen und mit kleinen Pferden bespannten Litauer Wagen konnte man kaum einige Zentner fortbringen. Sie wurden überladen und blieben unterwegs liegen. Die Führer entliefen gewöhnlich in den ersten Tagen und ließen ihr Geschirr im Stiche, das nun der Intendanz anheimfiel. Um die Wagen fortzubringen, mußten nun Infanteristen gestellt werden, die ihre Gewehre und ihre Tornister darauf warfen und aus Soldaten zu Knechten wurden. Ansehnliche Bedeckungen waren notwendig, um alle die Fuhren nachzubringen, und die Bataillone schwanden vor unsern Augen zu kleinen Haufen zusammen, weil keins war, daß nicht 100, oft 150–200 Mann bei den Wagen verzettelt hatte. Oft sah man zwei Soldaten bei einem Wagen, auf dem nichts lag als ein Paar Patronentaschen und Tornister und vielleicht ein Bündel geraubter Sachen, denn diese so ohne Aufsicht sich selbst überlassenen Menschen erlaubten sich manche Ausschreitungen, und es gehört wahrlich der hohe Grad von häuslicher Sittlichkeit, der in dem Sachsen steckt, dazu, um zu erklären, daß dennoch Kriegszucht bestand und die Armee nicht ganz verwilderte.

Am 11. machten wir Rasttag bei Slonim. Die Wagen konnten uns erreichen, endlich konnte einmal auf einige Tage Brot und Branntwein ausgeteilt werden.

Slonim ist eine ziem ich große und auch ganz hübsch gebaute Stadt. Sie liegt am Abhange einer Hügelreihe, wo die Szcara, die hier schiffbar ist, in einem Wiesengrunde hinströmt. Dieser Fluß ergießt sich in den Niemen und sollte durch den berühmten Ogynskischen Kanal mit der Jasiolda und dem Pripjet und dadurch mit dem Dniepr verbunden werden. Die Stadt hat einige hübsche Plätze und Häuser, aber auch Ruinen in ihrer Mitte, ist schlecht, an manchen Stellen gar nicht gepflastert und schmutzig. Sie scheint einen lebhaften Handel zu haben, der aber, wie gewöhnlich, in den Händen der Juden ist. Man konnte hier in einem Gebäude, das an die morgenländischen Bazare erinnert, nicht nur alle Bedarfsgegenstände, sondern auch Luxuswaren bekommen. Die Preise aber, die den ersten Tag mäßig waren, stiegen bald zu ungeheurer Höhe. Es wurden große Requisitionen gemacht, aber nichts verteilt. Nach langem Streiten konnte ich endlich von dem Intendanten mit genauer Not etwas Fleisch und 10 Flaschen Wein für meinen Tisch erhalten, an dem täglich mein Chef des Generalstabes, Oberstleutnant von Zezschwitz, die beiden Adjoints, Kapitäne Fabrice und Langenau, ein Divisionsauditeur und ein Sekretär erhalten werden mußten, die gut essen wollten und besonders viel Wein brauchten. Der General Lecoq bekam etwas mehr, die Brigadegeneräle meines Wissens gar nichts. Es waren aber mehrere Zentner Kaffee, Zucker, Reis, Rosinen, Wachslichter und mehrere hundert Flaschen Wein und Rum requiriert und auch abgeliefert worden. Wohin diese Lieferungen kamen, erfuhr man nicht. Reyniers Tafel war immer frugal, selten reichte für alle der Wein herum, er wurde nur gegeben, wenn er außerordentliche Gäste hatte. Am Rasttage wurde ein unglücklicher Furier erschossen, der für sich selbst requiriert hatte.

Zwischen Lecoq und Reynier war Kälte eingetreten. Lecoq hatte von neuem verlangt, die Meldungen zu sehen, die Langenau an den König nach Dresden schickte. Das nahm Reynier sehr übel. Er ließ ihm sagen, er habe sich nur um seine Division zu kümmern und nicht um das Kommando der Armee, das der König ihm selbst übertragen hätte und ihn dafür bezahle. Allerdings bekam Reynier monatlich außer seinen Rationen und Portionen 1000 Taler vom Könige, und sein Adjutant 150, allerdings gehörte ihm auch das militärische Kommando in allem, was die Bewegungen des Korps anbelangt, was ihm auch niemand streitig machen wollte, aber die inneren Verhältnisse, die Beförderungen, das Ökonomische, insofern es nicht unmittelbar auf die Unternehmungen des Krieges Bezug hatte, war dem General Lecoq übertragen; es war seine Pflicht, sich darum zu kümmern, und dies um so mehr, als Reynier, der die Armee nicht kannte, hierin Langenau eine völlig unbeschränkte Gewalt ließ. Lecoq machte keinen Versuch weiter, seine Rechte zu behaupten, und seine von nun an untätige stumme Nachgiebigkeit blieb nicht unbelohnt.

Am 12. Ju i brachen wir von Slonim auf und marschierten in vier Märschen nach Kleck im Gouvernement Minsk an dem kleinen Flusse Lan (42 km sö. Baranowitschi). Es schien etwas schwankendes in den Maßregeln zu sein. Man sprach bald davon, daß wir bestimmt wären, uns mit der Großen Armee bei Smolensk oder mit Davout hei Mohilew zu vereinigen, bald, daß wir die Festung Bobruisk beobachten sollten. Das Land war fruchtbar, nicht ganz so hoch und abwechselnder als jenseits der Szara, hin und wieder fanden wir hübsche Landhäuser. Die Sprache der Einwohner war selbst unsern polnischen Dolmetschern nicht mehr verständlich; die wenigen Worte und Redensarten, die wir gelernt hatten, reichten gar nicht mehr zu, uns nur über den Weg zu verständigen. Das Volk war, wie überall, gleichgültig und nur gegen die Fremden schüchtern feindlich. Die Juden und die griechische Geistlichkeit waren entschieden unsere Gegner. Unter dem Adel waren die Stimmen geteilt. Die russisch Gesinnten waren ausgewandert, die polnisch gesinnten ebenfalls, viele von ihnen aber auch aufgehoben und in das Innere gebracht worden. In Slonim hatte sich ein polnisches Komitee zur Insurrektion gebildet, aber es fehlte an Nachdruck, weil die Armeen vorübereilten, ohne es zu unterstützen. Bei vielen drückte sich jedoch der polnische Patriotismus mit der der Nation eigenen Lebhaftigkeit aus, und ich werde nie einer achtzigjährigen Frau, auf deren Landsitz bei Snow ich eine Nacht zubrachte, vergessen, die mit Feuer, obwohl sie nichts als polnisch konnte, uns doch ihren Eifer für die Sache des Vaterlandes und daß sie unter einer zwanzigjährigen fremden Herrschaft noch nicht vergessen, daß sie eine Polin sei, auszudrücken imstande war. Mit Freuden gab sie alles her was sie hatte, um uns zu bewirten.

Sonderbar genug kam es mir vor, daß Reynier von Slonim aus unsere ganze Kavallerie, mit Ausnahme der Probsthaynschen Schwadron, die seine Eskorte machte, mehrere Meilen weit rechts gegen Pinsk zu detachierte. Es hieß, dort sei ein russisches Magazin, das man nehmen wollte. Da ich seit Slonim immer abgesondert von der ersten Division und mehr rechts marschierte, so stellte ich vor, daß mir doch einige Kavallerie zum Erkunden und zum Patrouillieren nötig wäre, aber vergebens. Bei Kleck biwakierte die erste Division bei dem Städtchen, wo Reynier sein Quartier hatte, ich aber eine Stunde seitwärts bei Travaniszyn. ln der Nacht wurde meine Feldwache beunruhigt; sechs Mann zu Pferde würden hingereicht haben, den Grund des Alarms zu untersuchen, aber ich hatte auch nicht einen, und dieMeldungen wurden, weil sie zu Fuß gemacht werden mußten, so verspätet, daß bei einem Überfall der Feind früher, als sie hätte ankommen müssen. Zum Glück war es ein blinder Lärm gewesen, obgleich Kosaken in der Gegend umherstreiften, aber dennoch wurde die ganze Division dadurch gestört. Reynier blieb gegen alle Vorstellungen taub. Er änderte nie seine Anordnungen auf fremden Antrieb, obgleich er in einer halben Stunde drei- und viermal seine Befehle widerrief.

Es war eine westfälische Patrouille, die sich in der Nacht bis zu meinen Vorposten verirrt und, da sie auf Russen zu stoßen glaubte, sich schnell wieder davongemacht hatte. Die Westfalen standen ganz nahe bei dem Städtchen Nieswiez (15 km n. Kleck), und Reynier hatte auf wiederholten Befehl nun auch die Kompagnien vom Regiment Albert-Dragoner, die bei dem Train gewesen und nun nachgekommen waren, abgeben müssen. Es wurde davon gesprochen, daß wir eine ganz andere Bestimmung erhalten und nicht weiter gegen den Dniepr Vorgehen sollten. Äußerungen von Reynier ließen vermuten, daß er dieses vorhergesehen und unsern Marsch bis hierher, wenigstens seit Slonim, für einen Mißgriff des Königs Jerome gehalten hatte. Die Detachierung der ganzen Kavallerie nebst einem Bataillon leichter Infanterie scheint diese Meinung zu bestätigen.

Am 15. Juli war er nach Nieswiez zu einer Zusammenkunft mit dem König geritten. Die Folge davon war, daß wir den nächsten Tag schon aus der Gegend von Kleck wieder aufbrachen und unsere Richtung rückwärts nahmen. Kurz darauf wurde bekannt, daß Jérôme den Oberbefehl über die Armee abgegeben hätte und nach Kassel zurückkehrte.

Wir zogen uns nun weiter südlich, indem wir uns den Morästen von Pinsk näherten. Diese Moräste, die Litauen von Volhynien scheiden, erstrecken sich von der Nähe des Bugs bis an den Dniepr in einer abwechselnden Breite von 6–18 und 24 deutschen Meilen. Die Gegend, die sie einnehmen, ist keineswegs eine wagrechte Fläche, sondern eine sehr merkliche Abdachung von den hohen Ebenen Litauens gegen Mittag und Abend. Natürlich sind diese Moräste oft durch trockene Bezirke unterbrochen, die gleichsam Inseln oder Oasen in ihrer Mitte bilden und zum Teil gut angebaut sind. Hier fließen denn auch die vielen Ströme, die sie durchschneiden, in ordentlichen Betten, aber bald wieder verlassen sie ihre Ufer, verbreiten sich über die Gegend und machen das ganze Land zum undurchdringlichen Sumpf. Selten jedoch steht in der trockenen Jahreszeit das Wasser über der Erde, aber sie ist damit getränkt wie ein Schwamm. Die Moräste selbst sind mit Waldungen bedeckt, wo die großen Bäume nicht so dicht wie in gewöhnlichen Wäldern stehen. Jeder Baum macht eine kleine Insel. Nahe am Stamme kann man trocken stehen, zwei Schritt weiter bereits versinkt man ohne Rettung. Das verfaulte Holz der umgestürzten Bäume scheint zuerst die festen Punkte, wo die neuen wieder wurzeln können, zu bilden. Die Zwischenräume sind mit Erlengebüschen und Schilfgras oder Moosgewächsen ausgefüllt. Die niedrigste Gegend ist die, wo der Pripet fließt, der nach und nach alle Ströme dieser Gegend und den Abfluß der Gewässer des Sumpfes aufnimmt und in den Dniepr führt, der nun nach dieser Vereinigung erst zu einem mächtigen Strome wird. Südlich vom Pripet hebt sich die Gegend wieder gegen Volhynien zu, doch nicht so hoch wie auf der litauischen Seite. Nirgends ist übrigens ein Berg oder ein Hügel zu sehen, es ist eine flache, ermüdende Abdachung, nur gegen Mitternacht etwas schräger als gegen Mittag und von allen Seiten senkt sie sich gegen Abend. Die Pina, die Jasiolda, der Schlutsch, der Ptitsch und mehrere andere Flüsse vereinigen sich auf der Nordseite mit dem Pripet in der Mitte dieser Moräste.

Nur drei Hauptstraßen führen auf breiten Holzdämmen durch diese morastigen Waldungen. Die erste, die von Mohilew nach Kiew und Shitomir führt, geht über Mosyr. Die zweite geht von Minsk über Kleck nach Pinsk in der Mitte der Moräste und von da in zwei Armen nach Brest und nach Stary Konstantinow, die dritte von Slonim über Rozana und Pruzana nach Brest. Die Holzdämme und Brücken auf den Hauptstraßen waren gut unterhalten, weniger auf den kleinen und schmäleren Nebenstraßen, die in verschiedenen Richtungen die Sümpfe durchschneiden.

Diese Gegend hatte die Armee, die jetzt unter dem Befehle des Generals Tormassow stand und zwischen 40 000 und 50 000 Mann stark sein konnte, zu ihrer Stellung gewählt, um von hier aus die Verbindung mit Grodno und Wilna zu unterbrechen und im Rücken der französischen Armee zu operieren. Es war daher höchst nötig, ihr eine bedeutende Macht entgegenzusetzen.

Das Hauptmagazin der Russen war in Pinsk; die Straße von da nach Kleck schien sehr stark besetzt zu sein. Um die von Mosyr zu erreichen, hätten wir uns von allen Unterstützungen zu weit entfernen müssen, Brest hingegen hielten die Österreicher noch besetzt, auf dieser Seite, wo die Moräste am schmälsten waren, mußte der Schlüssel zu den feindlichen Stellungen gesucht werden.

Ich erfuhr jetzt, daß der General Klengel mit seiner Brigade und dem Regiment Ulanen nach Kobryn und Brest detachiert werden sollte, um dort die Österreicher, die sich über Slonim in Marsch setzen und den Westfalen folgen würden, abzulösen. Dieses kleine Korps sollte in dieser Gegend stehenbleiben, um auf dem Posten von Brest unsere Gemeinschaft mit Warschau zu sichern und zugleich in seinen Unternehmungen unabhängig gegen die russischen Korps, die es beunruhigen könnten, den Krieg zu führen. Da die Brigade Klengel nebst 8 Kanonen die Hälfte meiner Division ausmachte und noch durch ein Kavallerieregiment verstärkt werden sollte, so glaubte ich, ihr Kommando nicht als eine bloße Detachierung betrachten, sondern es für mich selbst verlangen zu können und auch als ein Ehrenkommando gegen den Feind verlangen zu müssen. Um jedoch nicht als einer, der durch zu weit gesuchte Vorrechte den Dienst erschwert, zu erscheinen, sprach ich erst mit dem Obristen Langenau darüber. Er widerriet mir anfangs jede Vorstellung, weil Reynier die Sache einmal beschlossen hätte. Da ich ihm aber begreiflich machte, daß ich mich ehrenhalber verbunden hielt, um dieses Kommando zu bitten, sagte er endlich: „Ich will Ihnen klaren Wein einschänken. Das Kommando ist keineswegs ein Ehrenkommando, sondern bloß ein Mittel, um den General Klengel loszuwerden, der ein reicher Mann ist und seinen Abschied nehmen kann, um einem andern Platz zu machen. Die Sache ist in Dresden beschlossen und der Minister Senfft hat deshalb an Reynier geschrieben; sie kann daher nicht geändert werden und Sie würden sich bei Reynier unangenehm machen, wenn Sie ihn in die Notwendigkeit setzten. Ihnen das Kommando abzuschlagen.“ Er entdeckte mir endlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, zu dem ich jetzt nicht mehr verbunden bin, daß der General Klengel, wenn er in Brest angekommen sein würde, eine Order erhalten sollte, sich nach Praga zu begeben und von dort aus das Kommando dem Namen nach zu führen und zugleich die Transporte der Armee zu besorgen. Er würde aber dann in der Tat nur das zurückgelassene Grenadierbataillon unter seinen Befehlen haben. Der Obriste Göphardt von Regimente König werde mit einem Bataillon nach Bialystok gleichfalls nur zur Besorgung der Lebensmittel gesandt werden. Alsdann sei der Obristleutnant Zezschwitz, mein Chef des Generalstabes, dessen Beförderung zum Obristen und Kommandanten des Ulanenregiments man täglich von Dresden erwartete, der älteste Stabsoffizier des noch aus 3 Bataillonen Infanterie, 8 Kanonen und 1 Kavallerieregiment bestehenden Korps. Es wäre einmal in Dresden beschlossen und auch von Reynier genehmigt worden, daß man diesem, der auf alle Weise befördert werden sollte, dadurch eine Gelegenheit geben wollte, sich als Befehlshaber eines abgesonderten Korps auszuzeichnen, um noch in diesem Feldzuge Generalmajor zu werden. Der Minister Senfft habe selbst den Herzog von Bassano bewogen, an Reynier deshalb zu schreiben und ihm den Obristleutnant Zezschwitz ganz besonders zu empfehlen. Ich würde selbst gesehen haben, wie ihn Reynier seit einiger Zeit auszeichnete, setzte Langenau hinzu, und ich möchte nun auch selbst urteilen, ob ich diesen würde bewegen können, etwas in seinem Plane zu ändern; übrigens gäbe er mir sein Wort, daß er Reynier meinen Wunsch, dieses Kommando zu haben, hinterbringen würde, ihm aber zugleich melden wollte, daß ich seinem Willen gemäß von meinen Vorstellungen zurückgetreten wäre.

Ich wußte wohl, daß Zezschwitz als Chef des Generalstabes der Kavallerie eng mit Gersdorf und Langenau verbunden war, und daß der Minister Senfft fleißig an ihn schrieb, so sehr diese beiden Menschen auch sonst durch ihr Äußeres sowohl als durch ihr Inneres einander abstoßen mußten. Zezschwitz ist ein guter Kopf und besonders ein tüchtiger Geschäftsmann. Ist irgendeine Einrichtung, eine Anordnung zu machen, so übersieht er schnell das Ganze und ist ebenso rasch in der Ausführung. Seine ganze Glückseligkeit ist, mit der Feder in der Hand zu sitzen und zu expedieren. Er übersieht dann auch nicht den kleinsten Umstand, und sein außerordentliches Gedächtnis überhebt ihn der Mühe des Nachsehens, denn er weiß alle früher gegebenen Befehle auswendig und hat die Karte des Landes im Kopfe. Zum Chef des Generalstabes paßt er von dieser Seite vortrefflich, aber als praktischer Soldat taugt er gar nichts. Er ist nicht imstande, die kleinste Abteilung zu bewegen, er kann nur anordnen, nicht selber ausführen. In seinem Äußeren, seiner schreienden Stimme, seiner ganzen Art liegt etwas Gewöhnliches und sein Benehmen ist dabei, besonders wenn er artig sein will, so plump und linkisch, daß nur ein besonderes Interesse ihn dem eleganten Grafen Senfft erträglich machen konnte. Um ihre sehr innige Verbindung zu begreifen, muß man die geheimen Kabalen in Dresden kennen. Gersdorf hatte sich emporgeschwungen, indem er zu Marcolinis kleinlichen Gcldprofiten die Hand bot. Langenaue unterstützte ihn, indem er ihm seinen Kopf lieh, alles Verhaßte durch ihn ausführen ließ und sich als bloßes Werkzeug, das daran keinen Anteil nähme, darstellte, obgleich er alles angab, was Gersdorf durch Marcolinis Schutz durchsetzte. Senfft hatte sich an Marcolini angeschlossen, aber er und Langenau strebten nach der Alleingewalt. Senfft wollte Premierminister werden u. z., um es recht sicher zu sein, durch französischen Einfluß. Langenau wollte unter ihm das Kriegsministerium verwalten und die Finanzen sollte dem Geheimen Finanzrat von Zezschwitz, einem Bruder des Obristen, übertragen werden. Dieser ist ein trefflicher Kopf und beherrschte schon damals das Finanzkollegium; nur einer seiner Kollegen, Manteuffel, der gleichfalls durch die französische Partei und durch Marcolini unterstützt wurde, hielt ihm das Gegengewicht. Die Mutter der Zezschwitz war eine Engländerin gewesen, und sie hingen zu genau mit den Herrnhuter Kolonien zusammen, um nicht dem französischen System und dem völlig französischen Minister Senfft abgeneigt zu sein. Durch Langenau und den Obristen wurde auch der Bruder gewonnen, und beide waren nun die eifrigsten Anhänger der französischen Partei und des Gesandten Serra. So war es leicht zu erklären, daß Senfft nicht nur einen vertrauten Briefwechsel mit Zezschwitz unterhielt, sondern auch durch Serra den Herzog von Bassano bewogen haben konnte, ihn Reynier besonders zu empfehlen.

Zezschwitz liebte die Flasche, und wenn er gegen Abend mit mir Geschäfte hatte, war er eitel genug, sich seines Einflusses zu rühmen und mir oft in der Hitze des Gesprächs mehr von den geheimen Machinationen zu vertrauen, als er völlig nüchtern getan hätte. Bei Kleck schon entdeckte er mir, daß Reynier zu ihm gesagt hätte: „Ich werde Ihnen einen Auftrag geben, bei dem Sie Gelegenheit haben werden, sich auszuzeichnen“.

Auch Langenau ließ sich bei aller seiner Klugheit doch durch eine andere Art von Eitelkeit, die nämlich, seine Schlauheit in ihrer vollen Überlegenheit zu zeigen, hinreißen, über seine Zwecke und die Mittel, die er dazu anwendete, teilweise manches zu verraten. Da ich ihm einmal scherzend sagte: „Ihr wollt Senfften nur so hoch heben, damit er, der vom Militär gar nichts versteht, ganz in Eure Hände falle und Ihr ihn nachher stürzen könnt, sobald Ihr Lust habt, selbst Minister zu heißen!“ antwortete er lachend, dazu könnte Rat werden. Daß er stets darauf hingearbeitet hat und daß nur die Ereignisse, die nicht vorherzusehen waren, seinen Plan vereitelt haben, hat der Erfolg gezeigt.

Was mir Langenau von dem Zweck des nach Brest bestimmten Korps sagte, setzte mich in keine geringe Verlegenheit. Klengeln zu warnen erlaubte mir mein gegebenes Wort nicht, auch würde es bei Langenaus Einfluß und dem blinden Vertrauen, das alle zu ihm hatten, nichts geholfen haben. Es blieb mir nichts übrig, als meinen eigenen Namen zu retten, indem ich es zur Bedingung machte, daß es mir erlaubt sein sollte, zu erklären, ich hätte um dieses Kommando angehalten, es wäre mir aber abgeschlagen worden. Der einzige nicht abzustreitende Grund, den er mir anführte, um mir zu beweisen, daß ich das Kommando nicht zu fordern berechtigt wäre, war der, daß Klengel nur die Regimentskanonen bei sich führte, die Batterie aber, die nach der Verfassung nicht unter einem Brigadier stehen könnte, von mir unmittelbar die Befehle erhielt und mir auch noch die Brigade Sahr verbliebe. Wo diese wären, wäre auch das Divisionskommando und die abgeschickte Brigade nur als ein Detachement zu betrachten.

Unser Marsch ging nun über Liachowitschi nach Ostrow Selinowa mit dem ganzen Korps, hier machte die zweite Division den 18. Ju i Rasttag, Reynier ging mit der ersten nach der Gegend von Bitten (25 km sö. Slonim). ln Ostrow kamen zwei österreichische Offiziere zu mir. Das ganze Korps des Fürsten Schwarzenberg hatte Brest verlassen und war mit starken Märschen nach Slonim unterwegs. In Brest und Kobryn war nur eine schwache Abteilung geblieben, die von Klengel abgelöst werden sollte. Ich erfuhr dies vom General Mohr, dem ich am 19. auf meinem Marsche nach Grudopol bei Bitten an der Spitze seiner Avantgarde begegnete. Es schien allerdings Eile nötig zu sein, um den wichtigen Paß von Kobryn noch vor der Ankunft der Russen zu besetzen. Schon in Ostrow hatte mich der Obristleutnant Zezschwitz verlassen, um im Hauptquartier den Kurier zu erwarten, der ihm seine Beförderung mitbringen sollte. Zugleich hatte sich Major Stünzner, Oersdorfs Schwager, der mir zum Chef des Stabes an Zezschwitzens Stelle gegeben war, bei mir gemeldet, zugleich aber auch Urlaub genommen, weil man ihm den Auftrag gegeben hatte, der Klengelschen Expedition beizuwohnen. So groß und so gewiß waren die Hoffnungen, die man sich von der glänzenden Unternehmung des Obersten Zezschwitz versprach, daß man die Begünstigten des Generalstabes, zu denen der Schwager des Generals Gersdorf besonders gehörte, außer der Reihe kommandierte, um an seinen Lorbeeren teilzunehmen. Trotzdem erhielt ich Befehl, bei Grudopol (12 km ö. Bitten), in einer einsamen, von der Straße entlegenen Gegend im Walde drei Tage still zu stehen. Am 22. erst marschierte ich bis Borki (12 km sw. Bitten), und die Brigade Klengel wurde unmittelbar und, ohne daß ich Nachricht davon bekam, zum Aufbruch befohlen. Auf meine Beschwerde über diese Unregelmäßigkeit entschuldigte sich Langenau mit der notwendigen Eile, die jedoch zu unserm Drehen im Kreise und den vier Rasttagen nicht paßte. Er mied mich, weil er fürchtete, ich möchte über die Widersprüche des ganzen Benehmens mich äußern, und Reynier, den er schon damals ganz beherrschte, war überhaupt nicht zu sehen.

Ich habe in dieser Sache nicht ganz klar sehen können, aber merklich war Reyniers Verstimmung, und sehr wahrscheinlich ist es mir, daß Langenau die ganze Sache aufgehalten hatte, bis Zezschwitzens Patent da war. Gewiß ist, daß Klengel sofort, als der Kurier angekommen war, eilig aufbrechen mußte, und ich habe Ursache zu vermuten, daß Reynier ihn schon einen Tag früher unterwegs geglaubt hatte. Er schien mit Langenau unzufrieden zu sein, und damit ja nicht die Geschichte durch mich aufgeklärt werden könnte, mußte jede Erläuterung zwischen ihm und mir vermieden werden. Die zweite Division wurde stets einige Meilen vom Hauptquartier detachiert, und wenn ich auf dem Marsche mit Reynier zusammentraf, so kam schnell Langenau selbst oder einer seiner Anhänger, der etwas zu melden hatte und unsere Unterhaltung störte. Auch war es leicht, den argwöhnischen Mann, besonders wenn er selbst mit seinem Betragen nicht zufrieden war, gegen einen andern einzunehmen. Er hat mir nachher gestanden, daß man ihm gesagt hätte, ich tadele überall seine Maßregeln. Dies war genug, ihn ohne weitere Untersuchung zu meinem Feinde zu machen. Ich hatte davon keine Ahnung, weil ich mir nicht bewußt war, seinen Unwillen verdient zu haben.

Den 23. marschierte ich nach Bielawicze bei Kossow (30 km sw. Bitten) und den 24. nach Sowin bei Bereza (Bereza 54 km sw. Bitten an der Straße Brest-Baranowitschi, Sowin 9 km sö. Bereza). Das Hauptquartier kam in diesen Tagen nach Kossow und Bereza, die erste Division in seine Nähe. Der General Gablenz war mit der Avantgarde bei Borki zu uns gekommen und wurde nun, durch ein leichtes Bataillon verstärkt, sechs Meilen weit gegen Janowo (40 km w. Pinsk) vorgeschickt. Er hatte die Regimenter Husaren und Polenz nebst der reitenden Batterie bei sich. Drei Schwadronen Ulanen waren zu Klengels Korps gestoßen, die vierte aber unter dem Major Seydlitz zehn Meilen weit gegen Pinsk entsendet. Seydlitz, der ein trefflicher, praktischer Offizier war, gehörte zu den ehemaligen Mitgliedern des Generalstabes und zu den Begünstigten Langenaus. Er sollte sich durch einen glücklichen Streich auszeichnen, der in nichts geringerem bestand, als das Magazin in Pinsk wegzunehmen oder zu verbrennen, das man durch unsichere Nachrichten getäuscht, verlassen glaubte.

Reynier beging einen unverzeihlichen Fehler, indem er schwach genug war, den Privatabsichten seiner Umgebung einen so großen und nachteiligen Einfluß auf seine Unternehmungen zu erlauben. Nur die Rücksicht auf ihren Einfluß in Dresden und auf die Freigebigkeit des Königs konnte einen Mann dazu bringen, in dessen kalter Seele weder Liebe noch Haß Wurzel fassen konnte.

Wir waren auf Nebenwegen, über schlechte, beinahe ganz unwegsame Dämme durch einen Arm der Moräste gegangen und befanden uns jetzt auf einer jener Oasen, die sich von Pinsk gegen Horodec (27 km ö. Kobryn) etwa 13 Meilen in der Länge und in ihrer größten Breite etwa 8 Meilen von Chomsk (18 km nnö. Drohiczyn) bis Janowo erstreckt. Die Jasiolda, die iPina und der Muchawiec mit dem Kanal, der ihn mit der Pina verbindet, machen sie beinahe zu einer völligen Insel. Die Brücken waren so schlecht, daß man nur mit Gefahr darüber reiten konnte, eine von ihnen brach unter meinem Pferde ein, doch ging der Fall ohne Schaden für mich und das Pferd ab. Für das Geschütz mußten die Sappeure sie durch umgehauene Bäume befestigen. Wir waren von Michalina Karczma (21 km s. Rozana), wo der von Rozana kommende Damm sich seitwärts nach Pruzana wendet, auf schmalen Dämmen, wo hundert Mann unser ganzes Korps hätten aufhalten können, wo durch das dichte Gebüsch kein Sonnenstrahl drang und wo neben dem halbverfaulten Holzdamm man im tiefsten Kote versank, mit einer durch die Menge des Fuhrwerks auf drei Stunden verlängerten Linie marschiert. Die Verpflegung war schlecht. Wir schleppten, wie gewöhnlich, Brot und Zwieback nach, aber die Soldaten litten Mangel, besonders weil die große Hilfsquelle, die Kartoffel, fehlte.

Was eigentlich Reyniers, was des Kaisers Plan bei diesem Marsche war, habe ich nie begreifen können. Die Österreicher, jetzt etwa 15 Meilen von uns entfernt, waren auf dem Marsche zur Großen Armee. Mit 18 000 Sachsen, bei denen nur 2000 Mann Kavallerie waren, sollte Reynier den Paß von Brest behaupten und zugleich die 50 deutsche Meilen in die Länge sich erstreckenden Moräste vom Bug bis an den Dniepr decken! Nur indem er die Tormassowsche Armee auf sich zog und sie durch stete Beschäftigung festhielt, war dazu einige Hoffnung, aber die Russen waren über 40 000 Mann stark und hatten eine zahlreiche Kavallerie, uns aber, die wir deren so sehr bedurften, hatte man noch die 1800 Pferde Thielmanns genommen. Indem Reynier sich mit seinem schwachen Korps auf diese Insel wagte, mußte er irgendeinen kühnen Plan haben. Wahrscheinlich wollte er auf dem von Pinsk nach Konstantinow führenden Hauptdamm über den zweiten Arm der Moräste gehen, diesen aber auf einem Nebenwege über Janowo erreichen und dadurch, indem er plötzlich in Tormassows Rücken in Volhynien erschienen wäre, diesen nötigen von Brest abzulassen und sich seinen Hilfsquellen in Volhynien zu nähern. Tormassow würde dadurch allerdings für die Große Armee untätig geworden sein, und Reynier hätte, wenn er einmal die Moräste zurückgelegt hatte, im Notfalle über den Bug einen Rückweg in das Herzogtum Warschau gehabt. Die Expedition des Majors Seydlitz gegen Pinsk war wahrscheinlich nur eine Demonstration, die in diesen Plan paßte, und bei der Reynier zugleich den Privatabsichten Langenaus nachgab. Das Ganze würde gelungen sein und hätte den Feldzug glänzend eröffnet, aber es gehörte notwendig dazu, daß wir Meister von Brest waren. Dieser Ort ist durch seine Lage haltbar, und der Obrist Brulé, der Klengel begleitete, sollte ihn durch schnell aufgeworfene Werke noch besser zur Verteidigung herrichten. Der schöne Plan scheiterte durch die Verzögerung der Absendung Klengels; daß diese, selbst ohne Reyniers Wissen, bloß durch das Warten auf Zezschwitzens Patent aufgehalten worden war, machen die Umstände nur zu wahrscheinlich.

Am 25. Juli rückte ich nach Bezdesch (Bezdziez, 6 km ö. Chomsk), die erste Division stand rückwärts bei Chomsk. Als ich weggeritten war, eine Stellung zu suchen, begegnete mir der Rittmeister Lindemann nebst anderen Verwundeten. Gablenz hatte seine Kavallerie etwas unvorsichtig in der Nacht auf einem Damm gegen Janowo vorgehen lassen, ohne sie durch Infanterie zu unterstützen. Sie war von überlegener feindlicher Kavallerie angegriffen und in großer Unordnung zurückgeworfen worden. Der Major Lindenau von den Husaren stellte das Gefecht durch seine Geistesgegenwart wieder her. Er warf sich von dem Damm auf eine seitwärts gelegene Wiese und ließ sein Husarenbataillon eine Salve aus den Karabinern geben. Die Russen glaubten in der Dunkelheit auf Infanterie gestoßen zu sein und stutzten. Die Flüchtigen gewannen dadurch Zeit, sich zu sammeln und trieben die Feinde bis an das Städtchen zurück, wo sie aber mit Kanonen empfangen wurden. Der Rest des Korps war nun auch ausgerückt. Es war Tag geworden. Man trennte sich, ohne etwas weiteres zu unternehmen. Gablenz, der nicht gern bei solchen Gelegenheiten an der Spitze war, machte eine schöne Meldung darüber und schickte einige Gefangene ein. Aber wir hatten derer weit mehr verloren.

Kobryn

Reynier kam um Mittag selbst nach Bezdziez und bezog mein Quartier. Ein Offizier, den Klengel abgeschickt hatte, brachte die Nachricht mit, daß die Österreicher von Brest abgegangen wären, ehe unsere Truppen nach Kobryn gekommen waren. Reynier und Langenau waren beide sehr betreten darüber; jener schien einigen Verdacht über die verspätete Absendung des Klengelschen Korps zu schöpfen, dieser hatte sich des Abgeschickten bemächtigt und wußte als Dolmetscher die Sache ins Dunkle zu hüllen, ohne jedoch Reynier ganz beruhigen zu können. Ich aß diesen Abend bei ihm und fand ihn einsilbiger als jemals. Langenau bewachte jeden seiner Blicke. Mit ihm zu sprechen war unmöglich; so wenig ich auch Lust hatte, mich in diese Sache zu mischen, so schien es doch Langenau zu befürchten. Den Abend ließ er seinen Bruder, der bei mir angestellt war, zu sich kommen. Er blieb, bis es ziemlich spät war und entschuldigte sich damit, er habe einen Befehl an Klengel schreiben müssen, sich auf jeden Fall noch zwei Tage, womöglich auch noch den dritten zu behaupten, wenn er angegriffen werden sollte, da er höchst wahrscheinlich schon den 27., unfehlbar aber den 28. Unterstützung bekommen würde. Von dieser in des Generals Namen ausgehenden Order hat Reynier nie etwas erfahren!

Am 26. ritt Reynier früh selbst zu der Avantgarde gegen Janowo vor. Ich mußte mit der Division folgen. Nachdem ich bis auf zwei Meilen an Janowo herangekommen war, brachte mir ein Adjutant den Befehl, Halt zu machen und die erste Division zu erwarten. Einige Stunden später, nachdem wir einige Kanonenschüsse gehört hatten, erhielt ich Befehl, schnell zu folgen, gleich nachher aber, wieder zu halten. Die erste Division war inzwischen herangekommen, und zugleich ein Leutnant von Nostiz mit Meldungen aus Kobryn. Wir mußten nun rechts um machen und die von Pinsk nach Kobryn führende Straße aufsuchen. Gegen Abend kamen wir bei dem Städtchen Drohiczyn an, wo das ganze Korps biwakierte.

Gablenz hatte nach dem mißlungenen nächtlichen Angriff getan, was er früher hätte tun sollen. Er hatte durch einen talentvollen Offizier, den Hauptmann Krug III vom Regimente Polenz, den Feind rekognoszieren lassen. Man überzeugte sich, daß er nur wenige Geschütze und keine Infanterie bei sich hatte. Als daher am 26. unsere reitende Batterie Janowo beschoß, verließen die Russen die Stadt, nachdem sie die Brücke über die Sümpfe der Jana zerstört hatten.

Reynier ließ die ganze Avantgarde dort, sowie die Schwadron Seydlitz gegen Pinsk zurück und marschierte mit den beiden Divisionen ohne alle Kavallerie gegen Drohiczyn. Dieser Ort war von Janowo vier starke Meilen entfernt. Da er wahrscheinlich noch die Absicht hatte, bei Janowo über die Sümpfe zu gehen, so war es allerdings notwendig, diesen Ort zu beobachten, aber er beging einen Fehler, als er die ganze Kavallerie dort ließ. Wir hatten nichts, als die Eskorte unter Probsthayn bei uns. Nur dadurch, daß Reynier fortwährend durch falsche Nachrichten getäuscht werden mußte, um Langenaus ersten Betrug zu verbergen, läßt sich dieses erklären, und die Unkunde der Sprache machte es möglich. Zwar verstand Reynier soviel Deutsch, um einer falschen Dolmetschung auf die Spur zu kommen, aber er konnte doch nicht selbst mit den Überbringern der Nachrichten reden, und selbst, wenn sie etwas französisch sprachen, verstanden sie doch seine undeutliche Aussprache nicht. Keiner aber wagte, dem Obristen Langenau zu widersprechen oder seine Übersetzung zu berichtigen, wenn dieser sich einmischte; und niemand würde es auch ungestraft haben tun können. Die Meldungen Klengels aber waren von dem Obristen Zezschwitz entworfen und geschrieben, dem ebensosehr, wie Langenau, daran gelegen war, daß Reynier nicht alles erfahren durfte.

Zezschwitz hatte zugleich an mich geschrieben und mir den Vorgang des gestrigen Tags berichtet. Man hatte nämlich von Borki bis Kobryn in drei Tagen einen Marsch von 21 Meilen zurücklegen und nun noch eiligst ein Kommando von 100 Ulanen unter dem Hauptmann Heymann vorausschicken müssen, um das von den Österreichern verlassene Brest, das 5 Meilen von Kobryn entfernt ist, in Besitz zu nehmen. Eine starke Abteilung Infanterie sollte ihn unterstützen, aber die ermüdeten Truppen konnten nicht folgen, und Heymann hatte gemessenen Befehl, sich nicht aufzuhalten. Wie man sich einbilden konnte, eine so weitläufige Stadt wie Brest mit 100 Mann Kavallerie zu behaupten, läßt sich kaum erklären. Man hatte keinen anderen Gedanken, als nur die versäumte Zeit wieder einzubringen; und Zezschwitz, mit den besonderen Instruktionen des Generalstabes versehen, ordnete alles an.

Heymann kam nicht bis Brest. Auf dem halben Wege, bei Bulkowo, stieß er auf eine starke Schwadron Kosaken (18 km ö. Brest). Er besann sich keinen Augenblick, griff sie an und warf sie zurück. Auch eine überlegene Abteilung russischer Ulanen schlug er durch einen zweiten Angriff zurück, aber nun sah er sich plötzlich von einem ganzen Ulanenregimente angegriffen und umzingelt; die Kosaken, die sich wieder gesammelt hatten, fielen ihm in den Rücken. Er wurde selbst schwer verwundet, ein Leutnant Salza, der bei ihm war, ebenfalls. Nicht ganz 60 Mann entkamen wieder nach Kobryn, in welchem Zustande läßt sich daraus schließen, daß sie vier Stunden Wegs weit von den Ulanen und Kosaken in vollem Laufe verfolgt worden waren. Heymann war ein ebenso tapferer wie geschickter Offizier; er hatte geleistet, was nur möglich war, aber die unkluge, neue Einrichtung, daß man dem Regimente Clemens die Karabiner genommen und es mit Lanzen versehen hatte, setzte ihn außer Stand, sich plänkernd bis zu der Infanterie zurückzuziehen. Im Gebrauch der Lanze waren die Feinde uns überlegen, unser Feuergewehr aber hielt sie, und besonders die Kosaken, stets in Respekt.

An den Hauptzweck, die Besatzung von Brest, war nun nicht mehr zu denken, und schon den Nachmittag hatten die Russen die Vorposten vor Kobryn angegriffen und nach einem hitzigen Gefechte, das eine Stunde dauerte, genötigt, sich näher an die Stadt heranzuziehen. In Brest war der General Lambert mit 5000 Mann eingerückt. Zezschwitz schrieb mir, daß sie am folgenden Tage einen entschlossenen Angriff erwarteten.

Im Hauptquartiere verbreitete die Nachricht große Bestürzung. Die Anhänger des Generalstabes, zu denen meine beiden Adjoints gehörten, schoben die Schuld auf die Österreicher, sprachen von offenbarem Verrat und versicherten, daß sie hinterlistig Brest einen Tag früher, als es ausgemacht worden wäre, verlassen hätten. Auch Langenau, der sehr kleinlaut war, behauptete dieses gegen mich. Wie hätte sich aber ein bloßer Kavallerieposten in der Stadt gegen das Lambertsche Korps halten können! Die wahre Ursache des Unglücks lag darin, daß wir die Absendung des Klengelschen Korps vier Tage lang unnötig aufgehalten hatten. Da dieses zu meiner Division gehörte, so glaubte ich wegen der Gefahr, in der es schwebte, mit Langenau reden zu müssen, aber er war unstät und nur in Angst vor Reynier, daß dieser den wahren Vorgang erfahren möchte. Klengel selbst hatte ein Bataillon nach Pruzana detachieren müssen und jetzt nicht mehr als etwa 1800 Mann Infanterie und 300 Mann Kavallerie, die dienstfähig waren, beisammen. Wie sollte er mit diesen dem General Lambert widerstehen können ? Langenau antwortete mir: „Nun er ist ja General! Ein General wird doch wissen, was er zu tun hat! Er wird doch nicht so unsinnig sein, stehen zu bleiben!“ Diese Darstellung verdroß mich und ich rückte ihm seine gestern Abend gegebene Order vor. Er veränderte die Farbe und machte sich mit unzusammenhängenden Ausflüchten von mir los. Aber schon am nächsten Tage merkte ich an Reynier die Folgen meiner unbedachten Äußerung.

Wir brachen am 27. mit Tagesanbruch auf, meine Division an der Spitze. Die Kolonne war, wie gewöhnlich, über eine Meile lang. Gegen 4 Uhr hörten wir deutlich Kanonenschüsse und bald auch Gewehrfeuer in der Richtung auf Kobryn. Reynier, dem ich es melden ließ, kam selbst vor. Es war eine Pause entstanden, und hinten hatte man die Schüsse nicht gehört. Ich sollte daher mich geirrt haben, aber bald überführte eine Rauchwolke, die wir bei dem heiteren Himmel in weiter Entfernung aufsteigen sahen, und das erneute Feuer die Ungläubigen. Reynier ritt stumm und grimmig an unsere Spitze. Wenn man ihn anredete, gab er keine Antwort. Von Zeit zu Zeit rief er Langenau, und was er sprach, schien wenigstens nicht freundlich. So legten wir einen Marsch von 8 bis 9 Stunden bis Horodec zurück, wo die Truppen Halt machen mußten. Der Kanal, der den Muchawiec mit der Pina verbindet, geht durch diesen Flecken. Reynier ritt über den Ort hinaus und stieg wegen des sandigen Weges ab. Weit und breit war keine Anhöhe, die Gegend zu übersehen. Wir sahen bloß die dicke Rauchsäule des brennenden Kobryn und hörten das heftige Feuer unserer Kameraden. Kobryn war noch 4 Meilen von uns entfernt. Nach einer peinlichen Stunde fragte ich endlich Reynier, ob ich Posten aufstellen und die Truppen ruhen lassen sollte. Er sah mich an und wieder weg, ohne eine Silbe zu antworten. Die Grobheit verdroß mich, ich ließ ihn stehen. Langenau wich jedem, der ihm begegnete, aus und hielt sich dicht an Reynier, wo dieser ging und stand. Lecoq kam endlich auch. Reynier sprach so wenig mit ihm, wie mit mir. Der Rittmeister Probsthayn wurde endlich geholt und mußte mit einigen Husaren von der Eskorte Vorgehen. Ich ging am Ende weg und sagte dem General Sahr, der mich um Verhaltungsbefehle, die ich nicht geben konnte, plagte, er möchte die Truppen lagern und kochen lassen, was sie hätten. Die Hitze auf dem kahlen Sande war beinahe unerträglich und nach den schlechten Einrichtungen unserer Intendanz fehlte es an Brot, an Fleisch, an allem, trotzdem wir außer dem Fuhrwesen der Armee über 600 Bauernwagen mit uns schleppten.

Kaum war ich fort, so kam Langenau nach, um mir den Befehl zu bringen, das zu tun, was bereits geschehen war. Es wurden Posten an dem Kanal ausgesetzt, einige jenseits davon und die Brücke mit brennbarem Stoff belegt, um sofort anzünden zu können. Der ungeheuere Fuhrpark mußte hinter dem Flecken aufgefahren werden. Reynier begab sich in die Probstei, ich suchte eine Scheune. Etwas Milch, die eine Jüdin mir verkaufte, schwarzes Brot und nachher eine Tasse Kaffee waren mein Mittagsmahl, zu essen hatte niemand. Jeder suchte eine Stelle zum Schlafen. Ich ruhte auf einem Block Dielen, um dem Ungeziefer am Boden zu entgehen und Kräfte für den folgenden Tag zu sammeln. Die Leute, die 4 Meilen und gestern den ganzen Tag marschiert waren, fielen ermattet nieder.

Probsthayn kam zurück, er hatte ziemlich nahe Kosaken getroffen; mit ihm kam auch der an Klengel geschickte Offizier wieder, er hatte vergebens durchzukommen versucht. Am Nachmittage ließ das Feuer nach und wurde schließlich ganz still. Einzelne Marketender und Reitknechte, die sich geflüchtet hatten, brachten verworrene Nachrichten. Mit großer Freude erzählte mein Adjoint, Zezschwitz habe sich durchgeschlagen, Klengel hingegen kapituliert. Über diesen wurde streng der Stab gebrochen und, als hätte man ihm nicht den Befehl geschickt, sich heute noch auf jeden Fall zu behaupten, ihm zum Verbrechen gemacht, daß er sich nicht bei Zeiten zurückgezogen hätte.

Ein blinder Lärm, wahrscheinlich durch fliehende Marketender veranlaßt, sprengte unsere Wagenburg in großer Unordnung auseinander. Mit beginnender Dunkelheit wurde endlich aufgebrochen.

Der wahre Vorgang, wie wir ihn nachher durch den als Parlamentär abgeschickten Leutnant Liebeskind erfuhren, war kurz: Die Stadt Kobryn, die der Muchawiec in zwei Teile teilt, wurde zuerst noch vor dem Anbruch des Tages von der Mitternachtsseite am rechten Ufer des Flusses angegriffen. Der bis eine Viertelstunde von der Stadt sich erstreckende dichte Wald verbarg die Feinde, die mit den zurückgeworfenen Vorposten zugleich ankamen. Bei der Stadt begann ein heftiges Gefecht, und mehr als einmal wurden die Angriffskolonnen mit Verlust zurückgedrängt. Aber während Lambert von dieser Seite angriff, war Tormassow selbst an der Spitze von 7–8000 Mann von der Mittagseite auf den Dämmen von Dywin vorgedrungen und bestürmte nun die weitläufige Stadt im Rücken ihrer Verteidiger. Zezschwitz versuchte nun mit den Ulanen zu entkommen oder sich durchzuschlagen, sie wurden aber schnell auseinandergetrieben und bis auf wenige einzeln gefangen oder aufgerieben. Klengel verteidigte sich mit einer, von dem General Tormassow mit äußerster Achtung anerkannten Umsicht und Tapferkeit in der rings eingeschlossenen, nun schon in Brand geratenen Stadt. So wie er einen Teil aufgeben mußte, behauptete er einen andern, zuletzt noch ein Kloster, in dem er sich festgesetzt hatte. Als zuletzt die Gewehre zum größten Teil nicht mehr losgingen und die Kanonen teils unbrauchbar geworden, teils genommen waren, wurde der Rest der Truppen, mit Einschluß der Ulanen noch gegen 1900 Mann, ohne zu kapitulieren, überwältigt und gefangen. Der Verlust der Russen überstieg die Anzahl des ganzen sächsischen Korps. Der Mut, mit dem Klengel sich, seinen Verhaltungsbefehlen getreu, von früh 4 Uhr gegen 5000 und von 5 Uhr gegen 12 000 Mann bis zum Nachmittag um 2 Uhr gehalten hatte, widerlegt hinlänglich die geringe Meinung, die der Obrist Langenau von ihm hatte und verbreitete, und die Tapferkeit und Ausdauer der Truppen verdiente ein glücklicheres Los. Dem General Tormassow hingegen macht die Art, wie er sie behandelt hat, die größte Ehre. Sie wurden so gut, wie möglich mit allem versorgt, die Offiziere bekamen ihre Degen und zum Teil ihre Pferde wieder. Tormassow und Lambert behandelten sie mit großer Achtung.

Ob es möglich gewesen wäre, ihnen zu Hilfe zu kommen, wage ich nicht zu entscheiden. Was besonders uns hinderte, war die Entfernung unserer ganzen, 8–9 Meilen weit bei Janowo zurückgeb iebenen Kavallerie und die Ermüdung unserer Truppen. Indessen war ihr guter Wille vortrefflich. Wenn man die leeren Fässer und das unnütze Gerät von den Bauernwagen geworfen, ein Regiment leichter Infanterie und die Artilleristen daraufgesetzt, den Kanonen doppelte Bespannung gegeben und sie gegen Kobryn geschickt hätte, so wäre es vielleicht möglich gewesen, die Aufmerksamkeit des Feindes zu teilen und den Belagerten Luft zu machen. Ich äußerte diese Meinung gegen Langenau, der mir aber antwortete, es sei mit Reynier durchaus nicht zu reden. Allerdings waren auch die Unbekanntschaft mit der Macht des Feindes und seiner Stellung und der Mangel an Kavallerie, um den Weg zu untersuchen, mächtige Hindernisse. Auch glaubte Reynier, der von dem, aus Bezdziez in seinem Namen gegebenen Befehle nichts wußte, bestimmt, Klengel würde sich auf dem Wege nach Pruzana, wo das dahin geschickte Bataillon angekommen war, zurückgezogen haben und horchte daher stets mit großer Spannung, ob das Feuer sich nicht nach dieser Seite hinziehen würde.

Beim Aufbruch in der Nacht hatte ich die Nachhut, und ich mußte länger als 2 Stunden halten, ehe die unabsehbare Menge von Wagen in Bewegung kam. Gleich bei dem Flecken fing ein Damm an, auf dem zwei Wagen einander nicht immer ausweichen konnten. Noch war ich nicht vom Platze gewichen, als auf einmal vorn gestockt wurde und das Geschrei kam, es würde umgekehrt. In der Tat kamen auch schon einige Wagen zurück, die Platz zum Umkehren gefunden hatten, die übrigen hatten sich ineinander festgefahren. Ein Dragoner brachte einen mit Bleistift geschriebenen Befehl, daß die Equipage umkehren sollte. Ich konnte nicht daran glauben und schickte einen Adjutanten an Reynier ab, der aber, so scharf er auch zu reiten bemüht war, länger als eine Stunde brauchte, ehe er diesen an der Spitze der ersten Division erreichen konnte. Der Dragoner wußte weiter nichts, als daß ein Offizier vom Generalstabe ihm den Zettel und den Befehl, unterwegs die Wagen umkehren zu lassen, gegeben hatte, aber einer meiner Adjutanten erkannte die Handschrift des Intendanten, und ich kehrte mich nun um so weniger daran. Doch ging lange Zeit darüber hin, ehe die Kolonne marschieren konnte, weil die Wagen, wo sie Breite genug fanden, umgewendet hatten. Ich mußte nun alle, die umgekehrt waren, aus dem Défilé herausfahren und sich wieder anschließen lassen, bevor ich mich in Marsch setzen konnte. Zwischen mir und der ersten Division war nun ein Zwischenraum von 2 Meilen entstanden. Hätten die Russen sich nicht mit der Eroberung von Kobryn begnügt und wären sie bis Horodec vorgegangen, so wäre ich verloren gewesen, denn ich hatte nicht mehr als 3 Bataillone und 6 Kanonen bei mir, und der mehrere Meilen lange Damm, der mich von der ersten Division trennte, war durch Fuhrwerk aller Art so verstopft, daß, wenn ich auch mit der Infanterie mich, nicht ohne Verlust, hätte retten können, doch die Kanonen nicht fortzubringen gewesen wären. Lecoq konnte mir nur spät und in größter Unordnung über den Damm zu Hilfe kommen. Und welche Verwirrung hätte in der Equipage und den vielen Pulverwagen entstehen müssen, wenn die Feinde sie nur mit ein Paar leichten Kanonen bestrichen hätten! Daß wir hier entkamen, ohne angegriffen zu werden, war ein besonderes Glück.

Reynier war wütend über den Vorfall, aber nur der arme Dragoner, der nichts als seine Schuldigkeit getan hatte, wurde bestraft, trotzdem ich den ihm abgenommenen Zettel zu seiner Rechtfertigung vorzeigte; der Intendant, der – Gott weiß, aus welcher Verwirrung – den Fehler gemacht hatte, ging frei aus.

Von der Stärke von 20 000 Mann (mit Einschluß von 3800 Mann Kavallerie), mit der wir ausmarschiert waren, sahen wir uns nun auf 13 200 Mann Infanterie und Artillerie und 1500 Mann Kavallerie durch Thielmanns Abgang und das Unglück von Kobryn zusammengeschmolzen. Aber es fehlte vie , daß diese Anzahl unter den Waffen gewesen wäre. Durch die ermüdenden langen Märsche, die Hitze, das schlechte Wasser, die noch schlechtere Verpflegung und den Mangel an Bekleidung, bei unsern fast ganz abgerissenen Montierungsstücken, waren Krankheiten ausgebrochen. Die Ruhr wütete förmlich unter den Regimentern, und wenn wir unterwegs Halt machten, mußte allemal nach dem Winde die Seite bestimmt werden, nach der die Leute zur Befriedigung natürlicher Bedürfnisse austreten sollten, weil fast in wenigen Minuten die Luft verpestet war. Noch starben zwar nur wenige an dem Übel, aber die Kranken waren so matt, daß sie auf Bauernwagen gefahren werden mußten. Ihr Anblick in unserer Mitte war nicht tröstlich und sie konnten sich nur langsam erholen, weil wir, von Feinden umgeben, nirgends ein Lazarett für sie einrichten konnten. Meine Division hatte jedoch verhältnismäßig nicht halb soviel Kranke, wie die erste, ein Umstand, von dem selbst Reynier Notiz nahm. Die Ursache lag wohl mit darin, daß ich mich nicht immer streng an die Befehle band, einige Male der Intendanz eigenmächtig das Brot genommen und den Leuten den Zwieback, den wir mitführten, zu verzehren erlaubt hatte, und daß ich jeden Augenblick, wo es möglich war, benutzte, sie ruhen zu lassen, und sie nie, wie bei der ersten Division, mit Übungen und Evolutionen plagte oder lange unter Gewehr stehen ließ.

In unserm Aufzuge glichen wir mehr einer Herde zerlumpter Bettler, als Soldaten. Die Mäntel waren auf den Biwaks verfault, die meisten hatten sie bis an die Hüften abgeschnitten und trugen sie nun wie Spenzer. Nur wenige hatten noch ganze Hosen, viele bloß noch die Leinwandbeinkleider, und diese zum Teil so zerrissen, daß überall das Fleisch heraussah. Noch schlimmer sah es um Schuhe, Gamaschen und Strümpfe aus, und es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich behaupte, daß bei jedem Bataillon 30–40 Mann barfuß gingen. Alle Vorstellungen über diesen Punkt blieben unbeachtet, sie konnten auch jetzt nicht mehr helfen, denn die Wagen, auf denen diese schon seit dem 1. Mai fällig gewesenen Stücke nachgefahren wurden, waren über Bialystok geschickt worden und konnten uns freilich jetzt nicht erreichen. Im Mai und Juni war Zeit genug gewesen, die Sachen auszugeben, aber der Geiz der Intendanz ließ es nicht zu. Ein Teil davon fiel nachher den Kosaken in die Hände, und als der Rest uns in Volhynien erreichte, fand man ihn auf den Wagen verfault und unbrauchbar.

Rückmarsch

Durch das Unglück von Kobryn war die ganze Eröffnung des Feldzugs verfehlt, der einzige Paß nach Volhynien, der noch in unserer Gewalt gewesen war, verloren und Tormassow Meister aller Zugänge zu den Provinzen in seinem Rücken. Die Absicht des Kaisers, durch unser kleines Korps ein weit größeres feindliches zu beschäftigen und festzuhalten, konnte nur in dem von Morästen durchschnittenen Boden, der uns zum Kriegsschauplatz angewiesen war, durch die Kunst eines so talentvollen Anführers wie Reynier, keineswegs aber in den weiten Ebenen Litauens zwischen Grodno, Wilna und Mohilew erreicht werden. Wenn auch Napoleon darin gefehlt hatte, daß er ein gar zu schwaches Korps zu diesem Zweck bestimmte, so fiel doch jetzt der Tadel a lein auf Reynier, und er mußte, wenn er nicht seinen ganzen, in 16 Feldzügen erworbenen Ruhm – er hatte schon seit der Unternehmung in Ägypten als Divisionsgeneral kommandiert – verlieren wollte, durch irgendeinen glücklichen Streich das Verlorene wieder zu erobern suchen.

Aber für den gegenwärtigen Augenblick war daran nicht zu denken. Es kam alles darauf an, den kleinen, unglücklicherweise zerstückelten Haufen zu retten. Wir standen auf einer Insel, die höchstens 150 Meilen ins Gevierte enthalten konnte. Die Hauptpässe, Pinsk und Kobryn hatte der Feind besetzt. Hinter uns Moräste, die in einer Breite von 8–10 Meilen nur auf schlechten und schmalen Dämmen zu überschreiten waren. Die Infanterie und der schwerfällige, ungeheuere Train bei Horodec, die Avantgarde 8–9 Meilen von uns bei Janowo und die Schwadron des Majors Seydlitz noch 7 Meilen weiter gegen Pinsk. Zum Glück war dieser so klug gewesen, sich auf nichts einzulassen und in gehöriger Entfernung verborgen zu bleiben. Die noch am besten berittene Mannschaft der Eskorte wurde abgeschickt, um ihn und den General Gablenz zurückzurufen.

Wir selbst marschierten in stiller Besorgnis eilig rückwärts. Der nächste Punkt, wo wir Unterstützung finden konnten, war das 21 Meilen entfernte Slonim, wenn anders die Österreicher diesen Punkt nicht schon überschritten hätten. Ein, soviel es die Erschöpfung der Pferde zuließ, eilender Offizier war dorthin vorausgeschickt.

Es war unser größtes Glück, daß Tormassow auf seinen, allerdings teuer erkauften Sieg bei Kobryn, für den er von seinem Monarchen kaiserlich belohnt wurde, einen zu großen Wert legte und ihn nicht ausnützte. Ob er sich nicht stark genug dazu fühlte, ob er vielleicht erst noch Truppen aus Volhynien erwartete, weiß ich nicht, aber gewiß ist es, daß er uns auf der guten Straße über Pruzana hätte zuvorkommen und entweder bei Michelina, wo die Wege sich vereinigen, oder vor Rozana, wo wir debouchiren mußten, mit einer geringen Anzahl und vorzüglich durch seine überlegene, geschonte Kavallerie hätte aufhalten und zugleich, wenn er uns gefolgt wäre, im Rücken hätte angreifen, unsere Kavallerie aber unfehlbar von uns hätte abschneiden können. Er tat aber von allem nichts.

Wir marschierten ohne uns aufzuhalten den 27., 28., 29. und 30. Des Mittags wurde einige Stunden geruht, und so auch des Nachts. Die Pferde fouragierten auf den Feldern, die Leute verzehrten, was sie bei sich trugen und was noch auf den Wagen war. Die wenigen armseligen Dörfer, auf die wir trafen, konnten uns nichts liefern. Kahle Sandschollen wechseln in dieser traurigen Gegend mit den unzugänglichen Morästen. Die erste Nacht lagen wir in der Gegend von Bereza (36 km ö. Pruzana an der Straße Kobryn-Baranowitschi), die zweite in der Gegend von Sielec (72 km nw. Bereza) auf dem Felde. Hütten konnten nicht gemacht werden, Lagerstroh gab es nicht. Die Hitze am Tage und die feuchte Kälte der Nächte in den Sumpfgegenden waren gleich empfindlich. Dennoch verloren die Leute den Mut nicht, und seltsam genug gründete sich ihr Vertrauen auf Reyniers kalte Verschlossenheit, denn die Gefahr unserer Lage sahen sie wohl ein. Aber sie glaubten, der ruhige Anführer tue nichts ohne Ursache. „Ja, wenn es der Prinz Pontecorvo wäre, “ hörte ich einen Gemeinen zu dem andern sagen, „da möchte es nicht gut ablaufen, der war hitzig, aber dieser, der weiß gewiß, was er tut!“

Gablenz hatte erst die gegen Pinsk detachierte Schwadron erwarten müssen, unterdessen aber auf dem graden Wege von Janowo über Drohiczyn das Regiment Polenz abgeschickt, das zwischen Bereza und Sielec uns erreichte. Es hatte in einem Zuge den Marsch von mehr als 10 Meilen machen müssen, und die Pferde waren äußerst entkräftet. Dennoch mußte sofort ein Kommando von 80 Pferden unter dem Kapitän Krug wieder aufbrechen, um 6 Meilen seitwärts in Prozana zu der Kriegskasse zu stoßen. Ich machte Vorstellungen dagegen, denn wenn die Kasse sich nicht mit dem von Kobryn aus zu ihr gestoßenen Bataillon gerettet hatte, so mußte sie verloren sein, ehe dieses Detachement ankommen konnte. Aber vergebens! Der Obriste Langenau instruierte selbst den Kapitän Krug und machte ihm die höchste Eile zur Pflicht und gab ihm den ausdrücklichen Befehl, bis Pruzana selbst vorzugehen. Er traf nahe bei der Stadt auf eine überlegene Anzahl von Feinden und versuchte, da er einmal entdeckt war, sich in einem Tirailleurgefecht zurückzuziehen. Eine Zeitlang gelang es ihm, die Kosaken abzuhalten, aber seine ermüdeten Pferde waren nicht mehr zum Traben zu bringen. Zwei Eskadrons Ulanen griffen ihn an, er wurde nebst dem Offizier, der bei ihm war, verwundet, und da kein Pferd mehr laufen konnte, bis auf einen Mann, der sich im Gebüsch versteckt hatte, mit seinem ganzen Kommando gefangen oder niedergehauen. Ein empfindlicher Verlust für uns, da wir nicht mehr als 1500 Pferde im ganzen hatten, die 100 Pferde der Schwadron mitgerechnet.

Die Kriegskasse war, wie es sich denken läßt, bereits gerettet. Der Dragoner aber, der die Nachricht von dem Mißgeschick des Kommandos brachte, wurde bestraft, weil seine Erzählung, wie man behauptete, die Leute mutlos mache. Er hatte nämlich geradezu gesagt, sie würden entkommen sein, wenn die Pferde nur noch hätten gehen können.

Das Regiment Polenz blieb in Sielec stehen, um den General Gablenz zu erwarten. Wir marschierten am 30. neun Stunden weit bis Rozana, sieben Stunden lang in einem Engnis, auf einer fast ganz gerade laufenden Straße, in die jedoch mancher Seitenweg einlief, und wir hatten keine Kavallerie, diese zu untersuchen. Reynier ritt stets allein, seitwärts oder in einiger Entfernung von den übrigen zwischen den Kolonnen, von seinen Getreuen gefolgt, und Langenau stets an seiner Seite. Er gab auf keine Anrede auch nur einen Laut zur Antwort. Langenau entzog sich, indem er stets zu ihm hinritt, wenn man mit ihm sprechen wollte. Die schriftlichen Orders empfahlen die größte Vorsicht, aber auf die Frage, nach welcher Gegend man sie nehmen sollte, wo denn vermutlich der Feind stehen möchte, erfolgte keine Anwort. Ob wir von Pruzana oder von Nowydwor (auf der Straße von Pruzana nach Wolkowisk) oder von Bitten her einen Angriff zu besorgen hätten, erfuhr niemand. Sie wußten es bei dem Genera kommando selbst nicht und hüllten ihre Unwissenheit in undurchdringliches Geheimnis und Schweigen.

Ich stand detachiert bei Christianpol gegen Nowydwor, das Hauptquartier und die erste Division in Rozana. Am 31. wurde Rasttag gemacht, der den ermüdeten Truppen äußerst nötig war; Lebensmittel, die die Stadt geliefert hatte, wurden ausgeteilt. Aus dem Rasttage und den großen Requisitionen sch oß ich, daß man Nachrichten von der Nähe der Österreicher haben müsse. Das Schloß des Fürsten Alexander Sapieha, dem Rozana gehörte, eines Mannes, der für die Sache des Kaisers und der Polen alles aufgeopfert hatte, wurde von der Intendanz und dem Hauptquartier völlig geplündert. In den Kellern fand man außer reichen Vorräten an gewöhnlichem Wein, an Rum und englischem Bier allein 500 Flaschen feiner ungarischer und französischer Weine, die der Intendant sofort mit Beschlag belegte. Weil aber ein Bataillon „Prinz Friedrich“ im Schlosse lag und die Offiziere den Vorrat gesehen hatten, so mußte er doch davon etwas herausgeben. Mir schickte er als Anteil 14 Flaschen. Es war ein trefflicher Bordeaux, Champagner und Tokayer. Ich werde jedesmal bemerken, was ich von den Requisitionen erhalten habe.

Die Bibliothek wurde geplündert und zerstreut. Die besten Werke suchte sich Reynier aus, auch gute Karten und Pläne. Eine kostbare Gewehrkammer nahm er gleichfalls mit, zwei vierspännige Rüstwagen, die sich in den Remisen fanden, wurden damit beladen. Die Pferde lieferte der Train, der, seitdem wir russischen Boden betreten hatten, überall Kommandos ausschickte, um unter dem Vorwande, für die Artillerie zu requirieren, den für unsere Sache insurgierten Polen die besten Pferde wegzunehmen, die wir nachher in Reyniers, Langenaus und Ryssels Equipage wiederfanden. Langenau hatte außer einem Rüstwagen und einer Menge Bauernwagen, die aber durch Trainsoldaten gefahren, immer mit besseren vertauscht und immer schöner bespannt wurden, noch eine Chaise mit vier Füchsen für seine Person. In kurzem fand sich noch eine Wiener Chaise mit vier Schwarzschecken dazu. Er hielt für gut, mir zu erzählen, daß er das Glück gehabt hätte, diese Chaise für ein Spottgeld von einem Edelmanne zum Kauf zu bekommen und daß die Schecken für den Train requiriert wären und nur einstweilen zu seinem Gebrauche dienten. Allerdings waren Trainsoldaten die Kutscher, denn dadurch ersparte er die Bezahlung eigener Leute. Auch Reynier, der eine Kutsche mit 6 ihm vom Könige geschenkten Pferden mitgebracht hatte, führte nun mehrere Kutschen, mit schönen Zügen bespannt, mit sich. Die Menge der Pferde aber, die Ryssel und der Traindirektor Major Tennecker requiriert hatten, ließen sich gar nicht übersehen, und nie ist es nötig gewesen, ein einziges Pferd für die Artillerie und unsere ungeheuere Equipage zu kaufen. Trotzdem wurde nie ein Pferd ersetzt, wenn irgendeins fehlte. In Bezdziez war das dem König gehörende Pferd des einen Chirurgen bei meinem Generalstabe krepiert; ich zeigte es an, konnte aber keinen Ersatz bekommen. Der Intendant habe keine Pferde beim Train übrig, hieß es, ich möchte sehen, wo ich eins hernähme. Ich mußte aus Not eins requirieren, das aber sogleich bei der Intendanz eingeschrieben wurde und natürlich ihr gehörte.

Wohin der große Vorrat an Wein usw., die Requisitionen vieler Zentner Zucker, Kaffee, Reis, Wachslichter u. ä. kamen, erfuhr niemand. Später entdeckten wir, daß die Juden das, was man nicht fortbringen konnte, zu einem ihnen bestimmten Preise wiederkaufen mußten und dann erst die Erlaubnis erhielten, an die Armee zu einem beliebigen Preise zu verkaufen. Wenn wir in einem Ort einrückten, war für bares Geld auch um den höchsten Preis nichts zu haben, weil die Juden nicht handeln durften. Blieben wir einige Tage und hatten sie sich mit dem Intendanten verglichen, dann wurde der Markt eröffnet; wir mußten aber z, B. den Kaffee das sächsische Pfund mit 2 Talern bezahlen und alles übrige nach Verhältnis.

Der Rittmeister Probsthayn und die Eskorte wurden besonders dazu gebraucht. Sie gingen voraus in die Stadt, beschlagnahmten alles und drohten den Juden mit Plünderung und Todesstrafe, wenn sie ohne Erlaubnis irgend etwas verkauften. Kamen die Truppen an, ehe das Geschäft beendet war, so mußten sie draußen warten, bis Probsthayn schickte; nicht einmal die Quartiermacher der Generäle durften hinein. In den kalten und kurzen Wintertagen wurde diese Maßregel für die ermüdeten, hungrigen und vor Kälte starrenden Truppen äußerst lästig.

Von den in Rozana genommenen Vorräten wurde nichts ausgegeben, Reyniers Tisch war dabei mehr als frugal; Wein und Kaffee wurde nicht gereicht, für ihn selbst wurde eine einzige Flasche aufgesetzt, von der er einige Gläser trank, ohne einem andern anzubieten. Langenau und Gressot brachten sich, wie an einer Wirtstafel, ihren eigenen Wein mit. Alle Speisen wurden requiriert, dennoch ist es wahr, daß Reynier seinem Koch und Kammerdiener jeden Monat 500 Taler zur Unterhaltung seines Hauswesens gab; er wußte es, daß er von ihnen betrogen wurde, aber er bedurfte ihrer, und sie selbst sagten jedem, der es hören wollte, daß sie nicht so dumm wären, ihm um geringer Vorteile zu dienen. Die Insolenz dieser Leute war ohne Beispiel; alles, was ihm angehörte, erlaubte sich die größten Grobheiten gegen jeden. Er selbst tat, als wisse er nichts, ließ, wenn ja jemand zu klagen wagte, den Schuldigen auf die Wache bringen, aber wer mit seinem Kutscher oder Reitknecht nicht gut stand, durfte auf seine Gnade nicht rechnen. Je mehr er sein Unrecht oder seine Schwäche in diesem Punkte fühlte, desto sicherer trug er es dem nach, der sie gleichfalls zu fühlen schien. Langenaus Leute und Ryssels Subalternen ahmten die Unverschämtheit der Franzosen nach. Sie ließen sich kaum gegen einen General herab, ihn als ihresgleichen zu betrachten und waren ebenso ungezogen auf dem Marsche, wie in den Quartieren. Wenn Reynier einmal etwas vorritt oder zurückblieb, so folgte ihm die ganze Reihe von Handpferden, Kutschern und Chaisen in vollem Jagen, und die arme Infanterie mußte halten oder in dem Morast warten, um ihnen Platz zu machen.

Rozana hatte eine reiche handelnde Judenschaft und selbst einige Fabriken. Die Eigentümer hatten ihre Warenlager am besten zu schützen geglaubt, wenn sie sie in das Schloß brachten. Hier nahm der Intendant sie in Beschlag. Außer den übrigen Requisitionen nahm er ihnen noch einen großen Vorrat von Leder und 600 Ballen grobes Tuch. Dieses sollte verwendet werden, um den Leuten Beinkleider, Mäntel und Schuhe zu machen. Die Regimenter mußten eingeben, was sie nötig gebrauchten, und sobald ein Augenblick Zeit, wurden alle Schuster und Schneider unter den Truppen und unter den Juden in der Gegend, wo wir standen, in Arbeit gesetzt. Als aber die Sachen ausgegeben werden sollten, erschien ein Befehl, daß jedem Mann für Mantel, Beinkleider und Schuhe 4 Taler und 20 Groschen von der Löhnung abgezogen werden sollten. So mußten die Truppen im August ihre schon den 1. Mai verdienten Montierungsstücke bezahlen, zu denen der Stoff geraubt und die Arbeit erzwungen und unentgeltlich geleistet worden war.

Am 31. vormittags um 10 Uhr kam endlich unsere Avantgarde bei Rozana an. Die Russen hatten sie glücklich entkommen lassen, ohne den Marsch der ermüdeten Truppen zu hindern. Den 1. August rückte das Hauptquartier und die 1. Division nach Slonim. Ich blieb mit der 1. nahe vor der Stadt, in die ich am folgenden Tage gleichfalls einrückte. Wir sahen hier mit großer Freude Österreicher, die zum Nachtrab ihres Korps gehörten. Aus den Flüchtlingen von Kobryn, den als Ordonnanzen zerstreuten Ulanen und der Schwadron des Majors Seydlitz wurde eine starke Schwadron gebildet. Aber einen traurigen Anblick gewährten mehr als 30 Handpferde der bei Kobryn gefangenen Offiziere und die Reitknechte, die sich mit ihnen gerettet hatten. Für die Pferde durften keine Rationen, für diese Reitknechte keine Portionen gefaßt werden, sie mußten völlig vom Raub leben. Bloß mit den Pferden des Obristen Zezschwitz und des Majors Stünzner wurde eine Ausnahme gemacht. Ihre Leute bekamen Quartier, Rationen und Portionen, und da eins der Wagenpferde Zezschwitzens untauglich war, so fanden sich bei der Intendanz, die zum Ersatz königlicher Pferde zu arm gewesen war, zwei gute Pferde und ein Trainsoldat, ihn zu fahren, auch ein Infanterist zur Aufsicht.

Ich hatte wegen der übrigen Pferde und Leute wiederholt Vorstellungen gemacht, aber keine Antwort erhalten. Ich stellte die Unverantwortlichkeit, so mit dem Eigentum gefangener Offiziere umzugehen, vor und wurde nun bedeutet, dies sei eine Gerichtssache und gehe den General Lecoq an. Ich hatte längst durch meinen Auditeur eine Registratur darüber anfertigen lassen und übergab sie nun den Armeegerichten. Die Antwort enthielt schöne Tiraden über die Pflichten, die man den Kameraden schuldig sei, aber keine Anweisung auf die Verpflegung, keine Entscheidung, ob die Pferde verkauft oder nach Sachsen geschickt werden sollten. Man wollte, hieß es endlich, erst darüber in Dresden anfragen. Unterdessen gingen die Pferde zugrunde und die Reitknechte wurden zu Räubern. Selbst die nächsten Verwandten der gefangenen Offiziere durften nicht über die Pferde ihrer Brüder oder Freunde verfügen. Annehmliche Gebote, die darauf geschahen, wurden zurückgewiesen. Es war ein Pferd dabei, das dem Hauptmann Hann gehörte, ich bot 225 Taler dafür, weil sein Bruder mir sagte, es hätte 250 Taler gekostet und mit dem Angebot gern zufrieden war. Ich zeigte es nun den Gerichten schriftlich an, mit dem Zusatz, daß ich das Geld durch die Kriegskasse in Dresden anweisen wollte, um es entweder dem Vater des Hauptmanns Hann dort auszuzahlen oder bis zur Rückkehr des Gefangenen als Depot zu behalten. Zugleich bat ich, dieses Pferd öffentlich verauktionieren zu lassen mit der Bedingung, daß, wenn es wohlfeiler wegginge, ich dennoch die gebotene Summe bezahlen, im Fall aber mehr dafür geboten würde, keinen Anspruch darauf machen wollte. Die Antwort war, man könne vor der Hand noch nichts darüber entscheiden. Die unglücklichen Reitknechte folgten nun meiner Division, ohne Verpflegung zu bekommen, und wurden mit jedem Tage schlechter. Einige, die noch ein paar Taler Geld hatten, entliefen mit den Pferden und brachten sie glücklich nach Sachsen, wo sie sie den Angehörigen treu überlieferten.

Am 31. August endlich, nachdem wir oft genug Rasttage und Zeit dazu gehabt hatten, wurde plötzlich abends bekannt gemacht, daß die Pferde und Effekten folgenden Tags versteigert werden sollten. Die Kavallerie stand auf Vorposten, meine Offiziere hatten die Nachricht, die erst 12 Stunden vorher ausgegeben worden war, zu spät erfahren, und es fehlte an Käufern. Ich hatte bereits in Slonim ein anderes Pferd gekauft, ging aber zu der Versteigerung. Das Pferd des Hauptmanns Hann, auf das ich 225 Taler geboten hatte, sollte dem Adjutanten Langenaus, dem Grafen Schulenburg, für 40 Taler zugeschlagen werden. Das verdroß mich, und ich bot 100. Schulenburg kam sogleich in ängstlicher Wichtigkeit zu mir und sagte mir, er biete für den Oberst Gressot. Ich antwortete ihm, das sei mir gleichgültig, und trieb ihn bis auf 160 Taler, wofür er es erstand. Niemand wagte ein Gebot zu machen, sobald einer von Langenaus oder Ryssels Umgebung eine Summe bot. Gute Pferde gingen für 5–6 Taler weg, und es ist noch die Frage, ob die Eigentümer bis jetzt das wenige gelöste Geld empfangen haben. Die Equipagen waren durch das lange Herumgeschleppe beinahe ganz verdorben. Dennoch bot ich auf einen Sattel, den ich brauchen konnte; sogleich kam Schulenburg und sagte mir, er hätte Auftrag, diesen Sattel für Langenau zu kaufen. Daß ich bei diesem gefürchteten Namen nicht sogleich zurücktreten würde, hielt er für unmöglich und war sehr erstaunt, als ich ihm antwortete: „Sie brauchen ja nur mehr zu bieten!“ Ich erstand den Sattel für 13 Taler, eine Summe, für die man zwei Pferde kaufen konnte. Die Pferde und die Equipagen des Obristen Zezschwitz und des Majors Stünzner wurden nach Sachsen geschickt.

Neuer Angriff

Wenn wir alle sehr froh waren, zu erfahren, daß die Österreicher ihren Marsch noch nicht weiter fortgesetzt hatten, so hatte Reynier noch mehr Ursache, mit der Gefälligkeit des Fürsten Schwarzenberg zufrieden zu sein, der sogleich bereit war, sich mit ihm gegen das Tormassowsche Korps zu wenden. Die eigentliche Instruktion des österreichischen Generals ist mir nie bekannt geworden, aber sein Marsch über Slonim hinaus scheint zu beweisen, daß seine Bestimmung nicht nach Volhynien gerichtet sein konnte. Meine Umgebung wollte wissen, daß er sehr gern einen Vorwand, nicht weiter gegen den Dniepr hin vorzugehen, ergriffen hätte, es ist aber doch auch zu erwägen, daß er unmöglich die jetzt siegreiche russische Armee in seinem Rücken vorgehen lassen konnte und sich daher wohl von der Notwendigkeit, ihr entgegenzugehen, überzeugen mußte. Ein an Napoleon geschickter österreichischer Kurier überbrachte ihm die Nachricht von diesen Bewegungen, und der Kaiser muß sie gebilligt haben. Nach der Rückkehr des Kuriers wurde bei uns die österreichische Parole ausgegeben, vorher hatten wir die meiste Zeit gar keine bekommen. Nur in diesem einzigen Punkte zeigte sich übrigens der Fürst Schwarzenberg als Oberbefehlshaber des Ganzen. In allen andern folgte er ängstlich und oft so, daß man die Mißbilligung seiner Umgebung deutlich merken konnte, den Anordnungen Reyniers, der ihm oft mit sehr mäßiger äußerer Achtung begegnete.

Reynier konnte nun wieder den Angriffskrieg beginnen. Am 3. August brachen wir von Slonim auf und nahmen unsere Richtung gerade gegen Abend, um den Österreichern die südwestlich laufende große Straße über Rozana offen zu lassen. Tormassow stand noch immer in der Gegend von Brest und Kobryn, wo er seine Verstärkungen aus Volhynien an sich gezogen hatte und ohne die zahlreichen Kosaken etwa 40 000 Mann regelmäßige Truppen haben konnte. Seine Avantgarde unter Lambert stand bei Pruzana, der Obrist (jetzt General) Knorring streifte bis in die Gegend von Nowydwor und Porozowo (21 km nö. Nowydwor). Reyniers Plan war, auf dieser Seite die Russen zu umgehen und zu beschäftigen, um den Österreichern Zeit zu lassen, auf dem großen Damm von Rozana vorzudringen. Bei Pruzana sollten beide Korps sich vereinigen.

Mein erstes Biwak war bei einem Dorfe Sokolowo (9 km sw. Slonim), die Division Lecoq stand in einer Entfernung von einer Stunde. Am 4. waren wir einander ganz nahe bei Iwaskiewicze (28 km w. Slonim). Die Kosaken umschwärmten uns in den Wäldern, wagten sich jedoch nicht gegen unsere Patrouillen heraus. Den folgenden Tag standen wir bei Podorosk (24 km nö. Nowydwor), die Avantgarde marschierte gegen Porozowo, das die Russen verlassen hatten. Am 6. biwakierte das Korps bei Nowydwor, einem weitläufigen, von den Russen verlassenen Dorfe. Auf die Hitze des Juli waren kalte Regentage gefolgt, und in der ausgezehrten, an sich armen und sandigen Gegend fehlte es an Lebensmitteln, selbst an Wasser, denn kalte, scharfe Winde trockneten schnell den Regen wieder auf, den der sandige Boden nicht verschlungen hatte. Die Sonne stach heftig in den Zwischenzeiten und die Nächte waren unangenehm frisch. Mitten im Sommer litten die Leute bei ihrer elenden Bekleidung abwechselnd durch Frost und Hitze und die Krankheiten nahmen zu. Nur die Spannung, in der wir waren, gab außerordentliche Kräfte und die Ruhrkranken blieben erst, wenn das Übel sehr arg geworden war, zurück.

Am 7. biwakierte das ganze Korps bei einem großen schmutzigen Dorfe Wielkawies (Wielki Siola 10 km w. Pruzana?). Reynier und sein Generalstab lagen sehr eng in einem großen Hofe, wir übrigen in Scheunen oder Baracken. Der Regen floß mehrere Tage in Strömen, und der Mangel an Stroh war sehr empfindlich. Das mehr als halbverfaulte Dachstroh sog das Wasser ein wie ein Schwamm. Niemand konnte trocken liegen, und doch waren die Dächer das einzige Hilfsmittel der Soldaten. Ich mußte eine Schildwache aufstellen, um die Scheune, in der ich lag, zu schützen, und doch regnete es überall durch. Wir lagen hier den 8. und 9. still, teils wegen des langsamen Marsches der Österreicher, teils auch um die Zufuhr abzuwarten, und die Leute fingen an, unzufrieden zu werden.

Reynier schien ungewiß zu sein, seine Laune war fast unerträglich. Alle Augenblicke mußte das Gewehr aufgenommen werden, dann standen wir stundenlang, ohne einen Befehl zu erhalten. Meine Division hatte am meisten darunter zu leiden, weil sie auf der dem Feinde zugekehrten Seite des Dorfes ganz nahe hinter der Avantgarde stand. Am 8. befahl er in einer Stunde viermal, die Leute sollten Feuer machen und abkochen, und ebenso oft ließ er sie ihre Stellung verändern. Ich kehrte mich zuletzt gar nicht mehr daran und ließ die Bataillone stehen, wenn er auch eine Änderung befohlen hatte, die er in der nächsten Minute doch widerrief, aber ich hatte meine Not mit dem General Sahr, der bei jedem veränderten Befehle mir Vorwürfe machte, stets gemessene Order verlangte, und doch nur eine solche, die keine Änderung litt und doch wieder, wenn ich sagte, sie sollten sich an die widersprechenden Befehle nicht kehren, in Todesangst geriet, daß sie nicht ausgeführt würden und mir, oft nicht höflich, gleich bittere Vorwürfe machte über das Ändern und das Nichtändern. Ich mußte ihn endlich zur Ruhe verweisen, aber nun hieß es, niemand könne mit mir auskommen. Langenau selbst verzweifelte über Reyniers widersprechende Befehle und sagte: „Kehren Sie sich nicht daran, er weiß selbst nicht, was er will!“ Es war auch dies das einzige Mittel, denn er schickte die vielen Befehle jedesmal, wenn er zu der Avantgarde vorgeritten war, und wenn er dann zurückkam, tadelte er, was er eben erst angeordnet hatte und war zufrieden, wenn es nicht geschehen war.

Langenau hatte mir übrigens nicht verziehen, daß ich die genaueren Umstände von Kobryn wußte, und Reynier, wie dieser mir nachher in Warschau selbst sagte, vorgespiegelt, ich machte die Truppen mutlos, weil ich öffentlich seine Maßregeln tadelte. Ich weiß mich von diesem Vorwurfe völlig rein, im Gegenteil nahm ich stets seine Partei, wenn andere ihn tadeiten; daß mir aber manches Mal bei seinen ewigen Abänderungen ein Ausdruck des Unwillens entfahren ist, war wohl natürlich. Langenau erlaubte sich dies weit öfter, ich tat es nur gegen meine nähere Umgebung, aber meine beiden Adjoints trugen jedes Wort, das ich sprach, zu Langenau, der dann nicht ermangelte, es mit einem Kommentar und mit dem menschenfreundlichen Zusatze, daß es schade um meine übrigen guten Eigenschaften sei, durch Probsthayn und Charlet oder, indem er in Gegenwart des Kochs und Kammerdieners laut davon sprach, an die Behörde zu bringen.

Bei einer Erkundung, auf welcher ich Reynier am 9. begleitete, war er so grob, daß er bei einer Meldung, die ich ihm machte, den Hut auf dem Kopfe, mir starr in die Augen sah und dann mit Langenau sprach, als ob ich ihm gar nichts gesagt hätte. Ich setzte nun auch den Hut auf und ritt auf die Seite, ohne weitere Notiz von ihm zu nehmen. Sein Schwanken zeigte sich dadurch, daß er, als er durch einen Adjutanten eine Order verschicken wollte, diesen jedesmal, ehe er über hundert Schritt zurückgelegt hatte, viermal zurückrief und ihm jedesmal etwas anderes auftrug.

Ein Glück war es, daß bei diesem Schwanken, das den Soldaten keineswegs entging, ein junger Offizier vom Regimente Polenz, der Leutnant Wolfersdorff, eine geschickte Patrouille machte und elf gefangene Kosaken und Baschkiren zurückbrachte. Dieser an sich unbedeutende Zufall machte den vorteilhaftesten Eindruck. Die Soldaten liefen zusammen, den seltsamen morgenländischen Aufzug des Baschkirenoffiziers zu sehen. Sie freuten sich, daß wir nun doch auch Gefangene hatten, alle Not war vergessen und von der eingerissenen dumpfen Niedergeschlagenheit gingen sie zu frohen Hoffnungen über.

Am 10. nahm Reynier wieder eine Rekognoszierung vor. Ich mußte ihm mit der II. Division folgen. Die Avantgarde, die vor uns war, fing an, mit dem Feinde zu schießen. Die reitende Batterie setzte sich auf meinen rechten Flügel, ein Bataillon des ersten leichten Infanterieregiments kam unter meine Befehle. Wir sahen vor unserm linken Flügel ein Gebüsch, das ich durch die leichte Infanterie nehmen ließ. Die Russen zogen sich darauf etwas zurück, sie schienen auch eine Rekognoszierung zu machen. Wir sahen einen Anführer, der sich sehr kühn heranwagte, es war Knorring. Sie hatten nur einige Kanonen leichten Kalibers bei sich, doch nahm ihr erster Schuß dem Leutnant Busch vom Train unserer reitenden Batterie den Arm weg, er starb an der Wunde. Unsere Artillerie brachte die feindliche bald zum Schweigen, das Infanteriefeuer dauerte aber an. Meine Infanterie kam nicht zum Schuß, ich mußte mich immer im Vorgehen links ziehen. Auf einmal entdeckten wir auf unserer linken Flanke Kavallerie, die uns zweifelhaft schien. Mein Adjutant, der Hauptmann Fabrice, erbot sich, sie zu erkunden. Ich sah ihn ziemlich nahe heranreiten. Er kam zurück und meldete, es wären Russen; der Irrtum war verzeihlich, denn sie hatten auf ihn geschossen. Ich sandte ihn selbst mit der Meldung an Reynier. Die übrigen drangen in mich, ich sollte den ziemlich starken Trupp mit Kanonen begrüßen, aber der stets besonnene Major Auenmüller trug Bedenken, und zum Glück folgte ich ihm, – es waren österreichische Dragoner. Ich eilte nun selbst zu Reynier, der wohl eine Viertelmeile entfernt war, um den Irrtum zu berichtigen. Er antwortete nicht. Er mochte wohl fühlen, daß er, da er während des Gefechts mich ganz allein und mir selbst überlassen hatte, Unrecht gehabt hatte und mir von der erwarteten Ankunft der Österreicher keinen Wink gegeben hatte. Nachdem ich wieder zu meinen Truppen zurückgekehrt war, kam der Fürst Schwarzenberg selbst. Er war ein stattlicher Mann von kaum vierzig Jahren dem Ansehen nach; etwas stark, aber ein rascher Reiter und trefflich beritten. Sein Betragen war äußerst human. Er fragte nach dem Gang des Gefechts, den ich ihm berichtete, dann nach Reynier. Ich gab ihm einen Offizier als Führer mit.

Die Ankunft der Österreicher und ihre Vereinigung mit uns entschied schnell das Gefecht. Die Russen zogen sich in großer Eile zurück und wurden von den Österreichern, die sie verfolgten, stark beschossen. Von Pruzana abgeschnitten, mußten sie sich gegen Szereszewo zurückziehen und verloren bei einem Paß, wo der Weg einen Hügel hinan geht, unweit des Szerkowhofes, viel Menschen. General Lambert war, wie wir nachher hörten, in dem Gefecht verwundet worden. Die Division Lecoq, die mir von weitem gefolgt war, hatte es von ferne mit angesehen.

Fürst Schwarzenberg nahm sein Quartier in Pruzana, Reynier in einem Hause dicht neben der Stadt, die erste Division in der Nähe und ich mit der II. bei einem Dorfe näher nach Szereszewo zu. In diesem Orte wurde später unser fliegendes Lazarett errichtet. Wir hatten höchstens 12 bis 15 Verwundete.

Am folgenden Morgen wurden die sächsischen Generäle dem Fürsten vorgestellt. Wir lernten bei dieser Gelegenheit einige seiner Umgebungen kennen. Sein Stabschef, General Stutterheim, war kalthöflich und verschlossen und wahrscheinlich der Sache, für die er mit uns verbunden war, abgeneigt. Er schien mir ein guter Kopf zu sein. Am meisten wirkte bei Schwarzenberg ein Obrister Graf Latour, ein junger Mann voll Feuer und gutem Willen. Ihm war es nicht um die Sache zu tun, sondern darum, sich brav und mit Ehren zu schlagen. Wenn bei manchem der anderen die förmliche Gemächlichkeit und die weitläufige Mittelmäßigkeit sich hinter der Abneigung gegen die Sache verbarg und überall Schwierigkeiten fand und häufte, so war Latour der erste, der sie zu beseitigen wußte. Er ging leicht in Reyniers Pläne ein, faßte sie und wußte sie dem Fürsten annehmlich zu machen. Auch das Verdienst der Ausführung gehörte größtenteils ihm. Unter den Generälen war Mohr, Fürst Liechtenstein und der Fürst von Homburg, der ein Infanterieregiment hatte, stets willig, sich brav zu schlagen; Bianchi und eben dieser Liechtenstein mochten vielleicht die meisten Generalstalente besitzen. Bianchi benahm sich, wie es die Ehre erforderte, aber so fein und verschlossen er auch war, so konnte er doch nicht verbergen, daß er der Sache abhold war. Siegenthal tat bei allen Gelegenheiten seine Schuldigkeit, so auch Lilienberg, der bei Poddubno verwundet wurde. Frimont verriet öffentlich seinen Widerwillen und tat nur, was er notgedrungen mußte. Frehlich kam überall zu spät, und Zechmeister sowie noch ein alter General, dessen Namen mir entfallen ist (Pflacher), waren völlige Nullen. Ein alter dicker General von der Artillerie (Wachtenburg), auf dessen Namen ich mich auch nicht besinnen kann, schien den Frondeur zu machen und affektiert hinter dem Berge zu halten, doch schien es ihm weder an Kopf noch an Kenntnissen zu mangeln. Ein trefflicher Anführer der Kavallerie war der Obrist, jetzt General Scheither. Er gehörte zu denen, die sich verbunden glaubten, ihre Schuldigkeit zu tun, ohne über die Sache, für die sie fechten, zu entscheiden. Hatte sein Souverän ihn einmal gegen die Russen geschickt, so durfte auch die Ehre der Truppen im Kampfe nicht einer abweichenden politischen Meinung aufgeopfert werden.

Poddubno

Das sächsische Korps biwakierte die Nacht vom 11. auf den 12. August bei dem Dorfe Zabin (21 km sw. Pruzana) nahe an einem morastigen Bache. Die waldigen Moräste machen hier einen Bogen, dessen ausspringender stumpfer Winkel sich gegen Zabin erstreckt. Zu unserer Linken, gegen Horodeczna zu, standen die Österreicher. Sie konnten, da sie gegen Pinsk detachiert hatten, ungefähr 30 000 Mann haben, die Sachsen waren nicht stärker als 14 000, und die Russen konnten ungefähr ebenso stark sein, wie unsere beiden Korps zusammen.

Jenseits der Moräste erhob sich der Boden, und hier stand das feindliche Korps in einem Haken, dessen rechter Flügel gegen die Österreicher, das schräg zurückgehende Zentrum gegen uns gerichtet war. Der linke Flügel schien noch nicht ausgedehnt zu sein und hatte ansehnliche Reserven, die sich auf der kürzesten Linie nach jeder Seite bewegen konnten.

Der Boden diesseits des Morastes war auf der Seite, wo die Österreicher standen und wo das Dorf Poddubno liegt, niedrig; das Dorf Zabin liegt an einem sehr mäßigen Abhange, der sich auf der andern Seite des Dorfs, wo das sächsische Biwak war, immer mehr erhebt, nachdem man aber an dem vorspringenden Winkel oder Bogen des Sumpfes, der alsdann links bleibt, vorbeigekommen ist, sich wieder senkt. Auf der Seite der Österreicher, vor der rechten Flanke der Russen, war der Sumpf auf einer breiten Strecke festen Bodens zu passieren, und am Ende der linken Flanke der Russen führte ein bequemer, breiter Damm hinüber, der von ihnen besetzt war und von unserer Avantgarde beobachtet wurde. Zwischen diesen beiden Punkten war er überall mit Wald bedeckt und wurde für unzugänglich gehalten. Die Stellung der Russen hatte den Vorteil, daß wir sie nicht übersehen konnten.

Der Abend des 11, ging ruhig hin. Die Truppen waren vergnügt und guten Mutes. Sie hatten Lebensmittel erhalten und das Gefecht bei Pruzana war ihnen leicht geworden. Das bestimmte Zusammentreffen mit den Österreichern auf dem Kampfplatz hatte ihnen von neuem große Zuversicht zu Reyniers Führung gegeben. Ein seltsamer Alarm, der in dieser Nacht alles auf die Beine brachte, gab ihnen Gelegenheit, ihre gute Fassung zu zeigen. Ich hatte mich in einer Scheune niedergelegt, die nach der Seite hin lag, wo unser Biwak stand. Auf einmal wurde ich durch ein verwirrtes Geschrei aufgeschreckt, dem einzelne Schüsse der Posten folgten. Ich sprang sofort heraus und setzte mich auf das bereitstehende Pferd. In dem Augenblicke jagte eine Anzahl von 30 bis 40 Pferden durch die Dorfgasse. Meine Ordonnanzen und Wachen hatten sich um mich versammelt. Vom Lager her hörte man deutlich die Worte: „Ins Gewehr! Ins Gewehr!“, im Dorfe war plötzlich alles wieder still, aber viele wollten deutlich die durchsprengenden Kosaken gesehen haben. Vom Lager kam die Meldung, es sei ein starker Trupp Kavallerie gegen die Wachen angesprengt, aber schnell wieder zurückgekehrt. Die Truppen standen in unglaublicher Geschwindigkeit aufmarschiert und unter Gewehr. Keine Verwirrung war entstanden, kein Mann hatte an das Davonlaufen gedacht, alle hatten geschrieen: „Ins Gewehr!“, waren nach ihren Flinten gelaufen und hatten sich ohne Zutun der Offiziere in ihren Bataillelinien aufgestellt – aber der Feind war verschwunden.

Nachsetzende österreichische Offiziere erklärten uns die seltsame Erscheinung. Der bei weitem größte Teil der Pferde eines Husarenregiments war plötzlich scheu geworden, hatte sich aus dem Biwak losgerissen und war im schnellsten Laufe durchgegangen. Wahrscheinlich hatte sie die Annäherung heranschleichender Wölfe scheu gemacht. Sie waren in grader Richtung auf unsere Lagerfeuer zugerannt, dort aber durch das Geschrei der Leute geschreckt, wieder umgekehrt. Ein starker Trupp hatte den Weg durch unser Dorf genommen, die übrigen waren im Felde zerstreut, zum Teil auch in den Sümpfen stecken geblieben. In unserm Dorfe hatten sich mehrere Offizierspferde losgerissen und waren dem Trupp gefolgt. Wir lachten und ärgerten uns über den Verlust der so nötigen Ruhe. Das österreichische Regiment hatte am andern Tage noch eine unberittene Schwadron.

Am 12. früh 5 Uhr ging ich zu Reynier, um seine Befehle zu hören. Er saß auf dem Dache des Schenkhauses mit dem Fernrohr in der Hand, um nach der Stellung des Feindes zu sehen, aber ein nebligter Regen, der eben niederfiel, hinderte ihn. Von der Avantgarde ging die Meldung ein, daß die Russen den Paß vor ihrer linken Flanke verlassen hätten. Gablenz ließ anfragen, ob er ihn besetzen sollte. Reynier antwortete, er solle ihn nur durch einen schwachen Trupp beobachten und gleich wieder verlassen, wenn die Feinde zurückkämen. Der Hauptmann Watzdorf vom Generalstabe, den Gablenz abgeschickt hatte, bestand auf einer stärkeren Besetzung, aber Reynier wurde ungeduldig. „Man muß sehen, was sie tun werden,“ sagte er, nachdem Watzdorf fort war, „ob sie uns angreifen wollen, oder ob sie nur an ihre Verteidigung denken.“ Der Graf Latour kam mit einer Botschaft von Schwarzenberg, und Reynier beredete mit ihm den Angriff. Nachdem er fort war, setzten wir uns zu Pferde. Beide Divisionen standen bereits unter dem Gewehr auf der Anhöhe hinter dem Dorfe, wo sie biwakiert hatten.

Bei den Österreichern ging zwischen 7 und 8 Uhr erst das Tirailleur- und bald nachher das Kanonenfeuer an. Von der Batterie Sonntag wurden 3 Kanonen zu ihrer Unterstützung geschickt. Ein Dorf, wie ich glaube Poddubno, wo Schwarzenberg gelegen hatte, geriet in Brand. Wir waren noch bloße Zuschauer. Um 9 Uhr vereinigte sich die Division Lecoq, die etwas rückwärts gestanden hatte, mit der meinigen. Wir marschierten in drei Kolonnen auf und hatten unsere Artillerie vor der Front. Nach und nach hörte man auch das Tirailleurfeuer unserer Avantgarde. Reynier war fortgeritten, um zu erkunden. Die Avantgarde war durch das Engnis vor dem linken Flügel der Russen gegangen und hatte zu seinem Schutz zwei Kompagnien leichter Infanterie zurückgelassen.

Gegen halb 11 Uhr erhielt General Lecoq Befehl, mit der ersten Division abzumarschieren. Er ging durch das Engnis und stellte sich links rückwärts von der Avantgarde jenseits des Morastes an den Rand des Abhangs auf. Ich sollte noch Zurückbleiben und die Division ’Siegenthal, die sich mit dem Fürsten Schwarzenberg vereinigte, vorbeilassen, sodann aber erst den Major Aster erwarten, der mir den Weg, den ich nehmen sollte, zeigen würde. Reynier hatte von ihm den waldigen Sumpf untersuchen lassen und nicht weit über den vorspringenden Bogen hinaus festen Boden gefunden.

Die Russen setzten dem Debouchieren an den beiden Punkten vor ihren Flanken nur schwache Hindernisse entgegen. Sie erwarteten den Augenblick, wo wir mit dem Morast im Rücken aufmarschiert sein würden, um uns mit Macht auf beiden Punkten vor ihren Flanken anzugreifen und in die Sümpfe zu werfen. Anders wenigstens läßt sich ihr Betragen sonst wohl nicht erklären; ihre Stellung im Haken mit den starken Reservekolonnen im Rücken war auch dazu geeignet. Die Österreicher griffen ihre rechte Flanke in der Front an, Reynier suchte zugleich ihre linke Flanke zu umgehen mit der Avantgarde, indem er zugleich die Division Lecoq und eine Division Österreicher sich noch zurückhalten ließ. Aber indem die Russen ihren linken Flügel zurückgehen ließen, nötigten sie ihn, sich mit der Avantgarde, wenn er nicht von der Division Lecoq, die den Echellon seines linken Flügels machte, abgeschnitten sein wollte, immer weiter auszudehnen. Sie beschossen nun unsere Avantgarde sehr heftig und warfen sie wiederholt durch Kavallerieangriffe zurück. Wir verloren dabei viel Menschen und Pferde, zwei Offiziere wurden verwundet und gefangen, und nur die treffliche Bedienung unserer reitenden Batterie unter dem Kapitän Roth, der im Galopp vorprellte und doch nicht leicht einen Schuß vergeblich tat, trieb ihre überlegenen Angriffe zurück und verschaffte unserer Kavallerie Zeit, sich wieder zu setzen.

Auf der Seite der Österreicher hatte sich inzwischen die Infanteriebrigade Prinz von Homburg, nachdem sie den Sumpf umgangen hatte, rechts ausgebreitet und wurde von den Russen mit Macht angegriffen. Das tapfere Regiment Colloredo litt dabei sehr. Fürst Schwarzenberg kam in großer Hast gesprengt, um Hilfe zu holen. Er traf zuerst auf den General Sahr, der sich schon lauten Ausbrüchen der Verzweifelung überlassen hatte, daß er heute zu nichts kommen und ein müßiger Zuschauer bleiben sollte. Er gehörte zu den Leuten, die bei dem Anblicke des Feindes in Wut geraten und ihn von ganzer Seele hassen. Er war gleich bereit; und ohne mir ein Wort zu sagen, setzte er sich mit seiner Brigade in Marsch. Ich war kaum zwanzig Schritte entfernt, hatte aber den Fürsten nicht gesehen, weil ich abgestiegen war, um durch ein Fernrohr zu sehen. Ich warf mich gleich aufs Pferd und fand den General Sahr bereits mit der Spitze des zweiten leichten Regiments in dem tiefen Sumpfe stecken. Die Pferde der Stabsoffiziere konnten nicht fort, die Leute sanken zum Teil bis an den Hals hinein und mußten von denen, die zufällig auf eine feste Scholle getreten waren, wieder herausgezogen werden. Ein Pferd, das dem Kapitän Jeschki gehörte, war dergestalt eingesunken, daß es nicht wieder herausgebracht werden konnte.

Ich rief, wer das befohlen hätte? Aber Sahr schrie wie ein Besessener: „Nichts! Nichts! Ich bleibe nicht länger hier! Ich muß vor! Machen Sie die Leute nicht furchtsam!“ Ein Offizier zeigte mir den Fürsten Schwarzenberg. Ich ritt sogleich zu ihm und fragte ihn um seine Befehle. Er war verlegen; er hätte gewünscht, Unterstützung zu haben, sagte er, und sich daher an den General Sahr gewendet, den er für den Kommandierenden gehalten hätte. Da er erfuhr, daß ich es wäre, entschuldigte er sich und fragte mich nun, was ich für Aufträge hätte. Ich antwortete, daß ich einen Offizier erwartete, der mir einen Weg durch den Sumpf zeigen sollte, daß ich aber bereit wäre, zu tun, was er befehlen würde. Er rief: „Nein! Nein! Wenn Sie von Reynier Befehle haben, so folgen Sie Ihnen! Ich hatte dieses Korps für eine Reserve gehalten, über die ich allenfalls verfügen könnte. Aber um keinen Preis will ich Reyniers Pläne stören!“ Mit diesen Worten entfernte er sich, indem er eine freundliche Entschuldigung wiederholte.

Die Truppen hatten sich unterdessen mit vieler Mühe aus dem Sumpfe wieder zurückgezogen, aber der General Sahr fluchte und tobte laut, daß ich sie feige machen würde, weil ich sie hätte zurückgehen heißen. Ich schwieg, und in dem Augenblicke kam der Hauptmann Langenau, den ich zu Reynier geschickt hatte, und brachte mir den Befehl, daß und wohin ich vorgehen sollte. Er hatte von weitem Sahrs Bewegung gesehen und schrie schon aus der Ferne: „Zurück! Zurück!“ Jetzt sagte ich Sahr: „Sie sehen, daß ich recht gehabt habe; ein anderes Mal bitte ich, daß Sie jeden, der an die Division einen Befehl zu bringen hat, an mich verweisen, wenn ich so nahe bin!“ Ohne an die Artillerie, die wir im Stiche lassen mußten, zu denken, hätte er im blinden Eifer sich mit der ganzen Brigade in den Sumpf geworfen, und wenn sie nicht darin umgekommen wäre, so hätte sie doch auf dem Punkte, wo Reynier ihrer so sehr bedurfte, gefehlt.

Gleich nach dem Kapitän Langenau kam auch der Major Aster, um mir den von ihm entdeckten Weg zu zeigen; es war ein schmaler, krummer, lange nicht befahrener Holzweg, auf dem jedoch meine Batterie durchkommen konnte. Die Infanterie lief auf Fußstegen nebenher. Der Wald war hier, nahe an dem Kehlwinkel der Krümmung, etwa eine Viertelstunde breit. Ich mußte das zweite leichte Infanterieregiment zur Unterstützung der Österreicher, falls sie aus dem Engnis herausgedrängt würden, zurücklassen, fand aber beim Debouchieren den Wald auf meiner linken Seite schon durch 6 Kompagnien des zu Lecoq gehörigen 1. leichten Infanterieregiments besetzt.

Es war nach 12 Uhr mittags, als ich aus dem Walde heraustrat, ich wurde sogleich heftig mit Granaten beschossen. Die beiden Grenadierbataillone Anger und Spiegel mußten sich unter diesem Feuer in Kolonne formieren. Da aber die Kugeln uns in der Masse größeren Schaden tun konnten, so ließ ich rechts abbrechen und zu drei Mann aus der Flanke marschieren. Diese Bewegungen unter dem feindlichen Kanonenfeuer wurden mit Ordnung ausgeführt, überhaupt war die Fassung unserer Leute musterhaft. Es munterte sie auf, daß ich ihnen zurief, die Kugeln gingen ja über uns hinweg, die wir doch zu Pferde wären. In der Tat litten wir auch nicht viel dadurch, weil die Granaten fast alle in den Wald flogen und darin platzten.

Vor dem Walde war eine leicht aufsteigende Ebene, ungefähr 600–800 Schritte breit; vor dieser streckte sich, nach und nach abfallend, ein steilerer Abhang hin, der etwas mehr als Mannshöhe haben mochte. Auf diesem standen rechts von mir die österreichische Brigade Lilienberg und weiterhin die Division Lecoq. An jene sollte ich mich mit meinem rechten Flügel anlehnen.

Als ich über die Ebene vorging, brachte man den verwundeten General Lilienberg zurück, dem das Pferd erschossen war. Ein österreichischer Unteroffizier kam gelaufen und rief: „0, sie schießen erschrecklich, eben haben sie unserm General das Pferd zusammengeschossen!“ Meine Leute blieben dabei ganz ruhig. Ich war vorausgeritten, mich umzusehen, und hielt es für besser, meine Grenadiere hinter dem Ravin, als auf ihm aufzustellen. Sie waren hier gegen die Rikochettkugeln gedeckt, einem Kavallerieangriffe weniger ausgesetzt und konnten, wenn Infanterie sich näherte, mit 10 Schritten oben sein. Der Hauptmann Fabrice tadelte diese Aufstellung, ich beharrte edoch darauf und kurz nachher sah ich auch auf Reyniers Befehl die Division Lecoq und die Österreicher herunterrücken.

Zwischen meinem rechten Flügel und den Österreichern war ein Zwischenraum von etwa 30 Schritten, der aber in der Folge vergrößert wurde, da das Zentrum sich rechts zog. Meine Batterie fuhr vor meinem linken Flügel auf; das Battaillon Spiegel, das sie deckte, litt sehr durch die feindlichen Kanonen, weil sich das Ravin hier senkte und in die Ebene auslief. Mein linker Flügel war etwas zurückgenommen, so daß meine Linie mit den Österreichern einen stumpfen Winkel machte und sich gegen den Wald erstreckte, in dem 6 Kompagnien leichter Infanterie standen.

Bei Reyniers Korps bildete die Avantgarde, die jetzt durch die österreichische Kavallerie des Generals Zechmeister verstärkt war, den rechten, sich immer mehr vorwärts im Bogen ausdehnenden Flügel, die Division Lecoq und die Brigade Lilienberg das Mitteltreffen und meine Division den linken Flügel.

Das Mitteltreffen kam gar nicht ins Gefecht, aber während Reynier mit dem rechten Flügel immer mehr vordrang, verstärkte sich die feindliche Masse gegen unsern linken. Ein aus dem Kehlwinkel des waldigen Morastes vorspringendes Gehölz trennte mich von dem Angriff der Österreicher, die von Poddubno her debouchierten, und auf diesen Punkt verdoppelten die Russen ihre Anstrengungen. Brachen sie hier durch, so waren wir in der linken Flanke genommen und konnten aufgerollt werden.

Die 6 Kompagnien unter den Majoren Metzsch und B. . . drangen gegen diesen Punkt vor und fingen ein lebhaftes Tirailleurfeuer an, zu gleicher Zeit beantwortete meine Batterie das Kanonenfeuer der Feinde, die uns aus drei Batterien mit großem Kaliber heftig beschossen. Daß sie sorgfältig zielten, connte ich daraus abnehmen, daß, sooft ich mich mit meiner Umgebung zu Pferde blicken ließ, sie sofort die Kugeln nach diesem Flecke richteten. Ich ritt deshalb unaufhörlich hin und her und warnte meine Adjutanten und Ordonnanzen, nicht zu dicht um mich her, sondern immer zerstreut zu reiten. Die Rikochettkugeln sprangen von dem Ravin meistens über die Infanterie weg, aber der feste, mit Moos überzogene Sandboden war ihnen sehr günstig, auch die Granaten schlugen meist erst hinter den Fronten ein und es war daher gefährlicher hinter den Linien als vor ihnen. Auf den General Sahr geschahen unzähliche Schüsse, weil er entweder oben auf dem Ravin unbeweglich vor den Grenadieren hielt oder zwischen den vordersten Tirailleurs der leichten Infanterie umherritt. Ich selbst hielt mich die meiste Zeit bei der Batterie auf, wo mir der Rat und die treffliche Umsicht des Majors Auenmüller von großem Nutzen war. Er wußte sein Feuer zu sparen und hatte an dem Premierleutnant der Batterie, dem Leutnant Hirsch, einen trefflichen Gehilfen. Sobald ein Trupp sich blicken ließ, richtete er sein Geschütz auf ihn, und wenn Hirsch geschossen hatte, so war es fast nie ohne Erfolg. Unaufhörlich beschoß er zugleich die feindlichen Batterien und an den Unterbrechungen ihres Feuers sahen wir deutlich, daß er gut getroffen hatte. Aber auch uns wurden im Gefecht drei Kanonen demontiert, jedoch sogleich wieder instand gesetzt. Die Trainsoldaten wetteiferten mit den Artilleristen an Mut und Ausdauer, dennoch würde eine Batterie nicht haben gegen drei aushalten können, wenn diese ihr ganzes Feuer auf sie gerichtet und es nicht, ohne großen Erfolg, gegen meine Infanterie verschwendet hätten.

Gegen halb 2 Uhr wurde die leichte Infanterie durch die feindliche Übermacht sehr gedrängt. Ich schickte ihr 2 Kanonen zu Hilfe und sandte Meldung an Reynier; er hatte aber bereits Befehl gegeben, daß das 2. leichte Regiment nun auch durch den Sumpf gehen und sich mit mir vereinigen sollte.

Der Obrist Tettenborn stellte sich in geschlossener Kolonne hinter dem Major Metzsch auf und schickte sogleich Tirailleurs vor, die die feindliche Linie zurückwarfen, Ich ließ nun die Batterie und das Bataillon Spiegel zu ihrer Unterstützung Vorgehen und bald nachher merkten wir, daß die Österreicher, die wir nicht sehen konnten, jenseits des Sumpfes kräftig angriffen. Eine ihrer Batterien beschoß die feindlichen und nötigte sie, einen Teil ihres Feuers auf sie zu richten.

Aber gerade um diese Zeit wurden bei mir die Kanonen demontiert, es war gegen 4 Uhr nachmittags. Die russische Kavallerie benutzte den Augenblick, auf unsere leichte Infanterie einzuhauen. Sie warf sie zurück und machte den Kapitän Lindemann gefangen. Mit beispiellosem Mute setzten sich jedoch die leichten Schützen noch immer zur Wehr, indem sie in Trupps zusammenliefen. Ich ließ die beiden Grenadierbataillone sich in Vierecken aufstellen, was sie auch im heftigsten Kanonenfeuer ausführten. Dem Major Spiegel wurde mitten im Quarre das Pferd erschossen, aber er ließ sich durch die starke Kontusion, die er dabei erhalten hatte, nicht hindern und kommandierte zu Fuß. Mit seiner gewöhnlichen lachenden Miene sagte er mir, als ich ihn voll Blut sah: „Es fehlt mir nichts!“ Die Quarrés standen unbeweglich, als die feindliche Kavallerie in 5 Abteilungen, wahrscheinlich so viel Schwadronen stark, sich näherte. Ich rief dem Major Auenmüller, der seine Kanonen wieder hergestellt hatte, zu: „Feuern!“ Er antwortete: „Ich habe mit Kartätschen geladen, der Feind ist noch nicht im Schuß!“

Er sagte dies unter dem heftigsten Feuer der russischen Batterien, die ihn zum Schweigen gebracht zu haben glaubten und nun desto rascher auf ihn schossen, während schon die kleinen Kugeln der russischen Tirailleure um uns her pfiffen. Im Augenblick, wo die russische Kavallerie nahe genug war, befahl er zu feuern, mit so glücklichem Erfolg, daß wir eine Menge fallen und viel Pferde umherlaufen sahen. Dennoch zog sich die Kavallerie mit Ordnung und nur bis hinter ihre Batterien zurück.

Der Angriff der Österreicher schien nicht gelungen zu sein. Durch mein Vorrücken sowohl, als durch das Rechtsziehen des Mitteltreffens stand ich plötzlich gänzlich isoliert. Ich hatte nicht mehr als die zwei Bataillone Spiegel und Anger, die beiden Bataillone des 2. und sechs Kompagnien des 1. leichten Regiments und ein Kommando von 30 Mann Infanterie vom Regiment Prinz Anton unter dem Leutnant Egidy, das stets mit bei den vordersten Plänklern ausgehalten hatte. Der Bestand meiner Division (ohne jene 6 Kompagnien, jedoch mit Einschluß der Batterie) war am Morgen nicht stärker gewesen als 2300 Mann und war jetzt schon beinahe um den vierten Teil geschmolzen. Trotzdem ich zweimal einen Munitionswagen hatte kommen lassen, fehlte es doch an Patronen, und die Artillerie mußte um jeden Schuß geizen. Ein Teil der Gewehre bei der leichten Infanterie ging nicht mehr los, obgleich die Gesunden von jedem Toten oder Schwerverwundeten das Gewehr und die Patronentasche nahmen. Leichtverwundete gingen gar nicht zurück oder kehrten wieder, sobald sie verbunden waren. Die Chirurgen verbanden diesseits des Waldes mitten unter den einschlagenden Granaten und die Leute, die einen Verwundeten zurückgebracht hatten, traten stets wieder in Reihe und Glied. In den Quarrés wurden die Lücken, wo eine Kugel eingeschlagen hatte, gleich wieder ausgefüllt, und die Hornisten und Tamboure der leichten Infanterie, denen ihre Instrumente zerschossen waren, nahmen Gewehre von Gebliebenen auf und feuerten.

Aber trotz dieser beispiellosen, nie genug zu rühmenden Tapferkeit und Ausdauer der Offiziere und Mannschaften mußten sie doch am Ende der Übermacht und der Erschöpfung erliegen, da sie seit früh 5 Uhr auf den Beinen waren. Das Artilleriefeuer der Feinde dauerte unaufhörlich mit gleicher Heftigkeit fort, und mit frischen Truppen erneuerten sie stets den Angriff auf die leichte Infanterie meiner linken Flanke, während die Kavallerie uns stets bedrohte und nur durch unsere Batterie in Respekt gehalten werden konnte. Weil die Österreicher durch einen Engpaß eindringen mußten, konnte ein großer Teil ihrer Truppen nicht zum Gefecht kommen und die Feinde waren dadurch auf allen Punkten überlegen.

Ich hatte wiederholt dringende Meldungen an Reynier geschickt und nur um einige Kavallerie gebeten. Auf das Wort des Adjutanten, daß sehr gedrängt würde, hatte er lakonisch geantwortet: „En est-il faché?“ Nachher war die ganze Instruktion: „Er soll den Wald halten!“ Zuletzt versprach er doch eine Schwadron Kavallerie.

Den Wald zu behaupten war aus dem Grunde unmöglich, weil ich nicht mehr bis dahin zurückkommen konnte. Sobald meine Batterie geschwiegen hätte, würde mir die feindliche Kavallerie auf den Fersen gewesen sein. Ich mußte daher mit den letzten Anstrengungen meinen Posten zu behaupten suchen. Ich ritt zu der leichten Infanterie, um sie durch die Verheißung, daß Reynier uns Unterstützung schicken würde, aufzumuntern. Sie hatte noch guten Mut. Einstweilen ließ ich 2 Kompagnien von Spiegel als Tirailleure und gleich darauf den Rest des Bataillons geschlossen vorgehen, um sie zu unterstützen; mehr konnte ich nicht schicken, ohne die Batterie preiszugeben.

Nach 6 Uhr erschien eine Schwadron des Husarenregiments Hessen-Homburg hinter mir am Walde. Ich ritt sogleich zu ihr und bat den Kommandanten, vorzugehen. Er weigerte sich, einem anderen als Reynier zu gehorchen, und da er zuletzt nicht leugnen konnte, daß er an meinen Befehl gewiesen wäre, folgte er unwillig und äußerst langsam. Sobald aber die erste Kartätschenkugel vorbeiflog, sagte er: „Nein! unter Kartätschenfeuer führt man keine Kavallerie!“ und kehrte sofort wieder um. Ich gestehe, daß ich mich im Zorn vergaß. Ich sagte ihm, ich bedauere die armen Leute, daß sie von einem Feigen sich kommandieren lassen müßten. Aber er hatte keine Ohren, und die Gemeinen, lauter Ungarn, verstanden mich nicht. Ein junger Offizier, der auf dem linken Flügel ritt, verzog das Gesicht. Im Zorn fuhr ich ihn an: „Haben Sie auch kein Herz?“ – „0 ja,“ sagte er, „ich habe wohl Herz!“ Er ritt zu dem Schwadronskommandanten, und der ließ es geschehen, daß er mit einem Zuge vorgehen durfte. Ich bat ihn, seine Leute nur einzeln vorgehen und sich zeigen zu lassen, damit die Feinde sähen, daß wir Kavallerie bekommen hätten. Er tat es und bewirkte dadurch, daß die feindlichen Tirailleure einen Augenblick stutzten, aber bald erhielt er von seinem Kommandanten Befehl, sich zurückzuziehen. Doch blieb er in einiger Entfernung hinter den Tirailleuren im Trupp halten. Seinen Namen habe ich nicht erfahren, doch war der Schwadronskommandant am andern Tage sehr höflich gegen mich.

Der Feind drang immer heftiger gegen meine Flanke an, und ich sah den Augenblick kommen, wo meine leichte Infanterie geworfen und ich, wahrscheinlich mit dem Verlust des Geschützes, in das Holz zurückgesprengt werden würde. In dieser gespannten Minute meldete mir mein Adjutant, der Leutnant Wolfersdorff, daß 2 Kompagnien vom 1. leichten Regiment sich näherten. Ein Offizier war vorausgekommen und sagte mir, sie hätten bis jetzt an dem Defilé vor dem linken russischen Flügel gestanden, da sie aber sich dort unnütz glaubten, kämen sie, uns ihre Dienste anzubieten. Man kann denken, daß ich sie freudig empfing. Ich ritt ihnen entgegen, um sie zu bitten, sich gleich mit dem Obristen Tettenborn zu vereinigen, und eilte nun zu diesem, um ihn zu benachrichtigen und von da zu den Tirailleurtrupps, denen ich zurief: „Eure Kameraden kommen Euch zu Hilfe! Haltet Euch nur noch eine Viertelstunde!“ Ich war die Strecke von etwa 1200 Schritten im Galopp geritten und wie ich mich umsah, waren die beiden Kompagnien schon hinter mir. Sie verteilten sich sogleich als Tirailleure und trieben, von ihren Kameraden unterstützt, die andrängenden Feinde zurück.

Während wir hier wieder Boden gewannen, meldete mir Wolfersdorff, daß der Artilleriekapitän Sonntag mit den drei Kanonen, die seit dem Morgen bei den Österreichern gewesen waren, angekommen wäre. Er war von dem Fürsten entlassen und kam von selbst, mir seine Dienste anzubieten. Ich ritt mit ihm zu dem Major Auenmüller, um einen Posten für ihn zu bestimmen. Wir sahen deutlich, daß die feindliche Kavallerie sich bewegte, uns anzugreifen. Sonntag sagte mir, ich sollte ihm erlauben, in der flachen Vertiefung, die uns von dem Feinde trennte, noch 500 Schritt vorzufahren. Ich antwortete ihm: „Herr Hauptmann, ich habe keine Kavallerie, wer soll Ihre Kanonen decken?“ Er aber bestand auf seinem Vorschlag, und der Major Auenmüller unterstützte ihn. Ich willigte ein und blieb bei der anderen Batterie halten. Er fuhr rasch bis in die Tiefe, protzte ab und wir sahen deutlich zwei Kugeln seines ersten Schusses gerade in die aufmarschierenden Schwadronen einschlagen. Es entstand Verwirrung unter ihnen und bei seinem zweiten Feuer kehrten sie um und ließen sich nicht wieder sehen. Die Batterie Auenmüller ging nun auch vorwärts, beide beschossen den Feind und zugleich merkten wir aus dem Feuer des österreichischen Geschützes, daß auch diese wieder mit Nachdruck angegriffen. Die leichte Infanterie machte, fast ganz als Tirailleure aufgelöst, einen heftigen Angriff und warf die Russen von der Anhöhe vor dem Walde, der uns von den Österreichern getrennt hatte. Ich eilte zu ihr und wurde mit einem lauten Vivat empfangen. Das Regiment Colloredo und die Brigade Homburg standen in unserer Linken uns ganz nahe, der Engpaß war genommen und das ganze österreichische Korps konnte nun vorrücken. Der Feind zog sich auf allen Punkten, doch mit Ordnung und unter stetem Feuer zurück. Es war 8 Uhr und wurde dunkel.

Hätten wir nur einige Kavallerie gehabt, so mußte wenigstens die uns nahe Batterie, die uns so viel Schaden getan hatte, in unsere Hände gefallen sein, aber zu Fuß konnten wir sie nicht ereilen und überall kamen jetzt die Kosaken, die sich bisher nicht hatten sehen lassen, vor, um den Rückzug zu decken. Unsere Leute waren zum Verfolgen zu. erschöpft.

Reynier, dem zuletzt um den linken Flügel doch bange geworden war, hatte mir sagen lassen, daß er selbst kommen würde. Er kam, da es schon dunkel war. Ich veranlaßte die Leute, ihm ein Vivat zuzurufen. Er nahm es mit seiner gewöhnlichen steifen Kälte an, ohne ein Wort zu erwidern oder auch nur den Hut zu zücken. Keinem, ohne Ausnahme, vom ersten bis zum letzten, lohnte er durch ein Zeichen des Dankes oder der Zufriedenheit, doch sah man, wenn man ihm nahekam, durch einen Zug von ironischem Lächeln um den Mund, wie froh er war. Er befahl, die Truppen sollten ruhen wo sie wären, und kein Feuer anmachen. In der Tat flogen auch noch immer einzelne Kugeln um uns her, und während ich mit ihm sprach, wurde ein Adjutant neben uns von einer Kartätschenkugel gestreift, die ihm ein Loch durch den Überrock riß.

Die Mannschaften waren übrigens auch zu ermüdet, um Holz zu holen. Seit früh 5 Uhr hatte niemand gegessen und es war jetzt nichts da. Wer noch einen geringen Vorrat bei sich hatte, hatte ihn während des Gefechts weggeworfen oder verloren. Ein Gemeiner teilte mit mir ein Stückchen harten Zwieback, den ich aber aus Mangel an Wasser mit einem Schluck Brantwein, wozu mir ein anderer die Flasche bot, erweichen mußte. Der Mangel an Wasser war am allerdrückendsten. ln der Nähe war keins, das Wasser des Sumpfes war nicht trinkbar, und wir hatten uns zu weit davon entfernt, auch durfte keiner danach gehen, aus Furcht, daß er uns nicht wiederfinden und in der Dunkelheit zu den Feinden verirren würde. Die Verwundeten lechzten nur nach Wasser, und die Gemeinen boten ihre ganze Habseligkeit für einen Trunk. Ein Schützenoffizier erquickte mich mit einem Schluck lauwarmen Wassers aus einem russischen Fäßchen, das kaum ein halbes Maß hält und das er bei einem Toten gefunden hatte. Der Durst überwand den Ekel, aus dem schmutzigen Spundloch zu trinken.

Es fiel ein dichter Nebel. Das Bataillon Spiegel, das mit den Tirailleurs vorgegangen war, konnten wir trotz allen Suchens nicht finden, und der Kapitän Fabrice, den Reynier mitgenommen hatte, um mir Verhaltungsmaßregeln zu schicken, kam nicht zurück, weil er sich verirrt hatte.

Seltsam stach von dem allgemeinen Mangel die Begeisterung über die gewonnene Schlacht ab. Man umarmte sich, man erzählte, man sprach von den Gebliebenen und Verwundeten. Endlich siegte die Müdigkeit, und zwischen Toten und sterbenden Russen und toten Pferden sank alles auf dem feuchten Moose nieder, um zu schlafen. Die Pferde suchten vergebens einen Grashalm. Die beiden, die ich während der Schlacht geritten hatte, waren seit 5 Uhr früh nicht gefüttert, nicht getränkt worden. Solange die Kugeln flogen, merkte ich an ihnen keine Ermüdung, aber nun legten sie sich erschöpft neben uns nieder. Ich konnte erst vor Kälte nicht einschlafen, nachher aber ruhte ich sanft, nachdem eine meiner Ordonnanzen mir seinen Mantel gegeben hatte. Hätten die Russen in dieser Nacht 100 Kosaken abgeschickt, sie würden das ganze Korps auseinandergesprengt und unser Geschütz genommen haben.

Unsere Equipagen und Reitknechte waren weit entfernt. Früh um 4 Uhr kam mein Koch, der mich aufgesucht hatte, und eine Ordonnanz mit frischen Pferden. Der Koch brachte mir eine Flasche frisches Wasser und Butterbrot mit nebst schwarzem Kaffee. Es schlief noch alles. Trotz der Kälte leerte ich die Flasche auf einen Zug und schickte nun eine Ordonnanz ab, auch für andere zu holen. Der Kaffee wurde bei einigem Reisig gewärmt und ich bewirtete damit, soweit er reichte. Nach und nach kamen auch andere Reitknechte heran, und es wurde lebendig. Wir suchten nun wieder einander auf, aber der Nebel hinderte uns, weit zu sehen. Noch waren die Kosaken so nahe, daß Gressot, der mir die Anweisung, Brot zu fassen, bringen sollte, ihnen, kaum 200 Schritt von uns, beinahe in die Hände gefallen wäre. Sie waren aber scheu, weil sie eben auch in dem Nebel sich nicht zurecht finden konnten.

Gegen 7 Uhr ging bei der Avantgarde das Gefecht von neuem los, und wir glaubten, daß wir uns diesen Tag noch einmal würden schlagen müssen. Die Feinde hatten sich jedoch in der Nacht schon weit zurückgezogen und ihr Nachtrab folgte ihnen, sobald unsere reitende Batterie ihn beschossen hatte. Ich marschierte der Länge nach über den Boden, wo die Russen ihre Stellung gehabt hatten. Es lagen sehr viele Tote da, auch Verwundete, für die wir so gut sorgten, wie es sich tun lassen wollte. Den Verlust der Russen wage ich nicht zu bestimmen, er scheint aber sehr ansehnlich gewesen zu sein. Meine Division hatte von dem 2. leichten Regiment an Toten und Schwerverwundeten über 340, von dem Bataillon Spiegel einige achtzig, vom Bataillon Anger und der Artillerie zwischen 30 und 40, im ganzen über 460, darunter über 20 Offiziere, an Gefangenen und Vermißten gegen 60. Die Avantgarde hatte im gleichen Verhältnis verloren.

Bei der ersten Division war nur ein Offizier geblieben, ein Leutnant Kaufberg. Nachdem sie sich von dem Ravin herabgezogen hatte, kam sie nicht wieder ins Feuer.

Der Verlust der Österreicher war beträchtlich, besonders hatte die Infanteriebrigade Homburg und vorzüglich das Regiment Colloredo viel gelitten. Auf dem Punkt, wo der vorspringende Wald den rechten Flügel der Österreicher von meinem linken trennte, und bei der zum rechten Flügel gewordenen Avantgarde hatte man sich am heftigsten geschlagen. Trophäen erbeuteten wir nicht, weil unsere Kavallerie zu schwach und zu erschöpft war, den Feind zu verfolgen und die Österreicher sich weigerten, eher als den folgenden Morgen, nachdem sie abgekocht hatten, aufzubrechen. Die Russen gewannen dadurch Zeit, ihre Kanonen und ihre Verwundeten fortzubringen und hinter sich die Brücken und Dämme zu zerstören. Unsere Avantgarde machte am 13. höchstens Viertehalbhundert Gefangene.

Es war mir anfangs nicht recht klar, was die Russen zu einem so schnellen Rückzug konnte bewogen haben. Das Schlachtfeld konnten sie allerdings nicht mehr behaupten, nachdem wir den beherrschenden Punkt der Höhen, der vor meinem linken Flügel lag, genommen und uns mit den Österreichern auf dieser Seite der Moräste vereinigt hatten, unsere Avantgarde in ihre linke Flanke gegangen war, und wir sie nun von zwei Seiten umfaßt hatten. Aber da die Schlacht erst mit der einbrechenden Nacht endete, sie sich in Ordnung zurückzogen und kein Geschütz verloren hatten, so glaubte ich, sie würden den Vorsprung, den sie in der Nacht erlangten, benutzen, um uns in einer neuen Stellung zu erwarten. Brest und der Muchawiec bot ihnen die erste, die Moräste dahinter noch manche andere, wo sie sich in unsere linke Flanke stellen konnten. Sie versuchten es wiederholt, aber sie hielten keine dieser Stellungen. Allerdings mochten sie viel verloren haben, aber den größten Verlust leidet eine Armee stets auf dem Rückzuge, hier hatten sie jedoch nichts verloren, weil unsere schwache Kavallerie nicht verfolgen konnte und die österreichische nicht wollte. Ihr Verlust konnte sie also zu dem weiten Rückzuge nicht nötigen, aber der Zustand ihrer Armee zwang sie dazu.

Die Russen selbst, d. h. ihre regelmäßigen Truppen, sind äußerst tapfer, sie weichen nicht ohne Befehl und assen sich eher auf der Stelle totschießen, wenn die Umstände und der Boden ihnen ungünstig sind. Ihre Dispositionen im großen sind jederzeit gut, ein Beweis, daß sie gute Generäle oder wenigstens einen guten Generalstab haben. Aber den Truppen fehlt die eigene Intelligenz, und die mittleren Glieder, vom Obristen bis zum Leutnant, sind schlecht. Das erste wurde mir bei dem Tiraillieren deutlich, wo sie sich ungeschickt benahmen, viel zu sehr auf einer Stelle und in Klumpen blieben, während unsere gewandten Schützen, stets beweglich, sich bald zerstreuten, bald sammelten und ihnen bei weitem mehr Leute totschossen, als sie selbst verloren, trotzdem ihre Gewehre und ihre Munition viel besser waren als die unsrigen, sowie denn alles Material überhaupt bei ihrer Armee in dem vortrefflichsten Zustande war. Ihre Artillerie schoß sehr gut, aber sie blieb stets auf einer Stelle, denn kein Kommandant hatte den Verstand oder vielleicht auch die Erlaubnis, nach Maßgabe der Umstände seinen Platz zu verändern. Bei den Angriffen in Masse verloren sie zuviel Zeit mit den Aufmärschen und konnten, wenn es der Boden erforderte, nicht schnell genug ihre Linien andern. Hätte die Kavallerie bei den beiden Angriffen sich nicht so lange vor uns herumgedreht, nicht mit dem Aufmarsch so lange aufgehalten und, anstatt auf meinen stärksten Punkt loszugehen, sich auf meine rechte Flanke geworfen, so hätten wir notwendig unterliegen müssen. Eben diese Unbehilflichkeit war aber wahrscheinlich auch Schuld, daß sie sich nicht von neuem setzen konnten. Sie müssen viel Zeit haben, sich aufzustellen und auf alles vorzubereiten, wenn sie sich mit Glück schlagen wollen. In der Dunkelheit der Nacht mögen sie vollends in Unordnung gekommen sein. Auf einem Rückzuge kann der kommandierende General weniger, als bei irgend einer anderen Gelegenheit alles einzelne anordnen. Die Regiments- und Bataillonskommandeure, selbst die Subalternoffiziere müssen ihm da am meisten zu Hilfe kommen, in seine Ideen eingehen und selbst handeln. Das fehlt aber bei den Russen ganz; ihre Offiziere stehen fest, wo man sie hinstellt, aber sie wissen nicht von selbst hinzutreten.

Die Kosaken allein haben einen militärischen Instinkt, der sie stets richtig leitet. Ein Volk von Jägern und Räubern bildet sich von selbst zu dem kleinen Kriege, und ihre Gabe, sich zu orientieren, ist einzig. Sie sind daher einer russischen Armee unentbehrlich und zum Ausspähen des Feindes, zum Necken der Vorposten, zur Deckung der Unternehmungen und auch eines Rückzuges vortrefflich. Aber um ganz gute Soldaten zu sein, fehlt ihnen nur eins: sie sind nicht tapfer. Sobald man ihnen unerschrocken entgegengeht, nehmen sie auch in weit überlegener Anzahl die Flucht. Obwohl sie selbst Feuergewehre haben, fürchten sie doch den Schuß des Feindes mehr als erlaubt ist. Nur die Aussicht auf etwas Beute kann ihnen Mut geben, aber in keinem ernsthaften Gefechte halten sie aus und ihr Mut stützt sich hauptsächlich auf die Überzeugung, daß sie sich mit ihren leichten Pferden durch eine schnelle Flucht retten können.

Von Reyniers Art zu kommandieren gibt sein Benehmen bei Poddubno den besten Begriff. Der Gedanke von dem, was geschehen sollte, lag sehr deutlich in seinem Kopfe, er hatte alles durchdacht. Seine Ruhe blieb stets unerschütterlich, weil ihm nichts unerwartet kam. Aber weil ihm völlig die Gabe, sich deutlich zu machen, fehlte, so sagte er lieber gar nichts. Trotzdem er gewiß vorher sehen mußte, daß auf dem Punkte, wo ich war, und bei der Avantgarde die stärksten Schläge geschehen mußten, so hatte er doch weder mir, noch einem von denen, die um mich waren, eine Instruktion gegeben. Alle Befehle, die wir von ihm erhalten haben, waren: uns an der Stelle, mit dem linken Flügel gegen die Österreicher, mit dem rechten gegen die 6 leichten Kompagnien aufzustellen. Daß diese das Tirailleurgefecht beginnen, sobald ich angekommen wäre, erfuhr ich von dem Major Metzsch, nicht von Reynier. Nachher ließ er mir nur durch einen Adjutanten zurücksagen, ich sollte den Wald behaupten. In allem übrigen überließ er uns unserem Schicksal. Was ich ihm von den Bewegungen, die wir machten, melden ließ, billigte er, indem er gar keine Antwort gab; wäre er unzufrieden gewesen, hätte er es gesagt. Als er zuletzt merkte, daß wir in Gefahr wären, ließ er bloß sagen, er würde selbst kommen. Die Sache war aber vor seiner Ankunft entschieden, und nun schwieg er wieder, denn das war die Art, wie er eine Sache billigte. Bei der Avantgarde oder bei dem rechten Flügel gab er ebensowenig eine Instruktion, aber er blieb dort in Person, weil er hier angreifen, also am meisten bezeigen wollte. Was aber an meiner Seite das Treffen glücklich entschied, war die Tapferkeit und die Ausdauer der Truppen, der unerschöpfliche gute Mut der leichten Infanterie und die verständige Anwendung des Geschützes durch den Major Auenmüller und den Kapitän Sonntag. So sehr ich mich aber bemühte, für diese und den Obristen Tettenborn von ihm ein freundliches Wort zu erlangen, es war vergebens! Ich zeigte ihm einen Artilleristen, der, als eine brennende Granate unter einen Pulverwagen flog, den Mut gehabt hatte, sie durch eine Schaufel Sand zu ersticken – er antwortete nichts. Ich erhielt für diesen die goldene Medaille und für jene drei Offiziere den Orden, allein der brave Sonntag erlebte ihn nicht, er starb am Nervenfieber, und das zu spät angekommene Kreuz schmückte nur noch seinen Sarg.

Über Brest-Litowsk und Szack nach Luboml

Wir rückten am 13. gegen Abend in die Ruinen des abgebrannten Kobryn ein, nachdem unsere Kavallerie die Kosaken hinausgejagt hatte. Am folgenden Tage lagen wir hier still. Einige stehengebliebene Scheunen waren das Generalquartier. Das Wetter, das uns am 12. begünstigt hatte, war wieder bös geworden; es regnete unaufhörlich und war sehr kalt.

Ich glaubte, man würde mir eine Meldung über den Anteil der II. Division an der Schlacht abfordern, aber man antwortete mir, das wäre nicht nötig. Lecoq, der bis dahin stets freundschaftlich gegen mich gewesen war, zeigte sich auf einmal unfreundlich und kalt. Als ich ihm ein Kompliment über das Benehmen der von ihm errichteten leichten Infanterie – und wahrlich aus aufrichtigem Herzen – machte, antwortete er mit Spitzen. Seine eifersüchtige Eitelkeit war aufgebracht, daß nur meine Division, und nicht auch seine, an dem Gefecht teilgenommen hatte.

Ich ließ mir jedoch nicht nehmen, wenigstens über das Betragen der Offiziere und der Truppen und über die, welche Belohnung verdient hatten, einen Vortrag zu machen. Doch erlangte ich bei weitem nicht alle Belohnungen, die ich gefordert hatte, nicht einmal die so wohlverdiente Belobung der Truppen. Unter denen, die ich mit vollem Recht zu dem Orden vorgeschlagen hatte, wurden auch der Leutnant Üchtritz, Adjutant Sahrs, mein Adjutant Wolfersdorff und der Leutnant Hösch von der Artillerie übergangen. Auf meine Beschwerde darüber erhielt ich die Antwort, man werde sie durch den französischen Orden entschädigen. Es geschah aber nicht.

Der Obriste Veuneville und der Kapitän Watzdorf gingen als Kuriere nach Smolensk und Dresden ab. Langenau war bereits vorher auf Reyniers Antrag zum Generalmajor und der Rittmeister Probsthayn zum Major befördert worden, dieser mit großem Unrecht zum Nachteil seiner besseren Vorderleute, die Belohnungen und keine Zurücksetzungen verdient hatten.

Die Russen zogen sich auf den Dämmen von Dywin und Mokrany gegen Ratno am Prypec zurück. Reynier überließ den Österreichern die weitere Verfolgung. Wir wendeten uns rechts und gingen in zwei kleinen Märschen nach Brest. In Kobryn waren die Brücken in schlechtem Zustande. Die 1. Division mußte am 15. August, da wir aufbrachen, einen Umweg machen, auf dem auch meine Equipage fortgeschickt wurde, meine Infanterie aber unterhalb der Stadt den Muchawiec durchwaten. Die Luft und das Wasser waren kalt und die Truppen bei ihrer elenden Bekleidung zu schlecht ausgerüstet, um sich wieder zu erwärmen. Dennoch waren sie bei gutem Mute. Sie zogen sich am Ufer aus, nahmen Gewehr, Patronentaschen und Tornister auf die Schultern und stiegen lustig in den Strom, wo ihnen das Wasser bis unter die Arme ging. Die Offiziere ritten durch, und da nicht alle Pferde hatten, so mußten diese immer wieder zurückgeritten werden, um die Unberittenen zu holen. Dieses und daß auch die Weiber hinüberritten, verursachte großen Spaß und manche Scherzrede. Ich war vorher durchgeritten und hatte am andern Ufer Feuer anzünden lassen, damit die Leute sich erwärmen könnten, aber die wenigsten verweilten dabei, nachdem sie sich wieder angezogen hatten. Sie meinten, der Marsch würde ihnen die beste Wärme geben.

Das Hauptquartier kam am 16. nach Brest, ich lag auf einem Hofe nicht weit von der Stadt. Reynier, der hier reiche Vorräte und eine handelnde Judenschaft fand, wählte diesen Ort zu einer Art von Waffenplatz, wo unser Hauptlazarett eingerichtet wurde und unsere Depots angelegt werden sollten. Wir brachen jedoch am folgenden Tage wieder auf und marschierten nach Rudnia, einem großen Dorfe an der Straße nach Luzk (40 km s. Brest), das von Brest nicht viel weiter entfernt ist, als von Kobryn.

Während ich, als die Truppen ihr Biwak bereiteten, mit Reynier zum Rekognoszieren geritten war, hatten einige Husaren von der Eskorte mein Quartier, d. h. die Scheune, in der ich lag, trotz meiner doppelten Schildwache geplündert. Ohne sich an diese zu kehren, ohne sich von meinen Ordonnanzen abhalten zu lassen, die sie so gut, wie die Schildwachen auf die Seite mit Gewalt gedrängt hatten, hatten sie sogar einen Sack Hafer, eine große Seltenheit in der damaligen Zeit, den ich noch von Lublin mitgebracht hatte, genommen und sich gegen die armen Einwohner die größten Gewalttätigkeiten erlaubt, alles unter dem Vorwande, daß sie für das Hauptquartier alle Vorräte mit Beschlag belegen müßten. Schon längst hatten mich der General Gablenz und der Obriste Engel mit Klagen über die Ausschreitungen der Eskorte bestürmt, die sich gegen die übrige Kavallerie ihrer Plünderungen rühmte und die gute Kriegszucht, die noch unter dieser herrschte, verdarb. Gablenz besonders beschwerte sich, daß er die Leute nicht mehr im Zaume halten könnte, weil sie sich auf das Beispiel ihrer Kameraden von der Probsthaynschen Eskorte beriefen, denen alles erlaubt wäre, und gleich diesen sich durch Plünderung bereichern oder wenigstens gute Tage machen wollten. Ich hatte denselben Morgen einen Beweis gehabt, daß Probsthayn an diesem Frevel schuldig war, indem beim Durchgang durch Brest ein Husar von der Eskorte mit blutigem Arm zu mir kam und klagte, daß sein Major ihn zweimal scharf gehauen hätte, weil er von einer Expedition, um zu brandschatzen, zurückgekommen wäre, ohne etwas mitzubringen. Bei Reynier zu klagen war vergebens, weil er niemand anhörte; und Langenau hatte mir schon öfters mit Achselzucken geantwortet, er könnte dabei nichts tun, weil Probsthayn von allen Umgebungen Reyniers unterstützt würde, übrigens wäre das auch nicht seine Sache, sondern die meinige als Chef der Kavallerie. Darin hatte er Recht, nach meiner Instruktion war ich dem König für die Kriegszucht der Kavallerie verantwortlich. Verschiedene Klagen, die deshalb schon nach Dresden gegangen waren, hatte man mir bereits mit unangenehmen Äußerungen über den Mangel an Ordnung von da her zurückgeschickt, und wenn man auch bei der Armee recht gut wußte, daß die Eskorte nicht unter meinem Befehle stand, so hatte ich doch kein Mittel, mich in Dresden zu rechtfertigen, da Langenau ausschließlich in Besitz des Rechtes war, an den König zu schreiben. Es wäre mir vielleicht noch der Ausweg übriggeblieben, mich schriftlich an Reynier zu wenden, aber ich hätte sehr ausführlich ihm Verhältnisse auseinandersetzen müssen, von denen er nichts wissen wollte, und er würde mir kurz geantwortet haben: „Die Eskorte geht Sie nichts an!“ Überdem war auch bei dem stets beweglichen Leben und dem Aufenthalt in Scheunen wenig Gelegenheit zum Schreiben. Ich entschloß mich daher, die Offiziere der Eskorte vorzunehmen und ihr Betragen ihnen scharf und ernstlich zu verweisen.

Am folgenden Morgen war Probsthayn krank und ließ sich nicht sehen. Ich rief daher den Leutnant Rechenberg, der sie in seiner Abwesenheit kommandierte, bei Seite und gab ihm meine Unzufriedenheit zu erkennen. Er antwortete ziemlich trotzig, was sie täten, geschähe auf Befehl des kommandierenden Generals, an den möchte ich mich halten. Ich sagte ihm darauf, ich wüßte sehr gut, daß Reynier ihnen die Art der Ausführung ihrer Requisitionen nicht befohlen hätte und nicht davon wüßte. Übrigens, wenn er und sein Major jetzt auf höhere Unterstützung trotzten, so möchten sie nicht vergessen, daß sie auch mir wieder würden verantwortlich sein, daß ich mich an ihr Betragen erinnern und dem König Meldung darüber machen würde, wenn wir nach Hause kämen, und daß dann ihnen eine strenge Ahndung bevorstände, die Eskadron aber, weil alle Zucht und Ordnung dabei aufgelöst wäre, untergesteckt werden müßte.

Dieses Wort war mein Verderben. Rechenberg hatte nichts eiliger zu tun, als Probsthayn von allem zu unterrichten, und dieser wußte bald an Reynier zu bringen, daß ich nicht nur Reyniers eigenes Betragen bitter getadelt hätte, sondern auch Probsthayn und Rechenberg mit meiner Rache und der Schwadron mit dem Unterstecken gedroht hätte. Langenau, dem ich auf der Stelle die ganze Sache erzählt hatte, meinte selbst, es wäre höchst nötig gewesen, den beiden Offizieren einmal den Kopf zu waschen, dennoch schwieg er, als Reynier ihm seinen Unwillen gegen mich mitteilte, und entschuldigte sich mir gegenüber damit, daß ihm die Sache nichts anginge und er sich nicht in fremde Angelegenheiten mischte. Am 31. August warnte er mich, als Freund, wie er sagte, ja nicht zu frei zu reden. Was ich neulich gegen Rechenberg geäußert hätte, wäre Reynier mit Zusätzen hinterbracht worden und dieser so aufgebracht gewesen, daß er sogleich an den König um meine Zurückberufung hätte schreiben wollen, was er, Langenau, ihm jedoch ausgeredet hätte. Auf meine Frage: „Haben Sie ihm denn nicht das wahre Verhältnis gesagt?“ geriet er in einige Verwirrung und verteidigte sich dann mit jener Ausflucht. Aber wenn er warnte, dann war allemal der Schaden geschehen, und er tat es nur, um nachher sagen zu können, er hätte gewarnt. Seit dem Kobryner Unglück lag ihm alles daran, zu verhindern, daß Reynier sich mir näherte, und dieser selbst hat mir später versichert, daß es ihm nie eingefallen wäre, meine Zurückberufung zu verlangen, daß man sich aber schon damals viel Mühe gegeben hätte, ihn dazu zu bewegen. – Daß er alles glaubte, was man ihm sagte und nichts untersuchte, lag nun einmal in seinem stets argwöhnischen Charakter und auch wohl in dem Bewußtsein, daß sein Betragen nichts weniger als tadellos war.

Wir brachen am folgenden Tage, dem 18., wieder auf. Die Österreicher marschierten auf dem Hauptdamme gegen Ratno, und wir hörten an einem dieser Tage eine heftige Kanonade bei Mokrany (48 km sö. Brest), wo die Russen eine Zeitlang standgehalten hatten, damit ihr Hauptkorps, das über Dywin marschierte, den Paß von Ratno erreichen könnte. Man behauptete, die Österreicher würden ihnen haben zuvorkommen können, wenn ihre Kavallerie nicht zu langsam marschiert wäre. Daß es Reyniers Plan war, den Feind in die Moräste von Pinsk zu werfen, scheint mir ausgemacht, auch daß es hätte gelingen können, wenn die Sachsen stark genug und besonders unsere Kavallerie nicht schon zu sehr zusammengeschmolzen gewesen wäre. Durch die Langsamkeit der Österreicher, die sich besser zu schlagen, als rasch vorzugehen wußten, gewann Tormassow Zeit, nach Volhynien zu kommen und sich seinen Unterstützungen zu nähern.

Wir durchschnitten die Gegend zwischen dem Bug und der Hauptstraße, die I. Division noch auf leidlichen Dämmen, die meinige aber auf einem Wege, der durch lauter waldigte Moräste führte, wo man oft zu Pferde nicht durchzukommen wußte. Reynier kam selbst und schickte mir ein Kommando Sappeure, um durch umgehauene Baumstämme die Löcher zum Übergang der Kanonen auszufüllen. Wir brachten auf einem Marsche von etwa 7 Stunden den ganzen Tag zu und lagerten uns die Nacht bei einem mitten im Sumpfe gelegenen Dorfe Maloruta (45 km sö. Brest, heute an der Bahn Brest-Kowel). Reynier stand in Zburaz (9 km w. Maloruta). Am 19. nahm er sein Quartier in Oltusz (75 km sw. Maloruta) bei meiner Division. In diesem Dorfe war ein schöner Garten, in dem ich mir einige Melonen kaufte; sobald aber das Hauptquartier angekommen war, durfte der Gärtner auch für Geld nichts mehr weggeben. Auf dem Vorwerke wurden gegen 30 Pferde für den Train weggenommen.

Reynier hielt sich in diesen Gegenden nicht für sicher, er sah in jedem Vorübergehenden einen Spion und war sehr unzufrieden, daß ich einen vornehmen Juden, der mir bei Maloruta gute Nachrichten gegeben und den ganzen Anschein eines rechtlichen Mannes hatte, weiterzugehen erlaubte. Wir hielten alle Menschen an, mußten Kommandos geben, sie in den Biwaks zu bewachen, gaben ihnen nichts zu essen und mußten sie entweder laufen lassen oder sie entwichen von selbst, nachdem wir sie viele Tage herumgeschleppt hatten, ohne von ihnen etwas erfahren zu haben. Oft hatten wir bei jeder Division mehr als 20 solcher Unglücklichen, die nun von dem Generalauditeur, der kein Polnisch konnte, mit aller gemächlichen Weitläufigkeit verhört wurden, ohne daß weiter etwas dabei herauskam, als daß viel Papier beschrieben wurde. Wo es mir möglich war, ließ ich diese Menschen gehen oder schloß die Augen, wenn sie entwischten.

Am 20. rückte das Korps bei Szack (22 km s. Oltusz) in Biwaks auf zwei Seiten des beinahe eine Meile langen Dorfes, das an einem großen See und mitten in weitläufigen Morästen, doch aber in einer fruchtbaren Gegend lag. Für Reynier war ein Quartier an dem südlichen Ende des Dorfes in einem Rittergute gemacht worden, er wagte es aber nicht zu beziehen, weil nichts als die Avantgarde vor uns stand, und blieb in einer Scheune am vordersten Eingange des Dorfes. Auf einer Anhöhe mitten im Orte, der einen von Ratno nach unserer linken Flanke führenden Damm bestrich, wurden zwei Kanonen aufgefahren, ein Bataillon zur Unterstützung der Avantgarde vorgeschoben und das ganze Dorf zu einer militärischen Position gemacht.

Die Ulaneneskadron unter Seydlitz wurde nebst einem Kommando Infanterie nach dem Bug zu detachiert, teils uns zu decken, teils auch um Pferde und einen in einem Waldhause niedergelegten reichen Vorrat von Getreide, Mehl und Branntwein wegzunehmen. Aus Reyniers Vorsichtsmaßregeln erhellte, daß die Österreicher noch immer nicht in Ratno angelangt waren. Indem er aber hier diesem Posten in die Flanke ging, bewog er die Russen, ihn zu verlassen, und daß dies geschehen wäre, schloß ich aus dem Umstande, daß er am folgenden Tage das Quartier am andern Ende des Dorfes bezog. Man konnte dies übrigens nur schließen, denn niemand erfuhr etwas von der Lage der Dinge, und Lecoq war darüber so wenig unterrichtet, wie ich. Die Mitglieder des Generalstabes gaben sich wichtige Mienen, aber sie wußten auch nichts, selbst Langenau, der doch noch das meiste erfuhr, war auch oft völlig unwissend. Gewiß ist es zu loben, daß Reynier das Geheimnis so streng bewahrte und alles selbst anordnete, aber wir wären verloren gewesen, wenn ihn ein Unfall betroffen hätte, und Unrecht war es, daß er auch dann keine Notizen gab, wenn man von ihm getrennt nach eigener Einsicht handeln und für seine Anordnungen verantwortlich sein sollte.

Wir blieben den 21. und 22. in Szack stehen. Unter der Infanterie wütete die Ruhr und bei der wiedereingetretenen starken Hitze in dem sumpfigen Lande vermehrte sich die Zahl unserer Kranken täglich. Unser Stillstand hing teils von den langsamen Bewegungen der Österreicher ab, teils benutzten auch das Generalkommando und die Intendanz die Gelegenheit, das Land, soweit sie reichen konnten, zu brandschatzen. Es wurden besonders überall die Pferde weggenommen. Die Gegend, wo wir standen, hatte zu der alten Woywodschaft Cholm gehört, sie war gut angebaut, auch ziemlich bevölkert. Auf den Gütern standen leidliche, nur ein Geschoß hohe, hölzerne Häuser; in dem Dorfe Szack waren drei solche Güter. Auch die Pfarrer hatten nach polnischer Art menschliche Wohnungen, die Bauernhäuser glichen freilich den Schweineställen, aber desto schöner waren die Scheunen, die gewöhnlich einen kleinen, mit einem äußeren Tor versehenen, bedeckten Vorplatz hatten, von dem ein zweites Tor zu der Tenne führte, an deren beiden Seiten die Behälter für die Garben waren. In der Tenne lief an der Seite hin eine Erhöhung, etwa 1½ Elle hoch, unten mit Lehm ausgeführt, oben mit Bohlen gedeckt, die uns zum Tische diente. Alles war ebenso reinlich, wie die Häuser schmutzig waren. Wir wohnten daher gern in den Scheunen. In ihrem Vorplatz verwahrten die Bauern in großen Fässern ihre Vorräte aller Art.

Reynier schickte von hier aus alle Ingenieure und Offiziere, die etwas zeichnen konnten, aus, um die Gegend aufzunehmen, eine Vorsicht, die uns später von dem größten Nutzen war, besonders, da von allen diesen Ländern keine Situationskarte vorhanden war. Er ließ, so oft ein Augenblick Muße war, diese Aufnahmen in ein Ganzes zeichnen, das ich gesehen habe und das eine treffliche Karte von den Ufern des Bug von Brest bis oberhalb Wladimir in einer Breite von 10–16 Meilen würde gegeben haben, wenn dieses nicht alles bei der Plünderung seiner Equipage in Leipzig zerrissen und verlorengegangen wäre.

Am 23. August brach er mit der 1. Division auf; ich begleitete ihn eine Strecke und sollte ihm den andern Tag folgen. Die Division des Generals Frimont ging denselben Weg, und um Mittag erhielt auch ich den Befehl, auf einem vorgeschriebenen Nebenweg abzumarschieren und vor Luboml seine Befehle zu erwarten. Ich kam nach einem beschwerlichen Marsche durch sumpfige Gegenden dort spät in der Nacht an (Luboml 33 km s. Szack, 40 km ö. Cholm). Die I. Division biwakierte so, daß sie in einiger Entfernung die Stadt und einen morastigen Bach vor sich hatte, die meinige auf der Seite des Orts gegen den Feind, ganz nahe an den letzten Häusern, das Bataillon Spiegel auf dem Marktplatze. Reynier lag in dem sehr schönen, weitläufigen Schlosse, Lecoq auf einem Hofe und ich in den recht anständigen Wirtschaftsgebäuden des Schlosses. Bei Szack war das von Kobryn aus detachierte und durch die aus Kobryn Geretteten verstärkte Bataillon Bose zu mir gestoßen, das aus den Regimentern König und Niesemeuschel zusammengesetzt und 800 Mann stark war.

Reyniers Pferde hatten die schönen und geräumigen Ställe hinter meinem Quartier eingenommen. Ich fand einen Schuppen, in den ich die meinigen wollte ziehen lassen, da es zu regnen angefangen hatte. Es standen einige schlechte Bauernpferde darin, die ich hinausführen ließ, als plötzlich ein Kutscher von Reynier, ein Deutscher, der vorher bei dem General Gutschmid gedient hatte, herzueilte und mir ankündigte, diese Pferde gehörten dem General Reynier und könnten, sollten den meinigen nicht Platz machen. Als ich darauf bestand, weil es bloß von den Dienern geraubte Bauernpferde waren, war der Kerl so unverschämt, mir nicht nur zu drohen, sondern sogar den Ausdruck zu gebrauchen, ich diente dem General Reynier so gut, wie er. Meine Pferde blieben nun in dem nicht verschlossenen Hofe im Regen, und meine Leute mußten sie bewachen. Der Kutscher wurde, weil ich mich bei Charlet beschwerte, 24 Stunden auf die Wache gesetzt. Unverschämtheiten dieser Art waren etwas Gewöhnliches.

Gefecht bei Luboml

Die Russen hatten sich vom Pripjet an die Turja zurückgezogen, ihr Hauptquartier war in Kowel. Die Österreicher folgten ihnen langsam auf der großen Straße. Vor unserer Front hielten feindliche Parteien die Gegend bis an den Bug besetzt. Die Avantgarde stand nur ein paar tausend Schritte von meiner Division entfernt und beobachtete die Straßen nach Dubienka, nach Turyjsk (20 km sw. Kowel) und nach Kowel. Langenau selbst hatte die Feldwachen ausgesetzt. Die Stadt lag in einer sumpfigen Ebene, die Hauptstraßen waren Dämme, aber man konnte an vielen Stellen auch über Felder und Wiesen durch die Moräste kommen. Einige tausend Schritte vorwärts erhob sich der Boden in sandigen Anhöhen, die stufenweise immer wieder breite Flächen bildeten, von denen immer die entferntere die nähere beherrschte, und die nach der Stadt zu mit einzelnen Büschen, weiterhin aber mit dichtem Walde bedeckt waren. Unsere Stellung auf der gegen Kowel gerichteten Seite der Stadt war daher sehr gewagt, weil man aus der Tiefe nur den Rand der höherliegenden Fläche, nicht aber die Fläche selbst übersehen konnte, und wenn man den ersten Rand erstiegen hatte, wieder durch die zweite Erhöhung gehindert wurde, die folgende Fläche zu übersehen. Die Feinde hingegen konnten in dem Walde unbemerkt uns überschauen und auch mit einem starken Korps, ohne von uns entdeckt zu werden, bis auf die erste, uns unmittelbar beherrschende Fläche herabkommen. Reynier hatte daher auch vorsichtig die erste Division hinter der Stadt gelassen, die zweite aber zur Unterstützung der Avantgarde auf die andere Seite vorrücken lassen. Bei dem Aussetzen der Feldwachen stellte Langenau einen Kavallerieposten bei einem Wirtshause auf, das an der Straße nach Kowel auf dem ersten Absatze der sich übereinander erhebenden Flächen lag. Die Erinnerung der Offiziere, daß dieser Posten durch den Busch umgangen werden könnte und entweder mit gehöriger Unterstützung bis auf den zweiten Absatz vorgeschoben oder noch besser zurückgezogen werden müßte und die Gegend nur durch fleißiges Patrouillieren beobachten könnte, verwarf er mit Härte. Es war eine seltsame Schwachheit an ihm, daß er, in seinem 30. Jahre bis zum General gestiegen, den Haß noch nicht überwinden konnte, den er in seinem Fähnrichsleben gegen die Kavallerieleutnante gefaßt hatte. Seine gewöhnliche Antwort bei irgendeinem Einwurfe, wenn er die Kavallerie auch nur von ferne betraf, war; „Die Herren wollen überall etwas voraushaben und sich keine Beschwerden gefallen lassen“. Mir warf er beständig vor, ich wolle lieber die Kavallerie in Baumwolle packen und in Sänften tragen lassen. So nahm er es auch bei dieser Gelegenheit sehr übel, daß man seine Aufstellung der Posten meistern wollte und befahl kurzweg, daß die Feldwache da und nirgends anders stehen sollte, und setzte in Person die Vedetten aus mit Androhung strenger Ahndung, wenn irgend etwas an dieser Einrichtung geändert würde.

Mir wurde gleich am Morgen diese Aufstellung hinterbracht, und da ich eben zu Langenau ging, sprach ich darüber mit ihm. Er hatte sich in der Nacht besonnen, versicherte aber, er hätte bereits Befehl gegeben, diesen Posten ansehnlich zu verstärken und ihn durch ein seitwärts gestelltes Infanteriepikett zu unterstützen. Da ich nicht an Ort und Stelle gewesen war, und überhaupt kein Recht hatte, mich in die Aufstellung der Avantgarde zu mischen, so mußte ich mich damit begnügen. Kaum war ich aber in meinem Quartier, so kam die Nachricht, daß der Posten überfallen und teils niedergehauen, teils aufgehoben wäre. Wir hatten dabei über 40 Mann und Pferde eingebüßt. Das Infanteriepikett konnte dabei der Feldwacht nicht zu Hilfe kommen, weil es viel zu weit seitwärts gestanden und Mühe gehabt hatte, sich durch die Büsche selbst zu retten. Mir konnte die Anzahl der Verlorenen nicht verschwiegen werden, obgleich Gablenz sie aus Gefälligkeit für Langenau nur auf 11 Mann angab. Mehr durfte auch Reynier nicht erfahren. Aber daß ich darum wußte und Langenau, freilich zu spät, gewarnt hatte, war in seinen Augen ein neuer Grund, mich auf die Seite zu schaffen.

Am Mittag kamen die Feinde, die uns hinlänglich beobachtet hatten, wieder und griffen die Avantgarde nachdrücklich an. Gablenz schickte Boten über Boten, aber Reynier war auf das Dach des Schlosses gestiegen, wo er sich am besten Umsehen konnte, und ließ ihm sagen, er sollte sich, solange er könnte, halten. Mir aber schickte er Befehl, mit meiner Division, die ich hatte unter das Gewehr treten lassen, mich bereit zu halten, bis er selbst kommen würde. Die Batterie mußte ich auf einem Kirchhofe hart an der Stadt, der die Gegend bis an die Anhöhen bestrich, aufstellen.

Gabienzens reitende Batterie stand bei einer Brücke, wo die nach Turyjsk und Dubienka führenden Straßen sich teilen, etwa 3000 Schritte vorwärts von mir. Zwei Kanonen waren auf der ersten Straße eine Ecke vorgegangen und feuerten auf den Feind, der von den Anhöhen zu debouchieren drohte. Es zeigten sich zu gleicher Zeit einzelne Trupps vor unserer rechten Flanke gegen Dubienka zu, und aus unserer Vertiefung ließ sich nicht recht beurteilen, welcher Angriff eigentlich der nachdrücklichere werden würde. Die Russen schossen bald auch mit Kanonen auf uns, doch ohne Schaden zu tun, aber in unserer linken Flanke erhob sich eine heftige Kanonade zwischen den Russen und den Österreichern. Das Tiraillieren auf unserer Seite dauerte mehrere Stunden, doch war immer nur die Avantgarde im Gefecht. Meine Division stand noch müßig unter dem Gewehr. Ich hielt auf dem Kirchhofe neben der Batterie, wo man die ganze Ebene übersehen konnte. Ich sah, daß Gablenz in großer Verlegenheit auf dem Straßendamme hin und her ritt und einmal über das andere an Reynier um Unterstützung schickte. Dieser stand fortdauernd mit dem Fernglase in der Hand auf dem höchsten Boden des Schlosses, doch hatte er aus Vorsicht die Equipage aus der Stadt geschickt. Sein ganzes Betragen war klug darauf berechnet, Eindruck auf die Truppen zu machen und verfehlte auch seinen Zweck nicht.

Die Russen entwickelten immer mehr Massen, aber nicht mit dem Nachdruck, den sie ihren Angriffen hätten geben können. Desto lebhafter war das Feuer auf der Seite der Österreicher und schon so nahe, daß wir nicht nur den Schuß, sondern auch das Sausen der Kugeln hörten. Gegen 5 Uhr abends waren die Feinde Meister des ganzen Kammes der Anhöhen, und die Avantgarde wurde immer stärker gedrängt. Da kam Reynier mit seinem ganzen Gefolge geritten. Er befahl sofort, daß die Hälfte meiner Batterie bis zu der Brücke am Scheidewege, wo die reitende stand, Vorgehen, das Bataillon Anger ihr zur Unterstützung folgen und das Bataillon Bose als Reserve auf dem Biwakplatze bleiben sollte. Die leichte Infanterie ging zu gleicher Zeit über die Felder nach der Gegend zu, wo unsere Feldwache aufgehoben worden war. Reynier selbst nahm auch diesen Weg. Ich hatte die vorgehenden Kanonen begleitet und war nachher mit der reitenden Batterie geritten. Da Reynier dieser Befehl schickte, zu ihm zu stoßen, ritt ich auch mit und fragte, wo ich bleiben sollte, weil meine Division in Bataillone zerstückelt worden war. Langenau meinte, bei dem kommandierenden General, was auch meine Ansicht war. Reynier antwortete seiner Gewohnheit nach gar nichts; als er aber kurz nachher sah, daß der General Sahr unter den Plänklern des Bataillons Anger umherritt, schickte er einen Adjutanten hin und ließ ihm sagen, dort wäre kein Platz für einen General, er sollte zu ihm kommen. Auf eine andere Weise äußerte er seine Meinung nicht, wenn man bei ihm anfragte.

Wir ritten nun hinter der Linie der Tirailleurs auf der Straße nach Kowel vorwärts, die reitende Batterie hinter uns, die zuweilen vorrückte, um zu feuern. Die Russen beschossen uns, doch, wie es schien, nur aus 4 oder 8 Kanonen und ohne Erfolg. Auch meine halbe Batterie auf der Straße nach Turyjsk feuerte. Die Kugeln der feindlichen Tirailleure, unter denen wir heute zuerst Jäger bemerkten, reichten bis zu uns. Es begann schon zu dämmern, das Feuer auf der Seite der Österreicher wurde allmählich schwächer und unsere Kavallerie, die sich hinter uns wieder gesammelt hatte, kam wieder vor. Da befahl Reynier, die reitende Batterie sollte auf dem Felde aufmarschieren und dreimal mit kurzen Zwischenräumen ihre 6 Stücke abfeuern, „damit sie sehen, daß wir 6 Stücke haben“, und nachher sollten die Husaren die Schwarmattacke machen. Was er gedacht, erfolgte. Die Feinde zogen sich eilig auf allen Punkten zurück, und unsere Kavallerie folgte. Wir gingen bis auf das dritte Plateau vor der Schänke, wo unsere Feldwache gestanden hatte, und nur noch einzelne Plänklerschüsse fielen. Es war schon dunkel und wir über die Plänkler hinaus. Langenau sagte zu Reynier: „Sie haben einem Brigadegeneral verwiesen, daß er zu den Tirailleuren reitet, und der General en Chef reitet bis vor die Husarenplänkler!“ Reynier lachte und kehrte um.

Die Feldwache wurde nun nicht wieder an die Schänke, sondern in gehöriger Entfernung aufgestellt, und die gemeinen Soldaten sagten überall: „Das wußten wir wohl. Sobald Reynier kam, mußten die Feinde weichen.“

Auch bei der I. Division, die ihren Biwakplatz nicht verlassen und dem ganzen Gefecht aus der Ferne zugesehen hatte, war dies die allgemeine Sage. Er hatte sich klug für den entscheidenden Augenblick aufzusparen gewußt, und der Erfolg dieses an sich unbedeutenden Gefechtes, in dem wir kaum soviel verloren, wie die am Morgen ausgehobene Feldwache, gab den Soldaten ein unbegrenztes Vertrauen zu dem Führer. Seine Berechnung, daß die Hauptabsicht der Feinde auf die von Rutno über Wyzwa (30 km nw. Kowel) gegen Maciejow (25 km w. Kowel) vordringenden Österreicher gerichtet sei und sie uns nur durch einen Angriff beschäftigen würden, war richtig zugetroffen. Bei den Österreichern war ziemlich lebhaft gefochten worden, auch der Verlust nicht unbeträchtlich gewesen.

Die Russen ließen uns nun am 26. und 27. in Ruhe. Diese beiden Tage wurden angewendet, das Städtchen und das Schloß auszuleeren. Ich erinnere mich nicht mehr, welcher polnischen Familie Luboml gehörte. Das Schloß ist groß, in einem schönen Stile erbaut und auch gut erhalten. Die Zimmer, die Reynier und sein Gefolge bewohnten, waren prächtig und mit allem Hausrat wohl versehen. Der Ort ist weitläufig, hat mitunter hübsche Häuser, und besonders, was uns lange nicht vorgekommen war, viel Obst- und Gemüsegärten. Es wohnten verschiedene Deutsche, auch Franzosen und Italiener hier, deren Häuser sehr anständig aussahen. Der ziemlich lebhafte Handel war, wie gewöhnlich, in den Händen der Juden. Ein Pole, der ziemlich abenteuerlich aussah, nannte sich Platzkommandant. Ich schickte aus, um einzukaufen, konnte aber für Geld durchaus nichts bekommen. Ich ging nun selbst und begegnete dem Platzkommandanten, bei dem ich mich darüber beschwerte. Er antwortete, es sei aller Handel auf das strengste verboten, weil alles geliefert werden müßte. Ich erwiderte, das könnte nicht wahr sein, weil nichts geliefert worden wäre. Er zeigte auf einen Träger, der eben einige Pfund Kaffee und Zucker zu Lecoq tragen sollte.

„Wenn das ist“, sagte ich, „und wenn man um sein Geld nichts kaufen kann, so verlange ich, daß mir auch geliefert werde.“ Er schickte mir darauf 6 Pfund Zucker und ebensoviel Kaffee, was ich auf der Stelle mit meinen Adjoints teilte. Eine Stunde später kam der sächsische Platzkommandant, Major Smolynski, zu mir und zeigte mir ein Billet von Gressot, worin dieser ihm meine eigenmächtige Requisition, als hätte er sie gemacht, in unhöflichen Worten vorwarf. Ich packte sogleich das Geld dazu und schrieb darunter, daß ich die Waren empfangen hätte und nichts anderes verlangte, als sie zu bezahlen, daß aber auch der Verkauf erlaubt sein müsse. Weil ich die unhöflichen Ausdrücke des Billets ernsthaft gerügt hatte, entschuldigte sich Gressot, wollte das Geld nicht nehmen und versicherte, wenn er gewußt hätte, daß ich es wäre, würde er kein Wort gesagt haben.

Dieses nannte man Requisitionen, und zu gleicher Zeit nahm man den Juden allen Kaffee, Zucker, Reis, Rum, Wachslichter, die sie hatten, für die Intendanz und die Hospitäler, die aber nie etwas davon bekamen. Bei Reyniers Kammerdiener waren die Wachslichter um einen geringen Preis zu haben; mir zwar wollte er keine verkaufen, aber ich erhielt einen Vorrat durch den Hauptmann Könneritz vom Bataillon Spiegel, gegen den er weniger vorsichtig war. Alle Vorräte des Schlosses, über 80 neue Matratzen, Tafelgerät und was sich nur fortbringen ließ, wurde eingepackt. Langenau nahm unter anderem ein schönes großes Zelt mit, von dem er fast nie hat Gebrauch machen können, und eine Menge eingemachte Früchte, an denen es ihm nie fehlen durfte, denn er war nach Süßigkeiten so begierig wie ein Kind.

Turyjsk

Am 28. brachen wir auf, ich blieb die Nacht in Targowiszcze (22 km w. Kowel) und rückte den 29. in Turyjsk ein. Dieser Ort liegt an dem linken Ufer der Turja, die hier einen Bogen macht und ihn auf zwei Seiten umgibt und zugleich eine Reihe morastiger Teiche bildet. Das Städtchen ist klein. Die beiden Divisionen biwakierten, so daß sie den Ort vor sich hatten, an beiden Seiten der Straße.

Reynier nahm sein Quartier in der Probstei, mitten in der Stadt, Lecoq in einem Vorwerke an der Straße nach Kowel, das jetzt von den Österreichern besetzt war. Mir wurde freigestellt, mich in das sogenannte Schloß zu legen, ein ziemlich verfallenes Gebäude, wo der Wirtschafter des Grafen Mosczinsky, des Besitzers dieser reichen Güter, wohnte.

Die Turja bildet hier auf der Seite des Feindes eine Insel, die durch die Wirtschaftsgebäude eingenommen wurde und zu denen man nur auf zwei Brücken, die nach den Straßen von Kowel und von Luck führten, und über einen wohl 500 Schritte langen Steg über den Teich und einen Morast nach dem Städtchen kommen konnte. Die Russen hatten die Brücken abgebrannt, und meine Pferde mußten am Ufer solange warten, bis die Übergänge wieder hergestellt waren. Zwei Kompagnien vom Bataillon Spiegel besetzten den Hof. Ein Arm der Turja ging durch den Teich, ein anderer durchschnitt etwa 200 Schritte vor dem Hofe den nach Luck führenden Damm, der auf beiden Seiten mit Bäumen besetzt war, und wo die Feinde versäumt hatten, die Brücke abzubrechen, weil unsere Avantgarde ihnen rasch nachgekommen war.

Unsere Biwaks standen rückwärts auf einer sandigen Anhöhe, die das Städtchen und die vor ihm liegende Ebene beherrschte. Unsere Avantgarde, mit der sich die Ulaneneskadron bei Luboml wieder vereinigt hatte, stand teils in unserer rechten Flanke, teils eine halbe Stunde vor Turyjsk jenseits der Dämme. Die Russen hatten sich hinter den Styr zurückgezogen und bei Luck eine von Natur durch den Strom und die nur auf Dämmen zu überschreitenden Moräste unangreifbare und durch Kunst noch mehr befestigte Stellung eingenommen.

Wir blieben vom 29. August bis 4. September in Turyjsk, und hier war es, wo die Pferde der Gefangenen verauktioniert wurden, und wo Langenau mich freundschaftlich warnte. Der Hauptmann Watzdorf kam als Major aus Dresden zurück und überbrachte für die Schlacht von Podubbno dem General Lecoq das Kommandeurkreuz und dem General Sahr das kleine Kreuz des Heinrichsordens. Da Lecoq wenigstens dem Namen nach das Ganze kommandiert hatte, so konnte diese Auszeichnung nicht auffallen, obgleich er bei der Schlacht selbst müßig gewesen und überhaupt die ganze I. Division noch nicht im Feuer gewesen war. Der General Sahr hatte das Kreuz durch seine Tapferkeit längst, und namentlich im Jahre 1806 bei Schleiz verdient, die übrigen Dekorationen sollten nachfolgen.

Reynier beschenkte den General Lecoq mit einer Karte von Rußland, mit Langenau war die Freundschaft hergestellt, nur gegen mich wurde Lecoqs Freundschaft täglich kälter. Er nahm es mir übel, daß die Kavallerie in Angelegenheiten des inneren Dienstes noch unter mir stand, obgleich ich äußerst vorsichtig war, auch darin nichts ohne Meldung an ihn vorzunehmen, und auch gern das Titularkommando an ihn abgetreten hätte, da nur die unangenehmen Gegenstände an mich kamen, übrigens aber der General Gablenz alle Vorteile und alle Ehre von der Führung der Avantgarde hatte. Was aber Lecoq mir, besonders seit er den Orden trug, durchaus nicht verzeihen konnte, war, daß die II. Division sich nun dreimal geschlagen, die I. aber noch gar nicht ins Feuer gekommen war. Dafür konnte ich jedoch nicht, und es lag auch ganz in den Verhältnissen, daß Reynier die Division Lecoq, die noch ein Ganzes ausmachte, auf alle Weise zu schonen suchte und die meinige, nachdem sie durch das Unglück bei Kobryn einmal zerrissen war, nun auch bei jeder Gelegenheit brauchte. Wie wenig man übrigens die Absicht hatte, mir das, was ich dabei konnte geleistet haben, anzurechnen, sah ich aus dem Plan der Schlacht von Poddubno, der mir bei Langenau zu Gesicht kam. Man hatte dabei meine Division bloß mit der Bezeichnung „Brigade Sahr“ angedeutet. Ich bezeigte ihm meine Verwunderung darüber, er antwortete mir, es wäre ein bloßer Irrtum des Zeichners. Nachdem ich aber den Bericht in der Leipziger Zeitung gelesen hatte, wo gleichfalls nur von der Brigade Sahr die Rede war und mein Name gar nicht genannt wurde, fragte ich ihn, ob das auch ein Irrtum des Zeichners wäre, und ob er sich nicht erinnere, mir vor dem Tage von Kobryn gesagt zu haben, das Kommando der von der Brigade unabhängigen Batterie bezeichnete den Posten des Divisionskommandeurs? und ob er vergessen hätte, daß die Schlacht sehr übel abgelaufen sein würde, wenn ich den General Sahr hätte in den Sumpf rennen lassen? Und ob sie auf meinem Flügel nicht durch die Formierung der Vierecke, durch die von mir vorgeführten zwei Kompagnien leichter Infanterie und durch das wohlangebrachte Feuer des Kapitän Sonntag gewonnen wäre?

Er gab dies alles zu, versicherte aber, er sei an der Fertigung des Zeitungsartikels nicht schuld. Dieser sei allein von dem Minister Senfft und dem General Gersdorf besorgt worden; er gäbe mir aber sein Wort, daß bei der nächsten Gelegenheit dieser Fehler gutgemacht werden sollte.

Unsere Kranken mehrten sich täglich. Der Herrenhof, wo ich lag, wurde zum Hospital gemacht, so daß ich mit meinen Umgebungen mich sehr einschränken mußte. Es war ein trauriger Anblick, die Ruhrkranken auf ihrem ärmlichen Strohlager in den glühendheißen leeren Zimmern zu sehen und zugleich die Klagen über den Mangel an Lebensmittel zu hören. Es fehlte übrigens hier nicht an Hilfsmitteln. Der Intendant hatte seine Niederlage gleichfalls auf dem Herrenhofe eingerichtet und vor meinem Zimmer eine Schildwache aufgestellt, um die gegenüberliegende Küche zu beobachten, die er zur Fleischkammer gemacht hatte. Ich verbat mir jedoch ernstlich diese Insolenz, innerhalb meiner Schildwachten, die vor dem Hause standen, ohne Anfrage einen Posten aufzustellen und mir die Küche zu nehmen, in der für mich und meinen Generalstab gekocht wurde, den Geruch des Fleisches, das er zum Teil verderben ließ, nicht gerechnet. Täglich kam der Intendant zu dem Wirtschafter, ließ sich auf das beste bewirten, indem er zugleich die Keckheit hatte, zu verbieten, daß mir etwas geliefert würde. Er nahm den Weinkeller und alle Vorräte des Hauses in Beschlag und zwang den Wirtschafter, alle Pferde eines herrlichen Gestüts, die man vorher weggeschickt hatte, holen zu lassen. Es waren 19 ganz vorzügliche, noch junge Pferde von der edelsten ukrainischen Rasse dabei, zum Teil zur Zucht bestimmte Hengste, die Reynier, Langenau und Ryßel nahmen. Einige wurden zum Geschenk für den General Gersdorf nach Sachsen geschickt. Langenau hatte unterdessen für sich einen Schimmelhengst genommen, der in Leipzig gern mit 300 Dukaten würde bezahlt worden sein. Weil ich die Pferde in dem Hofe lange besehen hatte, fand er für gut, mir zu erzählen, er hätte einen äußerst vorteilhaften Handel gemacht und dieses Pferd für 100 Taler gekauft. Natürlich wurde kein Groschen bezahlt, auch blieb es bei der ersten Kuppel nicht, es wurden noch zwei andere geholt und gegen 50 treffliche, keineswegs für die Artillerie bestimmte Pferde genommen. Auch Rindvieh mußte in großen Mengen geliefert, oder wie Langenau behauptete, erkauft werden. Dem Könige wurden allerdings diese Ankäufe in Rechnung gebracht, aber das sonderbarste war, daß alles gleich wieder verschwand. Wir bekamen nie gutes Fleisch geliefert, die meiste Zeit gar keins, so daß wir uns selbst nehmen mußten, was wir brauchten. Auch auf Reyniers Tafel war es meistens schlecht. Es wurde alles zu den Depots des Trains geschickt und an Juden verkauft.

Man hatte in Turyjsk eine Bäckerei eingerichtet, und in 5 Tagen wäre es wohl möglich gewesen, ordentliches Brot zu backen. Trotzdem war es so schlecht, daß Sahr mir am Tage des Abmarsches einige Stücken zur Probe brachte und gegründete bittere Klagen darüber führte. Es war nicht einmal ein Teig, sondern ein bloßer Brei, in dem man mit den Fingern durchgriff und sich beschmutzte. Ich gab es Reynier; er antwortete nichts, rief Langenau und – es blieb alles beim alten.

Am 5. September früh marschierten wir weiter. Reynier mit der I. Division über ein schönes Schloß des Grafen Mosczinsky, der als verdächtig arretiert und nach Kiew gebracht worden war, ich mit der II. mehr seitwärts. (Ich weiß nicht gewiß, ob dieses nicht schon auf dem Marsche am 28. August nach Targowiszcze war, ich glaube es fast.) Unterwegs hielt ich bei einem Gut an, das einem Pan Ronniker gehörte, dem Schwiegersohn meines alten Wirtes in Grabow. Hier fand ich den General Gablenz, der die Avantgarde hatte vorausgehen lassen, noch bei Tische und etwas betreten, daß ich ihm so geschwind gefolgt war. Bei einem Walde in der Nähe eines Dorfes Czernewka erhielt ich Befehl, eine Position auszusuchen. Ich nahm sie auf einer Anhöhe, das Dorf vor der Front und legte mich selbst in das Herrenhaus in dem gleich an Czernewka anstoßenden Dorfe Makowa. Das Hauptquartier ging nach dem Flecken Kisjelin, etwa eine Stunde von Mokewice entfernt. Bei Kisjelin biwakierte die I. Division, die Avantgarde wurde eine Meile vorgeschoben nach Torczyn an der großen Straße von Luck nach Wladimir Wolynsk. (Etwa 7 Stunde ö. Kisjelin liegt ein Ort Makowa, Makowicze liegt etwa 10 km nw., also hinter Kisjelin, kann also hier nicht in Frage kommen. Torczyn liegt 16 km sö. Kisjelin.) An diesem Orte bildete sich ein Korps von ungefähr 2000 Insurgenten, denen es aber noch an Waffen fehlte, doch hatten sie einige Kanonen.

In unserer linken Flanke standen die Österreicher in der Gegend von Swidniki und Rusino. (Swidniki halbwegs zwischen Kowel und Luck, Rusino, vielleicht Dorosino, 13 km sw. Swidniki.) Der Styr trennte uns von unsern Feinden, denen die wohlbesetzte und verschanzte Stadt Luck zum Brückenkopf diente. Sie konnten von dort aus, wie sie wollten, auf dem linken Ufer des breiten und durch morastige Ufer unzugänglichen Flusses uns beunruhigen, ohne daß es uns möglich war, auf das rechte Ufer zu ihnen zu kommen. Wir hatten von hier aus nur 7–8 Meilen nach Brody und etwa 30 Meilen nach Choczym und Kaminiecz. Einige Auditeure und andere nicht unter den Waffen stehende Personen benutzten daher die Gelegenheit, nach Brody zu reisen und wohlfeil eingekaufte Vorräte mitzubringen. Auch ein großer Teil von der Intendanz requirierter Güter ging diesen Weg.

Da wir hier bis zum 23., also 18 Tage ruhigstanden, benutzte jeder die Zeit, wie er konnte. Meine Division wendete sie an, ihr Biwak zu einem Lustlager umzuschaffen. Die Ernte war vorbei, es fehlte nicht an Stroh, und der Wald war nahe. Es wurden die Gassen nach der Schnur abgesteckt, bequeme und warme Hütten gebaut, vor der Front bedeckte Gewehrbaracken, hinter ihr Ställe für die Pferde. Die Offiziere bekamen nach ihrem Range größere Hütten, die Stabsoffiziere und Kommandanten kleine Strohhäuser. Geschickte Arbeiter wußten das Stroh kunstgemäß zu flechten und machten Türen und Fensterläden, die sich freilich nicht in Haspen drehten, sondern weggehoben werden mußten, aber doch ihren Zweck gut erfüllten. Da die Jahreszeit rauh zu werden anfing, wurden auch Kamine von Erde und Lehm in den Hütten angelegt. Gräben wurden gezogen, um das Wasser abzuführen, und Alleen von großen Bäumen gepflanzt. Jedes Bataillon hatte eine andere Baumart gewählt, und so entstanden Alleen von Birken, Tannen, Ebereschen usw., unter denen besonders die letzteren sich mit ihren roten Beeren gut ausnahmen. Aber der Luxus ging noch weiter. Man legte nun auch einen Park an; Spazierwege, die sich künstlich schlängelten, auf eine malerische Aussicht oder auf Ruhebänke ausgingen, kleine Brücken mit hohem Bogen und zierlichem Geländer mit Gatterwerk, wozu das weiße Holz der Birken angewendet wurde. Zuletzt baute man auch noch einen Saal zur Ressource, eine weite, geräumige Hütte, in welcher 60 Personen sitzen konnten, mit Schachund Spieltischen und zwei Kaminen. Der Witz der Soldaten zeigte sich in den Namen der Straßen, die sie angeschlagen hatten, und der aushängenden Handwerksschilder. Da gab es Damenschneider, marchands de modes, eine Consistorialstraße pp. Ich munterte die Leute zu diesen Beschäftigungen auf, die sie munter und gesund erhielten und vom Spiel und allen üblen Folgen des Müßiggangs ablenkten. Es wurden dabei auch militärische Übungen nicht versäumt, und der Rest unseres glänzenden Biwaks zog nicht nur von der 1. Division und der Avantgarde eine Menge Offiziere her, die es bewunderten, sondern auch die wenigen in der Nachbarschaft gebliebenen Vornehmen und selbst die stumpfen Bauern der Gegend, die uns Lebensmittel zum Verkauf brachten.

An diesen, besonders an Brot, fing es bald an zu mangeln, weil die Intendanz gleich anfangs die Vorräte an Korn und Mehl weggenommen hatte, und die Besitzer keine Arbeiter zum Dreschen bekommen konnten, denn die meisten Bauern hatten sich in die Wälder geflüchtet. Ich machte nun Anstalt, durch Soldaten dreschen zu lassen, und weil ich streng darauf hielt, daß keine Garben, sondern nur ausgedroschene Garben zu den Hütten genommen werden durften, so begriffen die Eigentümer selbst, daß sie bei dem Dreschen nur halb so viel einbüßten, wie bei dem Verbrauch der Garben, und waren mir behilflich dazu. Im Hauptquartiere fanden meine Anstalten, die wenigstens von meiner Division den Mangel abgehalten hatten, weniger Beifall. Da man mir jedoch nicht geradezu verbieten konnte, für Brot zu sorgen, ich auch meine Maßregeln gemeldet hatte, so glaubte man mich zu hindern, indem man mir einen Proviantoffizier schickte, um die Verpflegung zu versorgen. Der Mann kam mit sichtbarer Verlegenheit zu mir, weil er großen Unordnungen steuern zu müssen glaubte. Sobald er sich aber durch den Augenschein unterrichtet hatte, fand er selbst nichts besseres zu tun. Er meldete, es sei alles im besten Zustande, bekam aber eine äußerst grobe Order von dem Intendanten, die er mir zeigte, nebst dem Befehl, sofort andere Anstalten zu treffen. Er meldete zum zweiten Mal, es wäre schlechterdings nichts anderes zu tun, und wurde nun in großer Ungnade abgelöst. Ein zweiter Proviantoffizier von einem höheren Grade erschien nun mit geschärften Verhaltungsbefehlen und noch verlegener als der erste, als er sich bei mir meldete. Da ich ihn aber ohne Unwillen aufnahm und ihm geradezu sagte, ich wüßte wohl, daß man bloß Chikanen beabsichtigte, er möchte aber seine Anstalten machen, wie er sie für pflichtmäßig hielte, mir wäre es sehr lieb, einen Offizianten der Intendanz bei mir zu haben und der Sorge für die Verpflegung überhoben zu sein, da wurde er dreister. Er untersuchte alle Anstalten und wußte so wenig zu ändern wie der erste, und der Erfolg war, daß auch er abgerufen wurde und die Sache beim alten blieb. Man versuchte nun einen anderen Weg, und es erschien eine Order, man wisse, daß bei dem Train der zweiten Division sich eine Menge überflüssiger und für die Artillerie brauchbarer Pferde befänden, es werde daher ein Trainoffizier kommen, sie zu mustern und die brauchbaren auszuheben. Da ich mir gar wohl bewußt war, keine Pferde geraubt zu haben, so konnte ich diese, nach dem, was in Turyjsk geschehen war, eine sehr dreiste Stirn verratende Order ruhig erfüllen. Ich gab Befehl, die sämtlichen Pferde des Trains auf einen Platz zu führen; der Trainoffizier erschien, tat zuerst sehr wichtig, überzeugte sich aber bald, daß wir weniger Pferde hatten als uns zukamen, und die Untersuchung endigte damit, daß er aufschrieb, wieviel Pferde wir zum Ersatz bedürften, und auch nicht ein einziges für die Artillerie passend fand. Ich drang nun auf den Ersatz der fehlenden Pferde, habe ihn aber nie erhalten. So endigten alle diese vergeblichen Chikanen, aber mein Vergehen war deshalb nicht minder groß, es bestand darin, daß ich keine Requisitionen auf mich nahm und keine Pferde oder andere Vorräte an die Intendanz schickte. Lebensmittel habe ich ihr oft geschickt, auch von Makowa aus, unter anderen von hier einen reichen Vorrat an Branntwein. Andere wußten jedoch auch angenehmere Gegenstände aufzufinden, und einem Gutsbesitzer in der Nachbarschaft wurden nicht weniger als 70 Gestütspferde genommen, von denen kein einziges in die Artillerie oder zum Train gekommen ist. Der Intendant Ryssel und der Chef des Trains, Major Tenneker, wissen am besten wo sie geblieben sind. Zu seinem Glück hatte der Gutsherr, der diese Pferde einbüßte, mich vorher gefragt, ob er etwas zu besorgen hätte, und auf meine Antwort, daß ich dafür nicht stehen könnte, vierundzwanzig seiner schönsten Zuchthengste in Sicherheit gebracht. Er galt nicht für einen reichen Mann, um so mehr kann dieses als ein Beispiel von der Wichtigkeit der Pferdezucht in Wolhynien gelten.

Während ich in Makowa stand, kamen auch endlich die Kapitäns Larisch und Bernewitz mit dem Transport der Montierungsstücke an, die schon am 1. Mai hätten ausgegeben werden sollen. Sie wurden von dem General Langenau sehr ungnädig empfangen, Larisch sollte sogleich arretiert werden, und man sprach von Aufstellung eines strengen Beispiels, Kassation und Festungsarrest, wenigstens äußerten dieses meine Adjoints, von denen täglich einer nach Kisjelin zum Befehl ritt, und als die getreuen Echos der Stimmen im Hauptquartier auch gewöhnlich angewiesen waren auszubreiten, was man ausgebreitet haben wollte. Allerdings war nach dem Gefecht von Kobryn und kurz vorher, da die Russen in unserm Rücken über den Berg gestreift waren, ein Teil des Wagens von den Kosaken geplündert worden, auf den andern aber waren durch die Feuchtigkeit des Wetters und weil man die Ladung bald auf Schiffe, bald wieder auf Wagen gebracht hatte, die Kleidungsstücke verfault, so daß sie nun wie Zunder zerfielen und nur wenig daran noch gebraucht werden konnte. Der Hauptmann Larisch sollte dieses durch seine schlechte Führung des Transportes verschuldet haben und dafür streng bestraft werden. Bei seiner Meldung ließ ihn der General Langenau in Gegenwart vieler Zeugen sehr hart an und drohte, ihm den Prozeß machen zu lassen. Nur aus Rücksicht auf seine Jahre und seine Unfähigkeit wurde ihm der augenblickliche Arrest erlassen, dagegen aber die Meldung nach Dresden angekündigt. Er tat unterdessen seinen Dienst, und nach einiger Zeit hieß es, der General Gersdorf habe sich seiner angenommen und die ganze Sache niedergeschlagen. Im Grunde aber konnten sie ihm nichts vorwerfen, denn er hatte nichts getan, als was man ihm befohlen hatte, und in Dresden durfte es nicht kund werden, daß die Montierungsstücke den Truppen nicht zur rechten Zeit, wo sie ihnen gebührten, geliefert worden waren.

Die Russen bei Luck

Kisjelin und Torczyn waren die äußersten Punkte, zu welchen wir auf dieser Seite vordrangen. Obgleich Reynier sich das Ansehen gab, als ob er über den Styr gehen wollte, so meinte doch der Major Aster gleich anfangs, indem er auf den Namen des Flusses anspielte, er würde den Stier wohl nicht bei den Hörnern fassen. Der Fürst Schwarzenberg schien nicht sehr geneigt zu sein, ein Land, welches das österreichische Galizien in die Flanke nahm, für die Polen zu erobern, und Reynier schien Besorgnisse über den Mangel an Nachrichten von der Großen Armee zu hegen. Veuneville hatte den Kaiser noch bei Smolensk getroffen, die Eroberung von Moskau feierten wir durch Viktoriaschießen, aber die Nachricht von dem mit den Türken geschlossenen Frieden dämpfte unsere Hoffnungen. Eine angenehmere Feierlichkeit für mich war die Austeilung der Orden und Verdienstmedaillen, die endlich angekommen waren.

Während wir in Ruhe uns mit der Verschönerung unseres Biwaks die Zeit verkürzten, war man bei der Avantgarde desto eifriger mit Rekognoszierungen beschäftigt, denen Reynier und Fürst Schwarzenberg einige Male in Person beiwohnten. Reynier hatte die Avantgarde durch das österreichische Regiment Okelly und einige Hundert polnische Ulanen von Wladimircz verstärkt, General Zechmeister führte die Erkundungen. Er hatte Österreicher, Sachsen und Polen unter seinen Befehlen und an dem Major Czettritz einen trefflichen Führer, der eigentlich die ganzen Unternehmungen leitete. Das Korps Zechmeister mußte auf Reyniers Anordnung bei Nieswiez (18 km sö. Torczyn) Posten fassen und von hier aus seine Aufklärungen vornehmen, die zum Teil mehrere Tage dauerten. Sie erstreckten sich an den Ufern des Styr hinauf bis Beresteczko (30 km s. Luck). Dieser Ort, der auf dem linken Ufer liegt, diente so, wie Luck, den Russen als Brückenkopf, und da der Styr zwischen beiden einen zurückweichenden Bogen macht, so bildeten sie gleichsam zwei vorspringende Bastionen. Das Hauptlager stand hinter Luck auf dem rechten Ufer in zwei Treffen. Das ganze Ufer war mit Truppen besetzt, sowohl Kosaken als auch andere Kavallerie, auch Infanterie mit Geschütz, das die diesseitigen Wege und Zugänge bestrich. Auf den schwächeren Punkten waren Verschanzungen angelegt, auch das Lager war verschanzt.

Nahe vor ihm wurde an einer Brücke gearbeitet. Die Orte Luck und Beresteczko waren stark besetzt, bei diesem auch eine Brücke wieder hergestellt. Bei Targowika (23 km s. Luck an der Mündung der Ikwa in den Styr) stand ein kleines Korps von etwa 800 Pferden und 2000 Mann Infanterie mit Kanonen. Bei Krasne, etwas aufwärts (halbwegs zwischen Beresteczko und Targowika), waren die Brücken eines langen Dammes bis auf die letzte wieder instand gesetzt, auch hier standen Jäger und Kavallerie. Nahe bei Chryniki (7 km s. Beresteczko) stand abermals ein Lager von 3 Kavallerieregimentern und Kosaken. Die Brücke an diesem Ort war in gutem Stande und wurde durch eine Schanze gedeckt, aus der Major Czettritz mit Kanonenkugeln begrüßt wurde. Bei Beresteczko fand ein Kavalleriegefecht statt. Das waldige rechte Ufer war fast durchgehends höher, als das linke, wo man erst eine mitunter sumpfige Ebene, die offen war, durchschneiden mußte, um an den Fluß zu kommen.

Die Stellung des Feindes, der durch zwei vorliegende Städte und seine 4 Brücken Meister beider Ufer war, alle anderen Brücken zerstört und alle Fahrzeuge auf seiner Seite hatte, wurde also mit Recht auf allen diesen Punkten für unangreifbar gehalten. Um sie zu umgehen, hätten wir das neutrale Galizien betreten müssen.

Diese Rekognoszierungen wurden am 17., 18. und 19. September vorgenommen.

Daß wir die Russen in dieser Stellung nicht angreifen konnten, leuchtete jedem sehr deutlich ein. Ebenso deutlich sahen wir, daß sie ihnen die größten Vorteile für den Angriffskrieg gewährte, daß wir folglich schon jetzt auf die Verteidigung beschränkt waren und in unserer luftigen, zerstückelten Stellung uns keinen Augenblick würden halten können. Was daher Reynier bewog, den Angriff in ihr abzuwarten, weiß ich nicht, denn wenn die aus der Wallachei herabkommende Armee Tschitschakow, die aus 40 000 Mann ausgeruhter Truppen bestand, unterhalb Luck über den Styr ging und geradezu nach den Morästen in unserm Rücken marschierte, so fanden wir uns mit einem Korps, das im ganzen – die Österreicher, Sachsen und Polen zusammen – nicht stärker als 40000 Mann war, von zwei Armeen, die mehr als zwiefach uns überlegen waren, eingeschlossen. Daß Reynier, wie man wissen wollte, einen politischen Zweck dabei gehabt haben sollte, sich nach dem österreichischen Galizien drängen zu lassen und die Russen zu einer Verletzung der Grenzen zu bewegen, glaube ich nicht. Wahrscheinlicher ist es mir, daß er nach Napoleons Absichten um jeden Preis und mit jeder Aufopferung die nun 80 000 Mann starke russische Armee, wenn er sie nicht ganz abhalten konnte, doch auf ihrem Marsche gegen die Operationslinie des Kaisers aufhalten wollte. Wenn dieses sein Plan war, so hat er ihn vollkommen ausgeführt, denn wenn Tschitschakow, anstatt sich mit uns bis zum 5. oder 6. Oktober zu beschäftigen, gerade auf Mozyr marschiert wäre, so hätte er zeitig genug an der Berezina ankommen können, um den Übergang der Trümmer des Großen Heeres, der doch Napoleons Rettung war, unmöglich zu machen, und der Krieg wäre schon hier und nicht erst 17 Monate später in Paris beendigt worden.

Das Tormassowsche Korps, das unter dem General Sacken stand, war uns wenigstens gleich und an Kavallerie und Geschütz überlegen, daher vollkommen hinreichend, uns zu beschäftigen, so daß wir Tschitschakows Marsch auf keine Weise hätten hindern können. Es scheint, daß die beiden feindlichen Generäle, unter denen jedoch nicht das beste Einverständnis geherrscht haben soll, den Plan hatten, uns vorher völlig aufzureiben, und wenn sie dazu nicht den kürzesten Weg, uns durch das eine Korps von der Seite der Turja einzuschließen, wählten, so konnte vielleicht bei ihnen die politische Rücksicht, den Fürsten Schwarzenberg nicht zu einem Rückzug nach Galizien zu nötigen, zugrunde liegen, wobei er die Sachsen nicht hätte zurücklassen können.

Sie begannen ihre Angriffe völlig systematisch. Zahlreiche Kosakenschwärme fingen an, unsere Avantgarde zu necken und kleine vorgeschobene Posten aufzuheben. Von jeder vorgeschickten schwachen Patrouille kamen immer nur wenige zurück, weil sie überall auf überlegene Hinterhalte stießen. Die Ingenieure, die die Patrouillen begleiten mußten, wurden einer nach dem andern aufgehoben. Der General Gablenz, der mich in Makowa besuchte, sagte mir, er nähme von jeder Feldwacht im voraus Abschied und halte es für einen Gewinn, wenn nur ein Teil zurückkehrte. Unsere Kavallerie, sowie die österreichische, litt auf diese Weise in einer Reihe kleiner Gefechte beträchtliche Verluste und konnte dem Feind, der sich in seiner Stellung stets auf mächtige Unterstützungen zurückzog, keinen Schaden tun.

Am meisten hielt Gablenz die Stellung des Generals Zechmeister bei Nieswicz für gefährlich und klagte, daß Reynier darauf bestünde, sie zu behaupten. Zechmeister hatte das ganze Regiment Okelly und 200 sächsische Husaren und Dragoner unter dem Major Czettritz, noch andere österreichische Kavallerie und sächsische leichte Infanterie bei sich. Er wurde täglich angegriffen. Nach einem Gefecht, bei dem Reynier zugegen war, verlangte dieser (oder Langenau in seinem Namen, ich habe dieses nicht genau erfahren können), daß er wieder auf den gefährlichen Posten vorrücken sollte. Die Gegend war sumpfig und von Dämmen durchschnitten. Das Hauptkorps war durch einen Damm von dem vorgeschobenen Posten getrennt, aber der Major Czettritz machte den General Zechmeister auf eine Gegend aufmerksam, durch die man zu dem größeren Biwak kommen könnte, ohne das kleinere zu berühren. Man besetzte sie, aber nicht hinreichend, weil der General sich ängstlich an die erhaltenen Befehle binden zu müssen glaubte. Er selbst nahm sein Quartier eine Stunde rückwärts in einer Probstei, von der ein Damm zu dem Biwak führte. Czettritz wollte bei den Truppen bleiben, aber Zechmeister, dessen rechte Hand er war und der ohne ihn sich nicht zu helfen wußte, erlaubte ihm nicht, sich zu entfernen. In der Nacht wurde der Hauptposten von der Seite des nach der Probstei führenden Dammes und zugleich die Probstei selbst überfallen. Czettritz warf sich aufs Pferd, wurde aber auf dem Damme gefangen. Zechmeister selbst entkam zu dem vorgeschobenen Posten, der gegen 200 Pferde stark und aufgesessen war. Die Offiziere, Sachsen und Österreicher, wollten sogleich vorgehen, aber Zechmeister erlaubte es nicht, da er meinte, es sei doch alles verloren. Er dachte nur an seine eigene Sicherheit. Die Russen hatten allerdings hier mit einer geringeren Anzahl die größere überwältigt und würden selbst an ihre Sicherheit haben denken müssen, wenn die 200 Mann sie angegriffen hätten. So ließ man ihnen vollkommen Muße, die Versprengten zu Gefangenen zu machen. Wir verloren dabei über 70 Husaren und 90 Dragoner und außer Czettritz noch den Kapitän Krug I vom Regiment Polenz, der verwundet und gefangen wurde, sowie einen Leutnant Schirnding. Von dem ganzen Regiment Okelly, das gleich beim ersten Überfall auseinandergesprengt worden war, kamen wenige zurück; der Verlust der Österreicher betrug über 900 Mann.

Zechmeister kam nach Torczyn, wo Gablenz in dem schönen Schlosse der Gräfin Ronniker lag, und schien sich den Überfall wenig zu Herzen zu nehmen. Einige österreichische Soldatenweiber, die in dem Biwak mit gefangen worden waren, kamen zurück, weil die Russen sie hatten laufen lassen. Sie wurden von beiden Generälen ausgefragt, konnten aber wenig Auskunft geben. Sie hatten mit dem General Sacken selbst gesprochen, und Zechmeister fragte wiederholt: „Nun, was sagte denn der russische General?“ Sie weigerten sich, dieses zu wiederholen, da aber Gablenz in sie drang und ihnen Mut machte, platzte die eine Frau heraus: „Je nun, Ihro Exzellenz, er sagte, unser General müßte doch wohl ein rechter dummer Teufel gewesen sein, daß er sich dorthin gestellt hätte!“ Zechmeister lachte herzlich über diese Natürlichkeit.

Der Plan der Russen entwickelte sich nach und nach. Sie verdrängten die Polen von Wladimir, die sich schon nicht mehr auf uns, sondern gegen Zamosc zurückziehen konnten, und die wir seitdem nicht wieder gesehen haben, nur die wenige Kavallerie blieb bei uns. Wir waren dadurch in unserer rechten Flanke umgangen und von dem Bug abgeschnitten, die Absicht der Feinde ging also dahin, uns zwischen dem Styr und der Turja gegen die Moräste von Pinsk zu treiben, und mit ein wenig mehr Nachdruck hätte es ihnen gelingen müssen. Reyniers Überlegenheit in der Manövrierkunst zeigte sich in der folgenden Epoche in ihrem glänzendsten Lichte.

Rückzug

Am 23. September um Mittag kam die erste Division durch Makowa und stellte sich hinter der meinigen auf. Ich blieb in der Nacht in einer Scheune nahe bei meinem Biwak. Am 24. traf auch die Avantgarde bei mir ein, ohne bei ihrem Abzug einen Verlust erlitten zu haben.

Alles traf jetzt zusammen, unsern Rückzug unangenehm zu machen. Ein unaufhörlicher Schlackerregen und empfindliche Kälte und von Grund aus verdorbene Wege. Dabei mußte unsere Equipage erst noch einen Vorsprung gewinnen. Die Avantgarde wurde in unsere Flanke geworfen, auf die Seite des Bug. Die 1. Division brach gegen Abend auf, ich folgte in der Nacht. Das gräßlichste Wetter, von einem heftigen Sturme begleitet, dauerte den folgenden Tag an, wo wir in und bei Turyisk blieben, und unsere halbnackten, beinahe zum dritten Teile barfuß gehenden Mannschaften litten dabei unendlich.

Spät in der Nacht erhielt ich den Befehl von Reynier, daß ich früh um 3 Uhr die jenseits der Sümpfe aufgestellte Avantgarde durch ein Bataillon leichte Infanterie ablösen sollte. Sobald der Tag anbräche, würde der Major Aster die Brücken soweit abbrechen, daß die Infanterie sie noch auf darüber gelegten Brettern passieren könnte; alsdann sollte eine Kompagnie auf dem Biwakplatze der Avantgarde zwischen den Sümpfen bleiben und noch kleine Posten jenseits des letzten Sumpfes halten, für die man einige Bretter auf den Brücken würde liegen lassen, zwei Kompagnien sollten sich in das Lager meiner Division hinter dem Orte, an der rechten Seite der von Luboml kommenden Straße zurückziehen und die vierte die sogenannte Brauerei, den Hof, wo der General Lecoq gelegen hatte, an der Straße nach Kowel besetzen. Das Schloß, wo ich lag, sollte durch zwei Kompagnien des Bataillons Spiegel besetzt, die daselbst aufgepflanzten Kanonen jedoch zurückgezogen werden. Die beiden andern Kompagnien von Spiegel sollten die Stadt besetzen. Eine halbe Batterie sollte ich auf dem Damm vor der Brauerei aufstellen, die andern drei Kanonen hinter der Stadt auf der Straße nach Luboml. Das Bataillon Anger sollte, gleichfalls hinter der Stadt, an der linken Seite dieser Straße das Biwak der I. Division beziehen und dieselben Feuer wie diese bei Tag und Nacht unterhalten. Der General Gablenz würde früh 4 Uhr am linken Ufer der Turja aufwärts nach Turyczany (21 km sö. Luboml) und Hanki (Hajki? 7,5 km s. Turyczany) – sein nächster Posten 2 Stunden von mir entfernt! – marschieren, Reynier um 7 Uhr mit der I. Division, in paralleler Richtung mit der Avantgarde, nur mehr rückwärts, nach Dolsk (11 km w. Turyjsk), dem herrlichen Schlosse des Grafen Mosczinsky, aufbrechen. Den Strom abwärts stände das österreichische Regiment Riesch-Dragoner an den nächsten Übergängen.

Der Befehl enthielt eine umständlichere Anweisung, als nötig war, über die Aufstellung, kein Wort aber über das Wichtigste, ob ich den Posten behaupten solle und wie lange. Ich hatte die Vorwürfe, die man dem General Klengel gemacht hatte, noch nicht vergessen und ging daher gleich früh zu Reynier, konnte ihn aber nicht zu sehen bekommen. Langenau meinte, die Anfrage wäre unnötig, Reynier liebte so etwas nicht und gäbe nie eine bestimmte Antwort, übrigens würde man mir ganz gewiß Verhaltungsmaßregeln schicken. Ich ließ mich jedoch durchaus nicht abweisen, sondern drang selbst zu Reynier vor. Er sagte mir, ich sollte im Falle eines Angriffs mich auf jede Weise solange zu halten suchen, bis die dort eingerichtete Bäckerei ihr Brot in Sicherheit gebracht hätte, was ungefähr um Mittag geschehen sein könnte. Wäre es mir möglich, länger Widerstand zu leisten, so würde es ihm lieb sein, ich sollte mich aber ja nicht einem zu großen Verluste aussetzen, auch die Kanonen bei der Brauerei, wenn sie angegriffen würden, sogleich zurückziehen und sie nebst den drei andern nicht auf der Straße nach Luboml, sondern nach Dolsk zu halten lassen, auch durchaus keine wieder in die Stadt vorschicken.

Auf meine Vorstellung, daß die Posten der Schützen jenseits des äußersten Dammes sehr ausgesetzt wären, befahl er mir, sie gleich zurückzunehmen und ihm von allem, was vorfiele, sogleich Nachricht zu geben. Wir hatten diese Unterredung zu Pferde, indem ich ihn bis vor den Ort begleitete. Ich kehrte nun sogleich zurück und schickte den Kapitän Fabrice ab, um die Schützenposten zurückzurufen und die Bretter auf den Brücken abzutragen.

Fabrice fand die Schützen schon im Gefechte mit feindlicher Kavallerie; anstatt aber seinen Auftrag auszuführen, stieg er ab, lief über die Bretter und nahm selbst ein Gewehr, um mit zu tiraillieren. Diese unzeitige Bravade kostete uns 3 Mann, die gefangen wurden. Ich hatte unterdessen einen anderen Offizier an den Obristen Scheither, den Kommandanten des Regiments Riesch (einen der erfahrendsten Kavallerieoffiziere der österreichischen Armee), abgeschickt, um mich mit ihm in Verbindung zu setzen und ihn zugleich um ein Kavalleriepikett zu bitten, damit ich ihm immer Nachricht geben und überhaupt die nötigen Anordnungen schneller befördern könnte. Ehe noch mein Abgeschickter zu ihm gekommen war, traf ein Offizier bei mir ein, den er in derselben Absicht gesandt hatte. Er ließ mir sagen, daß auf seiner Seite die Moräste für Fußgänger zugänglich wären und nicht gut nur durch Kavallerie verteidigt werden könnten; er wünschte deshalb ein Infanteriepikett zu haben. Ich schickte ihm sogleich eine halbe Kompagnie und erhielt von ihm 30 Dragoner.

Ich hatte mich in die von Reynier verlassene Probstei gelegt und eben eine Meldung an ihn diktiert, als das Geschrei kam, die Kosaken wären oberhalb der Stadt diesseits des Sumpfes. Gleich darauf feuerten die Kanonen an der Brauerei unterhalb der Stadt. Ich warf mich sofort aufs Pferd, rief die Wache ins Gewehr und ritt auf den ersten Punkt, während ich zugleich den Hauptmann Langenau nach der Brauerei schickte.

Oberhalb waren allerdings Kosaken zu sehen, die bis weit in den Sumpf zu reiten versuchten, sobald sie aber auf unserer Seite Infanterie sahen und aus der Insel des Herrenhofes, jedoch aus zu weiter Entfernung beschossen wurden, kehrten sie um. Die leichte Infanterie hatte sich, Reyniers Befehle gemäß, über den Damm zurückgezogen. Der Major Aster brannte nun die nächsten Brücken völlig ab, so daß von der Insel nur noch die Zugänge auf unserer Seite offen waren. Leider mußte bei dieser Gelegenheit eine hart an der Brücke liegende Mühle mit verbrannt werden. Bei der Brauerei hatte man auf die unsere leichte Infanterie verfolgenden Jäger geschossen.

Aster nahm meine Meldung mit, aber er war kaum fort, als Reynier, der die Schüsse gehört hatte, mir Befehl schickte, die Kanonen an der Brauerei sofort zurückzuziehen und, sobald das Brot geladen und die ganze Equipage auf dem Wege nach Luboml abgefahren wäre, das Bataillon Anger aus dem Biwak hinter der Brauerei und aus ihr selbst die Schützenkompagnie abziehen, auf der Insel und im Städtchen bloß das Bataillon Spiegel zurückzulassen, selbst aber mit der ganzen Division eine halbe Stunde oberhalb des Ortes an dem Wege nach Dolsk eine Stellung zu nehmen.

Diese Entblößung meines linken Flügels hatte einige Schwierigkeiten; ich gab zuerst dem Obristen Scheither Nachricht davon und wandte dann auf den Rat des Majors Auenmüller eine abgedroschene Kriegslist an, die aber hier gute Wirkung tat. Wir ließen nämlich zwischen den Strohhütten Bauernkarren auffahren und an jeder Seite einige Grenadiere vom Bataillon Anger daneben treten, als wären es Artilleristen. Die leichte Infanterie zog sich nun aus der Brauerei und ließ nur ein Pikett zurück, das Bataillon Anger marschierte gleichfalls ab, versteckt durch die Erhöhung des Erdreichs. Der Major Spiegel aber verschanzte sich auf der Insel des Herrenhofes sehr zweckmäßig durch mistbeladene Wagen, hinter denen seine Soldaten über Bank schießen konnten.

Ich war unterdessen auf dem angewiesenen Punkt angekommen. Es war eine Höhe, die gegen den Morast etwas steiler, rückwärts aber ziemlich flach sich abdachte, so daß vom jenseitigen Ufer unsere Stärke nicht zu übersehen war. Vor uns lagen ein Paar Dörfer, die ich sowohl wie die Furten durch den Sumpf sorgfältig untersuchte und besetzte. In einem andern, Stawek (4,5 km nw. Turyjsk), das seitwärts zwischen dem Biwak und der Stadt lag, ließ ich ein Mittagsmahl bereiten. Da wir uns aber eben setzen wollten, wurden wir durch starkes Kleingewehrfeuer bei Turyjsk gestört.

Die Feinde hatten sehr wohl den Abzug der Kanonen bemerkt und kamen nun mit ziemlich viel Infanterie und Jägern auf den Dämmen heran, welche sie, da sie hinter dem Rande derselben hinliefen, gegen das Feuer auf der Insel deckten.

Nur bei den abgebrochenen Brücken, die sie herzustellen versuchten, konnten sie beschossen werden. Aus der Brauerei konnte man deutlich sehen, daß sie plötzlich stutzten und von den Dämmen nur ein lebhaftes Tirailleurfeuer gegen die Insel unterhielten, während ein durch sein Gefolge kenntlicher Offizier von Rang vom jenseitigen Ufer die leeren Hütten des Biwaks hinter der Brauerei sorgfältig rekognoszierte. Zu gleicher Zeit ließen sich viele Kosaken meiner Brauerei gegenüber sehen. Sie kamen um auszuspähen, und wir sahen, daß sie stets nach einem im Walde versteckten Hause, dessen Feueressen wir erkennen konnten, ritten, um wahrscheinlich einem General ihre Meldungen zu machen. Oft kamen auch Offiziere mit größeren Trupps, sie wagten sich aber nicht auf die von meiner Seite gut besetzten Inseln des Sumpfes.

Die Rekognoszierung jenseits der Moräste hatte die Russen bewogen, Geschütze kommen zu lassen. Sie fuhren einige Kanonen dem Brauhause gegenüber auf und fingen nun an, die leeren Biwaks hinter ihm auf der Höhe recht ernsthaft zu beschießen. Da aber unsere verstellte Artillerie nicht antwortete, die Grenadiere vielmehr befehlsgemäß zurückgingen, sobald die Kugeln sie erreichten, so sahen sie wohl, daß sie getäuscht waren und griffen nun den Hof auf der Insel desto ernsthafter an. Wir hatten jedoch durch ihren Irrtum einige Stunden Zeit gewonnen.

Da es noch nicht möglich war, zu unterscheiden, ob die Feinde nicht oberhalb unseres Biwaks bei dem Dorfe Stawek einen Übergang versuchen würden, so blieb ich bei der Division und trug dem General Sahr auf, sich nach dem Städtchen zu begeben und dort die Verteidigung zu leiten. Er konnte übrigens dort nichts weiter tun, als einen Zuschauer abzugeben, denn der tapfere Major Spiegel und seine geschickten Offiziere hatten alle Anstalten auf das beste getroffen. Die Feinde beschossen den Herrenhof sehr heftig, da sie aber nicht rikoschetieren konnten, sondern bloß mit Wurfgeschütz feuern mußten, taten sie keinen großen Schaden, denn die meisten Kugeln fielen ins Wasser und konnten nicht platzen. Traf aber einmal eine in den Hof, so verbargen sich die Leute hinter den aus Mistwagen gemachten Traversen, bis sie krepiert war. Einige heftige Angriffe auf den Damm wurden glücklich zurückgewiesen, obgleich die Russen, dreist genug, versuchten, Bretter über die nicht ganz verbrannten Brückenpfähle zu werfen.

Auf des General Sahrs dringendes Verlangen schickte ich ihm die Hälfte des Bataillons Anger zur Unterstützung, die jedoch untätig im Orte blieb. Es flogen einige Kugeln in das Städtchen, aber ohne beträchtlichen Schaden zu tun. Ich ritt selbst hinein und überzeugte mich, daß wir durch ein Paar Kanonen die Feinde abha ten würden, weil sie daraus sehen würden, daß es uns ernst wäre, den Ort zu verteidigen. Reyniers Verbot hatte mich bis jetzt abgehalten, da aber der Obrist Gressot kam, um Nachrichten von uns zu holen, sagte ich ihm, daß ich es für nötig hielte, den Befehl zu überschreiten, und er nahm es auf sich, die Sache bei Reynier zu entschuldigen. Ich schickte nun Befehl, daß zwei Kanonen rückwärts abfahren sollten. Sie mußten jedoch einen Fleck passieren, wo sie vom jenseitigen Ufer entdeckt werden konnten und sofort sah man von unserm Biwak eilig Kosaken hin und her reiten. Das feindliche Feuer hörte in dem Augenblick auf, als meine Kanonen das Dorf erreichten. Der Obrist Scheither kam selbst nach Turyjsk und lobte die Anstalten und die tapfere Verteidigung des Bataillons Spiegel.

Da es nun ganz ruhig geworden war und Gressot mir den Befehl gebracht hatte, mich, ohne vorher jemand ein Wort davon gesagt zu haben, in der Nacht um 3 Uhr nach Dolsk zu ziehen, so ritt ich, als es schon dunkel war, nach Stawek zurück, um unser so oft gestörtes Mittagsmahl zu halten und einige Stunden zu ruhen. Ich hatte ausdrücklich gesagt, daß die Kanonen wieder zu den Batterien zurückfahren sollten, aber Sahr behielt sie ohne mein Vorwissen in Turyjsk, und ich mußte früh, als ich es erfuhr, meinen Befehl sehr ernstlich wiederholen, ehe er sie abfahren ließ. In Stawek fand ich ein Kommando von 30 Husaren, die Reynier mir auf meine Bitte um etwas Kavallerie geschickt hatte.

Früh um 3 Uhr brach ich mit der Division auf, nachdem ich dem Major Spiegel den Befehl geschickt hatte, bis 6 Uhr stehenzubleiben und dann auf dem Wege nach Luboml abzumarschieren. Bei Dolsk brachte mir ein Offizier den Befehl, der ersten Division, die schon früher aufgebrochen war, zu folgen. Der Major Spiegel wurde noch vor 6 Uhr durch den Prinzen von Homburg mit einem Regimente Infanterie abgelöst. Das Bataillon hatte an dem gestrigen Tage an Toten und tödlich Verwundeten 21 Mann eingebüßt. Es kam bei Luboml wieder zu uns.

Wir marschierten den 27. bei unangenehmer, nasser Witterung und empfindlicher Kälte den ganzen Tag, nur einige Stunden ruhten wir uns im Felde aus. Die Feinde, die uns in geringer Entfernung folgten, beunruhigten uns jedoch nicht. Unsere Avantgarde machte eine Seitenkolonne links, näher gegen den Bug. Die II. Division, die jetzt das vierte Gefecht bestanden hatte, machte die Nachhut der I., die noch nicht ins Feuer gekommen war. In unserer rechten auf der Straße nach Luboml marschierte der Prinz von Homburg und noch weiter rechts die Masse der Österreicher. Indem wir zuerst auf den Bug losgegangen und dann mit sämtlichen Kolonnen eine Schwenkung rechts gemacht hatten, waren wir über die Turja gekommen und im Stande, wenn wir rechtsum kehrt machten, dem Feinde eine Reihe von Kolonnenspitzen zu zeigen, während wir zugleich in unserm Rücken Meister zu den Zugängen der Moräste des Pripjet blieben.

ln Dolsk und Przewaly (5 km nw. Dolsk) sah ich prächtige Schlösser mit großen Parks und Anlagen, auch einige leidliche Gebäude in den Orten. Überhaupt schien mir die Gegend hier gut angebaut, auch weiterhin waren die Scheunen noch reinlich und mit Garben gefüllt bis obenhinaus. Wir gingen über sumpfige Dämme und durch böse Wege, während wir uns stets dem Bug näherten, damit unsere zahlreiche Equipage auf der geraden Straße von Turyjsk nach Luboml einen Vorsprung gewinnen konnte. Die Nacht blieben wir bei einem Dorfe Wiszniow (3 km s. Luboml), wo ich in einer Scheune lag, unsere Avantgarde war nahe neben uns.

Gleich nach Mitternacht fielen Kanonenschüsse. Die Russen hatten in das Biwak der Avantgarde Granaten geworfen. Die Wagen, die wir noch bei uns hatten, wurden sogleich weiter geschickt, brachten aber noch mehrere Stunden zu, ehe sie aus den engen Gassen des Dorfes hinauskommen konnten.

Ich hatte bloß meine zweispännige Chaise und zwei mit zwei Pferden bespannte kleine polnische Wagen bei mir, um Lebensmittel und Fourage für mich und meine Ordonnanzen zu fahren. Mein Auditeur fuhr gleichfalls in einer zweispännigen zum Train gehörigen Chaise, ebenso mein Sekretär. Meinen vierspännigen Deckelwagen hatte ich schon längst zurückgeschickt. Meine beiden Adjoints hingegen, die gleichfalls einen vierspännigen Deckelwagen zu ihrem Gebrauche hatten, wollten sich davon nicht trennen und hatten ihn bei sich behalten. Die Equipage des Generals Lecoq war höchstens noch einmal so stark wie die meinige, aber der Train des Generalstabes ungeheuer. Außer zwei sechsspännigen Kutschen und mehreren Deckelwagen für Reynier hatte Langenau zwei vierspännige Chaisen und eine Menge Deckelwagen, der Obrist Hoyer eine Chaise und Deckelwagen, Gressot desgleichen, so auch der Arzt, Dr. Schöne. Der Train des Intendanten war gleichfalls groß, und die Menge der Bauernwagen, die Probsthayn unter dem Vorwand, daß sie zu Reynier oder zu der Intendanz gehörten, mitschleppte, belief sich auf 50 bis 60. Es ist hier jedoch nur von den Wagen die Rede, die sie zu ihrer Bequemlichkeit überall mitschleppten. Sie hatten deren wohl noch dreimal soviel bei der Equipage der Armee. Auch den Brigadiers und Obristen war ein Wagen erlaubt, aber meist alle Stabsoffiziere und Kapitäne, ja viele Subalternoffiziere hatten sich Wagen zugelegt. Am übelsten waren die französischen und sächsischen Adjutanten Reyniers daran, die ihr Gepäck und ihr Futter auf den Pferden schleppen mußten. Wenn man zu dem allen noch die Wagen der Chirurgen und die Reservewagen der Artillerie rechnet, so kann man sich denken, mit welchen Schwierigkeiten ein so zahlreiches Fuhrwerk sich bei der Nacht in einem weitläufigen, aber engen Dorfe in Bewegung setzen mußte. Dazu kam noch der ungeheuere Train der Avantgarde, der mit ihrem Raube beladen bei solchen Gelegenheiten zurückeilte, sich in die Kolonnen warf und die Unordnung vermehrte.

Es ist zwar wahr, daß in einem Feldzuge, wie diesem, wo niemand Verpflegung bekam, eder für sich selbst sorgen, und wenn er nicht überall Mangel eiden und seine Pferde hungern lassen wollte, überall Lebensmittel und Fourage mitschleppen mußte, das Fuhrwesen nicht gar zu streng eingeschränkt werden konnte, aber ebenso gewiß ist es auch, daß bei uns fürchterlich übertrieben wurde und nicht eingeschränkt werden konnte, weil das Beispiel durch die näheren Umgebungen des kommandierenden Generals gegeben wurde. Die strengsten, mitunter unbilligen Befehle, die in der Folgezeit darüber gegeben wurden, konnten dem Unwesen nicht ganz steuern.

Am 28. blieb der General Langenau bei unserer Avantgarde zurück, um selbst die Posten auszusetzen, es zeigte sich aber auch hier, daß darin seine Stärke nicht bestand. Er stellte die Feldwache und die Vedetten so auf, daß der Offizier ihm den Einwand machte, sie würden hier auf jeden Fall aufgehoben werden. Langenau befahl ihm nun schlechterdings, nichts zu andern, und dem Offizier blieb nichts weiter übrig, als seine Meldung an Gablenz zu machen. Dieser schickte ihm sogleich einen Adjutanten, den Leutnant Könneritz, um die Aufstellung abzuändern, aber während sie vorritten, war die Feldwache schon durch einen Schwarm Kosaken überfallen. Die Offiziere, von denen dem einen der Tschako von dem Kopfe gestoßen wurde, retteten sich durch die Schnelligkeit ihrer Pferde und durch Vorhalten der Pistolen, auch ein Teil der Mannschaft entkam, aber einige wurden gefangen und ein Pikett leichter Infanterie nebst dem Leutnant Heyneken aufgehoben.

Das Los der Kavallerieoffiziere war nicht zu beneiden. Die Pferde konnten nicht mehr fort, die Angriffe wurden schwach, schnelles Entkommen unmöglich, die Leute mutlos, weil sie sich nicht mehr auf ihre Pferde verlassen konnten. Die Patrouillen sollten Nachrichten bringen, aber es gab kein Mittel, welche zu erhalten. Das Landvolk, durch unsere Erpressungen aufgebracht und durch unsern Rückzug dreister gemacht, verriet jede unserer Bewegungen und gab uns durchaus keine Nachrichten. Überall schwärmten Kosaken, die von zahlreicher Linienkavallerie unterstützt wurden. So konnte uns der Feind stets überlegene Kräfte entgegenstellen. Schickten wir 6 Mann aus, so kamen ihnen 30 in den Rücken, schickten wir 30, so stießen sie auf 200, schickten wir 200, so blieb immer das Verhältnis. Gingen unsere Patrouillen nicht weit vor, so konnten sie keine Nachrichten bringen; gingen sie weit, so wurden sie abgeschnitten. Wir waren zu schwach an Kavallerie, sie zu unterstützen. So geschah es denn, daß wir fast gar nichts von den Feinden wußten, diese aber von allen unseren Bewegungen genau unterrichtet waren.

Wir wendeten uns immer mehr rechts und marschierten nach Luboml. An der Seite der Stadt, gegen den Bug, etwa eine Stunde entfernt, stand die I. Division, an welche sich die meinige mit einem kurzen Zwischenraum anschloß. Die Avantgarde kam später und setzte sich vor den rechten Flügel der I. Division. Meine Batterie und das leichte Regiment stellte sich auf einen flachen Hügel, eine Viertelstunde von der Stadt neben einem Vorwerk, wo Reynier sein Quartier genommen hatte. Nicht weit davon lag eine kleine hölzerne Kapelle, wo ich mich einlogierte. Vorwärts von unserm Hügel war ein breiter Sumpf, den man aber passieren konnte, denn ich selbst war durchgeritten. Wir besetzten die „Furt mit leichter Infanterie. Die Stadt selbst war durch Österreicher besetzt und das Korps Schwarzenberg stand auf der anderen Seite derselben, etwas mehr rückwärts, indem es sich gegen Wiszniow allignierte, und mit der Stellung der Sachsen einen stumpfen Winkel bildete. Es stürmte heftig und am Abend wäre meine Kapelle beinahe angebrannt.

Gefecht bei Luboml

Am 29. September früh um 3 Uhr hörte ich einzelne Schüsse. Ich ging sogleich zu Reynier, es ihm zu sagen. Er stieg zu Pferde, und wir ritten an dem Sumpfe vor.

Es war teils bei unserer Avantgarde, teils bei den österreichischen Vorposten. Hier wurde das Gefecht nach und nach lebhafter, und die Batterien fingen von beiden Seiten an zu spielen. Bei unsrer Avantgarde ließen sich die Feinde durch einige Kanonenschüsse des Hauptmann Roth abweisen, aber desto nachdrücklicher griffen sie bei den Österreichern an. Der Fürst Schwarzenberg kam eilig geritten und fragte nach Reynier, und wenn er nicht nach dessen Rat gehandelt hat, so ist es doch gewiß, daß er, solange das Gefecht dauerte, blieb und nun von hieraus und nachdem er stets erst mit Reynier gesprochen hatte, seine Befehle schickte. Da man sich unten nicht Umsehen konnte, so stieg dieser auf das Dach eines Brauhauses. Es ist in diesem Lande, wo man sonst wenig Polizei kennt, doch eine allgemeine Einrichtung, daß fast an jedem Hause eine festgemachte, bis auf den First reichende Leiter lehnt. Der alte Artilleriegeneral, der eine Perücke trug, war mit dem Fürsten gekommen und äußerte sich, weniger durch Worte als durch ironisches Lächeln. Reynier machte mit Schwarzenberg fast zu wenig Umstände. Er konnte nicht leiden, wenn die Truppen Ehrenbezeugungen machten, so oft er vorbeikam, und ich hatte dieses schon längst und auch heute wieder untersagt. Ich hatte darüber mit manchem Bataillonskommandanten meine Not, die es durchaus nicht lassen konnten.

Reynier und Schwarzenberg waren zu Fuß über das Feld gegangen, ich kam mit ihnen zurück, und als wir uns der eichten Infanterie näherten, glaubte der Oberst Tettenborn, den Fürsten als Oberfeldherrn, der die Parole ausgab, ehren zu müssen, und ließ ins Gewehr gehen. Reynier fuhr mich darüber in Gegenwart des Fürsten aut mit den Worten an: „Aber General Funck, ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich das nicht mag, und da machen Ihre Truppen wieder Ehrenbezeugungen!“ Ich antwortete ebenso laut: „Ich habe es verboten, Herr General, aber sie sehen den Fürsten!“ Schwarzenberg tat, als ob er es nicht hörte.

Ein Kavallerie-Trupp versuchte durch den Sumpf zu kommen, wurde aber von unsern Schützen zurückgewiesen. Ein General kam mit seinem Gefolge, um uns zu beobachten. Der Offizier der leichten Infanterie hatte sich hinter einen Graben versteckt, ließ ihn ganz nahe kommen, und dann Feuer geben. Wir sahen, daß der General abstieg, und daß sein Pferd hinkte; wie ich gehört habe, ist es Knorring gewesen. Das Geplänkel an dem Sumpfe dauerte bis zum Nachmittage, ebenso die Kanonade mit den Österreichern, wo auch, wie wir aus der Ferne sahen, ein Kavalleriegefecht vorfiel. Ob sie viel verloren haben, weiß ich nicht; von einem gebliebenen oder schwerverwundeten Stabsoffizier glaube ich gehört zu haben. Gegen Abend zogen sich die Russen zurück. Warum sie uns nicht mit ganzer Macht angegriffen haben, sehe ich nicht ein, wir erwarteten es. Wollten sie uns wegmanöverieren, so fingen sie es verkehrt an, wenn sie uns von vorn kamen. Überhaupt verloren 80 000 Mann vielzuviel Zeit damit, daß sie einem Korps, das nicht halb so stark war, Schritt vor Schritt folgten. Sie hatten eine Abteilung über den Bug geschickt, die aber weiter nichts tat, als plündern und einige Dörfer abbrennen.

Unser Verweilen bei Luboml hatte keinen anderen Zweck gehabt, als unserer schweren Equipage Zeit zu verschaffen, die auf der Straße nach Wlodawa zurückeilte, um dort auf einer Schiffsbrücke den Bug zu überschreiten. Mit einbrechender Nacht setzten wir uns gleichfalls in Marsch, die Avantgarde an der Spitze, hinter dieser die Equipage, dann die I. Division, die Reservebatterien und zuletzt meine Division.

Die Nacht war so finster, daß man nicht einen Schritt weit sehen konnte und stets besorgen mußte, von den Voranmarschierenden abzukommen und in der Irre zu reiten. Zwar hatte Reynier den Weg am Tage durch Holzhaufen, die von Zwischenraum zu Zwischenraum angezündet wurden, bezeichnen lassen, aber sie waren niedergebrannt, ehe meine Division herankam. Dabei regnete es unaufhörlich und der Weg ging durch lauter Moräste, selten über Dämme, meistens über Felder und durch sumpfige Wiesen, wo nur auf der bezeichneten Spur fortzukommen war. Die vielen vorausfahrenden Wagen hatten ihn so verdorben, daß ich oft fürchtete, mit dem Pferde steckenzubleiben. Die Leute, die seitwärts ausbogen, um auf festeren Stellen zu gehen, waren in Gefahr, sich zu verirren und uns nicht wiederzufinden. Auch um den Feinden den Marsch zu verbergen, hatte man vorn die Feuer ausgemacht, sobald die Spitze der I. Division vorbei war. Vorher wurden sie durch die Wachtfeuer unseres Lagers verdeckt.

Was uns die größte Not schuf, waren die vielen Munitionswagen des Reserveparks. Sobald diese an ein Morastloch kamen, stockte jeder für sich, wenn er hineinfuhr, und jagte dann im vollen Trabe nach, wenn er wieder heraus war. Solange jeder der vordersten sich aufhielt, mußten auch alle nachfolgenden halten, und dieses vermehrte das Stocken bei jedem einzelnen Wagen so, daß, wenn ein jeder auch nur eine Minute bei einem Morastloch anhielt, dieses bei mehr als 60 Kanonen und Wagen schon eine Stunde betrug, ehe es an mich kam. Ehe aber die letzten die Kolonne wieder eingeholt hatten, war die Spitze schon wieder auf neue Sumpflöcher gestoßen, wo das Stocken von neuem anging. So wurde denn aus dem ganzen Marsche nichts als ein ewiges Stillstehen und Nachrennen. Nicht 5 Minuten konnten wir marschieren, ohne wieder ebensolange stillzustehen, und sobald nach einem solchen Stillstand die Kolonne wieder zu jagen anfing, entstand eine Lücke, so groß, daß man nicht einmal das Geräusch des Fahrens hörte. Dabei ging der Weg in Bogen und Winkeln, und Dorfwege, die ihn durchschnitten, vergrößerten noch die Gefahr des Verirrens.

Die Infanterie wurde durch das unaufhörliche Laufen und Stillstehen bald so ermüdet, daß die Leute zurückblieben und die Kolonne gar nicht mehr erreichen konnten. Zum Unglück band sich Sahr gar zu streng an den Befehl, geschlossen zu marschieren, und indem er stets die Spitzen vorwärts trieb, bewirkte er, daß die Bataillone in sich getrennt wurden und alles sich vereinzelte. Ich befahl schlechterdings, daß die Bataillone geschlossen bleiben und lieber ein noch so großes Intervall nicht achten sollten. Die berittenen Offiziere sollten hintereinander in den Zwischenräumen reiten, um so die Verbindung mit den Vornmarschierenden nicht zu verlieren. Ich hielt es nebst meinem Gefolge ebenso an der Spitze, und mein Quartiermeister, der einen ganz weißen Schimmel ritt, mußte stets dicht hinter dem letzten Wagen bleiben, weil man den Schimmer seines Pferdes noch am ersten wahrnehmen konnte. Ich schickte zu dem Major Hoyer, der die Reservebatterie führte, ihm sagen zu lassen, daß er das Nachjagen der Trainsoldaten nicht erlauben sollte, denn wenn sie im ruhigen Schritt blieben, würde jeder, der bei einem Morastloch zurückgeblieben war, bei dem nächsten seinen Vordermann wieder eingeholt haben. Aber es hätte bei jedem Wagen ein Offizier bleiben müssen, um das möglich zu machen; die Knechte waren einmal in Angst und ließen das Jagen nicht, sobald eine Lücke vor ihnen entstanden war.

Diese Nacht gehört zu den peinlichsten, die ich in meinem Leben erfahren habe. Bei dem ewigen Stillhalten wurde man von einer beinahe unüberwindlichen Müdigkeit überfallen. Um nicht auf dem Pferd einzuschlafen, stieg ich ab; gewiß bin ich in den ersten 5 Stunden hundertma abgestiegen, und dennoch schlief ich stehend, mit dem Kopf auf den Sattel gelehnt, ein. Die Leute legten sich auf den schmutzigen Boden nieder, wenn der Marsch stockte, aber man durfte es ihnen nicht erlauben, weil sie gleich so fest einschliefen, daß sie nicht wieder zu ermuntern waren, und wenn sie wieder aufstanden, waren sie steif und erstarrt, weil sie sich vorher durch das Laufen erhitzt hatten.

Meine Batterie hatte von dem Platze des Abmarsches einen kleinen Umweg machen müssen, um einen Graben zu überschreiten, ehe sie sich der Kolonne anschließen konnte. Obwohl der Adjutant des Majors Auenmüller, Leutnant Hirsch, am Abend sich den Weg genau gemerkt und bezeichnet hatte, wurde er in der Nacht doch irre und verfehlte die Furt. Als wir daher mit der Kolonne im Marsche waren und nachfragten, ob alles heran wäre, vermißten wir zu unserem größten Schrecken die Batterie. Der pechschwarze Boden trug noch bei, die Dunkelheit zu vermehren, und dennoch mußte ausgeschickt werden, die Batterie zu suchen. Sie fand sich zum Glücke noch zu uns.

Wegen der Wagen waren sehr strenge Befehle gegeben und gedroht worden, jedes Geschirr, das außer der Reihe getroffen wurde, ohne Rücksicht auf seinen Besitzer, zu zerschlagen. Trotzdem entstand vorn eine Stockung, weil die Wagen ineinander gefahren waren. Wütend ritt Reynier vor, um ein Beispiel zu verhängen. Er fand die zweite seiner sechsspännigen Kutschen mit dem Kutscher, der in Luboml so unverschämt gegen mich gewesen war, an der Seite des Weges umgeworfen, weil der Kutscher eigenmächtig ausgebogen war, um in der Dunkelheit den andern vorzujagen. Der unschuldige Wagen wurde begnadigt; daß aber der Kutscher unbestraft blieb, gehörte zu Reyniers Schwachheiten.

Nach Mitternacht hörte der Regen auf, Sterne zeigten sich am Himmel, und gegen Morgen fing es an zu frieren. Um 3 Uhr wurde bei einem Dorfe Halt gemacht. Reynier war in ein Haus gegangen, ich trat auch hinein, es war eine elende Judenschenke. Er lag auf einer Bank, seine Umgebung auf der Erde oder vor der Türe, alles schlief. Ich ging daher auf das Biwak zurück, wo meine Leute Feuer gemacht hatten, und ich mich mit einer Tasse schwarzen Kaffee erquickte. Die Division Lecoq hatte sich wieder in Marsch gesetzt, als ich ankam, wir hatten daher nur soviel Zeit, wie dazu gehörte, die Kolonne vor mir in Bewegung zu setzen. Mit dem Morgen kamen wir nach Opalin, wo die Avantgarde zurückblieb, um nun unseren Nachtrab zu bilden. Die Entfernung von Luboml betrug nur 3–4 Meilen, aber bei dem Zickzack unseres Weges und dem ewigen Stocken der Kolonnen hatten wir von 9 Uhr abends bis früh 7 Uhr darüber zugebracht. Wir gingen durch das Städtchen und ruhten nachher nur etwa eine Stunde in einem Walde, wo wir plötzlich durch ganz nahe Schüsse aufgestört wurden. Es war Feuer in eine Patronentasche gekommen, die Explosion hatte jedoch nur den Rock und ein Paar Matins beschädigt, der Soldat, der die Patronentasche trug und dem Feuer zu nahe gekommen war, kam mit dem Schrecken davon.

Ohne die ausgezeichnete Kenntnis des Bodens, die sich Reynier durch die ausgeschickten Ingenieure erworben hatte, wäre es ihm durchaus unmöglich gewesen, durch diese Gegend, wo keine Straße ging, zu entkommen; denn auf dem gewöhnlichen Wege nach Opalin würden uns die Feinde nicht ruhig haben ziehen lassen. Daß sie es aber auch hier taten, daß sie bei ihrer Überlegenheit an Kavallerie, bei der Menge ihrer Kosaken uns nicht rascher verfolgten, nicht meine Division in der Verwirrung der Nacht angriffen, ist unerklärlich. Fünfzig Kosaken hätten uns in Unordnung bringen und uns Geschütz und Equipagen nehmen können. Aber bei Nacht haben die Kosaken keinen Mut und fürchten überhaupt viel zu sehr das Feuergewehr der Infanterie, der russischen Linienkavallerie aber fehlt es an Beweglichkeit und Geschick zu Ausführung rascher Unternehmungen. Weil sie sich stets auf die Kosaken verläßt, versteht sie nicht genug, den kleinen Krieg zu führen.

Wir marschierten den ganzen folgenden Tag, indem wir nur einige Male ausruhten und kamen gegen Abend etwa eine halbe Meile oberhalb von Wlodawa in einer Gegend an, wo der große See von Szack (Jezioro Switjaz) sich bis auf einen Zwischenraum von höchstens 3 Stunden gegen den Bug erstreckt. Der Boden hat hier gegen den See hin sumpfige, zum Teil mit Gebüsch bedeckte Wiesen, an diese stoßen niedere Sandhügel, gleich Dünen, die sich stufenweise erheben, kleine Vertiefungen bilden und nach ihrer Hauptrichtung gegen den Bug einen beinahe rechten Winkel machen. Zwischen ihrem Fuß und dem Strom ist eine mit Busch und Waldung bedeckte Fläche, etwa eine halbe Stunde breit, in der einige Dörfer und Mühlen versteckt liegen. Am linken Ufer des Bug erhebt sich der Boden wieder zu einer mehr oder weniger steilen Erhöhung, die dem Fluß gleichläuft und oben sich in eine weite Ebene ausdehnt.

Als ich am Abend aus einem langweiligen Walde hervorkam, fand ich die Division Lecoq auf dem Rande der ersten Hügelreihe bereits aufmarschiert, mit der Front gegen die Seite, wo wir herkamen, den rechten Flügel gegen den Bug hin. Reynier schickte mir Befehl, mich in einiger Entfernung von ihr links aufzustellen, so daß ich mit ihr, sowie die Richtung der Hügel es erlaubte, einen stumpfen Winkel bildete. Ein Gebüsch auf den Wiesen vor meiner linken Flanke besetzte der Obrist Tettenborn mit der leichten Infanterie, und sobald die Avantgarde, die uns folgte, angekommen war und ziemlich nahe vor mir ihren Posten genommen hatte, wurde biwakiert.

Die Kosaken trafen zugleich mit der Avantgarde ein, es fielen jedoch nur wenig einzelne Schüsse, und sie begnügten sich, uns aus der Ferne zu beobachten, wahrscheinlich nicht wenig erstaunt, uns hier in einer so guten Stellung zu finden. Eine Stunde hinter uns sahen wir die lange Reihe der österreichischen Equipage fahren, die über die Schiffbrücke bei Wlodawa ging. Ihre Infanterie folgte.

Der General Mohr hatte mit einer österreichischen Division eine Straße mehr nach den Morästen zu eingeschlagen. Der Zweck dieser Bewegung ist mir nie klar geworden. Mit unserem Rückzuge schien sie nicht notwendig in Verbindung zu stehen, obgleich meine Adjoints es damals behaupten wollten. Es hieß nachher, er habe über Mozyr zu dem Korps des Generals Dambrowski bei Bobruysk stoßen sollen. Wie dem auch sei, so ist gewiß, daß er weder mit uns überging, noch zu Dambrowski kam, sich aber sehr geschickt, ohne angreifen zu lassen, ich weiß nicht auf welchem Punkte, durch die Sümpfe zog, nach Mosty am Niemen kam und von dort über Grodno sich erst spät, im Dezember oder Januar mit dem Fürsten Schwarzenberg wieder vereinigte; ein Rückzug, der, wenn nicht Begünstigung von den Russen mitgewirkt hat, mit den größten Schwierigkeiten verknüpft sein mußte, wir aber fanden uns dadurch beträchtlich geschwächt.

Die russischen Generäle schienen durch Reyniers Nachtmarsch über eine Gegend, die selbst am Tage kaum für Reisende, weit weniger für eine Armee mit Artillerie und Gepäck zugänglich schien, völlig irre geworden zu sein. Sie ließen die Österreicher ruhig über die Schiffbrücke von Wlodawa gehen und stutzten, als sie uns in unserer Stellung fanden. Wir hatten einen Marsch gewonnen, denn ihre Armee konnte nicht so schnell folgen, wie die Kosaken, aber wahrscheinlich hofften sie uns auf unserm Marsch nach Wlodawa zu erdrücken und ließen daher die Regimenter eilig nachmarschieren.

Uber den Bug nach Brest

Unser Hauptquartier blieb die Nacht in einem Dorfe dicht vor dem Biwak, das Olzanki hieß. Ich ruhte in einer Scheune aus. Wo eigentlich die Schiffbrücke geschlagen würde, wußte niemand. Die Truppen glaubten, wir würden bei Wlodawa übergehen (Olzanki 15 km sö. Wlodawa). Am 1. Oktober früh hatte die Division Lecoq sich rückwärts auf der zweiten Hügelreihe aufgestellt. Gegen 10 Uhr vormittags mußte ich aufbrechen und durch eine Vertiefung zwischen den Hügeln hinmarschieren; der Obrist Tettenborn folgte mir, und die Arrieregarde (Gablenz, dessen Korps ein für allemal durch „Avantgarde“ bezeichnet wird, obgleich er natürlich auf Rückzügen hinten war) nahm meine Stellung ein.

ln dem Tal, etwas rückwärts von der I. Division, waren 2 Schiffbrücken geschlagen, durch Busch und Wald so gut verdeckt, daß niemand die Arbeiter hatte belauschen können. Alle Einwohner waren durch ausgestellte Posten von dieser Gegend abgehalten worden. Reynier begegnete mir auf dem Marsch und befahl mir, am jenseitigen Ufer eine Stellung zu nehmen, durch die ich die Brücke beschützen und diesseits die Hügel und die an dem Strome liegenden Dörfer und Mühlen bestreichen könnte. Zwei Kanonen sollte ich am Ufer nahe bei den Brücken aufstellen. Ich bestimmte den Ort, wo die Linie stehen sollte, und ritt nun, um die Gegend den Mühlen gegenüber zu untersuchen. Als ich zurückkam, hatte der Hauptmann Fabrice meinen Auftrag, wie er die Division stellen sollte, abgeändert und die Leute auf einen Rand gestellt, anstatt, wie ich es wollte, sie einige Schritte rückwärts in eine Vertiefung zu stellen und dem Feinde bloß die vorgeschobenen Posten zu zeigen. Er nahm es sehr übel, daß ich seine Abänderungen nicht gut hieß und die Linie zurücktreten ließ. Da es ein Verbrechen war, irgend eine Anordnung eines Mitglieds des hohen Generalstabs zu tadeln, so deckte ich mich, als Reynier kam, um die Stellung zu sehen, indem ich ihn in Fabrices Gegenwart fragte, ob er etwa wollte, daß die Linie bis auf die Erhöhung vorrückte. „Keineswegs!“, antwortete er, „so steht sie gut. Es ist nicht nötig, daß der Feind die Rotten zählen kann.“

Gleich hinter mir ging die Avantgarde über und, auf dies folgte die Division Lecoq, während zu gleicher Zeit eine Linie österreichischer Kavallerie, die weiter rückwärts auf den Höhen erschien, die Feinde in Respekt hielt und wieder durch unser am linken Ufer aufgefahrenes Geschütz gedeckt wurde. Ehe die Russen durch einen von den Morästen erschwerten Umweg sie erreichen konnten, war sie bei Wlodawa gleichfalls übergegangen. Reynier war der letzte, der über unsere Brücke ritt, die nun sogleich abgebrochen wurde. Wir hatten nicht einen Mann, keinen Kahn der Brücke und keinen Karren unseres Gepäcks bei diesem Übergange eingebüßt. Die Truppen waren so überzeugt von der Schwierigkeit und so froh über das Gelingen, daß sie Reynier, als er in das Biwak geritten kam, mit einem freudigen Vivat empfingen.

Die Feinde verloren bei den Versuch, das Abbrechen der Brücke zu verhindern, einige Mannschaften durch unser Geschützfeuer. Ein kühner Versuch ihrer Jäger, bei der einen Mühle, wo ein Damm sich weit in das Wasser erstreckte, uns in der Nacht durch einen Übergang auf mitgebrachten Prahmen zu beunruhigen, scheiterte an der Wachsamkeit unserer leichten Infanterie. Diese Wachsamkeit war auch nötig, denn wir standen hier ziemlich vereinzelt, weil die Avantgarde mehr rückwärts, die I. Division aber bis nach Wlodawa oder doch dicht in die Nähe davon gegangen war. Ich blieb in der Nacht in dem Dorfe Sobibor in einer Scheune (8 km s. Wlodawa).

Unsere Truppen glaubten den Feldzug beendet, weil wir über den Bug zurückgegangen waren, aber Reynier dachte nur daran, das rechte Ufer wieder zu gewinnen und eilte, keine Zeit zu verlieren, um den Feinden bei Brest zuvorzukommen. Als wir am folgenden Morgen nach Wlodawa marschierten, begleiteten sie uns am rechten Ufer, schossen auch herüber, doch ohne Erfolg. Desto nachdrücklicher begrüßte aber erst der Hauptmann Roth und nachher meine Batterie eine feindliche Kolonne, die jenseits marschierte und mit Verlust einen entfernten Wald zu suchen genötigt war. Der Vorteil des Bodens war auf unserer Seite, weil unser Ufer das rechte überhöhte. Ich blieb die Nacht bei Hanna (21 km n. Wlodawa) und die folgende in Okczyn (16 km s. Brest), wo das Fenster des verfallenen Hauses, in dem ich lag, unmittelbar auf den Bug hinaussah.

Am 4. rückten wir durch Terespol nach Brest hinein.

Diese Stadt wird von Terespol durch den Bug getrennt, über den sehr hohe hölzerne Brücken gehen, die von den Russen im Sommer verdorben und nur einigermaßen hergestellt waren. Man konnte nicht ohne Sorge die Artillerie hinübergehen sehen. Denn die Pfeiler und Balken waren durchsägt und nur eilig wieder gestützt worden. Die ganze Brücke schwankte unter der Last. Ein Teil der sehr weitläufigen Stadt, in der einige schöne Klöster liegen, wird von dem andern durch den Muchawiec getrennt, über den verschiedene Brücken führen. Dieser Fluß fließt in verschiedenen Armen durch und um die Stadt, auch der Bug bildet zwei Arme zwischen Brest und Terespol. Auf einer vom Muchawiec umgebenen Insel liegt ein altes Werk aus früheren Kriegen, ein hoher, wahrscheinlich größtenteils durch Menschenhände aufgeführter Erdhügel oder große Bastion, die aber geschlossen ist, wie eine Redoute, und von unregelmäßiger Gestalt. Es lagen einige Häuser und Gärten in der inneren Vertiefung, er hatte auch Brustwehren und einige kleine Kavaliere, die Stadt und Gegend beherrschten.

Die Österreicher lagerten sich auf der Seite gegen Kamieniec und Pruzana, Schwarzenberg nahm sein Quartier in dem schönen Schlosse Adamkow, eine Viertelmeile von Brest, Reynier in der Stadt. Die Division Lecoq stand am rechten Ufer des Muchawiec und zum Teil in dieser Gegend der Stadt, die H. wurde verteilt. Zwei Kompagnien vom Bataillon Anger standen in Terespol, die beiden andern nebst dem Bataillon Spiegel biwakierten auf dem Markte, das Bataillon Bose besetzte die alte Verschanzung, ein Bataillon leichter Infanterie stand in einem weiten Hofe bei den Klöstern am linken Ufer des Muchawiec, das andere sollte die vor diesem gelegene weitläufigte, mit Gärten durchschnittene Vorstadt besetzen und zugleich der Avantgarde, die gegen Bulkowo hin vorgeschoben war (17 km nö. Brest), zur Unterstützung dienen.

Langenau wollte diese Posten selbst aussetzen, ich schickte daher den Kapitän Fabrice mit, um eine Meldung darüber zu erhalten und ritt mit dem Kapitän Langenau nach der Schanze und den übrigen Punkten, um die Truppen aufzustellen. Wir waren um 9 Uhr früh in Terespol angekommen, und schon war es Mittag vorbei, als wir mit der Aufstellung fertig sein konnten. Ich wartete vergebens auf Fabrice und setzte mich endlich zu Pferde, um die leichte Infanterie zu suchen. Aber ich ritt vergebens umher, weil ich verstanden hatte, wie es auch anfangs die Absicht gewesen war, sie sollte am rechten Ufer des Muchawiec aufgestellt werden. Niemand konnte mir Nachricht geben, und wir setzten uns um 3 Uhr zum Essen, ohne zu wissen, wo sie war. Nach 4 Uhr kam Fabrice; ich ließ für ihn nochmals anrichten und wartete, ob er mir keine Meldung machte. Da gar nichts erfolgte, fragte ich ihn endlich und gab ihm meine Meinung zu verstehen, daß ich von ihm schlechterdings Nachricht über solche Gegenstände erwartet hätte, denn es war nicht das erste Mal, daß er es so gemacht hatte. Wenn er mit einer Order von Reynier kam, auch wenn sie gar nicht eilig war, richtete er sie selbst aus, verschickte die Bataillone oder änderte ihre Stellungen, ohne mir ein Wort zu sagen, und wenn ich die Truppen suchte oder über sie verfügen wollte, waren sie weg, er selbst auch, und ich wußte nicht, wo ich sie suchen sollte. Dieses Betragen wurde von Langenau unterstützt und war von ihm eingeleitet, um den Generälen alles Ansehen zu entziehen und alles durch den Generalstab zu machen. War aber Reynier, wie es oft geschah, mit einer Anordnung nicht zufrieden, so machte er den General verantwortlich und fragte nicht, was die Adjoints für sie getan hatten.

Ich sagte dies Fabrice, aber er antwortete, als habe er das größte Recht, er hätte mit den übrigen nach Adamkow reiten müssen und mir daher keine Meldung machen können. Ich erinnerte ihn, daß er zwei Ordonnanzen mitgenommen und von diesen wohl eine an mich schicken können. Er aber blieb dabei, der General Langenau selbst hätte die Posten aufgestellt und folglich könnte daran nichts geändert werden. Daß die Truppen, weil niemand sie zu finden wußte, kein Brot bekommen hatten, nicht wußten, wo sie mich suchen sollten, galt alles bei ihm nichts. Er fand sich höchlich beleidigt, daß ich mit ihm nicht zufrieden war, und ich mußte schweigen, wenn ich nicht mein ganzes Ansehen gegen ihn brauchen wollte. Ich beklagte mich aber nachher bei Langenau darüber, und weil in der Tat Fabrice nicht zu entschuldigen war, so ließ ihn sein Gönner für dies Mal auch fallen und versprach, ihm einen Verweis zu geben.

Wenn man nach einem solchen, stets fortgesetzten hinterlistigen Betragen, von dem ich nur diese eine Probe anführe, den Schluß ziehen wollte, daß Fabrice ein böser Mensch wäre, so würde man ihm sehr unrecht tun. Er meinte es gut und war ein äußerst tapferer Soldat, der dabei durch ein außerordentlich scharfes Auge und eine seltene Geschicklichkeit des Körpers unterstützt wurde. Aber er war ein beschränkter Kopf und von einer solchen enthusiastischen und alles bewundernden Ehrfurcht gegen den Generalstab, d. h. gegen den General Langenau und Gersdorf, eingenommen, und hegte zugleich eine so hohe Meinung von der Würde eines Mitgliedes dieses Korps, daß er alles für verdienstlich und erhaben hielt, was zur Befriedigung der Absichten seiner Gönner gehörte. Er wurde überall zum irrenden Ritter für sie, er würde seinen leiblichen Bruder zur Verherrlichung des Generalstabes umgebracht haben, denn in seiner Meinung adelte die Heiligkeit seines Zweckes jedes Mittel. Und weil ich eben keine so große Idee von der Reinheit der Absichten Gersdorfs und Langenaus hegte, sie bei weitem nicht für so untrüglich hielt, so glaubte er mich auf jede Art befehden zu müssen und sich durch jeden Verdruß, den er mir machte, wenn es auch durch die unrechtlichsten Mittel geschah, ein hohes Verdienst um die gute Sache zu erwerben, ohne dafür einen Lohn zu fordern. Sein Enthusiasmus verlangte dieses nicht. Er fühlte sich glücklich im Bewußtsein und gefiel sich in der Rolle des verkannten, nicht belohnten Verdienstes. Aus Enthusiasmus war er jetzt ein wütender Franzose, der es für ein Verbrechen hielt, an dem Glück des Kaisers nur von ferne zu zweifeln, und ebenso schnell wurde er ein Franzosenhasser, als sein Gönner den Spieß umgekehrt hatte.

Reynier fing nun an, in Brest Verteidigungsanstalten zu machen, als ob er sich lange an diesem Ort halten wollte. Es wurden täglich einige hundert Soldaten als Arbeiter in die hohe Schanze kommandiert, welche die Brustwehr erhöhen, sie durch Faschinen und Flechtwerk befestigen, Traversen und neue Werke anlegen, alte abtragen mußten. Es wurden Bettungen gemacht und vier Kanonen meiner Batterie aufgestellt. Aus Prahmen hatte man eine Brücke geschlagen. Nun wurden am Fuß des Werkes, gleich über dem Wasser, neue Schanzen angelegt, und so oft Reynier kam, hatte er neue Einfälle, über deren Ausführung der Major Aster oft beinahe verzweifelte. Es ging dem General Reynier, wie den meisten französischen Ingenieuren: wenn sie einmal ins Bauen kommen, können sie kein Ende finden. Das Schanzen war seine Liebhaberei. Auch auf der Landspitze am Zusammenflüsse des Muchawiec und des Bug wurden Werke angelegt. Die ganze Vorstadt, die meine leichte Infanterie besetzt hatte, mit ihren Gärten und Häusern wurden zum Schikanekrieg eingerichtet und eignete sich auch trefflich dazu, – wenn der Feind von dieser Seite hätte angreifen wollen. Es gehörte eine eigene Karte, die man im Kopfe haben mußte, dazu, die vielen versteckten Winkel und Posten aufzusuchen. Die eingerissenen Zäune dienten als Brustwehren, die Straße, die sich nachher teilte, um nach Luboml und nach Patno zu führen, war mit Gräben durchschnitten, und zwei von meinen Kanonen bestrichen sie. Um hinauszukommen, war ein verdeckter Weg durch Scheunen und Höfe angelegt, die dicken Mauern der Klostergärten und Höfe wurden durchbrochen, um durch Schießlöcher feuern zu können. Mehr als zwanzig Häuser mußten abgetragen werden, um die Verteidigung zu befördern.

Zu gleicher Zeit wurden auch die Requisitionen aller Art nicht versäumt. Der Kapitän Könneritz vom Bataillon Spiegel, der zum Platzkommandanten ernannt war, zeigte mir eines Tages 160 Pfund Kaffee und 500 Bouteillen Wein, die auf einmal hatten abgeliefert werden müssen. Dabei blieb es jedoch bei weitem nicht, und alles verschwand in der Intendanz, verteilt wurde davon wenig oder nichts. 6 Flaschen Wein und Rum und 6 Pfund Kaffee wurden mir zugeschickt. Der Handel wurde erst nach einigen Tagen wieder erlaubt, aber zu unerhörten Preisen, denn nun durften die Juden fordern, was sie wollten, und wir kauften den Wein und andere Bedürfnisse bei den österreichischen Markedentern, wo der Preis etwas billiger war. Auch ein französischer Markedenter schloß sich an Reyniers Gefolge an, der stets etwas wohlfeiler verkaufte als die Juden im Orte. Man wollte behaupten, daß diesen die Preise vorgeschrieben wären. Der österreichische Intendant verfuhr billiger. Wenn sie an einen Ort kamen, wurden zwar auch alle Waren beschlagnahmt, und die Handelsleute mußten sich abfinden. Aber dann wurde der Preis festgesetzt, für den Offiziere und Mannschaften einkaufen konnten. Bei uns war es umgekehrt. Wenn die Juden bezahlt hatten, dann überließ man ihnen die Armee, und sie mochten ihre Waren so hochhalten, wie sie wollten. Und da ihre Preise immer höher waren, als die der Marketender, so läßt sich vermuten, daß es ihnen sogar untersagt war, wohlfeiler an uns zu verkaufen.

Die Russen folgten uns sehr bald. Sie beunruhigten unsere Avantgarde auf dem linken Ufer des Muchawiec und auch auf der Seite von Terespol und setzten sich bei den eine halbe Stunde von Brest gelegenen Höhen fest. Mit den Österreichern hatten sie auf der Seite von Bulkowo und Kobryn täglich Gefechte, wobei viel Artilleriefeuer gehört wurde, auch die I. Division mehrmals ausrückte, doch kamen die Sachsen nicht ins Feuer. Reynier ritt jedesmal mit hinaus; ich bin nur einmal hingeritten, weil mein Posten in der Stadt war, wo wir jedoch auch vergebens das Gewehr ergriffen.

Die Nachrichten von der Großen Armee sagte man sich nur ins Ohr. Der Brand von Moskau wurde bekannt, aber niemand begriff das Stillstehen des Heeres nach der Eroberung der Hauptstadt. Viele schmeichelten sich mit dem Frieden, und als der General Knorring einmal auf unsere Vorposten geritten kam und bald nachher ein Parlamentär ein Schreiben an den Fürsten Schwarzenberg brachte, glaubte jeder, es wäre Waffenstillstand geschlossen. Das Kanonieren bei den Österreichern benahm uns jedoch bald diesen Wahn.

Die Polen, welche noch bei unserer Avantgarde gewesen waren, hatten uns verlassen, dagegen sollte eine Verstärkung von 6000 Österreichern bei Zamosz angekommen sein, und der General Zechmeister wurde ihr entgegengeschickt, sie zu uns zu führen. Er ließ sich aber in der Gegend von Lublin durch den Übergang eines russischen Korps über den Bug schrecken und eilte mit der Verstärkung nach Galizien zurück. Sie ist nie zu uns gekommen. Eine geringe Verstärkung erhielten wir aus Sachsen durch 107 Mann Ulanen, Dragoner und Husaren und 64 Kürassiere und Garde du Corps, die unter dem Major Thümmel ankamen. Aus den letzten wurde, da sie unmöglich nach Moskau durchkommen konnten, eine zusammengesetzte Schwadron gebildet, die sich dem Regiment Polenz anschloß, die Husaren und Dragoner stießen zu ihren Regimentern, die 42 Ulanen zu der Schwadron des Major Seydlitz. Diese war dadurch bis zu 180 Pferden angewachsen, und ich hielt es für zweckmäßig, nun 2 Schwadronen zu bilden, von denen jede 72 Pferde in Reih und Glied hatte, den Rest aber zu Avantund Arrieregarden und den nötigen Detaschierungen in Reserve zu behalten. Diese Einrichtung war dem sächsischen Reglement gemäß und für den Dienst heilsam; denn wenn man 3 Schwadronen bildete, jede zu 60 Pferden, so mußten alle Avantgarden usw. aus Reih und Glied genommen werden, alle Kranken in den Linien fehlen, und die Schwadronen blieben dann kaum 20 Rotten stark, ein bis zur Lächerlichkeit kleiner Trupp, mit dem sich gegen den Feind gar nichts ausrichten ließ. Überdies fehlte es auch an Offizieren, um drei Schwadronen zu besetzen, wir hatten kaum zu zweien genug. Ich machte dennoch darüber, weil es das Innere des Dienstes betraf, dem General Lecoq eine Meldung, der natürlich meinen Vorschlag genehmigte.

Desto unerwarteter war es mir, Widerspruch zu finden. Aber Seydlitz hatte zum Generalstab gehört und sollte gehoben werden. Wenn er als Führer von 3 Schwadronen in den Listen geführt würde, stand er dem Regimentskommandanten ziemlich gleich und mußte dann in aller Eile zum Obristen befördert werden. Gablenz, der zu allen solchen Kabalen die Hand bot, hatte durch Nebenwege bei Reynier die Sache eingeleitet, und als ich zu der Formierung Befehl gab, antwortete er mir schriftlich, er wäre zwar in Ansehung der Vorteile der Formierung völlig meiner Meinung, aber ein noch größerer Vorteil wäre die Zufriedenheit des Kommandanten, und da der Major Seydlitz einmal 3 Schwadronen formiert hätte, so könnte er dies nicht gut andern. Ich schrieb ihm zurück, der Major Seydlitz hätte sehr Unrecht gehabt, ohne Anfrage bei ihm und mir eigenmächtig eine Formierung vorzunehmen, da diese doch nur allein von dem Divisionsgeneral abhinge. Überdies hätte ich bereits Lecoq den Etat der zwei Schwadronen übergeben, die drei kleinen Trupps, die man nicht einmal mit Offizieren besetzen könnte, wären durchaus widersinnig und dem Dienst nachteilig, wie er selbst einräume; ich müßte daher auf der Formierung in zwei Schwadronen bestehen. Anstatt zu gehorchen, schrieb mir Gablenz zurück, er könne unmöglich einen Stabsoffizier kompromittieren (aber ohne Bedenken einen Divisionskommandeur, seinen Vorgesetzten!) und werde daher die drei Schwadronen bestehen lassen. Ich tat weiter nichts, als daß ich die Briefe zu Langenau trug und ihn fragte, was er davon hielt. So ganz geradezu konnte Langenau die Subordination doch nicht aufheben, er mußte daher auf meine Seite treten und antwortete mir, an meiner Stelle würde er eine Order geben, daß binnen zwei Stunden die Formierung geschehen und an mich Meldung darüber erstattet sein müßte. Ich würde dies ohne ihn getan haben, und mein Befehl mußte ausgeführt werden. Er kam selbst nach einer Stunde zu mir, um sich darnach zu erkundigen, denn er war in Verlegenheit, weil Gablenz, der an diesem Tage betrunken war, seine Instruktion überschritten hatte. Er war am meisten schuld daran, weil Seydlitz an ihn, seine nächste Instanz, sich gewendet, Gablenz aber mich völlig übergehen zu können geglaubt hatte. Wenn ich aber solche grobe Subordinationsvergehen mir nicht gefallen lassen wollte, so heißt es, ich sei so hart gegen meine Untergebenen, daß kein Mensch mit mir auskommen könne.

An der Lesna

Die Gefechte bei den Österreichern, die sich jedoch auf Kanonaden, die mehr Geräusch machten, als sie Wirkung hatten, beschränkten, dauerten fort; aber die Russen waren zu gleicher Zeit bei Kobryn vorgedrungen und über den Muchawiec gegangen, so daß wir jetzt Gefahr liefen, von allen Seiten eingeschlossen zu werden. Wir mußten daher Brest verlassen, aber Reynier tat es nicht eher, als bis die höchste Notwendigkeit ihn dazu zwang. Er hatte unsere Equipage nach Pratulin vorausgeschickt, von wo aus sie die Straße nach Warschau gewinnen konnte, und gab nun am 10. Oktober abends Befehl zum Abmarsch.

Die 1. Division brach nach Mitternacht auf, dann die Avantgarde, ich folgte zuletzt; ein Bataillon leichte Infanterie, das ich zurück ließ, mußte die Brücken abbrechen. Der Oberleutnant Seydewitz, der es anführte, sah noch am jenseitigen Ufer die Kosaken ankommen und die Juden beschäftigt, die Brücken wieder herzustellen. Dennoch kam er ohne Verlust wieder zu mir. Wir blieben auf dem rechten Ufer des Bug, ich ließ hinter mir die Dammbrücken in den Sümpfen zerstören und zwischen 9 und 10 Uhr vormittags kam ich bei dem kleinen Flusse Lesna an, der aus den Morästen bei Kamieniec kommend sich ungefähr Pratulin gegenüber in den Bug ergießt.

Wir gingen über den Fluß und machten Front gegen ihn. Die Brücken wurden mit Stroh belegt, um gleich abgebrannt werden zu können, aber der Fluß war so seicht, daß man überall durchreiten konnte. Da, wo ich übergegangen war, führt eine Straße durch das rückwärts liegende Dorf Motykaly (15 km nw. Brest) nach Wolczyn, wo sie sich teilt und geradefort über Bjelsk nach Bialystok, links hin gegenüber Drohiczyn am Bug nach Warschau geht.

Unsere Stellung erstreckte sich längs dem Lesnaflusse. Links standen die Österreicher, dann kam Reynier, der in dem Dorfe Klejniki (10 km nw. Brest) sein Quartier hatte, und die I. Division, noch weiter rechts die Avantgarde und zuletzt an der Straße nach Motykaly meine Division, die, weil der Fluß hier einen Bogen rückwärts macht, ein Detachement zugleich zur Deckung des rechten Flügels und auch zur Unterstützung hinter dem rechten Flügel hatte. Noch weiter zurück stand eine Schwadron Husaren, die Reynier mir geschickt hatte, um an dem Flusse bis zu seiner Mündung zu patrouillieren.

Der Boden erhob sich in kleinen Hügeln, die durch Vertiefungen und Wasserrisse getrennt waren, hart von den Ufern, so daß wir die gegenüberliegende Ebene beherrscht haben würden, wenn sie nicht so dicht mit Wald bedeckt gewesen wäre. Man konnte durchaus nicht sehen, was drüben vorging. Ich hatte das Biwak auf der Fläche dieser Höhen etwas hinter den Kamm zurückgezogen, es lehnte sich rechts an ein Dorf an. Das Ufer hatte ich besetzt, mein Quartier nahm ich in dem rechts rückwärts liegenden Dorfe Terepon. Zwei Kanonen standen vor dem linken Flügel der Division, um den Weg hinter der Brücke zu bestreichen, zwei unten an der Brücke und zwei etwas links an meinem Dorfe, wo eine Furt durch das Wasser ging. In ziemlicher Entfernung links konnten wir die Avantgarde in einer ähnlichen Stellung sehen.

Gegen Mittag hörten wir Kanonenschüsse auf der Seite der Österreicher, die aber bald näher kamen, weil die erste Division sehr lebhaft angegriffen wurde. Es entstand ein sehr lebhaftes Infanterie- und Tirailleurfeuer. Ich war natürlich in das Biwak geritten und hatte mich mit dem General Gablenz in Verbindung gesetzt. Er wurde auch angegriffen, und um 3 Uhr sah ich Bewegung in der mit Buschwerk bedeckten Tiefe mir gegenüber. Die Feinde hatten eine Batterie aufgeführt und fingen an, uns zu beschießen. Wir antworteten, aber nur unsicher, weil wir in dem durch dichten Busch versteckten Boden nur nach dem Rauch den Stand ihrer Batterien beurteilen, die Truppen aber gar nicht sehen konnten.

ln einem Hause, das im Busch gegenüber etwas erhöht lag, mochte ein Befehlshaber sein. Wir sahen dahin viel Kosaken hin und herreiten. Wir warfen Haubitzen nach der Gegend, und eine, die das Haus traf, sprengte die Feinde auseinander.

Bei der 1. Division dauerte das Feuer der Kanonen und des Kleingewehrs mit äußerster Heftigkeit fort und schien immer auf demselben Punkte zu bleiben. Die Russen hatten wirklich dort den Übergang erzwungen und waren wieder zurückgewiesen worden. Der Verlust war auf beiden Seiten beträchtlich. Wir bedauerten besonders den Oberstleutnant Egidy, der durch den Leib geschossen wurde und nach einigen Tagen starb, und den Major Metzsch, der auf der Stelle blieb. Beide waren von dem ersten leichten Infanterieregiment, das sich schon bei Poddubno, wo es zum Teil bei mir war, und bei der Avantgarde, wo abwechselnd ein leichtes Bataillon kommandiert stand, glänzend ausgezeichnet hatte. Die Division Lecoq kam heute, den 11. Oktober, zum ersten Male ins Feuer und focht mit großer Tapferkeit.

Bei der Avantgarde wurden einige Mannschaften und Pferde getötet oder verwundet, unter anderen das Pferd, das mein jüngster Sohn ritt. Bei mir wurde ein Mann totgeschossen und das Pferd einer meiner Ordonnanzen, die ich zu Gablenz geschickt hatte, verwundet. Nachteiliger für uns war die Demontierung der einen Kanone, die vor meiner linken Flanke detachiert war. Ich konnte sie nicht ersetzen, und einige Kompagnien Jäger warfen sich in die Lücke, um bei der Furt Sturm zu laufen. Sie wurden, als sie neben der feindlichen Batterie aus dem Busch kamen, von dem Hauptmann Roth, der die reitende Batterie bei der Avantgarde führte, entdeckt, und er warf aus weiter Entfernung zwei Granaten so glücklich nach ihnen, daß die eine mitten in der feindlichen Batterie jlatzte und große Unordnung anrichtete. Wir sahen eine )eschädigte Kanone zurückfahren, und die Jäger glaubten wahrscheinlich, daß sie aus einer unbekannten Gegend unvermutet beschossen würden, daß ich eine versteckte Batterie hätte und machten Halt. Wir hatten unterdessen die Kanone an der Brücke so gestellt, daß wir sie nachdrücklich empfangen und zum Rückzug nötigen konnten. Sie gingen jedoch nur bis in den Busch, wo wir sie nicht sehen konnten. Die feindliche Batterie verschwand. Aber auf den Höhen gegenüber, außerhalb unseres Schußbereichs, konnte man, wo das Holz Lücken hatte, deutlich Truppen sehen, die sich gegen den Bug, folglich gegen meine schwächste Flanke, die rechte, zogen.

Ich hatte dies immer gefürchtet und begriff auch nicht, warum die Russen gerade unsern stärksten Punkt, die Mitte angriffen und nicht lieber gleich anfangs unsere rechte Flanke zu umgehen suchten. Ich machte daher gleich eine Meldung an Reynier und schickte ihm einen Plan der Gegend mit, den mir der Verwalter des Grafen Grabowski in Terepon, eines Polen, der auf unsrer Seite war, gegeben hatte und auf dem ich die Punkte bezeichnet hatte. Reynier kam gegen Abend selbst und befahl mir, auf Motykaly sogleich zurückzugehen, wenn meine rechte Flanke angegriffen würde, wenn aber nicht, alle Anstalten zu treffen, als ob wir hier feste Posten fassen wollten, die Brücken abzubrechen, mit einbrechender Dunkelheit aber in tiefster Stille abzuziehen, bei Motykaly zu warten, bis Gablenz herangekommen wäre und dann der 1. Division auf Wolczyn zu folgen.

Die Russen blieben gegenüber nahe am Ufer und ihre Jäger schossen fleißig herüber und hinderten uns, unsere Pferde in die Tränke zu reiten. Hart an der Brücke lag eine neugebaute Schiffmühle; ich ließ den Eigentümer suchen, damit er seine Sachen retten könnte, aber er war nicht zu finden, und die Einwohner des Dorfes wollten sich nicht damit abgeben. Ich ließ daher die Mühle ausräumen, ehe ich die Brücke ansteckte, denn natürlich verbrannte die Mühle auch mit. Nun aber wurde die Gegend so hell erleuchtet, daß die Feinde jeden Schritt sehen konnten, den wir taten. Ich ließ daher noch Strohfeuer am Ufer anzünden, und hinter dem Rauch fuhren wir die untenstehenden Kanonen ab und setzten uns gegen 9 Uhr in Marsch. Das Wetter war seit einigen Tagen wieder heiter, aber die Nächte sehr rauh.

Unser Marsch ging fast immer im tiefen Sande. Die Leute, die schon die vorige Nacht marschiert waren und den Tag über keine Ruhe gehabt hatten, schleppten sich nun nur in einem schlummerartigen Taumel hin. Wenn sie im Sande stolperten und niederfielen, so blieben sie liegen und schliefen fort. Meine Ordonnanzen, die Adjutanten, alles schlief auf den Pferden. An der Spitze der Kolonne schliefen die Fuhrleute und Trainsoldaten, und der Marsch, der wie ein Schneckenzug hinkroch, ermüdete dadurch nur noch mehr. Wem man anredete, der antwortete gar nicht oder konfus. Die Reitpferde, an einen stärkeren Schritt gewöhnt, mußten stets zurückgehalten werden. Wenn der Reiter im Schlaf ihnen die Zügel ließ, bogen sie aus und gingen neben der Kolonne weit über sie hinaus. Nach der Marschordnung war alle allgemeine Equipage vorn, dann folgte die Reyniers und der 1. Division, d. h. die Handpferde, die Chaisen der Generäle und der Kommandeure, sowie die Medizinwagen. Auf die 1. Division folgte die Equipage der meinen und zwischen dieser und der Arrieregarde die Equipage dieser. Ich war auch einmal eingeschlafen, und als ich erwachte, sah ich mich von einer Menge von Handpferden und Reitknechten umgeben, die für eine Infanteriedivision viel zu zahlreich war. Als ich mich ermunterte, von den schlafenden Reitknechten aber keine Antwort bekommen konnte, erkannte ich das verwundete Pferd meines Sohnes in der sternhellen Nacht. Ich war also mitten in der Equipage der Arrieregarde und glaubte folglich zurückgeblieben zu sein. Während ich jedoch vorritt, schien mir wieder die Infanteriekolonne viel zu lang. Es war die 1. Division, und die Equipage der Kavallerie war bei der meinigen vorbei soweit vorgekommen und hatte alles, was bei dieser beritten war, mich selbst und meine Begleiter auch, mitgenommen. Hinter uns folgte die schlafende Arrieregarde, wo ich nun den Obristen Hann, der an der Spitze ritt, weckte, damit sie still hielten und die H. Division erst vorbei ließen.

Gegen 4 Uhr früh kamen wir bei Wolczyn an. Auch hier fließt ein kleiner Fluß, dessen sumpfige Ufer nicht überall zu überschreiten sind. Am Eingange des Orts wurde die leichte Infanterie aufgestellt, auf der Seite nach dem Bug hin setzte sich die Avantgarde auf einer Anhöhe, die I. Division lagerte sich in einiger Entfernung hinter dem Orte und die II. hart an dem Park des schönen Schlosses. Ich ging in das Gärtnerhaus, wo sich ein Sofa fand, auf dem ich sitzend einige Stunden Schlaf genoß.

Um 8 Uhr sollte aufgebrochen werden. Ich ritt hinaus, um Reynier zu suchen. Er kam mir entgegen geritten, aber als ich ihn anredete, schlief er. Er erwachte und sagte mir, daß er mit der 1. Division noch einen Marsch machen würde, um mit den Österreichern in gleicher Höhe zu bleiben, mich aber und die Avantgarde hier zurücklassen würde. Er gab mir zugleich meine Stellung an. Sie war auf einer Höhe, eine Viertelstunde hinter dem Orte, der vor meiner Front lag und durch ein leichtes Bataillon und zwei Kanonen besetzt war, mit der Flanke gegen Wolczyn. (Der von F. nicht genannte Ort kann Kotera, dicht n. Wolczyn, sein.) Neben dem Ort, vor meiner rechten Flanke, stand die Avantgarde, und die linke deckte ich selbst, weil hier sumpfige Wiesen waren, durch ein leichtes Bataillon. Die Feinde waren uns ganz nahe, unternahmen aber nichts. Den Nachmittag wurden wir auf einige hundert Mann Infanterie aufmerksam gemacht, die sich auf dem Wege, auf dem wir hergekommen waren, näherten. Ich war gerade auf den Vorposten, und jeder hatte eine andere Meinung über sie, bis zuletzt der Obristleutnant Seydewitz und der Major Bock, die ein sehr scharfes Auge hatten, durch Ferngläser einige weiße Montierungen unterschieden, denn die meisten trugen graue Matins. Sie kamen heran, es waren Sachsen, die auf dem Marsche nicht fort gekonnt und, nachdem sie ausgeschlafen, sich wieder gesammelt hatten. Kosaken hatten sie umschwärmt, aber nicht anzugreifen gewagt. Sie gehörten sämtlich zu der I. Division, die meinige hatte trotz der Müdigkeit keine Nachzügler gehabt.

Unverzeihlich ist es, daß die Russen bei ihrer zahlreichen, ausgesuchten Kavallerie, auch wenn sie uns ganz nahe waren, nie einen Versuch machten, uns auf unsern Nachtmärschen, wo wir nur schwachen Widerstand hätten leisten können, anzugreifen. Die Generäle trauten den Truppen und den Offizieren nicht genug Geschick zu, sich selbst zu raten, wenn in der Nacht nicht jede Bewegung von oben herab gelenkt werden konnte.

Der Grund zu dem Angriffe bei Klejniki an der Lesna, der uns viel, ihnen aber weit mehr gekostet hatte, erklärte sich nun durch den Marsch des Tschitschakowschen Korps, das am 11. aus der Gegend von Brest und Kobryn nach der Berezina aufgebrochen war. Sacken hatte uns angegriffen, damit wir den Marsch dieses Korps nicht aufhalten sollten. Aber wie wären wir dazu imstande gewesen, da wir jetzt mit den Österreichern etwa nur noch 33 000 Mann stark waren. Sacken und Tschitschakow aber jeder 40 000 Mann hatten. Wäre dieser, wie er sehr gut gekonnt hätte, 24 Tage früher von Luck gerade nach der Berezina marschiert, so hätte Napoleon nimmermehr über diesen Strom kommen können. Die beiden Generäle hatten viele ihrer Regimenter untereinander ausgetauscht, denn verschiedene, die gegen die Türken gefochten hatten, standen jetzt uns gegenüber, besonders hatte sich Sacken durch viele Jäger verstärkt, die besten Truppen der russischen Armee, die zugleich treffliche Waffen haben und ebensogut schießen. Ihre Gewehre trugen ohne Übertreibung um 300 Schritt weiter, als die unsrigen.

Siemiatycze – Über den Bug

Wir marschierten den folgenden Tag, indem wir oft mehrere Stunden Halt machten, um die Gegend zu erkunden, denn Reynier war über die Richtung, die Tschitschakow genommen hatte, nicht völlig im klaren, mußte fürchten, zwischen beide Korps in die Mitte genommen zu werden. Gegen Abend kamen wir in der Gegend von Siemiatycze an. Das Land war sehr waldig und hatte einzelne Hügel. Auf einer Reihe von ihnen, die sich von Wysoka-Litowsk gegen den Bug erstreckt und zwischen denen eine von Pruzany über Kamieniec nach Drohiczyn führende Straße hinläuft, nahmen wir eine Stellung mit der Front gegen Wolczyn. Vor uns war ein sumpfiger Grund an einem kleinen Wasser, wo verschiedene Dörfer agen, die wir mit leichter Infanterie besetzten. Reynier blieb in einem Dorfe Hannuszyn, ich nahe dabei in Barutyniec Slachecki (6 km ö. Siemiatycze). Die Österreicher besetzten in der Nacht meine linke Flanke, ihr Korps stand rechts hinter uns, das Hauptquartier war in Siematycze.

Reynier schickte mir Befehl, am andern Morgen, wenn die Österreicher, die links von mir standen, abmarschiert wären, gleichfalls aufzubrechen und ihm nach Siemiatycze zu folgen, vorher aber die Wege zu untersuchen, ob meine Artillerie durchkommen könnte und mich mit guten Boten zu versehen. Ich trug dies Geschäft dem Hauptmann Fabrice auf, und er versicherte, es besorgt zu haben. Am andern Morgen erinnerte ich ihn abermals daran und bat ihn, besonders einen Weg, der nach einem steilen Abhang zu führen schien, zu untersuchen. Als die Kolonne sich in Marsch gesetzt hatte, und ich noch bei den letzten mich aufhielt, kam Sahr plötzlich geritten und sagte mir ziemlich unfreundlich, auf dem Wege, den ich führen wollte, könnten die Kanonen nicht fortkommen. Ich wendete mich an Fabrice und sagte ihm gelassen; „Sein Sie doch so gut und reiten Sie vor! Führen Sie die Kolonne auf dem Wege, den Sie ausgesucht haben“. Er ritt brummend fort, aber die Truppen mußten umkehren, weil allerdings der Weg plötzlich an einem Abhange aufhörte. Sahr beklagte sich, nach seiner gewöhnlichen Art nicht eben sehr höflich, daß die Truppen durch vergebliche Märsche ermüdet würden. Ich befahl nun Fabrice, einen andern Weg zu suchen und fragte nach den Boten. Aber er hatte diese nicht besorgt und antwortete mir, er hätte keine Zeit, Wege zu suchen, dies wäre seine Sache nicht, er müßte ins Hauptquartier reiten. Er mäßigte dabei weder seine Stimme noch seine Ausdrücke. Ich wurde nun auch zornig und sagte ihm ebenso laut, das Aufsuchen der Wege sei vor allem das Amt der Offiziere des Quartiermeisterstabs, an deren Stelle die Adjoints getreten wären; seine erste Pflicht aber wäre, meine Befehle auszuführen, nachher könnte er ins Hauptquartier reiten. Nimmermehr würde ich mir vor der Front grobe Antworten geben lassen, und den Augenblick solle er reiten und den Weg suchen. Er wäre schuld, daß wir irre marschiert wären. Er ritt nun; die Stelle, wo wir auf den Weg kommen konnten, war bald gefunden, der Umweg betrug nicht 500 Schritt. Fabrice ritt ins Hauptquartier.

Als ich bei Siemiatycze ankam, war Reynier im Schlosse bei Schwarzenberg, die 1. Division biwakierte, und ich marschierte eine Viertelstunde weiter und ließ dann die Truppen ruhen. Langenau kam und setzte in Person die Posten aus. Da ich nicht wußte, wo die Avantgarde stand, ließ ich die Aufstellung ungeändert, aber Sahr hatte viel daran zu tadeln und tat dies in seiner unhöflichen Art laut vor den Truppen. Ich führte ihm zu Gemüt, Langenau hätte die Anordnung auf Reyniers Befehl gemacht, und ich könnte nichts daran ändern, aber damit war er nicht zufrieden. Er brach in laute Klagen aus, daß wir hier höchst unsicher ständen und verloren wären, wenn die Feinde, wie sie nicht ermangeln würden, durch diesen oder jenen Weg herankommen würden. Alle diese Klagen waren gegen mich gerichtet und so, als hätte ich schon den Untergang der Armee veranlaßt. Da er gar nicht zum Schweigen zu bringen war, ging ich in eine Scheune und schrieb dem General Langenau die Gründe Sahrs und fragte, ob die Posten diesem gemäß abgeändert werden müßten. Die schriftliche Antwort lautete, auf Befehl Reyniers sollten die Posten genau so, wie sie ausgesetzt wären, ohne alle Änderung stehen bleiben.

Solche Lektionen erhielt Sahr sehr oft, aber sie besserten ihn nicht. Seitdem man in dem Berichte von Podubbno seine Brigade allein, nicht aber meine Division genannt hatte, hielt er sich für einen großen Feldherrn und wußte die hohe Idee von sich selbst mit sklavischer Unterwerfung unter Langenau zu vereinigen. Über mich beschwerte er sich besonders, daß ich meine Befehle mit einem höflichen Eingang, z. B. „Sein Sie so gut, dieses oder jenes zu tun“, begleitete. Er sagte mir geradezu, er wisse niemals, was er tun sollte, weil ich ihm keine bestimmten Befehle gäbe. Wenn ich aber sagte: „Herr General, Sie gehen sogleich usw.,“ dann antwortete er: „Sehr wohl, wie der Herr Generalleutnant befehlen“, und war zufrieden. Seit Brest war fast gar nicht mit ihm auszukommen. Er hatte sich eine Krankheit geholt, weil er die Nächte auf dem Biwak der leichten Infanterie zubrachte, und war nun so ärgerlich und argwöhnisch, daß seine Adjutanten öffentlich Klage über ihn führten. An der Lesna und bei Wolczyn hatte er mich unaufhörlich mit Erinnerungen über Gegenstände geplagt, die entweder bereits besorgt waren oder zu dem Ganzen nicht paßten, oder sich mit Reyniers Befehlen nicht vertrugen – und sämtlich ihn nichts angingen. Wenn sie nicht befolgt wurden, schrie er, daß seine gute Meinung verkannt würde, seufzte oder nahm sich wohl auch gar heraus, Befehle zu geben, zu denen er nicht berechtigt war. Besonders war die Batterie ein Gegenstand seiner ewigen Unzufriedenheit, weil sie nicht unter ihm stand. Ich hatte Mitleid mit ihm, weil er wirklich sehr krank war und ertrug alle seine Launen. Aber auch das war ihm nicht recht; ich sollte ihm sagen, was ich gegen ihn hätte, wenn ich bei Gelegenheiten, wo er sich in meiner Gegenwart vergaß, stillschweigend auf die Seite ritt, um alle Gelegenheit zum Zank zu vermeiden. Um zu beweisen, daß ich ihm nicht Unrecht tue, will ich ein einziges Beispiel anführen. Er litt an Fieber und zugleich an einem Durchfall, der ihn oft nötigte, beiseite zu gehen. Dies war eben der Fall in einem Biwak, als ein Wagen mit Brot zu der Batterie kam. Ich hatte diesen ausdrücklich der Batterie angewiesen, weil noch mehrere für die Bataillone gekommen waren. Sie wurden hinter der Front abgeladen. Er hatte sich nicht weit entfernt und konnte die Batterie sehen, nicht aber die Wagen hinter der Front. In der Meinung, daß die Artillerie begünstigt werden sollte, und ohne sich Zeit zu nehmen, weder erst anzufragen, noch seine Stellung zu verändern, schrie er mit seiner Stentorstimme herüber: „Was? Was ist das? Soll die Artillerie alles allein haben? Den Augenblick von den Wagen weg! Ich will das Brot selbst austeilen!“ Ich rief ihm zu: „Es ist noch mehr da, die Bataillone bekommen das ihrige!“ Aber wenn er einmal angefangen hatte zu schreien, dann hörte und sah er nicht. Ich ritt daher auf die Seite, indem ich zu dem Major Auenmüller sagte: „Lassen Sie es gut sein, er wird sich schon besinnen!“ – Das nahm er mir sehr übel.

Wir sollten nur eine Stunde bei Siemiatycze bleiben, es ging aber der ganze Tag darüber hin, weil die Schiffbrücken noch nicht fertig waren und unsere Avantgarde und die Österreicher zuerst übergehen sollten. Gegen Abend setzten wir uns endlich in Marsch. Der Weg war durch brennende Holzhaufen bezeichnet. An der Brücke mußten wir noch mehrere Stunden halten, gegen Morgen ging endlich alles über den Bug. Der Punkt war oberhalb Drohiczyn gegen Mielnik zu.

Den Rest der Nacht und einen Teil des 15. brachten wir in der Gegend von Sarnaki (13 km s. Siemiatycze) im Felde zu. Das Wetter, das bis jetzt, mit leichten Regenschauern unterbrochen, doch meistens trocken, aber sehr kalt gewesen war, artete nun in heftigen, fortdauernden Regen aus, bei dem die Kälte der Nacht noch empfindlicher wurde. Gegen Abend rückten wir in ein Biwak dicht bei Sarnaki ein, die 1. Division hinter, die meinige vor dem Städtchen auf eine Anhöhe. Die leichte Infanterie mußte noch eine Stunde weiter hinaus die Vorposten nehmen. Die Leute litten erbärmlich bei ihrer elenden Bekleidung. Wer noch Schuhe gehabt hatte, verlor sie, und die Matins vermoderten völlig in der Nässe. Ich hatte einen Winkel in einem Hause zu meinem Quartier, der Regen floß in Strömen, und in dem schmutzigen, weitläufigten Orte wart nicht anders als zu Pferde fortzukommen. Die Leute brachen herein und schleppten Stakete, Zäune, Bauholz, alles, was nur brannte, hinaus, um nur Feuer anzuzünden und sich trocknen zu können.

Neuer Angriff Reyniers. Kampf bei Biala

Am 16. früh Uhr kam der Befehl, daß ich um 7 Uhr aufbrechen und über Litewniki und Walim nach Kornica (15 km s. Sarnaki an der Straße Wolcyn-Janow-Konstantynow-Siedlice) marschieren und dort weitere Befehle erwarten sollte. Meine Division hatte die Spitze, und ich bekam 2 Schwadronen Husaren, um sie als Vorhut zu brauchen. Mir zur linken, aber mehr rückwärts, den Bug hinauf, marschierten die Österreicher, rechts von mir unsere Avantgarde unter Gablenz. Reynier folgte hinter mir in einiger Entfernung mit der I. Division. Er hatte den Plan, ein russisches Korps, das bei Brest übergegangen war, anzugreifen und dadurch wieder die Offensive zu gewinnen.

Der Regen strömte unaufhörlich, die Wege waren grundlos, und die drei Meilen bis Kornica wurden der Infanterie und dem Geschütz sehr sauer. Wir mußten aber noch weiter marschieren. Bei einem Vorwerk im Felde wurde Halt gemacht. Reynier kam, es wurde rekognosziert, man fragte die Landleute aus. Die Russen waren dort gewesen, hatten gebrandschatzt, einige Dörfer angesteckt und dem General Zechmeister einen panischen Schrecken eingejagt, sich aber bereits wieder gegen Terespol zurückgezogen. Wir marschierten noch bis Swory (74 km s. Kornica), einem elenden Flecken, wo es an allem fehlte. Ich fand in einer schmutzigen Hütte einen Winkel, wo ich doch wenigstens trocken sein und meine Pferde in Ställen unterbringen konnte.

Am 17. rückten wir nach Biala (35 km w. Brest), einem freundlichen Städtchen an der großen Straße von Brest nach Warschau, 6 kleine Meilen von Terespol. Es waren hier zwar teuere Preise, aber doch für Geld die völligsten Bedürfnisse zu haben. Ich lag in einer leidlichen Stube bei einem Juden, der Wein schänkte, und bei dem sich bald eine Menge von Offizieren versammelte. Das Wetter heiterte sich auf, es regnete nur selten und nicht lange, und da die Biwaks nahe an der Stadt waren, so freute sich jeder auf den morgenden Rasttag.

Die große Straße nach Brest führt auf Dämmen etwa eine halbe Stunde von der Stadt durch eine morastige Gegend, die der Bialkabach bewässert, der sich gleich unterhalb des Dammes mit dem nahe an der Stadt vorbeifließenden Bache Krzna vereinigt. Die Ufer dieser Sümpfe sind mit Buschwerk bedeckt, zwischen dem und der Stadt die Gegend frei ist. An der linken Seite der Straße, wenn man von der Stadt herkommt, strecken sich flache Sandhügel hin. Jenseits des Wassers wechselt das offene Land mit Buschwerk und Waldstrecken ab. Der Damm, an dessen Anfang eine Mühle lag, kann etwa 1000 Schritte lang sein. Die Moräste sind an einigen Stellen zu durchwaten, meistens aber mannstief und von dem Wasser der Bäche überströmt. Links von dem Damm erstreckt sich der jenseits liegende Wald bis hart an den Bach, überall sind seine Ufer mit Buschwerk bedeckt. Uns zur linken, gegen Konstantynow zu, standen die Österreicher, an derselben Seite nahe an der Stadt die Division Lecoq, die die Kozulamühle an der Bialka besetzt hatte. Meine Division stand vor der Stadt an der großen Straße, die Avantgarde an der Bialka mit vorgeschobenen Posten auf dem jenseitigen Ufer, Eine Waldhöhe mir zur rechten, jenseits der Krzna war durch das Bataillon Liebenau von der I. Division besetzt.

Nach Reyniers Nachrichten hatten sich die Feinde eilig über den Bug zurückgezogen. Um sich jedoch noch besser davon zu überzeugen, sollte der Major Seydlitz mit den beiden Schwadronen Ulanen und einer Husaren am folgenden Morgen eine weite Erkundung vornehmen. Langenau, der ihn selbst abfertigte, sagte ihm, er habe in der Nähe gar nichts zu besorgen und müsse auf jeden Fall bis in die Nähe von Terespol Vorgehen, um zu sehen, ob der Feind noch kleine Posten diesseits des Bug hätte.

Seydlitz brach am 18. früh gegen 7 Uhr auf. Zum Glück marschierte er aber doch mit mehr Vorsicht, als ihm empfohlen war. Wir glaubten so sicher zu sein, daß wir sogar einen Teil der noch übrigen Kavallerie auf Fouragierung in die nächsten Dörfer geschickt hatten. Ehe Seydlitz noch in die Gegend gekommen war, wo die Straße zum zweiten Male über die mit der Bialka vereinigte Krzna geht, entdeckte die Spitze Kosaken, und der Offizier der Avantgarde meldete gleich darauf, daß er 5 Schwadronen Linienkavallerie und hinter diesen starke Kolonnen Infanterie sähe. Seydlitz wollte es nicht glauben, kam selber vor und überzeugte sich durch den Augenschein. Er befahl dem Offizier, sogleich auf den vorauskommenden Trupp loszugehen, ließ unterdessen aufmarschieren, griff die 5 Schwadronen an, warf sie auf ein nachfolgendes Regiment und mit diesem zurück. Aber nun war auch seine Linie auseinander gekommen und die Mannschaften vom Nachsetzen nicht sogleich wieder zurückzurufen. Frische Kavallerie kam den Russen zu Hilfe, und Seydlitz hatte keine Reserven. Es blieb ihm also nichts weiter übrig, als zum Rückzug blasen zu lassen und im vollen Jagen zurückzureiten. Sowie die Offiziere nur kleine Trupps sammeln konnten, führten sie die dem Feind entgegen, um den Rückzug zu decken, wurden aber schnell von der Übermacht geworfen. Die Flucht ging, von den Russen verfolgt, in ziemlicher Unordnung durch Wälder und Felder.

Seydlitz hatte gleich anfangs eine Meldung zurückgeschickt, die im Vorbeijagen alle Feldwachen alarmierte. Der Leutnant Thielau vom Regimente Polenz ging mit der seinigen sogleich vor, und obgleich er nur einen Trupp von höchstens 40 Pferden hatte, so stutzten die Feinde doch, weil sie ihn wahrscheinlich nur für den Vortrab einer größeren Masse hielten. Seydlitz gewann dadurch Zeit, seine Eskadrons wieder zu sammeln, und es entstand nun ein Plänklergefecht, währenddessen er sich allmählich zurückzog. Es wurde mit dem Säbel und der Pike gefochten. Einige Offiziere, welche die Russen gefangen hatten, wurden durch die Liebe und die Tapferkeit unsrer Leute wieder befreit. Die Kosaken besonders suchten Offiziere zu fangen und womöglich Beute zu machen. Sie hatten den Leutnant Thielau abgeschnitten, ein Kosak rannte mit eingelegter Lanze auf ihn zu, als er sein Pferd aber wendete, warf der Kosak seine Lanze weg, faßte im Lauf ein kleines Mantelsäckchen, welches Thielau auf dem Pferde hatte, riß es los und eilte damit fort. Auch der Rittmeister Roos vom Husarenregiment und der Leutnant Funck der jüngere, der die Avantgarde geführt hatte und dem hier abermals das Pferd verwundet wurde, waren abgeschnitten, und durch ihre Leute wieder befreit worden. Mit so vieler Entschlossenheit und Klugheit aber auch Seydlitz seinen Rückzug zu bewerkstelligen suchte, so hätten doch 4 Eskadrons den drei Linien-Regimentern und einem Schwarm Kosaken unterliegen müssen, wenn nicht ein ganz junger Offizier, ich weiß nicht gewiß, ob Wurmb oder Reitzenstein, der auf Fouragierung ausgeschickt war, das Schießen gehört, seine Leute gesammelt hätte und nach der Gegend des Gefechts gerückt wäre. Er fiel so unerwartet und mit so glücklichen Erfolg den Russen in die Flanke, daß diese gleich von Seydlitzens Verfolgung abließen, der sich nun bis an die Vorpostenlinie zurückzog. Er hatte einige Mannschaften und Pferde eingebüßt, doch war der Verlust nicht sehr beträchtlich, er betrug an Toten nur einige wenige, an Verwundeten und Gefangenen gegen dreißig, und die Lanzenstiche waren nicht gefährlich. Da die Russen mit Macht andrangen, so konnte Gablenz mit der Avantgarde sich nicht halten, und zog sich über den Damm zurück.

Seydlitzens Meldung und kurze Gegenwehr, sowie die zu wenige Entschlossenheit des Generals Essen, der den Angriff kommandierte, hatten uns gerettet, indem wir dadurch Zeit gewonnen; denn das Korps, welches uns überfallen sollte, war stärker als wir und die Österreicher nicht ganz nahe. Wir hatten zwar schießen gehört, aber solange keine Kanonenschüsse fallen, bekümmert man sich in der Linie um die kleinen Plänkeleien der Avantgarde nicht sehr. Ich war zwischen 9 und 10 Uhr ausgegangen, als mir gemeldet wurde, der Angriff sei ernsthaft und Reynier hätte bereits meiner leichten Infanterie Befehl geschickt, zur Unterstützung der Avantgarde vorzugehen. Ich eilte sogleich hinaus, Reynier kam auf mein Biwak und befahl mir, die Batterie und ein Bataillon auf der Straße vorrücken zu lassen, ein anderes Bataillon sollte folgen, eins aber auf dem Biwak in Reserve zurück bleiben. Ich wählte dazu das Bataillon Spiegel, weil ich diesem einmal Ruhe gönnen wollte, da es bisher am meisten gelitten hatte, ließ das Bataillon Anger Vorgehen und das Bataillon Bose folgen. Indem ich vorausritt, um zu sehen, wo die Batterie sich aufstellen könnte, pfiff eine, wahrscheinlich dem Trupp zu Pferde, der mich umgab, zugedachte Kanonenkugel schräg über den Weg hart an mir vorbei, und tötete hinter uns einen leichten Infanteristen in einer Kompagnie, die sich eben ander Seite des Weges stellte. Ich sah daraus, wie nahe uns der Feind schon war. Bis zu der Mühle konnte man schon nicht mehr gelangen, ohne sich einem heftigen Musketenfeuer auszusetzen, und meine Batterie konnte wenig ausrichten, weil sie in den Busch schießen mußte und den Feind nicht sah, der das Ufer der Bialka nun schon auf allen Punkten mit Jägern und Tirailleurs besetzt hatte.

Unsere leichte Infanterie stand am diesseitigen Ufer, und das Feuer des kleinen Gewehrs war sehr lebhaft. Es kam alles darauf an, den Punkt des Dammes an der Mühle zu behaupten. Meine Batterie hatte zwar eine Öffnung des Busches gefunden, durch die sie eine rückwärts liegende Strecke des Dammes bestreichen konnte, aber die Feinde verdoppelten ihre Anstrengungen auf diesen Punkt, indem sie zugleich von beiden Seiten durch ein Kreuzfeuer aus dem kleinen Gewehr uns das Vorrücken auf dem Damm unmöglich machten.

Reynier schickte Befehl, daß ein Bataillon des 2. leichten Infanterieregiments den Übergang erzwingen sollte. Der Obrist Tettenborn führte es an. Sein Pferd scheute vor dem Pfeifen der kleinen Kugeln und wollte nicht vorwärts. Er stieg ab und kommandierte zu Fuß. Das Bataillon griff mit großer Tapferkeit an, aber es verlor viel Menschen. 7 oder 8 Offiziere wurden verwundet, unter ihnen der Obrist. Dennoch ließ sich nur der Kapitän Bünau, der in den Kopf geschossen war, zurückführen, die leichter Verwundeten blieben bei der Truppe.

Die Feinde drangen gegen diesen Punkt immer heftiger vor; die leichte Infanterie konnte nur die erste Brücke und den Rand des Morastes behaupten. Ich schickte ihr das Bataillon Anger nach, aber immer konnten wir nur noch wenig Boden gewinnen. Als ich rechts der Straße über das Feld hinritt, um zu sehen, wie sich die Leute dort hielten, schickte ein Offizier der leichten Infanterie, der Leutnant Petrikowski, zu mir und bat um Erlaubnis, auf einem seichten Punkte Sturm zu laufen. Ich trug Bedenken und schickte meinen Adjutanten Wolfersdorff hin, um zu sehen, ob es möglich wäre. Er kam zurück und sagte mir, die Mannschaften wären alle willig. Ich sagte nun: „In Gottes Namen!“ und hörte gleich darauf ihr Geschrei. Sie faßten glücklich am entgegengesetzten Ufer Posten und ließen sich auch von der kleinen Landzunge oder Halbinsel, die sie eingenommen hatten, nicht wieder vertreiben.

Reynier hielt an der Höhe links von der Straße und ordnete alles selbst an. Ich ritt zu ihm, um ihm den Zustand der Dinge zu melden. Er war einsilbig, wie immer. Desto mehr wünschte der Fürst Schwarzenberg, den ich bei ihm fand, über alles umständlich unterrichtet zu werden. Er fragte ängstlich nach jeder Kleinigkeit und schien unruhig zu sein.

Für seine Person war Schwarzenberg ritterlich tapfer, aber stets in großer Sorge wegen des Erfolgs. Indem er seine Besorgnisse verriet, stach sein Betragen allerdings gegen Reyniers eiserne Ruhe ab, über die man oft verzweifelte, weil er selten eine Antwort gab. Ich lernte jedoch an diesem Tage ihn entschuldigen, denn ich selbst war durch das ewige Anfragen, Vorschlagen, auf Nebenumstände aufmerksam machen, ganz betäubt worden. Ehe man dem ersten eine Antwort geben konnte, war bereits ein anderer mit einem Vorschlag oder einer Anfrage da. Man vergißt über dem Vielen am Ende das Eine, und es ist durchaus nötig, daß man taub ist und nicht auf alles Antwort gibt, wenn man den Faden der Hauptidee nicht verlieren will. Wenn alle Augenblicke einer kommt, der irgend eine Bewegung des Feindes gesehen haben will, wird der Befehlende in der so notwendigen Beobachtung des Ganzen dieser Begebenheiten gestört. Während man antwortet und abfertigt, ist schon wieder etwas anderes geschehen, etwas anderes nötig geworden. Reynier hatte daher nicht Unrecht, daß er sich sammelte und sich durch nichts in seine Gedanken und steten Beobachten stören ließ, und man durfte ihm nicht verargen, daß er oft, wenn er gerade seine Aufmerksamkeit auf einen Punkt gerichtet hatte, der vielleicht eben sich entwickeln sollte, keine Antwort gab. Aber viele Anfragen würde er sich auch erspart haben, wenn er die Gabe der Mitteilung besessen und vorher den Generälen über seine Idee im allgemeinen nur einiges Licht gegeben hätte. Es war nicht leicht und oft unmöglich, auf unbekanntem Boden und auf Punkten, wo man nur einen Teil des Ganzen übersehen konnte, seinen Plan zu erraten, und diese Ungewißheit veranlaßte manche Anfrage. Sie hatte mich auch jetzt bewogen, zu ihm zu reiten.

Ich sah, daß unsere Kavallerie in einiger Entfernung hinter ihm aufmarschiert stand. Die Division Lecoq hatte er in Reserve behalten, bloß das 1. leichte Infanterieregiment, das zu ihr gehörte, war an der Bialka im Tirailleurfeuer und das Infanterieregiment Prinz Friedrich, das in der Gegend der Kozulamühle sich mit dem Feinde eingelassen hatte. Aber von dem Fürsten Schwarzenberg erfuhr ich, daß weiter oberhalb eine österreichische Kolonne über die Bialka gegangen wäre. Wahrscheinlich muß dies in der Gegend von Cicibor gewesen sein, wo die Straße nach Janow geht. (Cicibor 6 km oberhalb der Kozulamühle.)

Indem ich noch mit dem Fürsten sprach, rief der Leutnant Wolfersdorff mich eilig ab. Er sagte mir, unsere Schützen hätten eine Kanone genommen. Links von dem Damm stand der Kapitän Hennig mit seiner Kompagnie ziemlich nahe gegen die Kozulamühle zu. Ein Schütze der gut schwimmen konnte, zog sich aus und untersuchte den Morast. Er sah am jenseitigen Ufer durch das Buschwerk, daß die Feinde eine Kanone von dem hügeligen Rande herab zu bringen bemüht waren. Er suchte nun eine seichte Stelle, und war so glücklich sie zu finden. Auf seine Meldung entschloß sich der Kapitän Hennig sogleich, durch den Morast zu setzen, und führte dieses in aller Stille aus. Als sie heraus kamen, waren die Artilleristen eben im Begriff, los zu brennen, und in demselben Augenblick kam auch der Leutnant Czychlinski mit einem Trupp Schützen, der sich von dem Damm her am Ufer hingeschlichen hatte, von der anderen Seite. Beide fielen in dem nämlichen Augenblick auf die Bedeckung der Kanone und nahmen sie nach einem kurzen Gefecht, indem ein Schütze dem Kanonier die Zündlunde entriß. Eine zweite Kanone, die sich eben näherte, kehrte eilig wieder um und entkam. Sie brachten nun die genommene Kanone glücklich an die Furt der Kozulamühle und so in Sicherheit. Ich war ihnen entgegen geritten und sah sie im Triumph gezogen kommen. Die leichten Infanteristen ritten auf den vorgespannten Pferden, die Gefangenen gingen neben her. Es war ein 12 Pfünder mit 6 Pferden bespannt, und die ganze Bedienung war mit gefangen worden. In den Rheinfeldzügen wurde für jede dem Feinde genommene Kanone den Mannschaften 300 Taler und für jedes Pferd 45 Taler Belohnung ausgezahlt, und ich selbst hatte im Jahre 1794 bei Kaiserslautern, wo wir zwei Kanonen erbeuteten, diese Summe binnen acht Tagen für meine Leute erhalten. Nur auf wiederholtes Ansuchen und Dringen konnte ich diesesmal für die Schützen die geringe Belohnung von 100 Talern im wahren Sinne des Wortes (und erst nach Monaten!) herauspressen, und um ja nicht zuviel zu tun, wurde gesagt, die Kanone wäre unter dem Schutze einer Bewegung der Österreicher genommen worden. Von dieser Bewegung wußten aber damals weder die Russen noch die Sachsen (ich nur hatte sie von dem Fürsten Schwarzenberg erfahren), noch waren die Österreicher nicht nahe genug und hatten noch keinen Schuß getan, und der sicherste Beweis, daß sie bei dem Wegnehmen der Kanone nicht mitgewirkt haben konnten, lag wohl darin, daß die Feinde die Kanone in dem Augenblick, wo sie genommen wurde, erst vorgebracht hatten, und noch nicht bis zum Abfeuern gekommen waren.

Als ich zurückkehrte, um Reynier unser Glück zu melden, kam Schwarzenberg mir entgegen, um mich zu fragen, was vorgefallen wäre, denn Reynier sprach so wenig mit ihm, wie mit einem andern. Er war sehr froh, als er hörte, was mich so eilig weggerufen hätte. Reynier lächelte doch, als ich ihm die Kanone ankündigte, und meinte, es wäre ihm lieb, die Schützen wären brave Leute. Da sie aber sehr viel litten, befahl er mir, sie abzulösen und das Bataillon Bose vorrücken zu lassen. Dieses kam heute zum ersten Male ins Feuer und bestand meist aus jungen Leuten. Sie gingen sehr brav vor, aber sie verstanden nicht, sich zu verteilen, blieben zu sehr in Massen zusammen und verloren viel Menschen auf dem Damm. Gleich anfangs wurde der Hauptmann Larisch zurückgebracht. Er war durch den Kopf geschossen und starb an seiner Wunde. Auch dem braven Leutnant Czychlinski von der leichten Infanterie wurde das linke Auge ausgeschossen, und der Obrist Tettenborn, dem eine Kugel durch den Hals gegangen war, mußte zurückgebracht werden. Beide wurden jedoch wieder hergestellt.

Die Feinde machten jetzt einen Versuch auf unsere rechte Flanke, aber der Major Liebenau, der hier einen Busch besetzt hatte, empfing sie mit einem so guten Feuer, daß sie bald abließen, doch zogen sich viel Truppen nach dieser Seite. Es konnte ungefähr gegen 4 Uhr sein, als wir auf einmal sehr lebhaftes Feuer in der Entfernung hörten. Es war die österreichische Kolonne, die jetzt in der Gegend von Grabanow (1½ km n. der Kuzulamühle) die rechte Flanke der Russen beschoß. Sie fingen nun an zu schwanken, und wir vertrieben sie von dem Damm. Ich ging hinüber; es lagen sehr viel Russen und Sachsen da, besonders vom Bataillon Bose. Reynier kam und ließ die Kavallerie vorgehen, die Bataillone Bose und Anger mußten folgen. Die Russen wichen nur Schritt vor Schritt, in jedem kleinen Gehölz, das die Straße gewöhnlich quer durchschnitt, setzten sie sich und mußten daraus vertrieben werden. Die reitende Artillerie tat hierin das beste. Roth ging mit der Kavallerie im Trabe vor und, mit unglaublicher Schnelligkeit abprotzend, reinigte er die Gebüsche durch Kartätschen. Dennoch taten uns die Jäger noch viel Schaden. Die Straße durchschnitt in einer Breite von 40 bis 50 Schritten den Wald, und offene Stellen von 800 zu 1000 Schritten Breite erstreckten sich, die Straße rechtwinklig durchschneidend, durch den Wald. An einer solchen Stelle hielt die Kavallerie aufmarschiert, die Batterie war vor ihr auf der Straße in den Wald gegangen. Gablenz war bei ihr, und ich glaubte, daß ein naheliegender Busch noch besetzt wäre. Ich ritt daher zu ihm, ihn zu warnen; er versicherte, es wäre kein Feind mehr so nahe, doch kaum hatte er es gesagt, so stürzte hinter uns der Major Trotha vom Regiment Polenz, von einer Kugel durch den Kopf getroffen, vor seiner Schwadron tot vom Pferde.

Die Feinde wurden jedoch immer mehr zurückgetrieben, und das österreichische Geschütz schoß sehr rasch und mit großem Erfolg. Die Russen zündeten zwei Dörfer, ich glaube Woskrzenice-Wielkie und Male (10 km ö. Bialka) an, um ihren Rückzug über die Krzna zu decken. Zugleich wurde mir gemeldet, daß in unserer rechten Flanke sich noch viel Truppen sehen ließen. Ich sagte es Reynier, er befahl mir, das Bataillon Bose an einer der quer über die Straße laufenden Holzstrecken zum Stützpunkt der Kavallerie, das Bataillon Anger aber mehr rückwärts bei einem an der vereinigten Krzna und Bialka liegenden Dorfe Sielczyk aufzustellen. Der Major Seydlitz aber mußte mit 4 Schwadronen Ulanen und Husaren die eine der Waldstrecken rechts umgehen und sich dort aufstellen. Als ich bei dem Dorfe stand, sah ich ein starkes Kavallerieregiment, das über das Wasser gegangen war, um den Major Liebenau anzugreifen, zurückkommen. Da wir die Furt besetzt hatten, mußten sie umkehren, und wir sahen, wie sie ängstlich den Morast untersuchten, wie ihr Vortrab hin und her ritt, und wie sie endlich einen Weg einschlugen, der sie notwendig im Kernschuß nahe an uns, doch jenseits des Morastes vorbeiführen mußte. Ich schickte sogleich zu Reynier und bat um zwei Kanonen, da aber alle meine Adjutanten verschickt waren, mußte ich den Auftrag einem Infanterieoffizier geben, und dieser hatte nicht Mut genug, der Behauptung Reyniers, daß es Seydlitzens 4 Schwadronen wären, zu widersprechen. Ich mußte daher das Regiment vorbeidefilieren lassen, weil ich es mit dem kleinen Gewehr nicht erreichen konnte. Als Reynier nachher selbst kam und seinen Irrtum einsah, war es zu spät.

Auch Lecoq war für seine Person herübergekommen, und weil ich gern die Gelegenheit ergreifen wollte, jedermann zufrieden zu stellen, Seydlitz aber noch immer sich unglücklich glaubte, weil er nur zwei, nicht drei Schwadronen kommandierte, so schlug ich dem General Lecoq vor, an diesem Tage, wo Seydlitz das Korps gerettet hatte, ihm zur Belohnung die Formierung der drei Schwadronen zu erlauben. Er hatte nichts dagegen, auch Langenau billigte den Einfall, und ich kündigte es Seydlitzen auf dem Platze an und gab am andern Tage einen schriftlichen Befehl darüber. Ich habe nachher diese Schwachheit bereut, denn die Formierung war unzweckmäßig, und so sehr sich Seydlitz auch darüber freute, so wurde sie doch 14 Tage später die mittelbare Ursache seines Todes.

Rückmarsch

Der Angriff der Russen war nicht nur mißlungen, sondern sie waren auch mit Verlust einer Kanone und sehr vieler Mannschaft und Gewehre fünf Stunden weit zurückgeschlagen worden. Wie wir später erfuhren, hat der General Sacken diese fehlgeschlagene Unternehmung des Generals Essen sehr unfreundlich aufgenommen, aber unsere Lage war dadurch nicht sehr gebessert. Unser Plan, ein russisches Korps, das diesseits des Bug vorgegangen war, abzuschneiden und zu schlagen, war durch den schnellen Rückzug gleichfalls vereitelt, und Reyniers Auftrag erlaubte ihm ebensowenig, den Krieg im Herzogtum Warschau zu führen, wie dem General Sacken Zeit zu lassen, gleichfalls in Napoleons Rücken zu marschieren. Durch den Besitz von Terespol und Brest waren die Russen Meister von beiden Ufern des Bug. Und wenn Sacken uns hier festhielt, so stand ihm der Weg über Drohiczyn nach dem unbesetzten Warschau und zu unsern Depots und allen unsern Hilfsquellen offen. Das Notwendigste war daher, die Straße von Drohiczyn zu gewinnen und Warschau zu decken, nächstdem aber, wenn es die Umstände erlauben würden, wieder zum Angriffskrieg überzugehen. Schon hatten die Feinde eine Unternehmung auf Bialystok ausgeführt. Unsere Hospitäler waren ihnen nur durch die geschickte Führung des Direktors, Major Witzleben, entgangen. Ein Transport Genesender, die zur Armee zurückkehrten, war gefangen, zufällig aber durch ein österreichisches Kommando, auf das die Kosaken stießen, befreit worden, eine Anzahl Wagen hingegen, die uns notwendige Montierungsbedürfnisse zuführen sollten, verloren gegangen. Alle diese Gründe mußten Reynier zum Rückzug bewegen, und er mußte damit eilen, denn die Russen konnten, mit frischen Truppen verstärkt, jede Stunde den Angriff erneuern.

Die Vorposten, die bis an den schon beträchtlicheren Strom der vereinigten Bialka, Krzna und Zielawa vorgegangen waren, zogen sich daher während der Nacht ganz still bis an den Damm der Bialka, der so viele Menschen gekostet hatte, zurück. Die Verwundeten wurden, nur leicht verbunden, noch an demselben Abend zurückgebracht, denn das Gefecht hatte erst mit einbrechender Dunkelheit geendet. Das Korps brach den 19. früh von Biala auf.

Das Wetter, das nur an dem Tage des Gefechts heiter gewesen war, wurde wieder sehr bös. Es regnete gewöhnlich die ganze Nacht heftig, am Tage fiel ein feuchter Nebel, der nur selten erlaubte, sich umzusehen, und bei dem die Leute nie trocken wurden. Dennoch marschierten wir den ersten Tag bis Chotycze unweit Losice an der Straße von Janow nach Siedlce (30 km nw. Bialka, 36 km ö. Siedlce) und den folgenden Tag bis Skrzeszew an der großen Straße von Drohiczyn nach Warschau (11 km w. Drohiczyn). Dieser Marsch wurde besonders sehr ermüdend durch die ewig sich widerrufenden Befehle Reyniers. Er war mit der ersten Division vorausgegangen, ich folgte, hinter mir kam die Arrieregarde. Der Weg ging von der Straße ab über Dörfer und durch wenig bekannte Gegenden. Die Wegweiser wurden irre, weil man die Namen nicht richtig aussprach, denn Reyniers polnischer Adjutant Blaski, sonst Fränkel genannt, war krank nach Warschau gegangen. Die Dolmetschung der Juden war oft schwerer zu verstehen, als das Polnisch der Landleute, und Reynier hatte gerade keinen Offizier bei sich, der diese Sprache verstand. Ich war wohl eine halbe Meile zurück, in den bodenlosen Straßen der Dörfer verlor man die Spur der Vorausgegangenen. Eine Meile von Skrzeszew schickte mir Reynier Befeh , Position zu nehmen und zu biwakieren. Kaum war dies geschehen und die Leute nach Holz und Stroh gegangen, so kam ein anderer Befehl, ich sollte bis an einen Bach bei den Dörfern Karski und Liszki (3 km s. Skrzeszew) gehen, wo ein Adjutant mir die Stellung zeigen sollte. Die Abgeschickten mußten zurückgerufen, die Posten eingezogen werden, und wir marschierten nach der neuen Stellung. Sie war gut; um aber der Batterie einen schicklichen Platz zu geben, mußte der Weg zu einem kleinen Hügel geebnet werden. Von allem mußte ich Gablenz Nachricht geben, damit er seine Stellung mit der meinigen verbinden konnte. Kaum war auch hier alles fertig, so kam ein dritter Befehl, ich sollte bis hinter die Dörfer marschieren, Gablenz aber meine Posten einnehmen. Es wurde abermals aufgebrochen und umhergeritten, eine Stellung zu suchen. Hier glaubten endlich die vom Wetter und dem grundlosen Boden noch mehr als vom weiten Marsche ermüdeten Mannschaften auszuruhen. Kaum war hier alles in Ordnung, so rief uns ein vierter Befehl nach Skrzeszew. Wir mußten über das Dorf hinausmarschieren und auf dem linken Flügel der I. Division, die hier schon seit drei Stunden ruhte, unser Biwak suchen. Die Dörfer Rudniki und Wasilow (3 km ö. und nö. Skrzeszew) vor unsrer Front gegen den Bug wurden von der H., die mehr rechts liegenden von der I. Division besetzt. In der Stellung, wo ich zuletzt gewesen war, stand die Arrieregarde und machte Front gegen Siedlce, mit dem Rücken gegen die Warschauer Straße. Wo die Österreicher standen, habe ich vergessen. Ich hatte mein Quartier in einer nicht ausgebauten Mühle, in der unten zwei Behältnisse auf jeder Seite des Backofens waren. Das eine bezog ich, das andere mein Adjutant. Der Boden dieser Behältnisse war nicht gepflastert, sondern sumpfig, so daß ich einige Holzklötze bringen lassen mußte, um die Füße trocken setzen zu können. Mein Gemach verwahrte zugleich die Vorräte an Rüben und Kartoffeln, von denen wir und die Wirtsfamilie lebten. Das Kraut ließ ich hinausschaffen, weil es gar zu übel roch. In einem Winkel war ein Herd, etwa 2 Ellen von der Erde, der mir zum Kamin diente, aber die Unbequemlichkeit hatte, daß die Luft sich nicht in der Tiefe erwärmte und man daher stets in der Feuchtigkeit an den Beinen fror. Doch war es ein großer Vorzug, daß der Herd eine Esse hatte, wo der Rauch hinausging. Es ist mir später in den Rauchstuben von Podlachien nicht immer so wohl geworden. Unsere Diener sowie die Familie des Wirts biwakierten unter dem Dache der Mühle. Das Nebel- und Regenwetter dauerte unaufhörlich an, und täglich vermehrte sich unsere Krankenzahl, täglich wurde mehr Not um Chirurgen, weil auch diese erkrankten.

General Sahr war so krank geworden, daß er schon an dem Gefecht bei Biala nicht teilnehmen hatte können, sondern sich hatte nach Warschau bringen lassen müssen. Man konnte daher in dem amtlichen Berichte seinen Namen nicht nennen, um aber auch den meinigen zu umgehen, ergriff man den Ausweg, bloß den österreichischen Bericht und neben diesem einen Tagesbefehl einzurücken, in dem Reynier der leichten Infanterie ein wohlverdientes Lob ausspricht. Auch Lecoq wurde ein Kompliment gemacht, obgleich seine Division in Reserve geblieben und nur ein Regiment vorgegangen war, die leichte Infanterie aber und das Bataillon Liebenau weit von ihm und nicht unter seinen Befehlen gefochten hatte.

Wir standen 8 Tage bei Skrzeszew still. Die Lebensmittel wurden immer seltener, die Bekleidung immer elender und zerlumpter. Die Ungewißheit über das Schicksal der Großen Armee wurde bei dem gänzlichen Mangel an Nachrichten immer verdächtiger. Unsere Verbindung mit ihr konnte nur über Wilna und Grodno unterhalten werden, von wo uns der Herzog von Bassano Nachrichten zukommen ließ. Aber er hatte selbst keine mehr mitzuteilen. Mit dem, was er erfuhr, tat Reynier sehr geheim. Wer irgend eine Verbindung mit Warschau katte, konnte zuweilen etwas mehr erfahren. Die meisten Nachrichten von Moskau kamen jedoch nur über Deutschland zu uns und waren aus Zeitungsartikeln entlehnt. Aber der Briefwechsel zwischen Dresden und Warschau war sehr unsicher. Die Feldjäger brachten zwar stets sehr ansehnliche Pakete von Briefen mit, aber sie wurden beim Generalstabe abgegeben und blieben dort liegen. Wer gerade zugegen war, wenn das Paket ankam, konnte allenfalls seine Briefe erhalten. Nachher wurden sie zusammengeworfen und oft mehrere Wochen umher geschleppt, ehe man daran dachte, sie auszugeben. Auf mein ernstliches Andringen war zwar ein Subalterner der Intendanz, der für jeden Brief ein bestimmtes Porto erhielt, beauftragt worden, sie auszuteilen, aber der Mensch war unordentlich. Manche Briefe oder Pakete gingen verloren; und man mußte zufrieden sein, wenn man sie erst nach Monaten bekam. Ehe noch der Feldzug eröffnet war, hatte man die Pakete von drei Kurieren umhergeworfen, der Sack war vom Regen durchweicht worden, man konnte zum Teil die Aufschriften nicht mehr lesen, und die jungen Herren beim General Langenau machten sich den Spaß, die Briefe zu öffnen und zu lesen, was noch lesbar war. Uber diesen Frevel hatte ich sehr nachdrücklich gesprochen; ich erreichte dadurch nur, daß meine Briefe mit denen des Generals Lecoq, Langenaus, des Intendanten und anderer Begünstigter in ein besonderes Paket eingeschlossen wurden, mit den übrigen ging man fortdauernd ebenso nachlässig um, wie früher.

Die auf Napoleons frühere Feldzüge und auf die Einnahme von Moskau gegründete Hoffnung, daß der Krieg in einem Jahre beendet wäre, verschwand nun allgemach immer mehr. „Da Moskau nicht zieht, so werden wir wohl den Winter nicht zur Ruhe kommen,“ sagten die Offiziere. Nur die Gemeinen glaubten noch an den Frieden, wenigstens zu Weihnachten, und waren daher bei allem Elend noch guten Muts. Die Dörfer in den umliegenden Gegenden waren ausfouragiert, bei einer Plänkelei gegen Kosaken am Bug geriet das beste von ihnen, Wasilow, in Brand, und in dem nassen Biwak begann es nun auch noch an Stroh zu mangeln. Wir konnten nicht mehr lange bleiben!

Am 25., gerade als müßten wir jeden Sonntag einen Stabsoffizier verlieren, starb plötzlich der Major Hoyer von der Artillerie. Sein Tod brachte mir einen empfindlichen Verlust, weil nun mein bester Ratgeber, der Major Auenmüller zum Kommando der beiden Reservebatterien befördert wurde. Man verauktionierte die Sachen und Pferde des Verstorbenen und des bei Biala gebliebenen Majors Trotha. Das beste Pferd Trothas kam nicht in die Auktion, Lecoq hatte es für 200 Taler behalten. Dagegen erschien aber ein langer Befehl über die Pflichten gegen Gebliebene und Gefangene, da man bisher für ihren Nachlaß so schlecht gesorgt hatte.

Die Russen hatten die Zeit unseres Stillstandes zu einer Streiferei nach Lublin und Siedlce benutzt und ansehnliche Kontributionen eingetrieben. Selbst die Verbindung mit Warschau war nicht mehr sicher. Es wurde uns die Verstärkung durch ein französisches Korps versprochen, das bereits vor zwei Monaten hätte eintreffen sollen. Wir erfuhren aber damals, daß es erst in Berlin sich sammelte. Jetzt jedoch sollte es täglich von Warschau erwartet werden. Die Polen hatten uns in Brest verlassen, um ihre Hauptstadt zu decken. Dem allem ungeachtet wurden in unserem Rücken Gefangene gemacht und Transporte aufgehoben.

Die Ursache, weshalb wir in dieser unsicheren Stellung und in dieser armseligen Gegend solange verweilt hatten, wurde jetzt klar. Ein russisches Korps hatte Slonym genommen, wo damals der Mittelpunkt der russisch-polnischen Insurrektion war. Der General Konopka, ihr Haupt, war nebst der Kriegskasse und allen zusammengebrachten Kriegsbedürfnissen aufgehoben und der größte Teil seines fast aus lauter Edelleuten bestehenden Korps gefangen genommen worden.

Die Österreicher gingen nun über den Bug, um die Verbindungslinie der Armee von Moskau und Smolensk über Minsk nach Grodno wieder frei zu machen, und wir wollten den General Sacken beschäftigen, damit er den Österreichern nicht folgen könnte. Er mußte sich begnügen, ihnen ein Detachement nachzuschicken, und die Russen zogen sich von Slonym zurück.

Die Stellung war im großen ungefähr folgende zu diesem Zeitpunkte: Im Norden die Armee unter Macdonald, die Riga angegriffen hatte und bei der die Preußen waren; die Düna aufwärts die Bayern und Oudinot und Gouvion Saint Cyr auf dem Marsche nach Witepsk, welche aber nicht weiter als bis Polozk kamen. Die Große Armee auf dem Rückzuge von Moskau. Ein polnisches Korps unter Dambrowski bei Bobruisk. Die Österreicher auf dem Marsche nach Slonym, die Sachsen bei Drohiczyn am Bug. Mit frischen Truppen, in guter Jahreszeit, bei reichlicher Verpflegung und mit überlegener Anzahl würde diese strategische Aufstellung wegen der ungeheuren Weite der Entfernungen immer noch viel zu kolossal gewesen sein, wieviel mehr jetzt, bei der Schwäche der Korps, dem Mangel an Lebensmittel und dem elenden Zustand der Truppen! Nur die Massen des Kaisers und des mit den Bayern verbundenen Oudinot waren noch bedeutend, die übrigen Korps viel zu ohnmächtig. Dambrowski hatte nicht 20 000 Mann. Dagegen hatten die Hauptarmeen von Kutussow und Wittgenstein bei ihrer weit über egenen Stärke geschonte, ausgeruhte, mit allem wohlversehene Truppen, die Nebenkorps von Tschitschakow und Sacken waren jedes 40000 Mann stark.

Ganz seltsam war die Stellung dieser Korps, als wir Skrzeszew verließen. Zuerst General Mohr mit einer Division Österreicher, ungefähr 6000 Mann, der, wie ich glaube, bei Pinsk durch die Moräste gegangen war und dem Niemen zueilte. Hinter ihm Tschitschakow mit 40 000 Mann. Dann Fürst Schwarzenberg, höchstens noch 24 000 Mann stark, beobachtet durch etwa 14 000 Russen, die ihm folgten. Zuletzt die Sachsen, kaum noch in allem zwischen 11 und 12 000 Mann, und zuletzt General Sacken, der nach einer aufgefangenen Depesche 19 000 Mann Infanterie, 7000 Mann Kavallerie und 50 schwere Kanonen hatte. Die Kosaken werden nicht bei solchen Angaben mitgerechnet. Alle diese Truppen einander beobachtend, zwischen den Linien von Bialystok nach Minsk und von Brest nach Bobruisk.

Der fünfte Bug-Übergang

Wahrscheinlich war Sacken durch die unblutige Expedition nach Klein-Polen gegen Lublin genötigt worden, sich nur mit einer Detaschierung zu begnügen, wo er mit seinem ganzen Korps sich zwischen uns und die Österreicher hätte werfen können und wahrscheinlich hatte Reynier sich bei Skrzeszew so lange aufgehalten, weil er auf die französische Division aus Warschau wartete, die über Bialystok gegangen war. Jetzt wurde es sehr Zeit, unsere Verbindung mit Schwarzenberg wieder zu gewinnen. Wir gingen daher am 29. Oktober zum fünften Male über den Bug, unterhalb Drohiczyn, wendeten uns dann rechts und nahmen die Richtung gegen Siemiatyce. Wir machten bei einem schlechten Orte, Krupice (6 km w. Siemiatycze), Rasttag und nahmen den 31. bei Barutyniec Slachecki wieder die Stellung, die wir am 13. gehabt hatten.

Am 1. November wendeten wir uns gegen Bialystok und blieben in und bei dem Städtchen Kleszczele (am Nurzec). Hier stießen einige französische Bataillone von der Division Durutte zu uns. Es waren schlechte, zusammengeraffte Truppen, Konskribierte von 15 und 16 Jahren, ohne militärische Übung und ohne Disziplin, die Offiziere unerfahren und die besseren mißvergnügt, weil man sie zu diesen Regimentern gesetzt hatte. Sie hatten als ganz neue Truppe noch keinen Adler. Es war doch noch der beste Teil der Division, der hier zu uns stieß, wenn ich nicht irre, das Regiment Isle de France (oder de Rhé) unter dem Obristen Maury. Die Kommandanten waren aufgeblasen und unhöflich und zeigten bei allen Gelegenheiten ihre geringe Achtung gegen uns. Es gab vom ersten Augenblicke nichts als Streit und Zank mit ihnen. Ohne derbe Grobheit gegen sie war nicht mit ihnen auszukommen, nur wenn sie sahen, daß man sich nicht fürchtete, wurden sie erträglich. Die andern Regimenter, von denen eins Mediterrané hieß, waren noch viel sch echter. Sie können zu dem Auswurf der französischen Armee gerechnet werden. Sie bestanden größtenteils aus Illyriern, von den im Jahre 1809 abgetretenen Provinzen, und aus Spaniern, die man zum Dienste gezwungen hatte. Der Krieg war ihnen nur eine Gelegenheit zum Plündern, sie raubten öffentlich unter den Augen der Offiziere, und besonders begingen die Spanier die scheußlichsten Ausschreitungen gegen Frauenzimmer vom Stande.

Auf dem Marsche streiften sie vor unseren Augen zu 50 und 100 ab, um in den nahegelegenen Dörfern zu plündern, und gewöhnlich entstand hinterher Feuer, weil sie die Bienenstöcke anzündeten, um den Honig zu bekommen, nach dem sie besonders lüstern waren. Ich schickte gewöhnlich Kommandos nach, die sie mit Kolbenstößen hinaustrieben, aber man konnte doch nicht alle Häuser, höchstens die Edelhöfe retten, und auch dieses Mittel blieb fruchtlos, weil sie zu Hunderten zurückblieben und an den folgenden Tagen, wenn meine Salvegarden abgegangen waren, ihre Räubereien ausübten. Die Kosaken nahmen gleich in den ersten Tagen gegen Tausend solcher Nachzügler gefangen, aber die Spanier achteten dieses nicht, weil sie auf der Stelle bei den Russen in Dienste gingen. Reynier ließ sie stets in der Mitte zwischen beiden Divisionen marschieren, was für mich, da ich jederzeit die Nachhut hatte, keine geringe Last war, denn an eine Ordnung des Marsches war bei dieser Räuberbande nicht zu denken. Sie verlängerten die Kolonne oft um das Vierfache, rannten dann wieder zusammen, wie es ihnen gefiel. Die Offiziere bekümmerten sich nicht um sie, und wenn gar zu große Massen sich zum Plündern entfernt hatten, so machten die Kommandanten Halt, um sie zu erwarten, und ich mußte gleichfalls halten. Oft kam ich darüber 3–4 Stunden später in das Biwak als die 1. Division und meine Leute fanden dann bereits alle Vorräte aufgezehrt. In den Dörfern, wo die Generäle einquartiert waren, brannte es alle Nächte, denn nach Mitternacht kamen die Plünderer zu 20 und 30 mit brennenden Talglichtern in die Scheunen und Häuser, um alles zu durchsuchen und zu rauben. Schildwachten waren nicht mehr imstande, sie abzuhalten; ich mußte meine Generalwache jedesmal ins Gewehr rufen, um sie wenigstens aus meinem Quartier zu vertreiben, und ohne einen förmlichen Angriff mit dem Gewehr war dieses unmöglich. Ich verbot nur meinen Leuten, die Bajonette zu gebrauchen, aber ich ließ mit dem Kolben dreinschlagen und achtete es nicht, wenn einer, hart getroffen, niederstürzte.

ln solchen Truppen bestand die Verstärkung, die man uns zuschickte. Ein einziges Bataillon Würzburger, das aus braven und ordentlichen Leuten bestand, machte eine Ausnahme. Die Division Durutte sollte 6000 Mann stark sein. Ob sie vollzählig war, weiß ich nicht, aber gewiß ist, daß sie bloß durch ihre Exzesse, ehe sie noch an den Feind gekommen war, in wenigen Tagen auf 4000 Mann schmolz. Es war bloß Infanterie, Kanonen hatten sie nicht.

Leider war auch bei uns die Kriegszucht immer schwächer geworden, besonders unter der Kavallerie hatte Gabienzens Nachsicht und das Beispiel der Probsthaynschen Schwadron die unseligsten Folgen gehabt. Wenn ein Unglück mich hätte erfreuen können, so hätte ich schon bei Brest für Reyniers Unwillen über meine Bemühungen, die Disziplin zu erhalten, eine auffallende Genugtuung bekommen. Sächsische Husaren, die auf Erkundung ausgeschickt waren, drangen in das Quartier eines österreichischen Generals, um zu plündern. Die Wache wurde überwältigt, und als der Adjutant hinzukam, um dem Unwesen zu steuern, vergriffen die Husaren sich auch an ihm. Er zog den Degen und stach einen von ihnen auf der Stelle tot. – Wir durften nicht darüber klagen. Ich habe nachher in Warschau Reynier diesen Umstand vorgehalten, und er wußte weiter nichts zu antworten, als daß man ihm diese Ausschweifungen verschwiegen hätte.

Bei der Infanterie war das Übel noch nicht so arg eingerissen, aber die unselige Notwendigkeit, sich selbst Unterhalt zu schaffen, machte auch hier aller Ordnung ein Ende. Das Wetter war abscheulich, stets abwechselnd Fröste, Schnee und Regen. In den Wegen konnte man kaum mehr fortkommen, – und die Leute hatten keine Schuhe. An den kurzen Novembertagen mußte stets früh im Dunkeln aufgebrochen werden, und vor 7, 8, 9 Uhr abends kamen wir nicht ins Biwak. Die Intendanz und Probsthayn sorgten nur für sich und das Hauptquartier, für uns übrigen und für die Armee gab es keine Indendanz mehr. Wenn mittags oder abends halt gemacht wurde, dann wies Reynier jeder Division ein oder ein paar Dörfer an, um Stroh, Holz und Lebensmittel zu haben. Obgleich wir nun wieder die Dörfer für die Bataillone einteilten und von jedem Bataillon einen Offizier und 50–60 Mann zum Fouragieren schickten, so war es doch nicht möglich, in jedes Haus mit hineinzugehen, und die Einwohner waren zu einer freiwilligen Lieferung nicht zu bewegen. Alles mußte mit Gewalt genommen werden, Lebensmittel, Geschirr zum Kochen, denn unsere Kessel waren längst verloren oder unbrauchbar, Pferdefutter, Holz, Stroh oder Garben. Aber dabei blieb es nicht, die nackten, in der feuchten Kälte allem Ungemach ausgesetzten Soldaten griffen nach Kleidungsstücken, und bald erschienen auf dem Marsche die abenteuerlichsten Gestalten. Priesterröcke, Weiberkleider, große wollene Decken, mit einem Strick oder Riemen um den Leib gegürtet, Felle, Fracks, Schlafröcke, Bürgerkleider, alles untereinander. Reynier sah es, aber er sagte nichts, die Schuld lag an dem Intendanten, der die Montierungen und Schuhe lieber hatte verlieren, als ausgeben wollen. Die Soldaten mußten umkommen, wenn sie sich nicht selbst versorgten. Die Offiziere schafften sich russische Schafpelze an, das Leder auswendig, ohne Überzug. Niemand konnte etwas gemacht bekommen, weil wir bei keiner Stadt verweilten und unsere eigenen Handwerker bei Nacht im Biwak nicht arbeiten konnten, auch weder Nadel noch Zwirn mehr hatten. Wir sahen einer Zigeunerbande ähnlicher, als Soldaten, die Franzosen allein waren gut gekleidet, weil sie in Berlin neue Uniformen erhalten hatten.

Am ärgsten mißbrauchten der Troß und die Weiber, die der Armee gefolgt waren, die eingerissene Zügellosigkeit; und wenn wir durch ein Dorf kamen, lagen gewöhnlich die Einwohner im Kot auf den Knieen und schrien eine Art von Gesang her, der bald uns um Barmherzigkeit, bald den Himmel um Rettung anflehte, und weil es überall derselbe war, für diese Drangsale ausdrücklich gemacht zu sein schien.

Doch nichts ging über die Verruchtheit der Spanier. Ich entsinne mich, daß, als ich eines Tags an einem Gehöft hinritt, eine ältliche Frau hinter dem Hause durch den Schnee gerannt kam und um Gottes Barmherzigkeit willen um eine Salvegarde bat. Sie war gut gekleidet, schien vom Stand zu sein und blutete im Gesicht und an den Händen. Ich schickte den Hauptmann Langenau mit einem Kommando hinein. Es war ein Edelhof, und dem Gerät nach schien die Familie sehr anständig eingerichtet zu sein. Langenau fand eine junge hübsche Frau mit entblößter, zerkratzter Brust und b auen Flecken im Gesicht und an den Armen, das Kleid zerrissen. Sie erholte sich nur von einer Ohnmacht und sank in die andre. Die übrigen Bewohner waren in keinem besseren Zustande. Die Leute konnten nur polnisch, er verstand daher nicht, was sie sagten, aber der Augenschein lehrte, es waren Spanier und Franzosen im Hause. Er ließ ohne Zögerung auf die Plünderer losschlagen und befreite die Familie. Der Obrist Maury war so dreist, mit groben Äußerungen gegen mich über diese Behandlung seiner Leute zu klagen, aber ich antwortete ihm vor seinem Regiment so nachdrücklich, daß er verstummen mußte.

Die Dörfer und Flecken, wo wir blieben, gehörten übrigens zu den elendesten. Eine ungepflasterte Stube ohne Fenster, mit einem Herd und Backofen ohne Esse war gewöhnlich mein Quartier, und nicht allen wurde es einmal so gut. Sobald Feuer angemacht wurde, mußte man sich bücken, bis der Rauch zur Türe hinausgezogen war. Dann wurde im Backofen das gestern gekochte Essen gewärmt, gegessen und abermals gekocht für den nächsten Tag. Ich selbst blieb nur solange in der Stube, wie zum Essen mit meinem Adjutanten und zum Besorgen der Meldungen und Befehle nötig war, dann setzte ich mich in meine Chaise, wo ich trotz des nassen Wetters und Frostes die Nächte zubrachte, nie ohne Sorge, meine Pferde zu verlieren, weil regelmäßig in jeder Nacht in den Dörfern Feuer auskam. Konnte man die Häuser einreißen, war es gut; gewöhnlich mußte man es brennen lassen, und oft brannten die Dörfer noch, wenn wir am folgenden Morgen aufbrachen. An Löschen ist in einem Lande nicht zu denken, wo es keine Eimer, keinen andern Hausrat, als Klötze zu Stuhl und Tisch, eine schmutzige Decke zum Bett, ein Paar Töpfe und höchstens, aber nicht überall, eine Schüssel gibt.

Der heutige Tag wurde auf eine traurige Weise durch den Tod des Majors Seydlitz bezeichnet. Er fiel in einem Scharmützel mit der uns nachrückenden Kavallerie, da er mit seinen schwachen Schwadronen den Dienst eines Regiments zu tun den Ehrgeiz hatte. Er konnte nur wenige Plänkler vorschicken, Kosaken schwärmten in seinem Rücken, und während er um den Flügel ritt, um einen Angriff zu kommandieren, schoß ein Kosak ihn durch den Hals; er lebte nur noch wenige Minuten. Der Kapitän Oertzen setzte sich vor die Front und warf den weit überlegenen Feind zurück. Unter dem Schutze der leichten Infanterie führte er nachher seinen Rückzug glücklich aus, aber Seydlitz war nicht leicht zu ersetzen. Hätte es die Dienstordnung erlaubt, so würde ich Oertzen das Kommando des Restes der Ulanen gewünscht haben. Da dies unmöglich war, so dachte ich an den Major Watzdorf, aber Langenau, der dies alles ohne Rücksicht auf mich und Lecoq anordnete, wollte den Major Thümmel los sein, der bis jetzt im Hauptquartier gewesen war und, wenn er betrunken war, ihm manche Wahrheit gesagt hatte. Er wurde daher an die Spitze der Ulanen gestellt, eine der unglücklichsten Wahlen, die man treffen konnte, denn Thümmels schöne Talente waren längst durch übermäßigen Trunk, dem er sich ergeben hatte, unfähig, seine tolle Tapferkeit gefährlich geworden. Eine Truppe als Befehlshaber in Ordnung zu halten, im Angesicht des Feindes Vorsichtsmaßregeln zu nehmen, dazu war er nicht imstande. Er wußte nichts, als vom frühen Morgen an sich in Branntwein zu betrinken, in der Trunkenheit tolles Zeug zu reden, die verkehrtesten Anstalten zu machen, alles, was er zu besorgen hatte, zu vergessen und, wenn er den Feind zu sehen glaubte, blind darauf los zu gehen. Bei den Leuten verlor er bald alle Achtung, weil es nichts seltenes war, ihn auf dem Marsche vom Pferde fallen und im Kote liegen bleiben zu sehen, bis man ihn wieder hinauf hob. Um den Weg bekümmerte er sich nie, sondern ritt mit seinen Leuten auf gut Glück in der Irre herum. Es war nichts seltenes, daß er nach Stunden wieder an den Ort kam, von dem er ausmarschiert war. Bei dem Rückzuge von Warschau ritt er in der Betrunkenheit sechsmal über die zugeforene Weichsel zurück, und wenn er durch einen Zufall bei Kalisch das Korps erreichte, so hatte er dazu nichts beigetragen, denn er hatte die Equipage vergessen, die Infanterie seiner Arrieregarde im Stiche gelassen und war fünfmal vom Pferde gefallen. Auf alle Erinnerungen antwortete er lallend: „Das schadet alles nichts!“ – Unter einem solchen Führer mußten die besten Truppen ausarten.

Marsch nach Norden

Wir setzten am 2. November unsern Marsch in der Richtung auf Bialystok fort und blieben bei Orla (12 km sö. Bielsk), wo den folgenden Tag geruht wurde. Man glaubte, wir würden den Feldzug damit beschließen, daß wir bei Bialystok uns festsetzten, um die Verbindung zwischen Warschau und Grodno zu decken, aber unser nächster Marsch, den 4., der sich rechts gegen die traurigen Sümpfe des Narew wendete, bewies das Gegenteil. Wir gingen durch eine Gegend, wo gar keine ordentliche Straße war. Die II. Division mußte außerdem noch einen Nebenweg einschlagen, auf dem oft kaum fortzukommen war. Dabei floß unaufhörlich der Regen in Strömen nieder und wurde nur durch Schneeschauer unterbrochen, die den Weg noch grundloser machten. Wir waren früh um 7 Uhr aufgebrochen, die Nacht überfiel uns in einem Walde, wo es so finster wurde, daß man durchaus gar nichts sehen konnte, sich immer nur zurufen mußte. Der Regen hatte nachgelassen, aber dafür fiel dichter nasser Nebel. Die Leute zündeten Lichter an, und solange diese brannten, ging der Marsch noch mit einiger Sicherheit fort. Aber eins nach dem andern erlöschte, und die Boten benutzten die Gelegenheit, zu entspringen. Es waren bloße Holzwege, auf denen wir marschierten, man hatte weder ein frisches Gleis noch irgend eine Spur, nach der man sich richten konnte. Die Wege teilten sich oft, häufig führten sie über offene Moorbrüche, die nur auf einem kaum am Tage kennbaren Striche überschritten werden konnten. Wir mußten nun auf gut Glück unsern Weg fortsetzen, nicht ohne große Verlegenheit, als wir plötzlich ein Licht im Walde entdeckten. Es war mein Adjutant Wolfersdorff, den ich mit einigen Ordonnanzen vorausgeschickt hatte. Er kam zurück und war so klug gewesen, brennende Kienspäne mitzubringen. Er führte uns nun auf den Biwakplatz. Für mich war Quartier in dem kleinen Städtchen Narewka gemacht (Mala Narewka an der Narewka, 40 km ö. Bielsk), wo Reynier lag, und hier war es helle genug, denn es brannten schon ein paar Häuser, die von den Franzosen verwahrlost worden waren.

Den 3. ging der Marsch in derselben Richtung und bei gleichem Regenwetter fort über die Moräste nach Rudnia (20 km ö. Mala Narewka, am Narew). Hier ist ein Paß, der zwei Straßen beherrscht, die nach Rozanna und nach Wolkowysk führen und von der Seite von Brest her über die Sümpfe kommen. Der Ort war äußerst schlecht, ich hatte eine der oben beschriebenen Rauchstuben bezogen. Dennoch wollte der Oberst Maury, obwohl er meine Schildwache gesehen hatte, mich daraus vertreiben, wurde aber nicht höflich von mir empfangen. Wenn ich ein solches elendes Quartier einer Strohhütte im Biwak vorzog, so geschah es nur, weil ich meinen Pferden ein Obdach verschaffen konnte. Während der Nacht, die ich in meinem Wagen zubrachte, mußte ich mehrmals die Wache gegen die plündernden Franzosen und Spanier ins Gewehr rufen, und nie sind mehr und derbere Prügel ausgeteilt worden, als bei solchen Gelegenheiten.

Reynier fühlte die Notwendigkeit, nach so beschwerlichen Märschen, denn auch bei Rudnia waren wir erst in der Nacht angekommen, den Truppen einige Erholung zu gönnen. Wir gingen den 6. nach Swilocz, einem hübschen, gut gebauten Städtchen, das der polnischen Familie Tiszkewicz gehört, und machten hier Rasttag. Die Truppen mußten freilich biwakieren, und das Regenwetter dauerte fort, aber sie hatten doch Zeit, sich Hütten zu bauen und auszuschlafen. Reynier war beide Tage der Gast des Grafen Tiszkewicz. Darnach wurde sein Park in Anspruch genommen und 300 Flaschen feine Weine in seinem Keller eingepackt. Mir schickte der Intendant einen Damhirsch und 3 Flaschen Wein, ungarischen, Bordeaux und Champagner. Auf Reyniers Tafel erschien niemals Wein. Hat er um diese Plünderung nicht gewußt oder keinen Anteil daran genommen? Geduldet hat er sie.

Unser Marsch ging am 8. nach der Gegend von Porozowo (20 km sö. Swilocz), wo die Straße von Kobryn über Pruzana nach Wolkowysk und weiter nach Grodno führt. Meine Division biwakierte auf einer Höhe bei dem Dorfe Gornostajewicze (6 km n. Porozowo), in dem Reynier blieb. Lecoq stand etwa ¾ Stunde seitwärts, die Avantgarde bei Porozowo, I Bataillon Infanterie nebst dem Regimente Polenz wurden nach Rudnia entsandt (24 km s. Swilocz).

Wir wußten nicht, wo der Feind stand, Reynier war vollkommen unzugänglich. Ich fragte Langenau, nach welcher Seite ich die Front nehmen sollte, doch wohl dahin, wo die Avantgarde stände? Das, meinte er, wäre doch nicht so ganz ausgemacht, ich möchte mich nur nach dem Gelände richten und mich soviel wie möglich nach allen Seiten decken.

Wir standen hier den folgenden Tag still. Der Obrist Hann wurde angegriffen, trieb aber die Feinde zurück und machte Gefangene. Am 10. brachen wir den Abend wieder auf, weil die Avantgarde bedroht wurde, kehrten aber auf spätere Nachrichten hin wieder zurück. Das Wetter war anhaltend böse. Daß es einige Male in dem Orte brannte, ist bei der Nachbarschaft der Franzosen nicht zu verwundern.

Von der Großen Armee verbreiteten sich die widersprechendsten Nachrichten, und das Schicksal der Bayern bei Poloczk wurde bekannt. Fabrice, der von Skrzeszew nach Dresden geschickt worden war, kam als Major zurück und blieb bei Langenau. Er brachte Zeitungen mit, aus denen wir jedoch nur das Alte, nicht das Neueste erfuhren; aber daß der Feldzug verfehlt war, konnte selbst den Gemeinen nicht mehr verhehlt werden. Reynier hatte einen Kurier an den Kaiser geschickt, der aber nicht durchgekonnt und nur den Herzog von Bassano, ich glaube in Grodno, gesehen hatte. Dennoch wurde es noch immer für ein Verbrechen gehalten, an den Siegen der Großen Armee zu zweifeln. Als ich einmal bei Tische gegen meine Adjutanten meine Meinung äußerte, fuhr der Hauptmann Langenau auf: „Wie können der Herr General nur so etwas glauben!“ Er wollte mir weismachen, Kutussow und Wittgenstein wären eingeschlossen und würden nächstens kapitulieren. Er ermangelte nicht, im Hauptquartiere zu verbreiten, daß ich nachteilig von dem Feldzuge spräche; sein Bruder ließ es mir merken, gab aber selbst zu, daß es schlecht ginge, als ich mir die Mühe gab, die geringe Haltbarkeit seiner Angaben aufzudecken. „Übrigens,“ sagte ich ihm, „ich glaubte, was ich bei Tische im Kreise meiner Adjutanten spräche, wäre deshalb noch keine Eröffnung an die Truppen, und wenn sie diese mit Erdichtungen zu beschäftigen für nötig hielten, so sollten sie wenigstens mich nicht belügen!“ Er lachte und meinte, ich hätte nicht Unrecht.

Den 11. brachen wir auf, marschierten aber nur einige Stunden weit auf der Straße gegen Porozowo und Podorosk, bei dem Dorfe Sokolniki (10 km w. Porozowo) wurde biwakiert und der Tag in Ungewißheit zugebracht, bis die Avantgarde und der Posten bei Rudnia abgezogen waren. Das Wetter wurde heiterer, aber kalt. Am Abend wurde in der Nähe ein Biwak für die Nacht ausgesucht. Ich blieb nahe bei meiner Division in einem Dorfe, wo die Intendanz sich einquartiert hatte. Mitgebrachtes Fleisch und Kartoffeln, die wir in dem Dorfe fanden, dienten zum Unterhalt. In der Nacht, als ich in meinem Wagen schlief, wurde ich auf einmal durch das Knistern der Flamme geweckt. Es brannten ein paar Häuser. In den Rauchstuben, die einen Herd und Backofen ohne Esse hatten, war in der Wand gewöhnlich ein kleiner Herd zum Licht von Kienholz angebracht; dieser hatte einen Rauchfang, der aber nur aus der Stube hinausging und den Rauch nur bis unters Dach führte, man durfte daher nur wenig Späne zur Beleuchtung darauf legen. Ein paar Proviantkommissäre hatten diesen kleinen Herd zur Wärme benutzen wollen, und plötzlich loderte das Dach in Flammen auf. Der Wind ging gerade nach meinem Hofe hin, und ich hatte Not, meine Leute, die in die Ställe gekrochen waren, aus dem Schlaf und die Pferde aus den engen, niedrigen Schuppen in Sicherheit zu bringen. Die Dörfer in dieser Gegend haben gewöhnlich die Hütten und engen Höfe der Einwohner auf der einen, und die Scheunen auf der anderen Seite. Die Bauart der Scheunen ist ganz sonderbar, sie haben durchaus gar kein Mauerwerk, sondern es sind im eigentlichen Sinne große Körbe. An den Ecken und Seiten sind Pfähle eingeschlagen, und zwischen diesen die Wände von Astholz so künstlich und fest geflochten, daß es nicht möglich ist, eine Wand weder einzustoßen noch zu durchbrechen oder zu durchbohren. Auf den Pfählen ruhen die Sparren, welche das Strohdach tragen. Lehmwände kennt man nicht, auch die Häuser haben keine Mauern. Unten herum wird ein Grund von großen Steinen geschichtet, und auf diesen liegt ein Balken, oder vielmehr ein schlecht behauener Baum auf dem anderen, bis an das Dach. Die Zwischenräume sind mit Moos ausgestopft. Ein paar kleine Löcher dienen zu Fenstern und werden durch Bretter verwahrt. Der niedrige, mit einer hohen Schwelle versehene Eingang hat nicht immer eine Tür. Inwendig bildet das Ganze einen großen kotigen Schuppen, weil der Boden selten austrocknet. In der Mitte ist der Herd und der Backofen und neben diesem, ebenfalls durch übereinandergelegte Stämme die sogenannte Stube, in welcher über dem Herd der Backofen geheizt wird. Diese Stube hat eine niedrige, hölzerne Decke, aber keinen Fußboden, und in der Decke oder auch in der Wand nach dem Hause zu ist ein Loch, aus dem der Rauch herauszieht und sich unter dem Dache verliert. Solange das Feuer brennt, ist ungefähr nur ein Raum von nicht ganz zwei Ellen Höhe vom Rauch frei, wenn man sich aufrichtet, fährt man mit dem Kopfe in die dicke Rauchschicht. Wenn das Feuer ausgebrannt ist und der Rauch sich verzogen hat, bleibt die Luft so lange warm, wie der Backofen noch glüht, mit den Füßen aber steht man immer im Kot. Im Hofe dienen einige niedrige Hütten von Stroh oder Flechtwerk zu Ställen. Gemauert ist nichts, als der Herd und der Backofen. Auch die Kirchen sind nicht anders gebaut und unterscheiden sich bloß durch ihr Schindeldach von den Strohdächern des Dorfes. Die Scheunen allein sind wohl verwahrt und haben einen reinlichen Lehmboden, aber wegen der durch die geflochtenen Wände ziehenden Kälte konnte man es nicht mehr darin aushalten. Diese Gegend ist überhaupt eine von den elendesten in Rußland und Polen.

Daß ein Feuer bei dieser Bauart höchst gefährlich sein muß, läßt sich denken. Von Löschen konnte gar keine Rede sein, aber auch das Einreißen der Gebäude war bei ihrer Beschaffenheit und bei dem gänzlichen Mangel an Werkzeug unmöglich. Das Feuer verbreitete sich nicht nur von Dach zu Dach, sondern es lief auch auf der eine Elle hoch mit Stroh bedeckten Dorfgasse hin. Ich ersah mir endlich einen Platz, wo ein breiter Zwischenraum war, und hoffte hier dem Feuer Einhalt zu tun. Während unsere Sappeure bemüht waren, eine halb abgebrannte Scheune vollends einzureißen, suchte ich den Einwohnern mich verständlich zu machen, daß sie das durch die Fouragierung verstreute Stroh vom Boden wegschaffen sollten. Sobald sie meine Meinung begriffen hatten, legten sie rasch Hand an, und die Hälfte des Dorfes wurde gerettet, aber außer einer Menge von Hütten waren 23 gefüllte Scheunen verbrannt. Das Flechtwerk der Scheunen war so fest, daß, wenn man auch alle Pfähle oder Ständer abgehauen hatte, es doch nicht möglich war, die Wand auseinander zu reißen. Es wäre eher möglich gewesen, den ganzen Korb der Scheune umzuwerfen, als die einzelnen Teile zu trennen. Den Aberglauben des Feuerbesprechens sah ich auch hier. Alte Weiber besaßen das Geheimnis und wendeten es auf derselben Stelle an, die ich ausgewählt hatte, dem Feuer Schranken zu setzen.

Das Gefecht bei Lopienica Mala

ln der Nacht fror es heftig, aber am folgenden Tage fiel wieder nasses Wetter ein. Wir waren nur vorgegangen, um unsere Vorposten aufzunehmen und marschierten wieder durch Gornostajewicze zurück. Wir näherten uns der Straße, die von Rozana über Podorosk und Wolkowysk nach Grodno geht. Ich hatte die Arrieregarde und mußte unterwegs oft lange halt machen. Reynier schien unentschlossen, wo er bleiben wollte; endlich bestimmte er sich für die Gegend von Lopienica Mala, einem Dorfe mit einem verfallenen Schlosse, das ungefähr in gleicher Entfernung zwischen den Straßen von Porozowo und von Podorosk nach Wolkowysk liegt (15 km s. Wolkowysk). Bei diesem Städtchen, das uns sehr bald merkwürdig werden sollte, kreuzen sich drei Hauptstraßen. Die eine, der erste große Hauptdamm über die Moräste, kommt auf der einen Seite von Brest über Kobryn und Pruzana, auf der andern von Pinsk über Chomsk und Sjelec nach Rozana und führt von da über Podorosk nach Mosty am Niemen und nach Grodno. Die zweite, gleichfalls von Pruzana kommend, geht über Porozowo nach Wolkowysk und von da weiter nach Wilna, die dritte endlich ist die gewöhnliche Straße von Bialystok nach Slonym und weiter nach Minsk oder Mohilew. Dadurch, daß er sich in die Mitte zwischen jenen beiden Straßen setzte, ließ Reynier den Feind ungewiß über seine Absichten, ob er ihm entgegen gehen oder über Wolkowysk nach Slonym, wo die Österreicher standen oder nach Bialystok sich wenden wollte.

Das Dorf Lopienica lag in einem engen morastigen Grunde, zu dem man nur auf Dämmen gelangen konnte. In der Entfernung von einer halben Stunde, die aber durch den Umweg der Dämme auf eine Stunde ausgedehnt wurde, zog sich eine Reihe flacher Hügel hin, auf der das Korps, die Franzosen in der Mitte, mit der Front gegen das Dorf biwakierte. Nahe an dem Dorfe auf einem runden Hügel lag ein Kirchhof, der durch den Grund von einer etwas höheren Hügelreihe getrennt wurde. Diese Hügel erhoben sich immer mehr, je mehr man sich entfernte, und verloren sich in einem großen Walde, der sich gegen Podorosk hinzog. Zwischen den Hügeln waren steile tiefe, durch Wasserrisse gebildete Schluchten. Auf diesen Hügeln zog sich die Avantgarde zurück, das Bataillon Prinz Friedrich war von Rudnia nach Gornostajewicze gegangen und in Wolkowysk stand der Rest der Division Durutte.

Am 13. früh wurde bei der Avantgarde geschossen. Wir hielten es aber nur für eine Rekognoszierung; da es aber nicht aufhörte, so ritt ich nach dem Biwak hinaus. Mir gefielen die Dämme nicht, die die Truppen von dem Dorfe trennten und die so grundlos waren, daß Reynier bei dem Einrücken mit dem Pferde stecken blieb. Ein heftiger Frost in der Nacht hatte sie nur noch schlimmer gemacht. Ich fürchtete daher die Verwirrung der Equipage, wenn etwa die Avantgarde sich zurückziehen sollte. Reynier, dem ich begegnete, sagte mir, ich sollte die Division an das Dorf vorrücken lassen und den Kirchhofhügel durch ein Bataillon und zwei Kanonen besetzen. Ich wählte dazu das Bataillon Spiegel. Von dort aus konnte ich die Stellung der Avantgarde übersehen. Ein etwa eine Viertelstunde breites Tal trennte uns von dem Fuß der gegenüberliegenden Höhen, die zwei weit vorspringende breite Hügel gegen uns vorstreckten. Auf der einen von ihnen, von mir linker Hand, lag links ein einzelnes Hölzchen; vor ihm war der Hügel mit etwa ellenhohen Heidegestrüpp dicht bedeckt. Bis etwa 500 Schritt hinter dem Hölzchen trat eine breite Waldecke vor, rechts davon schnitt eine breite Fläche weit in den Wald hinein, der sie wie ein Hufeisen umgab. Zwischen beiden Hügeln lief eine tiefe steile Schlucht hinauf, die sich in der zweiten vorspringenden Waldecke verlor. Der Hügel rechter Hand lief oben links in eine breite Ebene aus, die aber auf beiden Seiten, links von der Waldecke der Schlucht und rechts von dem sich schräg vorwärts ausdehnenden Walde flankiert wurde. Am Eingang davon stand Gablenz, der Wald zu seiner Rechten war mit leichter Infanterie besetzt, die reitende Batterie bestrich die Fläche, die Tirailleurs waren noch weiter vorn.

Als ich auf dem Kirchhofe stand, kamen zwei Offiziere, die aus dem Hospital zurückkehrten, sich bei mir zu melden, der Leutnant von Zeschau von der leichten Infanterie und der Graf Schulenburg von den Husaren. Ich wies beide zu ihren Regimentern; in wenig Stunden waren beide verwundet, Zeschau tötlich.

Reynier ließ mir sagen, ich sollte mit 2 Bataillonen und 2 Kanonen in den Grund vorrücken, denn die Tirailleure der Avantgarde wurden stark gedrängt. Ich ritt zu der Avantgarde, fand aber Reynier nicht. Gablenz schlug mir vor, die Kanonen auf den Hügel linker Hand rücken zu lassen, weil seine Flanke auf dieser Seite entblößt wäre. Ich wollte darüber Reyniers Befehl abwarten, schickte aber unterdessen ein Bataillon leichte Infanterie ab, um das abgesonderte Hölzchen zu besetzen. Reynier kam endlich, Durutte war bei ihm, ebenso ein junger Auditeur des Staatsrates, ein Mann von Geburt, der vom Herzog von Bassano gekommen war. Meine Besetzung des Hö zchens wurde gut geheißen. Wir ritten zusammen auf den Hügel linker Hand hinauf, und Durutte, der ein sehr mittelmäßiger General war, äußerte prahlerisch die Meinung, mit Franzosen hätte er längst den Wald genommen. Reynier antwortete ihm, die Sachsen könnten das ebensogut, und befahl mir zugleich, das Bataillon Anger anrücken zu lassen und die links dem abgesonderten Hölzchen gegenüberliegende Waldecke zu nehmen, doch sollte ich erst die beiden Kanonen kommen und einige Male hineinschießen lassen.

Er ritt zurück, aber der Auditeur in Zivilkleidern blieb bei mir. Während wir da hielten, machte er mich aufmerksam, daß er in dem Walde zur Rechten, der den andern Arm des Hufeisens bildete und weiter als der zur linken vorsprang, Gewehre blinken sähe. Ich ließ Reynier melden, daß auch dieser Wald vom Feinde besetzt wäre, aber er antwortete, das könnte nicht sein. Er kehrte jedoch wieder um und blieb in einiger Entfernung halten.

Ich ließ nun das Bataillon vorrücken, weil es mir aber gewiß schien, daß der Wald zu meiner Rechten auch besetzt war, schickte ich zwei Kompagnien unter dem Major Anger rechts und die beiden anderen unter dem Major Schmieden links. Sie gingen rasch durch den Zwischenraum, aber in dem hohen Heidekraut konnten sie nicht vorwärts und kamen außer Atem, besonders die Abteilung Schmieden. Ich sah, daß sie stutzten und sich nach ihren Kameraden umsahen. Ich eilte daher selbst hin, sie aufzumuntern, der Hauptmann Langenau bemühte sich, die Leute zu ordnen und auseinander zu weisen, daß sie nicht in einem Knäuel ankamen. Es fiel kein Schuß, und der Leutnant Wolfersdorff sagte zu mir, er glaubte, es sei niemand im Walde. Aber als wir etwa auf dreißig Schritte heran waren, bekamen wir ein ebenso heftiges wie unterhaltenes Feuer. An dem Pfeifen der Kugeln hörten wir, daß es Jäger waren. Sie schossen besonders auf die Anführer zu Pferde, weil sie wohl sehen konnten, daß ein General dabei war, und ich bewundere noch heute, daß von den vielen Kugeln, die mir nahe am Kopfe vorbei fuhren, keine getroffen hat. Die Leute stockten, viele wurden verwundet, und ich sah den Augenblick, wo sie umkehren würden; zu gleicher Zeit ging auch das Feuer zu meiner Rechten an, und die Kugeln kreuzten sich auf dem Punkt, wo wir waren. Alle Offiziere riefen den Leuten zu, nur in den Wald zu dringen, und die hinten fliegenden Kugeln trieben sie selbst dazu. Sie erreichten den Rand, aber die beiden Kompagnien rechts waren noch nicht soweit. Dem Major Anger war das Pferd erschossen und die Mannschaften waren darüber in Unordnung gekommen. Ich eilte nun hin und hatte hier ein noch heftigeres Feuer auszuhalten, bis die beiden Kompagnien gleichfalls den Wald erreichten.

Reynier hatte nun wohl gesehen, daß die Feinde stärker waren, als wir glaubten und daher gleich das Bataillon Spiegel von dem Kirchhofe und auch das Bataillon Bose nachsenden lassen. Spiegel kam mir entgegen, als ich zurück ritt, es zu holen und ich schickte es gleich in die Waldspitze linker Hand, aus welcher der Major Schmieden hinausgeworfen war. Der Major Spiegel nahm den Rand des Waldes wieder und behauptete sich darin. Ich ließ unterdessen das Bataillon Bose bis an die vorderste Spitze des alleinliegenden Hölzchens vorrücken, in dem ich das eine Bataillon leichter Infanterie noch als Reserve behielt, das andere war bei der Avantgarde kommandiert. Dort dauerte das Gefecht, jedoch weniger heftig, fort. Die Feinde suchten vorzüglich den Grund zwischen mir und Gablenz zu gewinnen. Ich hatte zwei Kompagnien des Bataillon Bose in dem Wald rechts zur Unterstützung des Major Anger abgeschickt. Sie konnten aber doch darin sich nicht behaupten, und die Kugeln schlugen schon bei uns in die Bäume. Ich mußte daher das leichte Bataillon unter dem Major Bock, aus dem Hölzchen vorgehen lassen. Sie gingen ganz vorn aus dem Holze und liefen erst gegen die Holzecke links und dann schnell quer über die Ebene nach dem Walde zur Rechten. Indem sie bei mir vorbei rannten, riefen sie einander zu: Nur nicht geschossen, gleich mit dem Bajonett drauf, die Jäger haben keine Bajonetts. Einem jungen Offizier, dem ich sehr gut war, einem Leutnant Hauschild, der im Vorbeilaufen mich freundlich ansah, rief ich noch zu; nach einer Viertelstunde brachte man ihn getragen, beide Augen waren ihm ausgeschossen.

Das Gefecht erneuerte sich nun sehr lebhaft, als plötzlich schon hinter uns in Grunde Schüsse fielen und die Feinde auch hier vordrangen. Ich hatte nichts mehr, als 2 Kompagnien von Bose ihnen entgegen zu werfen, und durfte doch auch das einzelne Hölzchen, meinen Stützpunkt, nicht verlassen. Zugleich fiel es mir wie Blei aufs Herz, daß ich die beiden Kanonen hinter mir völlig vergessen hatte. Ich schickte den Hauptmann Langenau hin, sie waren weg! Der Leutnant Hirsch, der, seitdem wir uns in den Wald geworfen hatten, nicht mehr schießen konnte und sich verlassen sah, war so klug gewesen, sich zurück und auf die andere Seite des Wäldchens zu ziehen. Der Major Bock aber entschloß sich, als er das Schießen hörte, sofort eine Wendung rechts zu machen und die Jäger in Rücken zu nehmen. Dieses geschickt ausgeführte Manöver entschied. Die Feinde zogen sich zurück und wir gewannen Raum in den Wäldern. Reynier kam selbst, hielt auf der Ebene zwischen den einzelnen Hölzchen und der Waldecke und machte sich ein Vergnügen daraus, seinen Divisionsgeneral Durutte unter den noch immer häufig fliegenden kleinen Kugeln herumzuführen. Mir befahl er, so wie es dunkel würde, ein Bataillon nach dem andern abzuziehen und zurückzumarschieren.

Die erste Division und die Franzosen hatten ihr Biwak nicht verlassen. Das Gefecht endete bei uns erst gegen 8 Uhr. Die Feinde waren zwar aus den vorspringenden Holzecken vertrieben worden, aber in dem hinteren Walde blieben sie. Da sie kein Geschütz hatten, so konnte ihr Zweck nur eine Erkundung gewesen sein, und den hatten sie erreicht. Wir hätten sie, ohne unsere Leute aufzuopfern sehr gut abhalten können, aus dem Walde vorzudringen, wenn wir das alleinliegende Hölzchen besetzt gehalten und den Zugang zu dem Dorf durch die Stellung auf dem Kirchhofshügel und durch Besetzung der Brücken im Tal verwahrt hätten. Das schien auch anfangs Reyniers Plan gewesen zu sein, aber die Prahlerei Duruttes verleitete ihn, die Hölzer stürmen zu lassen. Dieser Einfall kostete der II. Division 2 Offiziere und ungefähr 100 Mann an Toten und Verwundeten, ohne den Verlust der Arrieregarde, der jedoch weniger beträchtlich war. Erst beim Zurückreiten fühlte ich die heftige Kälte, in der Anspannung des Gefechts hatte ich sie nicht gemerkt. Die armen Verwundeten litten sehr dadurch, weil sie noch in der Nacht auf dem holprichten Forstwegen weggeschafft werden mußten. Sie starben fast alle, weil sie bei Mosty über den Niemen gebracht werden mußten und bis dahin aller Pflege entbehrten. Zeschau, der durch den Kopf geschossen war, und Hauschild lebten, leider mit Bewußtsein, noch mehrere Tage. Den Verlust der Feinde kann ich nicht bestimmen.

Wir konnten hier nicht länger bleiben, denn es war vorauszusehen, daß Sacken uns mit seiner ganzen Masse angreifen würde. Reynier beschloß daher, nach Wolkowysk zu marschieren. Wir zogen auf Feldwegen bis Isabelin (9 km sö. Wolkowysk), wo wir auf die große Straße von Rozana und Podorosk kamen. Durch den gestrigen Angriff hatte Reynier sich überzeugt, daß Sacken auf dieser Straße stand, es war daher höchst nötig, vor ihm Wolkowysk zu erreichen, wenn wir nicht ganz von den Österreichern abgeschnitten werden wollten. Durch den Marsch der Russen war dies auf dem kürzeren Wege über Podorosk nach Slonym schon nicht mehr möglich. Die Entfernung von Wolkowysk bis Slonym, wo Schwarzenberg stand, beträgt 7 nicht starke Meilen. Diesseits, nach Zelwa zu (20 km ö. Wolkowysk) waren seine Truppen verlegt.

Wolkowysk

Wolkowysk ist ein weitläufiger, schlecht und winkligt gebauter Ort mit großen unregelmäßigen Plätzen und krummen Gassen, so daß man Mühe hat, sich darin zurecht zu finden. Der harte Frost, der nach dem Regenwetter eingefallen war, hatte die Wege vollends verdorben. Zu Pferde konnte man in den Holpern gar nicht fort, ich selbst hatte den größten Teil des Marsches in der Nacht zu Fuß gemacht. Das wie gewöhnlich ungepflasterte Städtchen war nur mit Mühe zu durchschreiten. Von der Isabelin entgegengesetzten Seite her kommt ein sumpfiges Wasser, das mehrere Arme hat, die Stadt fast auf drei Seiten umfließt und an dieser Seite eine Kirche, die Probstei und einige Häuser abschneidet und sich nachher in die Ros ergießt, die nördlich Wolpa in den Niemen mündet.

Hier auf der Straße gehen einige Brücken darüber (an der Abendseite), gegen Biskupce sind gleichfalls Brücken noch zwischen den Häusern, auf der andern Seite aber liegen sie in der Entfernung einer Viertelstunde von der Stadt. Obgleich das Wasser zugefroren war, so konnte man doch wegen der Moräste, die noch nicht überall trugen, nicht gut ohne Brücke über das Wasser setzen, wenigstens nicht die Kavallerie.

Die Stadt liegt in einem Kessel; jenseits des Wassers an der Seite von Izabelin bis zu der großen Straße nach Bialystok ziehen sich Hügel hin, die von rückwärts liegenden, sich noch mehr erhebenden Höhen beherrscht werden. Auf der andern Seite, an der Straße nach Mosty und bis zu der Gegend von Slonym zu erhebt sich das Land gleichfalls stufenweise, und der erste Absatz ist von dem zweiten durch eine sich ein wenig vertiefende Höhe getrennt, wo das Korps biwakierte. Vorn, dem Rande am nächsten, stand die II. Division mit der Front gegen die Stadt, weiter rückwärts die I., die die Avantgarde zur Rechten und die Division Durutte zur Linken hatte. Zwei Bataillone Franzosen und ein Bataillon Würzburger trafen wir in Wolkowysk. Zwischen dem Fuß der Anhöhe des Biwaks und der Stadt war ein ebener Zwischenraum, der sich von 1000–1500 Schritt in der Breite ausdehnte. Auf dieser Fläche lag der ummauerte Judenkirchhof und eine einzelne Schenke.

Ich mußte die Brücken durch zwei Kompagnien Spiegel besetzen lassen, der Leutnant Petrikowski stand mit 30 Schützen auf dem Kirchhofe der Probstei und eine Schwadron Husaren jenseits der Brücke auf Feldwacht.

Es war etwas gewagt, daß Reynier mit der ganzen Generalität, der Intendanz, der Kriegskasse usw. sich vor die Front der Truppen in diesen schwach besetzten Ort legte. Er wollte erst sein Quartier in Biskupce (4,5 km ö. der Stadt), einem Schlosse, eine Stunde hinter den Biwaks nehmen, aber teils war es ihm zu entfernt, teils wäre auch dann für die übrigen kein Unterkommen gewesen. Er ließ sich daher durch Durutte, der ein gutes Quartier in der Probstei gefunden hatte, und durch Langenau überreden, in dem Städtchen zu bleiben. Für mich hatte man ein leidliches Quartier auf der Insel zwischen den Brücken, wo die Probstei lag, gemacht; als ich aber ankam, brannte die Esse. Ich ließ daher, obgleich das Feuer bald gelöscht wurde, doch ein anderes Quartier suchen und fand es in einem Judenhause, ziemlich abgelegen von den Straßen hinter den Hintergebäuden von Reyniers Quartier. Ehe ich es aber noch beziehen konnte, ungefähr um Mittag, wurde die Avantgarde bereits von den Kosaken geneckt, die sich jedoch bald wieder entfernten, und dieser Umstand trug dazu bei, mich zur Veränderung des Quartiers zu bewegen. Das neue hatte die Unbequemlichkeit, daß es weit von dem Schuppen, wo die Pferde standen, entfernt war.

Im Hauptquartier überließ man sich der größten Sicherheit. Es scheint, daß Reynier durch falsche Nachrichten von einem Straznik, Grenzreiter der Insurrektion, der im Orte stand, getäuscht wurde. Man wollte hier den Rasttag, den die Russen uns bei Lopienica verdorben hatten, nachholen, und am folgenden Tage, den 15. sollten die Löhnungsgelder ausgegeben werden.

General Gablenz nahm ein Quartier in der Stadt und freute sich, sich einmal auszuziehen und in einem Bette auszuschlafen. Der Rüstwagen, den der Hauptmann Langenau hatte, war so ungeschickt vorgefahren worden, daß er nicht nur den engen Zugang zu dem Hofe versperrte, sondern auch selbst weit zurückgeschoben werden mußte, wenn man ihn anspannen wollte. Ich wurde verlacht, als ich dies beanstandete und ihn auf eine bequemere Stelle schieben ließ.

Auf die schneidende Kälte war ein heftiger Sturm gefolgt, und ich sah mit Verdruß, daß die Husaren von Reyniers Eskorte, die sich in meinen Hof gelegt hatten, ein großes Feuer nahe an dem Zaun und neben einem Schuppen angezündet hatten. Die Subordination war so sehr bei ihnen in Vergessenheit geraten, daß sie auf meine Erinnerungen trotzig antworteten, sie müßten Feuer haben und auf der andern Seite löschte es ihnen der Wind aus. Als bald darauf der Zaun Feuer fing, jedoch wieder gelöscht wurde, schickte ich zu dem Major Probsthayn, ihn zu ersuchen, diesen Unfug nicht zu dulden. Er ließ mir die grobe Antwort sagen, wenn ich die Eskorte da nicht leiden wollte, so würde er Meldung an Reynier machen. Ich schickte ihm nun eine etwas derbe Botschaft, die doch soviel vermochte, daß er das Feuer wenigstens von dem Zaun entfernen ließ. Dies Feuer wurde nachher meine Rettung.

Um 9 Uhr abends kam der Hauptmann Langenau von seinem Bruder, brachte den Tagesbefehl und war noch voller Sicherheit, wie sie im Hauptquartier herrschte. Er ging noch einmal hin und war nicht so freundlich, mir bei seiner Rückkehr zu sagen, daß man dort befohlen hätte, die Pferde gesattelt zu halten, und daß Reynier noch spät sich besonnen hatte, daß die beiden Kompagnien von Spiegel wohl einige Ruhe verdient hätten, und daß er sie durch 3 Kompagnien Franzosen auf den Brücken hätte ablösen lassen. Er entschuldigte sich nachher damit, daß er es vergessen hätte, er hatte aber selber seine Pferde satteln lassen! Ich versäumte es dadurch, aber meine Leute waren so sehr auf das schnelle Satteln eingerichtet, daß mir das Versäumnis keinen Nachteil brachte. Aus Furcht vor Feuersgefahr bei dem Sturm und der Ungezogenheit der Eskorte legte ich mich jedoch angezogen auf meine Streu und schlief unruhig, da ich bei jedem helleren Scheine der Flammen vor meinen Fenstern erwachte.

Um 2 Uhr ungefähr weckte mich ein ungewöhnliches Getümmel im Hofe. Ich sprang sogleich an das Fenster, weil ich glaubte, das Haus brenne. Ein Husar rief mir zu, der Feind wäre in der Stadt und zugleich hörte ich schon Schüsse ganz nahe und das Geschrei der Kosaken. Ich weckte nun meinen Adjutanten, schickte nach dem Stall und ergriff Hut, Säbel und Überrock. Sowie ich vor die Türe trat, schlugen die Kugeln schon an die Wand, und es war kein Pferd da! Ich lief nach dem Stall, aber ich fand ihn leer, die Pferde waren auf einem andern Wege nach dem Hause gebracht. Der Rückweg durch die Straßen, durch die ich gekommen war, war schon nicht mehr frei. Es blieb mir nichts übrig, als zu Fuß nach dem Biwak zu eilen. Unterwegs begegnete mir Gablenz, er war zu Pferd, aber ohne Stiefel und konnte vor Frost kaum sprechen. Er ritt hinaus, um Lärm zu machen, aber bei allen Bataillonen meiner Division waren nur noch zwei Tamboure, die schlagen konnten. Die Trommeln der übrigen waren teils durchschossen, teils durch die Nässe verfault und unbrauchbar geworden. Als ich aus der Stadt auf die Ebene vor dem Biwak kam, sah ich eine Truppe Infanterie marschieren. Ich erkannte die Stimme des Majors Spiegel. Es waren die beiden von der Wache abgelösten Kompagnien, die kein Stroh mehr gefunden hatten zum Hüttenbauen und sich nun um die Wachfeuer niederlassen wollten. Sie wurden unsere Retter! Ich rief Spiegel an, er kam zu mir und fragte, was er tun sollte. Ich konnte keine Anweisung geben, doch sagte ich ihm, er sollte in die Stadt marschieren, wo er Reynier begegnen würde, wenn nicht, so möchte er den Posten wieder einzunehmen suchen, von dem er, wie ich jetzt erst erfuhr, am Abend abgelöst worden war.

In dem Orte herrschte die fürchterlichste Verwirrung. Die Kosaken hatten die Husaren der Feldwache angegriffen, und als diese sich auf die Infanterie an den Brücken zurückzog, waren die drei Kompagnien Franzosen, lauter Rekruten, durch das Pferdegetrappel erschreckt, davon gelaufen, und Freund und Feind, alle durcheinander, stürzten sich nun in die Stadt. Die Menge der Fuhrwerke, Equipagen und Kassenwagen und was dazu gehörte, jagten durcheinander, manche warfen um, zerbrachen in den holprichten Straßen die Räder und sperrten die Wege.

Hinter den Kosaken waren auch Jäger, Linienkavallerie und Infanterie eingedrungen, und es ist beinahe unbegreiflich, daß bei alledem nur so wenig verloren ging, daß nicht Reynier und beinahe alle Generäle gefangen wurden. Der Leutnant Petrikowski, der mit 30 Schützen bei der Probstei stand, hatte das Getümmel gehört und feuerte auf Gut Glück nach der Brücke. Darüber stutzten die Nachkommenden. Unterdessen war Spiegel, der auf der Hauptstraße nicht durchkonnte, auf Nebenwegen in der Nähe der Brücke angekommen; er rief einen Trupp, der dort stand, an und bekam zur Antwort: „Sachsen!“ Als er aber drauf zuging, wurde er ergriffen und fortgeschleppt, doch von seinen Leuten, die es in der Dunkelheit beinahe nicht bemerkt hätten, bald wieder befreit. Indem er nun gleich sich in ein Gefecht einließ, hielt er die eindringende Kolonne auf, und selbst die Haufen, die schon in der Stadt waren, sammelten sich wieder rückwärts und versäumten, was sie zuerst hätten tun sollen und wozu sie wahrscheinlich angewiesen waren, die jenseitigen Ausgänge zu besetzen.

Ich war unterdessen bis an die Höhe, auf der unser Biwak stand, gekommen, als mir ein zweiter Trupp entgegen kam. Es war der Obristleutnant Bose mit 2 Kompagnien seines Bataillons. Ich marschierte mit ihnen der Stadt zu, als mir der General Langenau begegnete und mir den Befehl brachte, mich auf der Ebene aufzustellen und die Truppen zu sammeln, bis Reynier selbst kommen würde. Ein Bataillon leichter Infanterie unter dem Major Bock und noch 2 Kompagnien von Bose kamen gleichfalls zu mir, und ich stellte mich so, daß ich die Straße nach Mosty vor mir hatte, den linken Flügel gegen die Stadt und den rechten gegen das Biwak. Weil aber die Feinde aus einer Lücke zwischen den Häusern uns heftig beschossen, so daß wir in wenigen Minuten mehrere Verwundete hatten und unter anderem der Hauptmann Kyau durch die Hand geschossen wurde, so glaubte ich, etwa 30 Schritte rückwärts, wo ein großes weißes Haus unsere Flanke deckte, mich besser aufstellen zu können. Ich fürchtete aber den üblen Eindruck des Zurückgehens auf die Truppen und sagte ihnen deshalb vorher, weswegen es geschähe und wie weit wir gehen wollten. Es verdient, nicht vergessen zu werden, daß sie ohne alle Unordnung, ohne nur die Linie zu brechen, rechtsum kehrt machten und sich auf dem angewiesenen Platz wieder aufstellten. Ich war einen Augenblick zurückgeblieben, um Reynier, wenn er etwa kommen sollte, die Ursache dieser Bewegung gleich sagen zu können. Einer seiner Adjutanten, der Rittmeister Schwerdtner, kam, ihn zu suchen; ich sagte ihm, daß der General noch nicht heraus wäre, er ritt in die Stadt zurück und muß gleich erschossen worden sein, denn man hat keine Spur wieder von ihm gefunden, doch sagten nachher Gefangene aus, daß ein Adjutant, der einen Helm getragen hätte, totgeschossen worden wäre.

Reynier kam gleich darauf selbst; er war bei dem Major Spiegel gewesen und hatte einen Teil der flüchtigen Franzosen ihm zu Hilfe geschickt. Er befahl mir, das leichte Bataillon des Ma ors Bock gleichfalls vorgehen zu lassen, um die Straßen zu säubern, mit dem Rest aber meine Stellung zu behalten. Als ich ihm die Ursache sagte, warum ich meine Stellung ein Stück zurückverlegt hatte, billigte er sie, meinte aber, die Schüsse kämen von den Franzosen, die in der Verwirrung auf Freund und Feind schössen, und ritt zornig zurück, sie abzurufen. Gleich am Eingang der Stadt traf er auf einen Trupp, der nach ihm schoß. Er ritt auf ihn zu und fuhr den Offizier an, ob er nicht wüßte, wem er vor sich hätte. Er solle nicht auf die Sachsen und den kommandierenden General schießen! Der Offizier schwieg erschrocken und die Leute hielten ein, als plötzlich der Major Fabrice gewahr wurde, daß der General mitten zwischen Russen hielt. Er hatte kaum Zeit, ihm zuzurufen, als schon alle auf ihn stürzten. Reynier entkam durch die Geschwindigkeit, mit der er sich wendete, doch wurde sein Pferd verwundet, als sie hinter ihm herschossen. Er ließ mir nun befehlen, mit meinen Bataillonen abzumarschieren und auf einen Absatz der Anhöhe, wo diese eine kleine Vertiefung hatte, gleich unter dem Rande des Biwaks mich in Kolonnen aufzustellen. Auch diese Bewegung führten die Truppen ohne alle Unordnung aus.

Es war ein Glück für uns, daß die Russen das Hauptquartier und nicht das Biwak überfallen hatten. Die Truppen waren zwar in der Nacht gestört, aber sie hatten die Fassung nicht verloren, weil sie sich im Lager gesammelt hatten und vorwärts marschiert waren. Hätten die Russen, anstatt sich in der Stadt zu verbreiten und sich durch die 30 Schützen des Leutnants Petrikowski und die zwei Grenadierkompagnien des Majors Spiegel aufhalten zu lassen, gleich, wie sie es bei ihrer Übermacht und bei ihrer Kenntnis unserer Stellung, die die Einwohner verraten hatten, so leicht konnten, die Kosaken und Jäger durch die Stadt oder hinten herum gehen lassen, um das Lager aufzuschrecken und die Ausgänge der Stadt zubesetzen, so würden wenige sich gerettet haben, Equipage und Kanonen verloren gegangen sein. So aber waren sie nicht weniger in Unordnung und nicht weniger unschlüssig, als wir, und mußten ebenso, wie wir, den Tag erwarten. Ein dichter Schnee, der jetzt vom Himmel fiel, vermehrte noch die Dunkelheit, jedoch zu unserm Nachteile, weil der Wind uns die Flocken ins Gesicht trieb. In der Stadt dauerte das Einzelgefecht auf den Straßen überall fort und war sehr mörderisch für beide Teile. Die Kosaken kamen gar nicht zum Vorschein, sie hatten nur einige Wagen und die ganze Equipage des Generals Durutte und der andern französischen Generäle, die jenseits des Wassers in der Probstei lagen, erbeutet; sie verteilten sich nun in den Häusern, um die Einwohner zu plündern. Von diesen war der größte Teil, besonders die Juden, ohne allen Zweifel von dem Überfall vorher benachrichtigt gewesen. Sie verrieten sich durch mancherlei Merkmale, besonders durch ihre ruhige Gleichgültigkeit bei dem Überfall selbst, da sie sonst, sobald nur ein Schuß in der Nähe fiel, die Luft mit ihrem Geschrei erfüllten,

Reynier hatte sich schnell entschlossen. Alle Equipage wurde in Eile nach Pieski jenseits der Zelwia (25 km nö. Wolkowysk) und nach Mosty am Niemen geschickt. Meine Division stand in Reserve zur Unterstützung der Truppen in der Stadt. In dieser suchte er mit der höchsten Anstrengung Fuß zu behaupten. Die erste Division und die Avantgarde deckten die Zugänge über die Brücken oberhalb des Ortes. Zugleich hatte er seinen Adjutanten Charlet mit Aufträgen an den Fürsten Schwarzenberg nach Slonym geschickt, deren Erfolg aber wegen der Entfernung erst am folgenden Tage wirksam werden konnte.

Mit dem Anbruch des Tages konnten wir den Zustand der Dinge erst besser übersehen. Die Russen waren Meister der Stadt, wagten sich jedoch nur selten auf die Ebene zwischen ihr und dem Lager heraus. Wir hatten den Kirchhof und die Schänke noch im Besitz und unterhielten von hier aus durch Tirailleure das Gefecht, wobei wir viel Menschen verloren. Die Feinde hatten den Vorteil einer leichteren Verbindung untereinander hinter den Häusern der Stadt.

Reynier ließ die Truppen, die die Nacht hindurch gefochten hatten, ablösen, was jedoch ohne bedeutenden Verlust nicht möglich war. Die Mannschaften waren sehr ermüdet, ich rückte daher mit meiner Kolonne wieder in das Biwak und die Leute lagerten sich um die wenigen Feuer, die wir hatten, während das Gefecht in unserer Nähe immer lebhaft fortdauerte. Die Senkung des Bodens gegen Biskupce und Pieski hin sicherte uns vor den Kugeln, wenn man aber die wenigen Schritte bis an den Rand vorging, flogen sie häufig vorbei.

Um Mittag hatten wir die Feinde bis an die Brücken zurückgetrieben, man konnte nun in die Stadt schicken, um Lebensmittel zu suchen. Die Spuren der Plünderung zeigten sich überall, aber auch die Beweise von dem Reichtum der Juden, die uns am Tage vorher – ob aus eigenem Triebe oder aus Furcht vor unsrer Intendanz, weiß ich nicht – durchaus nichts hatten verkaufen wollen. Ich hatte vergebens nach einigen Pfunden Kaffee und Zucker ausgeschickt. Mein Wirt, dem ich 20 Dukaten als Unterpfand der sicheren Bezahlung hinlegte, wenn er mir einen Pelz verschaffen wollte, hatte mir mit Schwüren beteuert, daß im ganzen Orte keine Pelzwaren zu finden wären. Meine Leute fanden jetzt die Kaffeebohnen in Haufen auf der Gasse ausgeschüttet, weil die Kosaken die Säcke ausgeleert hatten, um anderen Raub darin fortzubringen. Soldaten und Reitknechte verkauften Pelze und wollene Decken, Ballen Tuch usw., die sie den Kosaken abgejagt hatten, um geringe Preise. Ich ließ besonders Hafer für die Pferde holen, an dem es uns sehr fehlte. Lebensmittel waren nicht zu bekommen. Die Kosaken und unsere Soldaten hatten verzehrt, was davon noch zu finden und nicht verdorben gewesen war.

Wir konnten uns jedoch nur wenige Stunden im Besitz des diesseitigen Teils der Stadt erhalten. Die Feinde bekamen immerfort Verstärkungen und trieben die Sachsen von Straße zu Straße und von Haus zu Haus bis auf die Ebene heraus. Selbst die Schänke wurde mehreremals genommen und wieder verloren, nur den näher am Biwak gelegenen Kirchhof behaupteten wir. Zugleich drang eine Kolonne gegen die Brücken oberhalb Wolkowysk, vorwärts von unserer linken Flanke vor. Die Avantgarde, von einem Bataillon des Regiments Prinz Anton unterstützt, begann ein Gefecht auf diesem Punkte und behauptete die Brücken. Der Abend und die Dunkelheit der Nacht machten endlich dem Kampfe ein Ende. Wir hatten die Brücken links. Die Brücken an der großen Straße in der Stadt hatten die Feinde, die dritte Brücke rechts von uns in der Vorstadt wurde von beiden Seiten patrouilliert, die Russen wagten nicht, sich darauf festzusetzen, weil wir sie mit unserm Geschütz bestreichen konnten. Auch sie hatten Kanonen auf den Höhen uns gegenüber aufgepflanzt und schossen nach unserm Biwak. Es waren Zwölfpfünder, weil sie aber mit viel Erhöhung feuern mußten, gingen die Kugeln über meine Division hinweg und taten uns überhaupt wenig Schaden. In der Division Lecoq, die mehr rückwärts lagerte, schlugen sie jedoch mehrmals ein und töteten einen Feldwebel und einige Mann. Wir hatten indessen viel Menschen eingebüßt. Bei meiner Division war der Leutnant Kompaß vom Bataillon Spiegel geblieben, der Major Wurmb und verschiedene Offiziere verwundet. Vom Regiment Prinz Anton waren die Leutnante Zeschau und Pforte totgeschossen. Das II. Bataillon Prinz Friedrich, das am Abend einen Angriff auf die Stadt machen sollte, wurde zurückgetrieben und verlor eine Fahne. Das I. Bataillon dieses Regiments kam gegen Abend glücklich von seiner Detachierung bei Gornostajewicze an. Die Truppen kamen sämtlich, doch nur Bataillonsweise ins Feuer. Mit Massen wurde nur den zweiten Tag ein einziges Mal bei der Avantgarde gekämpft, aber das unaufhörliche einzelne Gefecht kostete unglaublich viel Menschen.

In der Nacht fielen verschiedene Male Schüsse bei den Vorposten und den Patrouillen, besonders bei den Franzosen, welche die Brücken auf der rechten Seite beobachten sollten. Man bekümmerte sich aber wenig darum. Wir lagen alle hinter Strohschirmen am Feuer, den Säbel an der Seite, die Pferde dicht vor uns und die Mannschaften mit dem Gewehr neben sich. Man war daher auf alles gefaßt. Der Schnee, der die Nacht über mit nachdrücklichem Frost abgewechselt hatte, fiel gegen Morgen wieder in dichten Massen nieder und veranlaßte bei den Vorposten manche Verwirrung, die jedoch von den Feinden so wenig, wie von uns, benutzt werden konnte. In der Gegend der Brücken links trat bei der Ablösung der Posten ein sächsischer leichter Infanterist zu der Schildwache, die er ablösen sollte, und ließ sich den Auftrag übergeben. Mit Schrecken hörte er, daß dieser russisch sprach. Er wartete schweigend, bis der andere abging, um zu sehen, welchen Weg er nähme, lief ihm dann nach und zeigte auf die entgegengesetzte Seite. Der Russe glaubte, geirrt zu haben und ging ruhig den Weg, der ihm gewiesen war. Der Schütze schlich ihm nach und überlieferte glücklich seinen Gefangenen der Wache. Diese Begebenheit kann zum Beweise dienen, wie nahe die Truppen einander standen.

Der Morgen des 16. enthüllte uns immer deutlicher das Mißliche unserer Lage. So oft man durch die dicht fallenden Schneeflocken sehen konnte, erblickte man immer mehr Truppen, die sich auf den gegenüberliegenden Höhen entwickelten. Es wurde immer mehr schweres Geschütz herangeführt, das uns, jedoch mit ebensowenig Erfolg wie gestern, beschoß. Die Angriffe aus der Stadt wurden immer heftiger. Reynier, der die Nacht in Bikupce zugebracht hatte, kam am Morgen wieder und ritt nach allen Seiten, um die Absichten des Feindes zu erraten. Er befahl mir, die Division in einer Kolonne bis hart an den Rand vorrücken zu lassen und ein Bataillon hinunter zu schicken, um die Schenke wieder zu nehmen. Es gelang, aber mit viel Verlust, wobei der Leutnant Kindler von der leichten Infanterie blieb. Bald darauf wurde uns die Schenke von der Übermacht wieder entrissen. Es sollten nun abermals Verstärkungen hingeschickt werden, als sie aber den Abhang hinunter lief, sahen wir große Massen aus dem Städtchen kommen. Reynier rief „Halt!“ Alles schrie ihm nach „Halt!“ und die Leute standen nun mitten im Feuer. Er wurde unwilliger, als ich ihn je gesehen habe, auf alle, die um ihn waren. Er rief: „Tout ce qu’on fait, on le fait bêtement!“ eigentlich aber lag der Fehler daran, daß er sich nie deutlich ausdrückte und doch auch nicht erlaubte, daß man in seiner Gegenwart seine Befehle modifizierte. Er hatte gewollt, daß die Leute einzeln hinunterlaufen und sich hinter den Mauern des Kirchhofs sammeln sollten. Aber sobald er gesagt hatte, zwei Kompagnien sollten vorgehen, liefen Langenau und seine Umgebungen gleich zu den Truppen, ohne weder den Kommandanten Zeit zu lassen, ihre Leute zu belehren, noch auch Reyniers Absicht ganz zu vernehmen. Wenn er nicht selbst zugegen gewesen wäre oder sein Generalstab die Kommandanten nicht gar zu übereilt getrieben hätte, würden diese, oder auch ich, von selbst bessere Maßregeln genommen haben. Es geschah nun, was er wollte, und es gelang auch, den Besitz des Gasthauses wenigstens streitig zu machen, aber der Leutnant Breszki von der leichten Infanterie wurde dabei erschossen. Der Versuch, auf anderen Punkten bis an die Ausgänge der Stadt vorzudringen, kostete vergebens viele Menschen, und da jetzt die Feinde sich nach unsern Flanken auszudehnen begannen, mußte ich das Bataillon Anger gegen die Brücken rechter Hand vorgehen lassen. Der Hauptangriff schien jedoch gegen die Brücken links, eine kleine Viertelstunde oberhalb der Stadt gerichtet zu sein. Reynier ritt selbst dahin vor und ließ die Kavallerie auf eine niedrige Höhe vorgehen, wohin ihr die reitende Batterie folgte. Wir konnten diese Gegend vom Biwak aus ganz genau übersehen, und wir entdeckten, daß sich weiter rückwärts eine ansehnliche Kolonne von Reiterei und Fußvolk dahin zog. Eine Linie Kavallerie entwickelte sich und suchte die unsere zu überflügeln. Der alte Obrist Engel setzte sich an die Spitze der Husaren und Dragoner und führte sie gegen den Feind, dessen Linie um ein Drittel mehr Front hatte. Als er aber zum Angriff kommandierte, glaubte Gablenz, der zurückgeblieben war, noch eine Kolonne zu sehen, die die Flanke unserer Linie bedrohte und ließ zum Rückzug blasen. Die Dragoner machten darauf Halt, die Husaren aber, die es nicht gehört hatten, gingen vorwärts. Darüber entstand eine gefährliche Verwirrung, der Obrist Engel selbst geriet mitten unter die Feinde und bekam eine Menge Wunden. Doch hieben ihn die Husaren wieder heraus. Als die Dragoner sahen, daß die Husaren vorwärts gingen, folgten sie ihnen nach und vollendeten den Angriff so glücklich, daß die ganze feindliche Linie in größter Verwirrung auf die Nachrückenden geworfen wurde und auch sie mit fortnahm. Der Kapitän Roth folgte im gestreckten Galopp mit der reitenden Batterie, aber es war nicht möglich, die Husaren und Dragoner schnell genug vom Nachsetzen zurückzurufen. Sobald jedoch die reitende Artillerie feuern konnte, tat sie es mit größtem Erfolge, und wir sahen sehr viele Feinde stürzen, von denen ein großer Teil liegen blieb.

Dieser Angriff, der ungefähr am Mittag erfolgte, war für uns von großem Nutzen. Die Kavallerie konnte nun jenseits der Brücken eine Stellung schräg vor unserm linken Flügel gegen den rechten der Russen nehmen, indem sie ihren rechten Flügel gegen die Brücken, den linken nach der Gegend zwischen Slonym und Rozana hin ausdehnte.

ln dem Bericht an den König wurde der Obrist Engel nicht genannt, und der General Gablenz erhielt für diesen schönen Angriff („pour la belle charge, qu’ il a fait“, sagte mir später der Minister Senfft) das Kommandeurkreuz des Heinrichsordens.

Wenn auch dieser Angriff uns auf der am meisten bedrohten Seite Luft machte und für den Augenblick unsere linke Flanke deckte, so war doch unsere Lage noch immer sehr gefährlich. Wir sahen deutlich immer neue Massen jenseits Wolkowysk ankommen. Das ganze Sackensche Korps hatte sich dort versammelt, und wir hatten einer Masse von 26 000 Mann nicht ganz 12 000 entgegen zu setzen. Unsere Truppen waren nach und nach alle im Gefecht gewesen, hatten seit zwei Tagen nicht ordentlich gegessen, und wenn auch für den Augenb ick das Schauspiel, das fortwährend ein Teil vor den Augen des Restes aufführte, die Gemüter in Spannung erhielt, so war doch die natürlich darauf folgende Erschlaffung vorher zu sehen und mußte auf einem Rückzuge, wenn die Russen endlich mit ihrer ganzen versammelten Macht uns nachdrücklich angriffen, zwiefach verderblich werden.

Daß die Feinde, nachdem ihnen der Überfall so glücklich gelungen war, sich nun schon 36 Stunden lang mit bloßen einzelnen Gefechten aufgehalten hatten, ohne nur ein einziges Mal uns mit ganzer Macht anzugreifen, obwohl sie uns doch schon wenigstens seit dem vorigen Abend an Zahl überlegen waren, bleibt immer ein unverzeihlicher Fehler für sie. Es scheint, daß der General Essen, der den ersten Überfall gemacht hatte, zuerst den Gedanken gehabt hatte, einen Handstreich auszuführen, das Hauptquartier zu überfallen und vielleicht gar aufzuheben. Dieses würde ihm ohne Zweifel gelungen sein, wenn nicht seine Unterführer, wie ich schon bemerkt habe, anstatt gleich bis zu den Ausgängen des Städtchens vorzudringen, sich durch den kleinen Trupp des Leutnants Petrikowski und die zwei Kompagnien Spiegel hätten aufhalten lassen. Da ihm der erste Hauptzweck mißlungen war, wollte er doch nicht ohne alle Siegeszeichen wieder abziehen, aber er mußte nun selbst den Tag erwarten und sich damit begnügen, unterdessen den Ort zu behaupten. Aber seine Leute zerstreuten sich durch Plünderungen. Die Gefangenen, die wir machten, waren meistenteils betrunken, und als wir wieder in das Städtchen drangen, waren nur wenig Lebensmittel und durchaus kein Branntwein mehr darin zu finden. Er hatte natürlich gleich um Verstärkung zurückgeschickt und dies Gesuch wahrscheinlich oft wiederholt. Dadurch war ein immer stärkeres Korps zusammengekommen, und Sacken hatte sein Hauptquartier selbst nach Isabelin vorgerückt. Da Reynier ununterbrochen Angriffe auf Wolkowysk machte, so wagte Essen nicht, den Ort aufzugeben, um nicht einen übereilten Rückzug machen zu müssen, beging aber den großen Fehler, daß er die nach und nach ankommenden Verstärkungen nicht in eine Masse vereinigte, sondern sie vereinzelt in kleinen Gefechten, halb angreifend und halb verteidigend versplitterte, statt einen Hauptangriff zu unternehmen.

Sacken mußte es am Ende nötig finden, mit der Hauptmasse selbst sich auf das Schlachtfeld zu begeben. Ehe diese aber angekommen, wollte man durch den Angriff, den Obrist Engel so glücklich vereitelte, unsere linke Flanke nehmen und uns dadurch zu einem Rückzuge, der auf der Ebene hinter uns bald in Flucht ausgeartet wäre, nötigen. Da dieser Angriff mißlungen war, mußte Sacken notwendig erst die Ankunft aller seiner Regimenter erwarten und sie zum Angriff ordnen, ehe er ihn unternehmen konnte.

Wahrscheinlich wollte er diesen am Nachmittage des 16. ausführen, denn er mußte glauben, daß wir am dritten Tage, wenn er solange zauderte, Unterstützung von den Österreichern bekommen würden. Wir selbst erwarteten den Angriff mit jeder Minute und blickten, ohne uns um das Gefecht zu unsern Füßen zu bekümmern, mit gespannter Erwartung nach den Kolonnen hin, die wir jenseits des Orts auf den Höhen hervorkommen und sich bewegen sahen. Ungefähr um 2 Uhr oder etwas später sah ich eine Masse sich nach unserer rechten Seite hinziehen. Ich ließ es Reynier melden, er antwortete aber ziemlich gleichgültig, ich sollte die Brücken der Vorstadt durch das Bataillon Anger oder im Notfalle durch noch mehr Truppen decken. Er würde schon selbst kommen.

Die Kolonne, die ich gesehen hatte, näherte sich, doch mit vielen Umwegen, vielleicht wegen des sumpfigen Bodens, und nur langsam. Reynier hatte richtig beurteilt, daß sie nur einen Scheinangriff machen sollte, es ging länger als eine Stunde darüber hin, endlich kam Reynier.

Er hatte ein ganz anderes Gesicht als vorher, und um seinen Mund spielte der gewisse ironische Zug, der bei ihm andeutete, daß ihm eine Absicht gelungen war, daß er seine Gegner überlistet hatte. Er rief mich bei Seite und befahl mir, ich sollte in der Stille eine Batterie bis an den Rand der Anhöhe vorrücken und mit Brandkugeln laden lassen. Ein Bataillon Infanterie sollte gleichfalls bis an den Rand vorgehen, fürs erste aber noch ruhig bleiben. Durch alles, was etwa vorgehen würde, sollte ich mich nicht irre machen lassen, er selbst würde etzt zu der Avantgarde reiten und den Feind dort beschäftigen. Sobald ich aber in der Gegend von Isabelin neun Kanonenschüsse in drei Absätzen hören würde, sollte ich den Ort beschießen und in Brand setzen lassen, zugleich aber mit dem Bataillon auf dem Rande erscheinen. Sobald das Städtchen brenne, sollte ich mit dem Feuer aufhören, auch meine Leute aus der Ebene zurückziehen, er wollte dann die Franzosen Sturm laufen lassen, weil sie bisher noch nichts getan hätten. „Et en même temps“, setzte er hinzu, indem er sein Pferd wendete, „Vous donnerez le mot: Wolkowysk et Victoire!“

Es war dies, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, einer von den Theaterstreichen, durch die er mächtig auf die Menge einzuwirken verstand. Er sagte mir, Charlet wäre zurück, und die Österreicher wären auf einem kürzeren Wege von Slonym nach Isabelin marschiert, sie müßten in weniger als einer Stunde dort eintreffen, würden das Hauptquartier der Russen nehmen und dies zum eiligen Rückzuge nötigen. Er verbot mir aber, irgend einem Menschen ein Wort davon zu sagen, bis ich die Kanonenschüsse gehört und die Parole ausgegeben hätte.

Alles erfolgte genau so, wie er es angegeben hatte. Das Schauspiel hatte für Menschen, die seit zwei Tagen in einem fortdauernden, zweifelhaften und meistens nachteiligen Kampfe begriffen waren, etwas in gleichem Grade überraschendes und hinreißendes.

Wir sahen ihn, bald nachdem er uns verlassen hatte, in einiger Entfernung von dem linken Flügel mit einer Masse Infanterie gegen die Brücken oberhalb der Stadt hinabmarschieren. Zu gleicher Zeit aber näherte sich eine starke Kolonne feindlicher Reiter auf meiner rechten Flanke den Brücken der Vorstadt. Offiziere und Gemeine zeigten dahin und bestürmten mich, eine Verstärkung abzuschicken. Ich konnte sie kaum durch die Anführung von Reyniers Befehl zurückhalten, und hörte deutlich, daß sie unzufrieden waren und glaubten, sie würden unvorsichtig ausgesetzt. Als ich glaubte, daß es Zeit wäre, ließ ich die Batterie und das Bataillon Spiegel vorrücken. Aus ihrer Spannung und der ängstlichen Sorge, mit der jeder sein Gewehr instand setzte, sah ich, daß sie sich zu einem letzten verzweifelten Kampf, vielleicht, um den Rückzug der übrigen zu decken, bestimmt glaubten. Einen Grenadier, der zurückblieb und unruhig umherlief, fragte ich, ob er nicht mit wollte. Er antwortete, sein Gewehr wäre ihm vertauscht worden. „Du hast ja ein anderes!“, sagte ich, – „Ja, aber nicht meins“, erwiderte er, „und wenn ich mein Gewehr nicht habe, tauge ich zu nichts!“ Ich ließ ihn, aber er kam bald nach, als er sein Gewehr gefunden hatte.

Kurz nach 4 Uhr hörten wir in der Ferne die ersten Kanonenschüsse, es waren die neun bestimmten. Nun gab ich die Parole, in Wolkowysk und Victoria übersetzt, befahl dem Kapitän Boniot zu schießen und führte das Bataillon Spiegel auf den Rand, indem ich den Leuten sagte, weil sie gestern so brav gefochten hätten, sollten sie auch heute mit ansehen, wie alles glücklich enden würde. „Und“, setzte ich hinzu, indem ich mich zu den Grenadier wendete, „Du wirst es nun auch mit einem fremden Gewehr machen können!“ Alle lachten und blickten mit neugierigem Erstaunen in das Tal, wo jetzt die Feinde, durch unser Kanonieren und das Erscheinen der Truppen auf dem Rande aufmerksam gemacht, in dichten Massen zu den Ausgängen des Städtchens heraus gegen uns herströmten. Aber so groß war die Zuversicht unserer Truppen, daß sie unbeweglich mit gespannter Erwartung standen und der andringenden Haufen gar nicht achteten. Es war aber auch ein seltenes Schauspiel, das sich ihnen darbot. Starke Kolonnen ritten von den Höhen herab dem Städtchen zu, weil sie glaubten, daß wir dieses angriffen, aber der fortdauernde Kanonendonner in ihrem Rücken machte sie irre. Wir sahen deutlich, wie sie schwankten, bald marschierten, bald stillstanden, wie die Adjutanten hin und her ritten. Die Kavallerie, die die Brücken der Vorstadt bedrohte, hielt unbeweglich. In weniger als einer halben Stunde loderten in den Städtchen die Flammen in die Höhe an drei Stellen, und ich ließ nun das Feuer einstellen. Ehe der dicke Rauch uns die Gegend verbarg, sahen wir noch starke Kavalleriemassen, meistens Kosaken, gegen uns hereilen und sich auf allen Seiten verbreiten, aber auch die Kolonnen jenseits der Stadt in großer Eile wieder rückwärts die Berge hinaufmarschieren.

Jetzt ließ Reynier den Ort durch die Franzosen stürmen. Der erste Angriff mißlang. Die jungen Konskribierten rannten mit vielem Mut die Anhöhe hinab, aber sie schossen zu früh, und waren nun dem mörderischen, gut gezielten Feuer der russischen Jäger, die zwischen den Häusern und Höfen gedeckt standen, preisgegeben, ehe sie wieder laden konnten. Der Schnee war in wenigen Minuten mit Toten und Sterbenden bedeckt, und besonders sahen wir viele Offiziere fallen; was noch laufen konte, eilte nach der Anhöhe zurück.

Hier empfing Reynier sie sehr zornig, sie sammelten sich wieder und stürmten zum zweiten Mal.

Dieses Mal aber waren sie klüger, sie rannten die Anhöhe hinab und durch die Ebene, ohne einen Schuß zu tun, aber innerhalb des Ortes war das Gemetzel fürchterlich. Die Franzosen, über ihren Verlust ergrimmt, gaben keinen Pardon und stießen die Jäger mit dem Bajonett nieder. Die trefflichen Truppen, der Kern von Sackens Armee, wurden hier fast ganz aufgerieben, denn wir haben ihrer nachher nur noch wenige gesehen, und Sacken hatte sie an die Ausgänge vorgeschickt, um den Rückzug der Massen, die sich an den Brücken stopften, zu decken. Es war ein großer Fehler der russischen Generale gewesen, daß sie vielzuviel Truppen in dem Orte selbst zusammengehäuft hatten, wahrscheinlich um mit ihnen herauszubrechen und unsere Anhöhen zu stürmen. Die Russen leisten blinden Gehorsam, solange sie ihre Vorgesetzten übersehen können, und sie in Reih und Glied stehen. Da dieses in den engen Gassen dieses weitläufigen, winkligen Ortes nicht möglich war, hatten sich die Mannschaften in die Häuser zerstreut, sich betrunken und viele lagen in tiefem Schlaf. Da das Feuer die Gebäude nahe an den Brücken ergriffen hatte, so stürzte alles nach dieser Gegend zu und den Drängenden waren die Franzosen auf den Fersen, und kein Schuß, der in die dichte Masse fiel, konnte fehl gehen. Die Jäger, als die Letzten, litten am meisten, und ihre verzweifelte Gegenwehr auf einzelnen Punkten konnte sie nicht retten. Ein Glück für beide Teile war es, daß die Russen ihr Geschütz noch nicht in die Stadt gebracht, sondern in Kolonnen auf den Dämmen hatte halten lassen, denn ein aufgeflogener Pulverwagen würde schreckliche Verwüstungen angerichtet haben. Sobald das Geschütz auf den Dämmen Platz gemacht hatte, stürzte sich alles aus der Stadt hinaus, und nun konnten auch die Kosaken den übereilten Rückzug gegen bloße Infanterie decken. Hätten wir nur noch ein Regiment Kavallerie gehabt, das nicht durch die Reihe von Gefechten ermüdet gewesen wäre, wir würden eine Menge von Siegeszeichen erbeutet haben; aber unsere ganze Kavallerie bestand etwa noch in 1000 Pferden, die fast gar nicht mehr fortkonnten. Reynier mußte sich daher begnügen, den Feind nur zu beobachten und notwendig den ermatteten Truppen erst eine Nacht Ruhe zu gönnen. Die dichte Finsternis wurde bald nur noch durch die Flammen von Wolkowysk und das Blitzen der Schüsse aufgehellt, und der Anblick dieser schrecklich-schönen nächtlichen Feuerszene war so malerisch hinreißend, daß man sich gar nicht davon trennen konnte. Doch bald überwog das schöne Gefühl, nun gerettet eine Nacht zubringen zu können, alle übrigen Empfindungen. Alles eilte zu den Strohhütten, wer noch einen Vorrat hatte oder sich verschaffen konnte, kochte und briet am Feuer, und ich werde nie vergessen, wie herrlich mir in der Hütte des Hauptmanns Könneritz, wo ich die Nacht zubrachte, eine Brotsuppe und ein gekochtes Huhn geschmeckt haben.

Unser Verlust an diesen beiden Tagen war ansehnlich gewesen, aber noch weit größer der Verlust der Feinde in den letzten Momenten. Es ist wenig, wenn ich sage, daß sie in Wolkowysk selbst über 1500 Tote gehabt haben, und dabei ist die Menge der Unglücklichen nicht gerechnet, die, teils verwundet, teils berauscht, in den Häusern verbrannt waren. Leider mögen auch gefangene verwundete Sachsen dies traurige Ende genommen haben. Geringer vielleicht an Menschen, aber desto beträchtlicher an Beute war ihr Verlust in und bei Isabelin durch die Österreicher. Die Equipagen der Generale und alle Reichtümer des Hauptquartiers fielen in die Hände der Husaren, ob auch die Kriegskasse, habe ich nie erfahren. Die reiche Beute des türkischen Feldzuges wurde den Österreichern zuteil, gemeine Husaren zeigten Hände voll Dukaten, Juwelen, Pelzwerk, türkische Schals und andere Kostbarkeiten, eine Menge englischer Wagen und Chaisen erschienen bei der Equipage der Österreicher, und eine Anzahl Dromedare, von denen der Fürst Schwarzenberg drei dem General Reynier zum Geschenk machte. Ein österreichischer Offizier kaufte einem Husaren ein künstlich verschlossenes Kästchen für 10 Dukaten ab, als er es nach einigen Tagen öffnete, fand er darin für 7000 Rubel Papiere, ein mit Juwelen besetztes Ordenskreuz und 600 Dukaten bar. Auch eine Menge schöner Reit- und Zugpferde wurden erbeutet, und wenn wir keine Kanonen erbeuteten, so hatten die Russen davon doch nicht wenig eingebüßt, denn überall fanden wir in den folgenden Tagen noch ganz neue mit Gewalt zerschlagene Lafetten, deren Rohr die Fliehenden in die Moräste gestürzt hatten. Die Einwohner bestätigten dieses, wir hatten aber nicht Zeit, nachzusehen, was auch bei den eingetretenen Frost und in den unermeßlichen Sümpfen vergebens gewesen sein würde.

Neuer Vormarsch. Brand im Hauptquartier

Am Morgen des 17. brach das Korps auf, und ging über die Brücken, die rechts vor uns am Ende der Vorstadt lagen. Das rauchende Wolkowysk war noch nicht zu passieren, wenigstens nicht für unsere Pulverwagen. Einige Offiziere, die hineingeritten waren, konnten das gräßliche der verödeten Brandstätte nicht genug beschreiben. In der Probstei, die stehen geblieben war, wurden unsere Verwundeten untergebracht, die nicht nach Mosty hatten geführt werden können. Reynier hatte noch in der Nacht das erste Bataillon Friedrich, ein leichtes Bataillon und einige Kavallerie nach Rudnia abgeschickt, wo der Abrede mit dem Fürsten Schwarzenberg gemäß, der General Frehlich mit einer Division Österreicher eintreffen und den Russen den Rückzug über die Pässe der Narew abschneiden sollte. Wäre dieser Plan gehörig ausgeführt worden, so wäre Sacken nach Bialystok geworfen, und von seiner Basis in Volhynien gänzlich abgeschnitten, am Ende völlig aufgerieben worden, aber die eigensinnige Langsamkeit der Österreicher vereitelte Reyniers Absichten. Beide Abteilungen waren zwar zur rechten Zeit eingetroffen, aber am Morgen fand der General Frehlich erst nötig, die Truppen abkochen zu lassen, ehe er sich zum Angriff entschließen konnte. Zehn Uhr kam darüber heran, und die Russen gewannen Zeit, die Pässe zu besetzen. Die Sachsen hatten das Gefecht um 8 Uhr begonnen, aber sie waren zu schwach, um bis zu den Brücken vorzudringen. Als der General Frehlich endlich ankam, lobte er sehr die Tapferkeit der Sachsen, urteilte doch aber, daß es nun zu spät sei, noch die Pässe zu kanonieren. Wir fanden am folgenden Tage einige demolierte Lafetten, deren Kanonen versteckt worden waren, aber General Sacken war nach der Seite von Pruzana entkommen, und hatte alle Brücken und Dämme hinter sich zerstört. Der Flecken Rudnia war bei dieser Gelegenheit abgebrannt worden.

Unser Marsch wurde dadurch sehr aufgehalten. Wir mußten oft stundenlang Stillstehen, bis die Sappeure die Straßen nur einigermaßen wieder instand gesetzt hatten, und kamen am 17. nicht weiter als bis in die Gegend von Sokolniki (9 km w. Porozowo), nahe bei dem Dorfe, das in der Nacht vom 11. auf den 12. abgebrannt war. Reynier blieb in einem elenden Dorfe, ich in einem noch schlechteren; wir alle litten den fürchterlichsten Mangel in dieser armen, völlig ausgezehrten Gegend. Alle Vorräte waren erschöpft, die Intendanz konnte nichts mehr liefern, und die Truppen fanden nichts, als gefrorene Kartoffeln, die nicht einmal hinreichten, ihren Hunger zu stillen. Sie kamen in die Häuser, und ich selbst konnte kaum einen kleinen Haufen Kartoffeln für den Bedarf meiner Wache und meiner Tischgenossen in meiner Rauchstube sichern. Am schlimmsten waren die Gefangenen daran, denen wir gar nichts geben konnten. Ich hatte deren gegen 700 bei mir, die wir auf der Straße und in den Wäldern aufgegriffen hatten und in den folgenden Tagen wuchs ihre Anzahl gegen dritthalb Tausend. Alle Anfragen, was mit ihnen geschehen sollte, wie für ihren Unterhalt gesorgt werden sollte, blieben unbeantwortet. Wenn ich auch einmal einige Hundert abgeliefert hatte, so bekam ich in kurzem die doppelte Anzahl wieder. Ich schickte sie zuletzt alle in das Hauptquartier. Auch dort war weder Aufsicht noch Fürsorge für sie, und was von ihnen nicht umgekommen ist, entlief wieder, sobald wir in Gegenden kamen, wo sie einigen Unterhalt bei den Einwohnern finden konnten. Ihre Menge aber und die Art, wie wir sie fanden, gaben einen redenden Beweis von der Auflösung der Sackenschen Armee, und hätten wir Kavallerie genug gehabt, um den geschlagenen Feind mit Nachdruck zu verfolgen, hätte der General Frehlich ihnen nicht selbst den Weg nach Volhynien geöffnet, so wäre dieses Korps nie wieder imstande gewesen, das Feld gegen uns zu behaupten. Nie ist wohl ein anfangs mit so großen Vorteilen begleiteter, gut entworfener Angriff so unglücklich abgelaufen, wie der Überfall von Wolkowysk. Er ist durchaus charakteristisch für den Geist und die Fechtart der russischen Armee und für den Grad der Besonnenheit, mit der die höheren Anordnungen von den mittleren Gliedern in der Kette der Befehlshaber ausgeführt werden.

Wir setzten am 18. unsern Marsch fort, indem wir uns rechts nach der Gegend von Swislocz wendeten. Reynier war bei der Avantgarde, die in kurzer Entfernung vor mir marschierte. In einem Walde stieß sie auf den Nachtrab des Feindes, und es entstand ein Plänklergefecht, dem aber unsere reitende Batterie bald ein Ende machte. Bei dieser Gelegenheit geriet unser ganzer Generalstab durch einen russischen Ulanen in Verwirrung, der, um sich nicht gefangen zu geben, sich gerade auf Reynier und seine Umgebung warf, sie mit der Lanze auseinander trieb, die Reitknechte mit ihren Handpferden in Unordnung brachte, zuletzt aber von einem sächsischen Ulanen gefangen wurde. Als er ihn bei mir ablieferte, sagte er sehr naiv zu mir: „Der Kerl hat uns viel Mühe gemacht, er hat den ganzen Generalstab durchgemacht, ehe ich ihn fassen konnte!“

Wir machten hier noch einige hundert Gefangene, auch Offiziere von Rang. Der General Bialkopitkow entging der Gefangenschaft auf eine sonderbare Weise. Um die fehlenden Unteroffiziere bei der Formierung der Ulanen in drei Schwadronen zu ersetzen, hatte man Rekruten ohne alle Erfahrung, bloß weil sie vielleicht ein empfehlendes Äußere hatten, zu Korporalen gemacht. Ein solcher kam mit einer Patrouille in ein einsames Waldhaus, wo er einen Mann mit reicher Uniform und mit Stern und Orden fand, der etwas Deutsch konnte und verwundet war. Er ließ sich in ein Gespräch mit ihm ein, aber der Glanz der Uniform und der Orden flößten ihm zu viel Ehrfurcht ein, um ihn mitzunehmen. Er ritt daher erst zurück, es zu melden, und so eilig auch eine klügere Patrouille hingeschickt wurde, so hatte doch der General Bialkopitkow unterdessen Zeit gehabt, zu entkommen.

An einer Straße im Walde, wenn ich nicht irre zwischen Nowydwor und Swislocz, bezog ich ein Biwak. Reynier ging noch mit der I. Division eine Stunde weiter nach einem großen Dorfe, wo ein Herrenhof war. Ich hatte die Gegend von Nowydwor zu decken, die noch immer nicht ganz frei vom Feinde war. Ich nahm mein Quartier in einer einsamen Hütte im Walde, in der Mitte des 2. leichten Regiments. Es wurde hier ein Rasttag gemacht, um die Wege herzustellen, Lebensmittel herbeizuschaffen und zugleich einen Kurier nach Dresden abzufertigen. Mein Haus gehörte zu dem Dorfe Ruska oder Sokolka, das aber eine halbe Stunde seitwärts lag.

Am 20. gingen wir über die Moräste des Narew bei Rudnia (oder Narewka, ich weiß nicht mehr genau, an welchem Punkt). Die Gegend war schrecklich verwüstet, viele Dörfer abgebrannt. Der Marsch war äußerst beschwerlich, weil die Kälte nachgelassen und der tiefe Schnee weich geworden war. ln der nassen Gegend der Moräste marschierte die Infanterie unaufhörlich im tiefen Kot, und alle Augenblicke wurde Halt gemacht, weil die in der Eile gebesserten Dämme wieder einbrachen und von neuem für das Geschütz gebaut werden mußten. Ich sollte unweit Narewka in einem Walde bleiben, gegen Abend aber erhielt ich Befehl, noch ein Paar Stunden weiter nach dem Dorfe Krasni zu marschieren. (Wohl Krjazy, dicht am Jagdschlosse Bialowiez, 16 km s. Narewka.) Ich hatte kaum Zeit, ehe es ganz dunkel war, eine Stellung für das Biwak und die Vorposten auszusuchen, die Truppen rückten bei Nacht ein. Dennoch fanden sie hier ein gutes Biwak, es fehlte weder an Holz noch an Stroh. Die Leute bauten sich warme Hütten im tiefen Schnee, der jetzt wieder dicht niederfiel und festfror. Ich fand ein hübsches Quartier auf dem Herrenhofe. Doch durfte man hier den Leuten nicht trauen, die den Feinden ergeben waren. Auch war die Gegend voll russischer Versprengter, die alle Spione waren, und hinter uns zeigten sich schon wieder die Kosaken, wahrscheinlich von dem Korps, das Sacken detachiert hatte, und das nun von Slonym her den Österreichern und uns gefolgt war. Es wagte sich nicht, uns nahe zu kommen, aber einzelne, die sich entfernten, wurden überall aufgehoben. Besonders war uns der Verlust unserer meisten Chirurgen fühlbar. Der größte Teil von ihnen war entweder tot oder krank oder gefangen oder doch beim Zurückbringen der Verwundeten abgeschnitten worden. Ich hatte bereits die beiden Chirurgen meines Generalstabes an die Regimenter abgegeben und doch hatte ich bei der ganzen Division, außer dem Regimentschirurgen Heitmann, nur noch zwei, die bald nicht mehr imstande waren, die Menge der Erkrankten zu versorgen. Der General Gablenz fühlte sich krank und ging über Swislocz nach Warschau, Der General Reynier oder vielmehr Langenau übernahm nun selbst die höhere Führung der Avantgarde, unter ihm der Obrist Hann, weil Engel seiner Wunden wegen nach Wolkowysk hatte zurückgehen müssen. Auch an Unterbediensteten der Intendanz fehlte es, well viele von ihnen gefangen, krank oder abgeschnitten waren, und ich mußte meinen ersten Sekretär Blankenberg dahin abgeben.

Die I. Division nebst dem Hauptquartier stand 2 Stunden von mir in einem großen Dorfe. Wir lagen am 21. still, den folgenden Tag aber marschierte das ganze Korps, das den Paß zwischen Pruzana und Nowydwor umgangen hatte, wieder links nach Szereszowo, wo es an beiden Seiten des Ortes biwakierte. Den 23. ließen wir Pruzana zur Linken und marschierten auf Nebenstraßen am rechten Ufer des Muchawiec hinab. Es war heftig kalt, und der Marsch ging nicht vom Flecke, teils weil erst die Wege ausgebessert werden mußten, und teils, weil die Feinde nicht mehr ohne Widerstand wichen. Sie hatten in unserer rechten Flanke Kamieniec besetzt und am Abend noch ein Gefecht mit unserer Avantgarde angefangen. Reynier blieb mit der ersten Division in und bei einem Dorfe Wisznia (15 km onö. Kamieniec?), das an einem morastigen Walde lag und einen Damm nebst einigen Brücken vor sich hatte. Ungefähr ¾ Stunde vorwärts, wo abermals ein Bach die Gegend in der Quere durchschnitt und neben einer Reihe Hügel einen Paß bildete, nahm meine Division eine Stellung auf dem Schnee, eine Viertelstunde vorwärts des Baches bei dem schönen Schlosse Pellice stand die Avantgarde. (Piliszcze, 10 km sö. Kaminiec-Litowsk (?). Die Ortsangaben sind hier ungenau. Von Wisznia an der Straße Szereszowo-Kaminiec bis Piliszcze sind 15 km Luftlinie! Es gibt, 6 km sö. Wisznia einen kleinen Ort Wiezna, der auch in Frage kommen könnte.

Zwei kleine elende Hütten hart hinter dem Biwak dienten dem Obristen Tettenborn und mir zum Quartier. In der Nacht wurden wir durch heftiges Schießen geweckt. Ich ritt gleich zu dem Biwak und schickte zur Avantgarde. Die Russen hatten versucht, Pellice zu überfallen, waren aber durch die Wachsamkeit der Posten entdeckt worden. Sie griffen mit Nachdruck an, kamen aber unter das Feuer von zwei Kanonen, die unter dem Hoftor des Schlosses standen und kehrten, nachdem sie vergebens an anderen Stellen einzudringen versucht hatten, mit ansehnlichen Verlusten um. Etwa 20 Tote, darunter ein Offizier, lagen am andern Morgen auf dem Platze, wir hatten nicht einmal einen Verwundeten. Das Schloß Pellice war während des Gefechtes in Brand geraten, und auch ein Dorf das nahe vor meinem Biwak lag, brannte, eine unselige Folge des Selbstfouragierens, in der Dunkelheit.

Ich war kaum wieder bei meiner Hütte angekommen, als ein drittes heftiges Feuer in meinem Rücken aufloderte. Wir konnten nicht unterscheiden, ob es in Reyniers Quartier war, und ehe noch die abgeschickte Ordonnanz zurückkommen konnte, kam der Regimentschirurgus Höfer atemlos gesprengt, um Chirurgen zu holen. Die Unvorsichtigkeit von Reyniers Leuten und der Eskorte war schuld an einer fürchterlichen Begebenheit und rechtfertigte nur zu sehr meinen Streit mit dem Major Probsthayn in Wolkowysk, den man nicht ermangelt hatte, Reynier als eine Anmaßung von meiner Seite vorzuspiegeln.

Der größte Teil der Pferde Reyniers, Langenaus, ihrer Adjutanten, der Eskorte usw. war in eine der in diesen Gegenden häufigen großen Scheunen von Korbgeflecht eingestellt worden. Auf den Edelhöfen umschlossen diese ungeheueren Scheunen gewöhnlich einen inneren viereckigen Hof und hatten nur einen Zugang von außen, wenngleich verschiedene Tore nach dem inneren Hofe, der voll Stroh und Dünger lag und in dessen Mitte ein Loch von faulem Wasser stand. So war es auch hier. Wenn ich in ein Quartier kam, sorgte ich mit ängstlicher Vorsicht dafür, daß die Leute ihr Feuer nicht zu dicht an den Wänden anzündeten, was sie gern taten, um den Luftzug zu vermeiden. Noch strenger hielt ich darauf, daß sie nicht innerhalb der Gebäude und Ställe selbst ein Feuer unterhalten durften; aber die ungezogenen Stalleute Reyniers und Langenaus, und die ganz verwilderten Husaren der Eskorte kehrten sich daran nicht und achteten es geringe, wenn einmal ein Haus abbrannte. Auch hier war es geschehen. Die Flamme hatte das auf dem Balken liegende Heu ergriffen, hatte vielleicht schon lange geglüht, ehe die Schlafenden erwachten, und plötzlich brannte das Dach auf allen vier Seiten. Nur die Reitknechte des Generals Gressot (er war vor einigen Monaten zu diesem Grade befördert worden), deren Pferde dicht am Eingang gestanden hatten, konnten sich und die Pferde retten, für alle übrigen war kein Ausgang mehr zu öffnen. Das dichte Flechtwerk widerstand allen Versuchen, es von außen zu durchbrechen. Man hörte das Angstgeschrei der Unglücklichen und konnte ihnen nicht zu Hilfe kommen, weil der einzige Eingang in Flammen stand. Als es zuletzt gelungen war, eine Öffnung zu hauen, durfte sich doch kein Mensch durch die Flammen wagen, denn auch das Stroh und der Dünger auf dem Hofe brannte. Ein Offizier, dessen Namen ich leider vergessen habe, versuchte es endlich, nachdem er sich in Schnee gewälzt und in nasse Decken gehüllt hatte, hindurch zu dringen, und einige andere folgeten ihm. Man zog etwa zwanzig der Unglück ichen heraus, die mehr oder weniger verbrannt waren und, von dem dicken Rauch erstickt, erst nach und nach zur Besinnung kamen. Sie steckten in der Mistlache, in die sie sich in der Todesangst gestürzt hatten. Mehr als 80 Pferde, das eine der bei Isabelin erbeuteten Dromedare, und das traurigste, mehr als zwanzig Menschen waren verbrannt, und auch von denen, die noch lebendig herausgezogen waren, waren die meisten in einem so fürchterlichen Zustande, daß sie bald hernach starben. Einigen mußte man Opium geben, um nur ihre Qualen schnell zu enden, da sie doch nicht am Leben erhalten werden konnten. Höchstens fünf oder sechs konnten wiederhergestellt werden. Reyniers Kutscher, der in Luboml sich mir widersetzt hatte, sein sogenannter Stallmeister, wegen seiner Exzesse verhaßt, einige seiner Reitknechte, die Trainsoldaten, die seine und Langenaus Equipage fuhren, die beiden Reitknechte des Grafen Schulenburg, die sämtlichen Leute von Reyniers französischen Adjutanten, mehrere Husaren von der Eskorte und der russische Führer des Dromedars waren unter den Toten, und weil man gewöhnlich nach einem Unglücksfall die Ursachen da sucht, wo sie nicht sind, so sollte nun dieser Dromedarführer das Feuer angelegt haben! Er würde doch wohl auf seine eigene Rettung bedacht gewesen sein, wenn er es getan hätte. Die wahre Veranlassung lag so hell am Tage, daß man eher sich wundern mußte, daß ein solches Unglück nicht schon längst geschehen war.

Reynier und Langenau hatten noch einige Pferde übrig behalten, die in einem anderen Stalle gestanden hatten, seine französischen Adjutanten hatten alles verloren, auch Charlet, der von Wolkowysk aus in das kaiserliche Hauptquartier geschickt worden war, hatte alle seine Pferde eingebüßt. Die herrlichen, in Turyisk und an anderen Orten in Volhynien geraubten Pferde, Langenaus Zug von Schwarzschecken und seine besten Reitpferde, auch die schönen Hengste, die er so wohlfeil gekauft haben wollte, – alles war ein Raub der Flammen geworden. Für ihn hatte jedoch die Intendanz und das Pferdedepot des Majors Tennecker bald einen Ersatz bei der Hand, aber freilich fehlte es an tätigen, nach ihrer Bequemlichkeit zugerittenen Pferden. Schwarzenberg schickte gleich am nächsten Tage Reyniern zwei sehr schöne Pferde, Lecoq gab ihm eins von den seinen und ich schickte eins für Charlet. Reynier nahm jedoch diese Pferde nur auf solange, bis er sich selbst beritten machen konnte, und auch Charlet schickte mir das meine später mit Dank zurück.

Am 24. marschierten die drei Divisionen nach Rzeczyca (17 km ö. Kamieniec), wo meine Division zum ersten Male eine Nacht unter Dach zubrachte, d. h. sie lagerte sich in großen Scheunen des Herrenhofes, ein Bataillon blieb jedoch stets die Nacht im Biwak. Die Kälte war anhaltend sehr heftig. Den folgenden Tag ging unser Marsch bis Czernuwczyce (15 km n. Brest), einem weitläufigen Flecken, wo sich die Leute gleichfalls in Häuser und Scheunen einquartierten. Das Unglück von Wisznia hatte die wenigsten klug gemacht, noch immer zündeten sie die Feuer dicht an den mit Stroh und Garben gefüllten Scheunen an. Ich ging selbst in meiner Abteilung in der Stadt noch spät abends umher und ließ die gefährlichsten Feuer auslöschen. Die Quartiere wurden hier etwas besser, den vorigen Tag hatte ich in dem Verwalterhause des Herrenhofes gelegen, und auch hier fand ich ein Häuschen mit einer Feueresse, ein großer Vorzug gegen die bisher gewohnten Rauchstuben.

Zum zweiten Male in Brest-Litowsk

Am 26. endlich rückten wir zum zweiten Male in Brest ein und konnten uns hier einige Erholung gönnen. Wir lagen bis zum 30. still. Die uns bekannte Gegend erleichterte die Aufstellung. Die Truppen wurden einquartiert und zu dem Ende jeder Division ein Teil der Stadt zugewiesen. Reynier, der sich stets gern isolierte, legte sich nach Adamkow. Die Österreicher standen nach Kobryn zu. Unsere Avantgarde sollte, wie es hieß, vorgehen, sie kam aber nicht über eine Stunde weit. Man verhieß uns Winterquartiere in Volhynien, aber niemand wollte recht daran glauben. Die Nachrichten von der Großen Armee und dem Schicksal der Bayern konnten nicht länger verhehlt bleiben. Man verbreitete die Sage, der Kaiser von Österreich ließe 100 000 Mann zur Unterstützung Napoleons marschieren – sie hätten allerdings viel helfen können! Unsere eigene Lage erregte von neuem manche Besorgnisse. Eine Armee, die nie Verstärkung erhielt, muß selbst durch den Verlust, den sie in glücklichen Gefechten leidet, am Ende aufgerieben werden. Das war unser Fall! Die französische, schon bis unter die Hälfte geschmolzene Division Durutte war der einzige, und schon durch die Beschaffenheit der Truppen schlechte Ersatz gewesen, den wir erhalten hatten; sie brachte weder Geschütz noch Kavallerie mit, sondern nur einen Haufen unerfahrener, schlecht disziplinierter Konskribierter, von schlechten Generälen und Offizieren angeführt. Die besseren unter diesen beklagten selbst ihr Schicksal, zu einem solchen Haufen versetzt zu sein, wo es nichts seltenes war, daß ein Soldat den Offizieren, die seinen Ausschweifungen Einhalt tun wollten, das Bajonett vorhielt, wo vor meinen Ohren die Gemeinen einander zur Desertion aufmunterten, einer zu dem andern sagte: (in seiner Mundart) „Je desertons au premier jour, je l’avons dit au sergeant, je n’allons pas plus loin.“ Die Feldwebel allein waren tüchtige Leute, die das Ganze noch ein wenig zusammen hielten, aber es fehlte der Nachdruck von oben. Die Unwissenheit der höheren Offiziere war nur mit ihrem stolzen Dünkel zu vergleichen.

Wir hatten bei Wolkowysk einen vollständigen Sieg erfochten, aber schon jetzt wurde er uns unnütz, weil wir ihn nicht verfolgen konnten. Sacken hatte sich hinter den Pripjet gesetzt und zog Verstärkungen an sich, und von der entgegengesetzten Seite umschwärmten uns schon wieder die Kosaken. Reynier wollte das Bataillon Eychelberg, das bis jetzt bei Praga gestanden hatte, an sich ziehen. Der Major Troski war vorausgekommen – in Swislocz wurde er nebst einer Anzahl von Proviantoffizieren und Chirurgen aufgehoben! Der Verlust der Chirurgen war uns besonders empfindlich.

Zwischen Bialystok und Slonym suchten die Russen alle ihnen verdächtigen Polen in ihren Häusern auf und schleppten sie in die Gefangenschaft. Zwei Herren von Engelhardt, Vater und Sohn, von einem treulosen Verwandten, der auf ihre Güter rechnete, verraten, wurden aufgehoben und nebst dem Major Troski von einem Kosakenoffizier transportiert. In der Gegend von Ratno gelang es den beiden Staatsgefangenen, zu entkommen, und alle Versuche, sie wieder zu finden, waren vergebens. Der Kosakenoffizier setzte seinen Marsch fort. Unterwegs wußte er seine Begleitung zu entfernen und entdeckte nun dem Major Troski und einem gefangenen Polen, die noch bei ihm waren, daß er gezwungen wäre zu desertieren, weil er die schwerste Strafe für seine Unvorsichtigkeit zu erwarten hätte. Die Schlitten wurden nun gleich in die Wälder gelenkt, und sie entkamen glücklich nach Brest. Troski sollte sein Ehrenwort gegeben haben, er behauptete jedoch das Gegenteil; Sacken forderte ihn, als seinen Gefangenen zurück, da jedoch seine Entweichung unter diesen Umständen nicht willkürlich gewesen war, so konnte Reynier die Auslieferung mit Recht verweigern und antworten, daß er den Major Troski zurück nach Sachsen schicken würde, damit er nicht bei einer Auswechselung der Gefangenen mitgezählt werden könnte. Aber Troski war ein Günstling Langenaus und sollte noch, wo nicht Lorbeeren, doch Belohnungen ernten. Man ging daher soweit, daß man ihn nicht nur sofort wieder Dienst tun ließ, sondern sogar ihm ein eignes Bataillon zuschrieb, welches aus den Überzähligen des Bataillon Bose und Eychelberg gebildet werden sollte, und seinen Namen führen sollte. Meine Vorstellung dagegen wurde nicht geachtet.

Man benutzte die Ruhe in Brest, um den Grafen Schulenburg mit der Nachricht von dem Brande zu Wisznia als Kurier nach Dresden zu schicken, und um einen Ersatz anzuhalten. Reynier hatte jedem seiner Adjutanten ein Pferd wieder gekauft, mehr konnten sie nicht verlangen. Der König schenkte ihm 10 000 Reichstaler, wofür der General Gersdorf ihm Pferde kaufte, Langenau bekam 800 Reichstaler und Schulenburg 100 Louisd’or, die übrigen – nichts.

Charlet kam zurück, und brachte keine tröstlichen Nachrichten aus dem Hauptquartier mit, das er auf dem Rückzuge von Smolewsk nach Wilna getroffen haben wollte. Die Zeitungen erzählten uns in dem bekannten Bulletin endlich den traurigen Ausgang des Feldzuges nach Moskau, besondere Artikel berichteten zugleich die Aufopferung des General Thielmann und die hohe Gunst, in welcher er bei dem Kaiser stünde. Er wußte diese in Dresden gehörig geltend zu machen, und das Freiherrndiplom, eine reiche Schenkung an Gelde, das Kommandeurkreuz des Heinrich-Ordens und das ausgezeichnete Vertrauen des Königs waren nur der Anfang der Belohnungen, die seiner warteten. Er hatte ein abgesondertes Korps Sachsen kommandiert, nach dessen Verlust in der sogenannten heiligen Schar, welche den Kaiser begleitete, einen Platz eingenommen; er konnte nun in Sachsen keine untergeordnete Stelle annehmen, und das Kommando der Kavallerie war eine Stufe, die ihm gar nicht streitig gemacht werden konnte. Dazu gehörte jedoch, mich zuförderst von ihr zu verdrängen, und weder der König noch Reynier, so sehr er gegen mich eingenommen war, wollten dazu einen Schritt tun. Das Geschenk der 10 000 Reichstaler war eine gute Gelegenheit, Reynier zu bewegen. Der Minister Senfft schrieb einen Brief an Langenau, der Reynier gezeigt wurde, in dem er ihm vertraulich entdeckte, daß der König sich in einer großen Verlegenheit befände, indem er auf die besondere Empfehlung des Kaisers hin mich durch Thielmann ablösen zu lassen wünschte, dies aber aus Rücksicht auf Reynier nicht zu tun wagte, weil dieser sich beleidigt fühlen könnte, wenn er ihm einen General aus der Linie nähme. Reynier würde daher den König sehr verbinden, wenn er selbst unter dem Vorwande der Kränklichkeit für mich um die Ablösung durch General Thielmann anhielte. Reynier, dem solche Ablösungen in der französischen Armee etwas ganz gewöhnliches waren, und der auf keine Weise glaubte, daß sie mir weiter schaden könnte, der nicht wußte, daß sie mit dem Verluste meiner Stelle verbunden wäre, glaubte dem mit einem schönen Geschenke verbundenen Wunsche eines Königs kein Bedenken entgegensetzen zu dürfen. Der König, an nur zu pünktliche Erfüllung von Anträgen jedes französischen Genera s gewöhnt und von Marcolini, Senfft und Gersdorf, denen allen an meiner Entfernung lag, überredet, daß Reynier aus eigener Bewegung geschrieben hätte, fügte sich, doch nicht ohne Widerstreben, besonders deshalb, weil eben durch den Tod des alten Generals Niesemeuschel eine Pension von 2600 Talern offen geworden war, die mir, bis ich durch eine Gouverneurstelle oder auf andere Art versorgt werden könnte, einstweilen als Wartegeld ausgesetzt werden könnte.

So wenigstens hat mir nachher Reynier mündlich und schriftlich den Gang der Angelegenheit erklärt, und eben dies erhellt auch aus den verschiedenen Ausreden Langenaus, Senffts und Gersdorfs, von denen jeder die Schuld auf den andern schob. Ehe alles zur Reife kam, gingen jedoch noch 6 Wochen hin.

Charlet hatte Befehle aus dem Hauptquartier mitgebracht, die unsern Rückmarsch nach den kaum verlassenen Gegenden bestimmten. Ich habe nie genau erfahren, ob Charlet den Kaiser selbst gesprochen hatte, oder ob die Maßregel einer Konzentrierung, der zufolge wir uns der Großen Armee nähern sollten, nur in dem Hauptquartier des Ministers Herzogs von Bassano in Wilna beschlossen worden war, oder ob wir überhaupt nur herangezogen werden sollten, um die zur Befreiung des Kaisers nach der Berezina marschierenden Korps zu verstärken. So viel war sehr deutlich, daß Sacken zu unserer Umkehr keine Veranlassung gab, und daß Reynier sich höchst ungern dazu bequemte. Das bei Wolkowysk geschlagene Korps war noch bis über Luboml und wahrscheinlich bis in die Gegend von Luck zurückgegangen, um sich wieder zu ergänzen und den Verlust seiner Equipage und des Geschützes auszugleichen. Die leichten Truppen, die uns beunruhigten, gehörten nicht zu ihm, aber sie gaben uns einen traurigen Beweis, wie wenig die Hauptarmee Meister des Landes in ihrem Rücken war. Hätte sie sich, wenn auch nicht bei Smolensk, so doch nur bei Wilna und Grodno behaupten können, so hätte Reynier seine Winterquartiere in Volhynien genommen und den südlichen Teil des Herzogtums Warschau, so schwach wir auch waren, gedeckt. Aber dazu gehörte freilich, daß wir Sacken nicht soviel Zeit lassen durften, sich eine fast neue Armee zu schaffen, die Menge der Zersprengten, die vielleicht über die Hälfte seines Korps betrug, wieder zu sammeln und von neuem zu bewaffnen. Diese steckten überall in den Dörfern, durch die wir gekommen waren, aber da sie Bauernkleider trugen, konnten wir sie nicht erkennen, wenn sie nicht durch einen Zufall verraten wurden, wie das z. B. bei Krasni geschah, wo ein Bote, der eine meiner Patrouillen geführt hatte, sich verdächtig machte und als ein Flüchtling von Wolkowysk erkannt wurde.

Wir brachen am 1. Dezember von Brest auf. Reynier ging mit der I. Division voraus, ich aber blieb in Czernuwczyce, wo wir am 25. gestanden hatten. Die Kälte nahm immer noch zu, doch war der Marsch auf dem gefrorenen Schnee nicht unbequem. Wir wunderten uns über die kurzen Märsche, da wir gewöhnlich in 4–5 Stunden einen Weg zurücklegten, auf dem wir herwärts 10–12 Stunden zugebracht hatten. Aber damals mußten wir überall erst die Dämme und Brücken ausbessern, wo jetzt der Frost uns feste Straßen gebahnt hatte. Die Bekleidung der Truppen war noch immer so schlecht, wie vorher, aber sie hatten sich geholfen. Freilich sahen wir nicht mehr wie Soldaten aus, wir hatten von diesen nicht viel mehr, als Gewehr und Patronentasche, aber die abenteuerlichsten Aufzüge, unter denen Schafpelze die glänzendsten waren, und die meist um den Leib gewickelten Decken, aufgetrennten Weiberröcke, Priesterröcke usw. schützen doch gegen die Kälte. Um die Beine hatten die Soldaten sich Lappen gewickelt und die Köpfe dicht verbunden, so daß man Mühe hatte, die Bekannten herauszufinden und mit voller Stimme schreien mußte, um gehört zu werden.

In Brest hatten wir in den letzten Tagen an Fourage großen Mangel gelitten. Ich mußte meine Ordonnanz ausschicken, um mich zu versorgen und zu sehen, wo noch eine nicht ganz ausgeleerte Scheune zu finden wäre. Ich kaufte zu dem ungeheueren Preise von 5 Talern für den Dresdener Scheffel Hafer für meine Pferde. Reynier schien den Leuten nicht zu trauen, er ließ von neuem Häuser und Scheunen einreißen und Befestigungswerke anlegen und drohte, die Stadt anzuzünden, wenn der Feind uns hier angriffe. In der Vorstadt, wo die leichte Infanterie meiner Division ihre Stellung hatte, mußte ich verschiedene Gebäude mit Stroh bestecken lassen, um sie auf den ersten Wink anbrennen zu können. Unter anderen wurde dieses Schicksal einer zwischen Gärten versteckten hölzernen Kirche gedroht, in der wundertätige Reliquien aufbewahrt wurden. Wir gaben den Geistlichen davon Nachricht, damit sie ihre Kostbarkeiten in Sicherheit bringen könnten. Sie holten ihre heiligen Gefäße, die Kostbarkeiten der Kirche und auch einiges Tafelsilber weg, das sie darin verborgen hatten, aber ihren vornehmsten Schatz, einen heiligen Körper, der in einem silbernen Sarge verwahrt wurde, ließen sie stehen. Ich erinnerte sie durch einen Dolmetscher, aber sie ließen mir antworten, nur ein Geistlicher von höherem Range dürfe dieses Heiligtum a0ufheben, und erst morgen würde ein solcher eintreffen. Sie hatten aber auch an den folgenden Tagen stets Entschuldigungen, und ich konnte mich leicht dabei beruhigen, nachdem ich sie ernstlich erinnert hatte, daß auf ihre eigene Gefahr der Leichnam stehen bleiben würde. Ich erfuhr durch den Dolmetscher, daß sie glaubten, die Kirche könnte nicht verbrennen, solange die Reliquien darin ständen, und für dieses Mal rechtfertigte der Erfolg ihr Zutrauen. Ich hatte mir den Leichnam zeigen lassen. Er glich dem Ansehen und dem Geruche nach völlig einer Mumie und war auch in solchen Zeuge gehüllt, wie man sie bei Mumien findet. Nach Kopf und Gesicht zu urteilen war es der Leichnam eines Mannes von 40–50 Jahren, aber der silberne Sarg, in dem er lag, war nicht länger als höchstens 2 Ellen. Da man jedoch auch die umwickelten Füße sah, so mußte der ganze Unterleib fehlen. Der schwere silberne Sarg war mit rotem Atlas gepolstert und, soviel ich aus den Inschriften verstehen konnte, von der Kaiserin Anna geschenkt worden, die den Leichnam von Kiew nach Brest hatte bringen lassen. Der silberne Sarg stand abermals in einem größeren, mit rotem Sammet gepolsterten Sarge von glänzendem schwarzen Holze, das stark mit Silber beschlagen war und auf dem mit erhabenen silbernen Buchstaben die lange Inschrift stand, aus der ich auch noch ersah, daß dieser äußere Sarg ein Geschenk Kaiser Alexanders war.

Rückmarsch. Große Kälte

Ungeachtet aller drohenden Anstalten zogen wir jedoch ganz friedlich aus Brest. Am 2. Dezember ging das Hauptquartier bis Szereszowo. Reynier schien zweifelhaft zu sein. Er wollte erst in Rzeczyca bleiben, wo wir am 24. gewesen waren, besann sich aber nachher anders, ließ mich mit der II. Division hier zurück und marschierte mit den beiden andern weiter. Ich bezog das Quartier, wo er vor 8 Tagen gelegen hatte. Am Nachmittage schickte er mir Befehl, Rasttag zu machen, eine zweite Order aber rief mich am 3. nach Szereszowo. Man sah, daß er ungern diese Gegend verließ. Ein Angriff Sackens, der ihm einen Vorwand zu bleiben gegeben hätte, würde ihm vielleicht nicht unwillkommen gewesen sein. Er sah ein, daß unser Marsch dem Kaiser wenig helfen, unsere Stellung bei Brest hingegen wenigstens ein russisches Korps untätig erhalten hätte.

Am 4. marschierten wir über Pruzana nach Smolany (7,5 km ö. Pruzana) und den folgenden Tag nach Sielec in der Mitte der Moräste der Jasiolda. Alle drei Divisionen wurden in den Häusern und Scheunen einquartiert, aber trotz der ungeheueren Kälte mußten wir doch noch anderthalb Stunde, nachdem wir angekommen waren, vor dem Orte stehen bleiben, damit der Intendant und der Major Probsthayn erst alle Vorräte in Beschlag nehmen konnten. Uns und den Truppen überließ man nachher die Sorge, uns selbst zu versorgen.

Am 6. marschierte das ganze Korps nach Rozana. An diesem Tage fiel die heftigste Kälte ein, die wir erlebt haben. Man mußte stets den Mund offen halten, weil die scharfe schneidende Luft gleich die Nase verstopfte und das Atemholen unmöglich machte. Solange wir in den Wäldern marschierten, hatten wir doch noch einigen Schutz, aber als wir auf die Höhe herauskamen, war die Kälte fast unerträglich. Der Oberfeldarzt Dr. Schöne, der ein Thermometer im Wagen hatte, sagte mir, es wäre auf dieser Strecke des Weges auf 30 Grad Réaumur gefallen. Die Kranken und Verwundeten auf den Wagen starben zum großen Teil unterwegs. Viele Menschen fielen um, ganz ohne Schaden kam niemand weg. Auf den Pferden zu bleiben, war unmöglich, alles ging zu Fuß. Die Kavallerie war besonders übel dran, weil die Stiefel, die man ihnen in Brest hatte machen lassen, zu eng waren. Die meisten ritten ohne Stiefel mit umwickelten Füßen. Ich erfror mir die Nase, Reynier den Backen, Lecoq Nase und Backen. Viele Offiziere und Gemeine wurden verstümmelt. Wer sich nicht gleich mit Schnee rieb, verlor die erfrorenen Glieder. Die I. Division litt noch mehr, weil sie noch eine halbe Stunde weiter marschierte. Auf diesem kurzen Wege bekam das I. Bataillon Prinz Friedrich 80 Invalide. Die Meldungen von Kranken an Frostschäden nahmen kein Ende, – und wir hatten keine Chirurgen! Es war dringend nötig, hier einige Rasttage zu machen. Unsere Equipage, die in der Gegend von Bialystok gestanden hatte, kam hier wieder zu uns. Wir lagen eine Woche still.

Die fürchterliche Kälte, die noch einige Tage lang wütete, ließ endlich doch etwas nach, obgleich sie immer noch ärger war, als sie in den härtesten Wintern in Deutschland zu sein pflegt. Man sollte kaum glauben, daß in einer Gegend, die unter dem 53. Breitengrade, also nicht nördlicher, als Hamburg, liegt, die Kälte so heftig sein könnte. Aber die Gegend, wo die Hauptarmee aufgerieben wurde, lag nicht volle zwei Grad weiter gegen Mitternacht, und es ist weniger die Polhöhe, als die besondere Lage des Ortes, die den Grad der Hitze und Kälte bestimmt. Auf der hohen Ebene Litauens, auf der wir uns befanden, wo der größte Teil der Flüsse entspringt, die sich durch den Dniepr in das Schwarze und durch den Narew und die Düna in das Baltische Meer ergießen, streichen die Winde, die aus Norden und Osten kommen, ohne durch eine Höhe aufgehalten zu werden, mit aller der fürchterlichen Kälte, die sie von den beeisten Gegenden Finnlands, des Eismeeres und des nordöstlichen Rußlands mitgebracht haben. Die Kälte ist hier empfindlicher, als im Gebirge, wo die Berge selbst wieder Schutz gewähren. Dazu war der Winter 1812 auf 1813 ungewöhnlich kalt. Und nur, wer in einem solchen Klima einen Feldzug gemacht hat, nicht ein Reisender, der Vorsichten vieler Art gebrauchen kann, ist imstande, sich einen Begriff von dem, was die Truppen in dieser Zeit ausgestanden, zu machen.

Unser Marsch nach diesen Gegenden war übrigens vergebens gewesen; umsonst hatten wir eine Menge Menschen und Pferde aufgeopfert. Reynier mochte wohl ziemlich deutliche Nachrichten von der Großen Armee erhalten haben, und es war Zeit, an unsern Rückzug zu denken. Die Österreicher brachen gegen Warschau auf. Wir aber sollten noch einen Versuch machen, Volhynien oder wenigstens den Posten von Brest zu halten. Ob dies noch möglich war, nachdem wir nun dem General Sacken einen vollen Monat Zeit gelassen hatten, sich zu verstärken, uns aber durch den Marsch in dieser Jahreszeit mehr geschwächt hatten, als durch das blutigste der vorhergegangenen Gefechte, möchte wohl leicht zu begreifen gewesen sein. Reyniers Hartnäckigkeit, auch jetzt noch nicht zu weichen, muß entweder frühere Befehle des Kaisers oder irgend einen Beschluß zu Wilna zu Grunde gehabt haben. Allerdings erhielt er bis auf den letzten Augenblick unser Korps auf feindlichem Boden, aber wir opferten auch in der Kälte eine nicht geringe Anzahl von Menschen auf, die, wenn wir zeitiger nach Warschau zurückgegangen und nicht erst wieder nach Brest marschiert wären, gewiß hätte erhalten werden können.

Wieder an den Bug. Sechster Übergang

Am 13. Dezember brach Reynier mit den Divisionen Lecoq und Durutte auf. Ich folgte am 14. mit der II. und der Avantgarde, die von jetzt an wieder an meinen Befehl gewiesen wurde. Das Regiment Polenz hatte damals 342 Pferde in Reih und Glied, die drei Schwadronen Ulanen waren 132, die beiden Bataillone Husaren 500 und einige vierzig Pferde stark, unsere ganze Kavallerie bestand also höchstens aus 1000 Pferden, von denen noch die Schwadron der Eskorte abgerechnet werden mußte.

Reynier hatte mit den beiden stärkeren Divisionen den Weg der Hauptstraße über Michalina eingeschlagen. Die Division Durutte blieb zwischen Sielec und Worozbity (10 km sw. Sielec), die I. mit dem Hauptquartier in und bei Winiec (17 km sw. Sielec). Ich mußte einen Seitenweg quer über die Moräste nehmen, der nur in der gegenwärtigen Jahreszeit auf dem Eise versucht werden konnte. Die Avantgarde marschierte mit mir. Wir ließen die über die Michalina-Schenke führende große Straße, auf der wir vor 8 Tagen gekommen waren, links und die Straße nach Szereszowo rechts und durchschritten den Morast in schräger Richtung. Unser Marsch ging fast immer auf dem Eise, selten durch Gebüsch, und das einzige Merkmal, das wir hatten, war die Spur der Schlitten, auf der die Einwohner das in großen Haufen aufgetürmte Heu, das sie im Sommer nicht über die Moräste bringen können, etzt auf dem Froste einfuhren. Da dieser Weg auf keiner Karte bezeichnet war, so hatte mir Reynier einen Plan mitgegeben, nach dem ich mich richten mußte. Ich berührte das Dorf Kusmizy in der Mitte der Moräste, und verlegte die Truppen in der umliegenden Gegend, mich selbst nach Rudniki (15 km n. Pruzana), einem kleinen Dorfe, wo ich in dem Hause eines griechischen Geistlichen einen Winkel fand. Ein österreichischer Offizier mit einem Kommando, welches längst hätte zur Armee stoßen sollen, hielt sich in diesem versteckten Dörfchen auf und konnte nur, da ich ihm Ernst zeigte, bewogen werden, zu weichen. Noch am Abend mußte ich mit Strenge seine Soldaten fortweisen, die in einer Strohhütte mitten zwischen den Ställen ein großes Feuer angezündet hatten, und einen Tanz mit liederlichen Frauenzimmern hielten, wobei die meisten betrunken waren.

Am folgenden Tage ging ich bis Pruzana, wo ich bei dem Edelmann des Ortes, einem gutgesinnten Polen, Pan Trzybicki, mein Quartier nahm. Die Bataillone standen in und nahe bei dem Städtchen, die Avantgarde auf den nächsten Dörfern, das erste Bataillon Husaren in Czachiec (12 km s. Pruzana), um den Paß von Kozibrod zu beobachten. Ich erfuhr hier, daß ein kleines Korps Polen, von 600–800 Mann Kavallerie und Infanterie, die ein paar vierpfündige Kanonen bei sich hatten, über Terespol in Brest eingerückt waren. Sie hatten vor wenigen Tagen eine Abteilung Russen, welche den Ort nehmen wollten, zurückgetrieben, und schickten täglich Patrouillen bis Kobryn. ln der Gegend von Pinsk war alles ruhig, ich trug dem Obristen Thümmel auf, gleichfalls eine Patrouille gegen Kobryn vorzuschicken, die aber keinen Feind traf.

Der polnische Unterpräfekt dieser in der Eile zur Insurrektion organisierten Gegend sagte mir, daß er durch sichere Spione die Nachricht erhalten hätte, die Generäle Muschin-Puschkin und Bulatow wären mit einer beträchtlichen Verstärkung von Kiew bei dem Sackenschen Korps angekommen. Bulatow stünde in Kowel, Sacken in Luboml, eine starke Abteilung in Niesuchojeze (a. d. Turja, 21 km nö. Kowel), ihre Patrouillen erschienen täglich in Rutno (51 km n. Kowel) und Mokrany (48 km sö. Brest). Indem diese Nachricht uns erwarten ließ, daß der General Sacken, durch ein neues Korps verstärkt, bald wieder zum Angriff übergehen würde, und daß für uns der Zeitpunkt, ihn noch weiter zurückzutreiben, versäumt wäre, gab eine Order, welche der polnische Kommandant in Pruzana, Serepotocki, durch einen Eilboten von Grodno erhielt, einen Begriff von der Not, die an diesem Orte herrschte. Der französische General, Gouverneur Brun oder le Brun, gab ihm darin den Befehl, sofort 50 Edelleute seines Distrikts zum Landsturm aufzubieten, und sie mit Pferden und völlig ausgerüstet, oder wo dieses nicht möglich wäre, mit hinreichendem Gelde zu ihrer Ausrüstung und auf jeden Fall mit Pferden versehen, spätestens den 20. nach Grodno zu schicken. Da diese Maßregel dringend notwendig wäre, setzte der General Brun hinzu, so dürfte niemand, unter welchem Vorwand es auch sein möchte, sich diesem Dienste entziehen. Nach allen Opfern, welche die Polen bereits gebracht, und bei der Wendung, welche die Angelegenheit des Krieges genommen hatten, konnten nur wenige Lust haben, zu einer Zeit, wo jeder auf seine eigene Sicherheit bedacht sein mußte, wo jeder neue Schritt Verbannung und den Verlust der Güter zur Folge haben konnte, von neuem die Waffen zu ergreifen. Dennoch siegte bei den meisten die Liebe zu dem polnischen Namen, und sie wendeten auch jetzt noch ihr letztes an, die französischen Waffen im Unglück zu unterstützen. – Ich meldete alle die Nachrichten dem General Reynier.

Am 16. ging ich durch das Engnis von Kozibrod in die Gegend des Schlachtfeldes von Poddubno. Reynier hatte mir nur die Gegend, wohin ich jeden Tag gehen sollte, vorgeschrieben, die Stellung aber mir selbst überlassen. Ich blieb auf den Höhen von Zabin, wo wir den Tag vor der Schlacht gestanden hatten, und nahm mein Quartier bei einem Landedelmann in Czerkow Hof. Da ich durch die Avantgarde gegen Kobryn gedeckt war, erleichterte ich den Truppen den Marsch, indem ich sie in Bataillonen, so wie sie ankamen, marschieren und auf den Sammelplätzen nicht erst lange warten ließ. Sobald sie alle im Marsch waren, ritt ich voraus, um die Quartiere auszusuchen.

Den 17. gingen wir über einen Teil des Schlachtfeldes, ich blieb in Pellice, dem Schlosse, wo in der Nacht des 23. Novembers, als Reyniers Pferde verbrannten, unsere Avantgarde angegriffen worden war. Die Toten lagen noch unbegraben, der Verwalter, bei dem ich mich einquartiert hatte, weil das Schloß ausgebrannt war, entschuldigte sich mit dem Mangel an Arbeitern, daß er sie nicht beerdigt hatte. Gegen Abend kam ein Kommando von dem Bataillon Würzburger an, das Kranke begleitete. Wir brachten sie in den Wirtschaftsgebäuden unter, aber wie gewöhnlich waren mehrere unterwegs auf den Wagen oder Schlitten vor Kälte gestorben. In der Nacht erhielt ich drei verschiedene Orders von Reynier, die mir für den nächsten Tag bald still zu liegen, bald weiter zu marschieren befahlen. Er schien mit sich gar nicht einig zu sein über die Art der Fortsetzung des Feldzugs.

Der letzten Order zufolge marschierte ich den nächsten Tag nach Wistyce (12 km n. Brest), wo ich in einem Edelhofe mein Quartier nahm. Unterwegs kam ich durch Rzeczyca, wo ich schon zweimal gestanden hatte. Ich ließ die Division hier einen Augenblick ausruhen und ging, weil es heftig kalt war, in das Haus des Wirtschaftshofes, um mich zu erwärmen. Ein Sarg, bei dem einige Sachsen beschäftigt waren, zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich fragte, wem sie beerdigten und erfuhr mit Schrecken, daß es der treffliche Major Auenmüller war. Er war von dem unglücklichen Nervenfieber ergriffen worden und hier in dem Edelhofe liegen geblieben und hatte, da Reynier in der vorigen Nacht hier gelegen hatte, aus jenem Hause in dieses gebracht werden müssen. Die Entfernung betrug kaum eine Viertelstunde, aber dennoch war das Herüberschaffen dem Kranken tödlich geworden. Reynier wußte nichts davon, aber so lieblos gingen seine Quartiermacher mit verdienten Männern um. Auch das Wirtschaftshaus, wo bei unserm ersten Durchmarsch Lecoq mit mir zusammen gestanden hatte, würde sich recht gut für ihn zum Nachtquartier geeignet haben. Trotz aller schönen Verordnungen über den Nachlaß der Verstorbenen ging es doch hier nicht besser, als bei den übrigen. Auenmüllers Pferde wurden nach wenig Tagen plötzlich ohne vorherige Ankündigung versteigert, und das beste davon, das leicht 40 Louisd’ors wert sein konnte, erstand der General Langenau für 70 Taler. Sein Bruder erzählte mirs und setzte hinzu: „Mein Bruder hat Glück, er hat den Braunen von Auenmüller recht wohlfeil bekommen!“

Nach einem Befehl von Reynier bezog das ganze Korps am 19. eine Kantonierung am Bug. Die Division Durutte kam nach Wysoka Litowsk (12 km n. Wolczyn). Reynier nahm sein Hauptquartier in Wolczyn, die I. Division lag in seiner Nähe, mit der H. stand ich weiter vorwärts gegen die Lesna zu, mein Quartier war in Losowice (Kozlowicze, 13 km n. Brest?). Zwei Posten der Avantgarde deckten die Punkte von Motykaly (14 k nw. Brest) und Buczeml (?), und eine kleine Abteilung wurde bis Brest geschickt, der Rest der Avantgarde biwakierte in meiner Nähe. Der Befehl sagte ausdrücklich, daß die Kavallerie ausruhen sollte, weil wir durch die vorgeschickten Posten hinreichend gedeckt wären. Der Sammelplatz für die Avantgarde, die ich mit der II. Division unterstützen sollte, war bei Motykaly.

Die Ruhe, deren wir sehr bedurften, da unsere Kranken immer mehr Zunahmen und bei der jetzt wieder besonders heftigen Kälte gewöhnlich auf dem Transport in den Schlitten erfroren oder vor Kälte starben, dauerte jedoch nur 3 Tage. Am 23. mußten wir schon wieder aufbrechen und den Bug abwärts marschieren. So wie wir auf dem Marsche von Rozana hierher dem Korps, das den Bug zur rechten hatte, als Vortrab und linker Flankenschutz gedient hatten, so machten wir jetzt die Arrieregarde. Reynier marschierte nach Siemiatycze und ich nach Mielnik (am Bug, 18 km sö. Siemiatycze), einem von vielen Deutschen bewohnten und zur Zeit der preußischen Regierung mit einigen leidlichen Häusern versehenen Städtchen hart am Bug. Wir sahen auf beiden Seiten des Stromes einzelne Kosaken, die sich aber eilig entfernten.

Am 24. marschierten wir in die Stellung bei Hanuszyna und Baratyniec Slachecki (6 km ö. Siemiatycze), wo schon zweimal das ganze Korps gestanden hatte. Ich nahm mein Quartier in jenem Orte. Der erste Weihnachtstag wurde endlich durch meinen Übergang über den Bug, den von nun an ein deutsches Heer sobald nicht wieder überschreiten sollte, bezeichnet. Wir gingen auf dem Eise herüber und marschierten über Sarnaki bis Losice (30 km ö. Siedlce), wo ich die Nacht blieb.

Reynier war schon am Tage vorher übergegangen, und das polnische Korps, das unter dem Befehle des Obersten Rzotkewicz stand und den Namen einer mobilen Kolonne führte, folgte mir weiter stromaufwärts.

Östlich Warschau

Am 26. ging ich nach Mordy (17 km nö. Siedlce), wo ich in dem schönen Schlosse eines Edelmannes, Ciecierski, mit altpolnischer Gastfreiheit bewirtet wurde. Am folgenden Tage mußte ich durch lauter verschneite Dorfwege auf dem rechten Ufer des Liwiec nach Wola Siedlecka marschieren, einem einsamen Hofe, der in der Mitte mehrerer Dörfer an einer von Siedlce über Chodow nach Sokolow führenden Nebenstraße lag (Wola 9 km n. Siedlce). Reynier hatte schon zwei Tage vorher sein Hauptquartier in Siedlce genommen, einer der angenehmsten Landstädte in Polen, die viele schöne Häuser, selbst einige Paläste hat und nach einem regelmäßigen Plane gebaut ist. Man konnte hier alles zu kaufen bekommen, fand eine Menge deutscher Einwohner, eine trefflich eingerichtete Apotheke und auch ein sehr anständiges Kaffeehaus. Mordy und Losice waren von unserer Avantgarde besetzt, die Polen Rzotkewicz’s standen bei Biala. Meine Division, die einen Tag später als Reynier über den Bug gegangen war, hatte nun diesen auf Nebenwegen eingeholt und stand nun gewissermaßen hinter ihm, um jedoch am 28. in die Stellung, die er verließ, einzurücken, als er auf der großen Straße über Stanislowo nach Warschau zurückging.

ln Siedlce gab er mir selbst meine Instruktion. Die Avantgarde und die Polen waren an meine Befehle verwiesen, das Grenadierbataillon Eychelberg (vorher Brause), das bisher die Straße von Praga bis Bialystok gedeckt hatte und nun dort überflüssig geworden war, weil die Österreicher sich durch diese Gegenden zurückzogen, stieß noch am 27., kurz nach meiner Ankunft in Siedlce, zu mir. Da sowohl dieses Bataillon wie das Bataillon Bose durch viele Selbstranzionierte und die Überreste der in Kobryn gefangenen Truppen nach unserer jetzigen Art zu zählen übervollständig geworden war, so mußte ich aus den zum Regiment König gehörenden Mannschaften ein drittes Bataillon bilden, das der Major Troski kommandieren sollte, dagegen aber die beiden Bataillone des zweiten leichten Infanterieregiments in eins zusammen schmelzen. Als Vorwand wurde angegeben, daß man dadurch den Anschein gewinnen wollte, als hätten wir ein Bataillon zur Verstärkung erhalten, die wahre Ursache aber lag darin, daß der Major Troski begünstigt werden sollte, weil er nun in den Meldungen nach Sachsen als ein besonders ausgezeichneter Bataillonskommandant genannt werden konnte. Wie wenig wir Ursache hatten, durch neue Zusammenstellungen unsere Bataillone noch mehr zu schwächen, wird aus folgendem Bestand meiner Division am 28. Dezember erhellen:

Grenadierbataillon Anger hatte 8 Stabsoffiziere und Offiziere, 371 Unteroffiziere und Mannschaften; Grenadierbataillon Spiegel hatte 8 Stabsoffiziere und Offiziere, 251 Unteroffiziere und Mannschaften; Grenadierbataillon Eychelberg hatte 9 Stabsoffiziere und Offiziere, 366 Unteroffiziere und Mannschaften; Linienbataillon König (Troski) hatte 5 Stabsoffiziere und Offiziere, 166 Unteroffiziere und Mannschaften; Linienbataillon Niesemeuschel hatte 7 Stabsoffiziere und Offiziere, 327 Unteroffiziere und Mannschaften (Bose); 2. leichtes Infanterieregiment hatte 11 Stabsoffiziere und Offiziere, 630 Unteroffiziere und Mannschaften (Tettenborn). Dieses allein konnte für ein beinahe vollzähliges Bataillon gelten. Die dreipfündige Fußbatterie hatte 4 Offiziere und 110 Artilleristen und Trainsoldaten. Dazu 74 Pferde.

Meine ganze Division war daher mit Einschluß der Artillerie auf 52 Offiziere und 2221 Unteroffiziere und Mannschaften zusammengeschmolzen.

Ich fand in Siedlce an dem Präfekten Grzybowski einen sehr rechtschaffenen, der Sache des Vaterlandes warm anhängenden Mann und auch bei seinen Unterbeamten Tätigkeit, sowie in dem Departement überhaupt viel Ordnung, wenngleich nicht in dem Grade, wie in Lublin. Reynier hatte in dem Palaste des Präfekten gewohnt und mit seinem Gefolge, wozu auch die Intendanz gehörte, an seiner Tafel sich früh und mittags bewirten lassen. Dennoch mußte die Stadt 400 Flaschen Wein und einen großen Vorrat an Zucker und Kaffee liefern, der wie alles übrige verschwand. Der Direktor der Posten in dem Departement, Pernet mit Namen, gab mir die Liste der geleisteten Requisitionen. Da ich mir ein Quartier in der Stadt genommen hatte, mich mit meinen Rationen und Portionen begnügte und was ich außerdem bedurfte, für mein Geld kaufte, so erzeigten mir die Autoritäten alle mögliche Höflichkeit und Freundschaft. Auf Befehl aus dem Hauptquartier mußte ich jedoch den Major Troski zum Platzkommandanten ernennen, der sich bei dem Nachsenden der Requisitionen nicht übel stand.

Reynier schien eine ausgedehnte Stellung auf dem rechten Ufer der Weichsel behaupten und eine Art von Winterpostierung nehmen zu wollen. Die I. Division zog sich von Siedlce nach Parysow (54 km sö. Warschau) und breitete sich in bequemen Quartieren aus. Die Division Durutte lag an der großen Straße von Siedlce nach Warschau in der Gegend von Kamionca (45 km ö. Warschau) und Okuniew (20 km ö. Warschau). Meine Division war bestimmt, im Falle eines Angriffs die Avantgarde zu unterstützen und, wenn wir Siedlce nicht behaupten könnten, eine festere Stellung bei Chodow (6 km n. Siedlce) hinter dem Liwiec, etwa eine Stunde von der Stadt entfernt, zu nehmen. Zu meiner Sicherheit waren vorwärts einige Verbindungsposten nach den Polen und der Avantgarde hin aufgestellt. Ich besetzte auch bei Iganie (4 km w. Siedlce), um nicht umgangen werden zu können, die Brücken über ein kleines Wasser, das in den Liwiec fällt. Meine Artillerie stand bei Chodow.

Reynier war nach Warschau gegangen und hatte bloß zur Besorgung der Korrespondenz einen Offizier des Generalstabes in Okuniew zurückge assen. Solange dies der Obristleutnant Aster war, gingen die Sachen vollkommen gut, aber es entstanden einige Verwirrungen, nachdem dieser abgelöst worden war, weil der Major Fabrice an seiner Stelle die Befehle Reyniers zu wörtlich nahm und nun in seinem Namen Ordern ausfertigte, die in der Entfernung nicht immer passend waren. Ich nahm mir daher die Freiheit, sie nach dem, was ich den Umständen angemessen hielt, abzuändern und hatte die Genugtuung, ohne Ausnahme den wahren Sinn des Generals getroffen und gewöhnlich die Veränderungen, die der zweite, nach Eingang des Rapports von Warschau aus von ihm selbst geschickte Befehl anordnete, schon im voraus angeordnet zu haben. Er genehmigte ohne eine einzige Ausnahme alle meine Anordnungen. So brachte mir unter anderen der Rittmeister Odeleben eines Tages den Befehl, mit dem Korps eiligst aufzubrechen und über den Liwiec zu gehen. Ich konnte aber beurteilen, daß dieser Befehl die Folge einer auf anderem Wege durch Zivilbehörden nach Warschau gekommenen Nachricht wäre, deren Umstände ich durch Rzotkewicz genauer wußte. Ich beschloß daher, stehen zu bleiben und schrieb meine Gründe an Reynier. Ehe aber noch meine Meldung nach Warschau kam, traf schon ein zweiter Kurier bei mir ein mit dem Befehl, in die, wie Reynier glaubte, verlassene Stellung zurückzumarschieren. Diese Verwirrungen kamen daher, daß der General Langenau, um ja einem detachierten General nichts anzuvertrauen, sondern alles durch seinen Generalstab zu dirigieren, dem in Okuniew gebliebenen Offizier Blanketts zu Ordern hinterlassen hatte mit der Anweisung, sie auf diesen oder jenen Fall an mich abzuschicken. Der Obristleutnant Aster war aber der einzige, der Kenntnis und Übersicht genug besaß, um beurteilen zu können, ob der Fall wirklich eingetreten wäre. Hätte ich den, freilich in Reyniers Namen, von Langenau unterschriebenen Befehlen dieser Art folgen wollen, so würde ich nicht weniger als dreimal mit meiner Division, der Avantgarde und der mobilen Kolonne meine Stellung haben räumen und wiedernehmen müssen. Ob Langenau seinen Stellvertretern diese Übereilungen verwiesen hat oder nicht, habe ich nicht erfahren. Mir wurde es von ihm eher übelgenommen als gedankt, daß ich sie verbesserte; auf Reynier hatte die Sache jedoch einen Eindruck gemacht, der zu meinem Vorteile gereicht hätte, wenn es nicht schon zu spät gewesen wäre. Wenigstens sagte er mir dies später in Warschau.

Ich stand bis zum 2. Januar in Siedlce. ln dieser Zeit gingen fleißig Parlamentäre hin und her. Der Leutnant Ferdinand von Zacha vom Husarenregimente, der fertig polnisch sprach, wurde besonders dazu gebraucht und reiste mehrmals durch Siedlce ins russische Hauptquartier. Den Vorwand gaben bald die verlangte Auslieferung des Majors Troski, ba d irgend eine Neckerei auf den Vorposten oder das Betragen eines in Brest zurückgebliebenen polnischen Offiziers, der einige Requisitionen gemacht haben sollte, die man zurückforderte. Die wahre Ursache aber schien mir zu sein, daß Reynier nicht abgeneigt war, einen Stillstand und eine Art Konvention zu schließen, sich jedoch nicht bloßstellen, zugleich aber sehen wollte, wie es sich mit einer von Schwarzenberg geschlossenen besonderen Konvention genau verhielt.

Unsere Lage war allerdings sehr gefährlich. Der Kaiser Napoleon war durch Warschau gegangen, die Große Armee verschwunden. Wilna, selbst Grodno in den Händen der Russen, und der Rest der französischen Armee bei Memel wurde durch die bekannte Kapitulation der Preußen unter dem General Yorck zu einem weiteren eiligen Rückzuge genötigt. Ohne diesen Umstand hätte Reynier die Weichse behaupten können, denn die Russen waren selbst sehr schwach, und Sackens ausgeruhtes Korps fast das einzige, das imstand war, mit Nachdruck anzugreifen.

Es ist sonderbar, an welchen dünnen Fäden oft das Schicksal der Völker hängt. Ein Mann, den ich als unfähig eine Unwahrheit zu sagen kenne, und der übrigens ein geschworener Feind Napoleons und der Franzosen ist, der preußische General Schüler von Senden, hat mir heilig versichert, daß der König von Preußen damals schlechterdings in die Absichten des Tugendbundes und seine Häupter nicht eingegangen wäre, daß er die Nachricht von der Yorck’schen Kapitulation mit dem äußersten Unwillen vernommen und dem General Schüler selbst, der zur Untersuchungskommission über Yorck mit ernannt war, seine vollkommenste Mißbilligung über diesen eigenmächtigen Schritt eines Generals zu erkennen gegeben hätte. Wäre der General Grawert, der das Oberkommando hatte, nicht krank gewesen und dadurch Yorck an seine Stelle getreten, so würde eine solche Kapitulation, die, wenngleich durch ihre Folgen entschuldigt und nachher hochgepriesen, doch stets ein widerrechtlicher Schritt war, nie zustande gekommen sein. Die Russen aber, die außerstande waren, das preußisch-französische Korps bei Memel zu überwältigen, würden dann nie gewagt haben, im Winter in Polen vorzudringen, die Österreicher würden, wenn auch nicht tätig, doch auch ohne sich für Rußland zu erklären, bei Ostrolenka und Pultusk stehengeblieben sein, und Reynier hätte die obere Weichsel behauptet. Die Reste der französischen Armee würden durch die zahlreichen aus Rußland entkommenen Trupps, die nun entweder auf dem Marsch umkamen oder in Polen gefangen wurden, verstärkt worden sein. Das Aufgebot in Masse im Herzogtum Warschau, das wirklich schon weit gekommen war, würde sich vollends haben bilden können, und die Russen, die für sich selber nichts weniger als unternehmend sind und es nur durch die Umstände wurden, wären schwerlich über die Weichsel und auf keinen Fall bis an die Warthe und Oder gekommen.

Ich habe mit Erstaunen auf meiner Rückreise im Januar und Februar in der Gegend von Sjerads und Kalisch die Anstrengungen der Polen gesehen, die schon ganze Regimenter Infanterie und Kavallerie gebildet hatten, die man aus den Oderfestungen sehr leicht mit Waffen versehen konnte und die bei der außerordentlichen Fähigkeit der Polen zum Kriege in sehr kurzer Zeit zum Kriege brauchbar geworden sind und zum Teil unter dem Fürsten Poniatowski im Jahre 1813 sehr brav gefochten haben. Um aber die Kräfte zu benutzen und zu vereinigen, gehörte unbedingt dazu, daß man sich nur noch einen Monat länger vorwärts behauptete. Dann wäre auch die allgemeine Bewaffnung in den preußischen Staaten nicht zustande gekommen, die nur erst, nachdem die Franzosen das Land hatten räumen müssen, ausgeführt wurde, und zu der der König selbst, wie der General Schüler und andere ausgezeichnete Offiziere mir versichert haben, nur gezwungen durch die allgemeine Stimme seine Einwilligung gegeben hat. Es fiel mir dabei ein, was mir Napoleon im Jahre 1809 in Schönbrunn bei Gelegenheit der unglücklichen Schillschen Unternehmung gesagt hatte. Er behauptete, der König von Preußen wäre durchaus mit allen den Bewegungen, die damals in seinem Lande vorfielen, nicht einverstanden gewesen. „Pour lui“, sagte er, „il est loyal. Je sais, qu’il ne m’aime pas, mais il ne veut pas me faire la guerre. Mais il n’est pas le maitre chez lui. – On a fort peu, quand on n’a que ces rois. Si cela m’arrivait, si un sujet voulait faire la guerre pour son compte, je ne voudrais pas regner. J’arracherais plustot ma couronne et je marcherais dessus.“

Er dachte damals nicht, daß in weniger als vier Jahren der Fall eintreten würde, sein Wort wahr zu machen.

Hinter dem Liwiec

Die Polen unter dem Obristen Rzotkowicz führten den kleinen Krieg mit viel Geschicklichkeit. Ihr Führer zeigte sich als ein trefflicher Parteigänger und tat dem Feind viel Abbruch. Die Franzosen, gewohnt, alles mit großen Massen auszuführen, haben von jeher den kleinen Krieg vernachlässigt und besonders in dem Feldzuge von 1813 durch die feindlichen Parteigänger unendlichen Schaden gelitten. Sacken war eine Art von Stillstand auf einige Tage eingegangen, weil die kleinen Neckereien zu weiter nichts als zu Verwüstung der Dörfer führen konnte. Es patrouillierten aber die Kosaken, die nur solange gehorchen, als sie unter den Augen der Generäle sind; sie hatten diesen Zeitpunkt benutzt, um über den Bug zu gehen und ungestraft zu plündern. Rzotkewicz schickte deshalb einen Offizier an Sacken, um Beschwerde zu führen und ihm zugleich anzukündigen, daß er die Kosaken angreifen würde, wenn sie sich wieder sehen ließen. Sacken nahm seinen Brief sehr übel auf und beschwerte sich deshalb bei Reynier. Er stand am 30. Dezember noch bei Brest und Terespol und war hier durch die Generäle Lewin und Bulatow verstärkt worden. Eine starke Abteilung Kosaken unter dem Oberst Milnieki rückte dieseits des Bug vor, und einige Infanterieregimenter marschierten gegen Biala. Das war also der erste Schritt zum Angriffskriege, den Sacken seit dem 16. November getan hatte.

Bei Pultusk waren Russen (50 km n. Warschau), sie kamen selbst in die Stadt, wo das österreichische Hauptquartier war, und lagen oft friedlich mit den Österreichern in einem Dorfe. Der General Sacken machte zugleich durch einen Parlamentär dem Obristen Rzotkewicz bekannt, daß die nördliche russische Armee Königsberg besetzt hätte, eine Folge der Yorck’schen Kapitulation.

Bei diesen Umständen war es nötig, uns enger zusammenzuziehen. Meine Avantgarde verließ Losice und zog sich nach Bejdy (27 km ö, Siedlce). Sie konnte von hier aus die beiden Straßen von Losice und von Miendzyrzec nach Siedlce beobachten. Ihre Patrouillen stießen schon am 4. Januar bei Losice auf Kosaken, die sich aber schnell zurückzogen. Die Polen gingen von Biala rückwärts bis Miendzyrzec (halbwegs zwischen Biala und Lukow). Sie deckten die Gegend bis Brest gegen Janow, Niemirow, Mielnik und Drohiczyn hinab, wo der Bug überall auf dem Eise zu überschreiten war. Das Häufchen der Ulanen, die ganz entkräftet waren, mußte ich nach der Straße von Sokolow nach Wengrow (30 km n. Siedlce) und bald darauf über die Weichsel zurückziehen, um den Pferden einige Erholung zu gönnen.

Die sämtlichen Truppen, die unter meinen Befehlen standen und über 4 Meilen weit von den beiden anderen Divisionen entfernt waren, bestanden: aus der 11. Division mit 2211 Mann Infanterie, 6 Kanonen und 110 Mann Artillerie; der Avantgarde, ungefähr noch 800 Pferde, 6 Kanonen der reitenden Artillerie und 129 Pferde; der mobilen Kolonne mit 464 Mann Infanterie, 2 Kanonen und 9 Artilleristen, Kavallerie mit 255 Pferden. Zusammen: 2675 Infanteristen, 248 Artilleristen und 1055 Kavalleristen.

Eine kleine Masse, die leicht hätte aufgehoben werden können oder zu zersprengen war, wenn Sacken, dem von allen Seiten der Weg zu mir offen stand, einen ernsthaften Angriff hätte machen wollen. Es war mir daher immer sehr angenehm, wenn ich einen Parlamentär unterwegs wußte und folglich wenigstens auf einen Tag mich gesichert glauben konnte. Von Sacken kam ein Offizier nach Siedlce, der zu Reynier gebracht zu werden wünschte. Da ich darüber keine Instruktion hatte, so glaubte ich ihn bei mir behalten und zuvor eine Meldung an Reynier abschicken zu müssen. Der Offizier bekam ein Quartier im Palaste des Präfekten. Es war ein noch sehr junger Mann, ein Kapitän im Generalstabe, er nannte sich Moripesow (?) und wollte ein Russe sein. Da ich ihn darüber befragte, antwortete er abschneidend: „Ich bin in Petersburg geboren“. Er war anfangs scheu und schien zu einer Klasse von militärischen Enthusiasten zu gehören, wie man sie vor 20 uiid 30 Jahren häufig – in der preußischen Armee die Originale, in der sächsischen die Nachahmungen – fand. Der Dienst war ihm das heilige Wort, und es mischte sich ein kleiner Anstrich von militärischer Pedanterie in sein ganzes Betragen. Übrigens war er ein feiner, sehr gebildeter Mann, der schöne Kenntnisse besaß und über die Feldzüge im Kaukasus gegen die Perser, die er mitgemacht hatte, sehr unterhaltend sprach. Aber sobald er irgend eine Beziehung auf die gegenwärtigen Verhältnisse zu ahnen glaubte, schwieg er mit strenger Verschlossenheit. Da ich ihn jedoch sehr offen behandelte, wurde er gegen mich zutraulicher und gestand mir, daß er der Sohn eines Emigranten, des Marquis von Montpesât, wäre, aber seinen französischen Ursprung geheim halten zu müssen glaubte, damit man ihn nicht als einen Emigrierten behandelte. Ich versprach ihm Verschwiegenheit über diesen Punkt, suchte ihm aber vergebens seinen Argwohn zu nehmen. Reynier billigte übrigens meine Maßregel und bestimmte eine Stunde, wo er nach Okuniew kommen würde, wohin ich den Parlamentär in Begleitung meines Adjutanten Wolfersdorff schickte. Dieser führte ihn nachher wieder bis an die russischen Vorposten. So wenig er sich mitteilte, so blickte doch aus allen seinen Äußerungen ein glühender Haß gegen den Kaiser und das kaiserliche Frankreich, eine gewisse Trauer über den Zustand der Dinge und die ferne Hoffnung auf den Sturz von Napoleons Thron.

Da alle diese Unterhandlungen keinen Stillstand zu Wege bringen konnten, so schickte mir Reynier Befehl, Siedlce zu verlassen und mich hinter dem Liwiec aufzustellen. Die Verteilung der Truppen überließ er mir, doch mußte ich besonders auch auf die Gegend in meinem Rücken bei Drohiczyn Bedacht nehmen. Ich zog mich daher auf der großen Straße zurück, legte mein Hauptquartier nach Sucha (15 km nö. Kaluczyn) und bestimmte den Punkt bei Kuzki (6 km w. Sucha), wo meine Batterie stand, zum Sammelplatz der Division. Ein Teil der Avantgarde unter dem Obristen Hann kam nach Mokobody (15 km nw. Siedlce), der Rest unter dem Obristleutnant Lindenau nach Siedlce, und ein Bataillon nebst der halben reitenden Batterie nach Chodow am Liwiec (6 km nnw. Siedlce). Die Polen zogen sich nach Mordy (18 km ö. Siedlce), und als sie dort gedrängt wurden, noch näher nach Siedlce zurück. Alle Meldungen der Polen und der Avantgarde gingen an mich, nachdem ich sie gelesen hatte, um das nötige darnach anzuordnen, schickte ich sie im Original an Reynier.

Auf seinen Befehl mußte ich am 4. noch weiter zurückgehen, weil die Division Lecoq ihre Quartiere bei Parizow verlassen und in die Gegend von Wionzowna (20 km sö. Warschau) gezogen war. Ich legte mich nun nach Stawiska, einem Herrenhofe zwischen der Warschauer Straße und Kaluszyn (8 km nö. Kaluszyn), und die Division in die nächsten umliegenden Dörfer. Die Batterie zog ich auf der Straße bis an Cierpienta (9 km n. Kaluszyn) zurück, in Sucha stand das Bataillon Bose. Der Obrist Hann blieb in Makobody und zog seine Posten enger zusammen. Indem er die Brücke über den Liwiec und das daranstoßende Dorf Zaliwie (3 km sw. Makobody) besetzt hielt, blieb er Meister von beiden Ufern des Flusses; seine Vorpostenlinie wurde durch ein kleines Wässerchen bestimmt, das oberhalb von Chadow sich mit dem Liwiec vereinigt, seine linke Flanke dehnte sich bis auf die Hälfte der Entfernung gegen das Städtchen Liw (6 km sw. Wengrow) aus, wo ein französischer Stabsoffizier mit einer andern Avantgarde detachiert stand. Durch das Bataillon in Sucha wurde der Rückzug Hanns gedeckt, ich hatte ihm 2 Kompagnien leichte Infanterie und die halbe reitende Batterie zugegeben. Der Obristleutnant Lindenau zog sich nach Chodow und bildete eine Linie, die in der Mitte ziemlich senkrecht vom Liwiec durchschnitten wurde, und indem sie sich links bei Wola an Hann anschloß, sich rechts bis Toporek (3 km nö. Siedlce) erstreckte, im Rücken aber Strzala und Zytnia (4,5 km n. und 6 km nw. Siedlce) auf dem linken und Chodow auf dem rechten Ufer des Liwiec besetzt hielt. Die polnische mobile Kolonne rückte nach Siedlce.

Die Russen drangen jetzt mit größeren Massen vor. Sie besetzten Mordy und schon am 3. verdrängten sie einen sächsischen Posten aus Wyczolki (6 km sw. Mordy). Rzotkewicz beschloß daher, sie anzugreifen und machte eine Rekognoszierung, zu der Lindenau eine Schwadron Husaren stoßen ließ. Sie marschierten mit 150 Pferden und 200 Mann Infanterie gegen Mordy, überfielen am 5. früh die Feinde, machten einen Major und eine beträchtliche Anzahl von Gemeinen zu Gefangenen und erbeuteten eine Menge Pferde, worunter viele Offizierspferde waren. Sacken nahm diesen Angriff, den jedoch nur Angriffe von seiner Seite veranlaßt hatten, sehr übel und behauptete, es sei ein Bruch des Stillstandes, der aber noch nicht geschlossen, sondern vielmehr gerade von seiner Seite bisher verweigert worden war. Unser Verhältnis war indessen nicht mehr das alte, und Reynier, der weder den Fürsten Schwarzenberg beleidigen wollte, weil dieser allerdings eine Konvention geschlossen hatte, noch recht genau wußte, wie er mit ihm dran war, entschloß sich nachzugeben und gab Sacken den gefangenen Major und die Offizierspferde zurück. Die seltsame Aufforderung aber, ihm den Obristen Rzotkewicz zur Bestrafung auszuliefern, lehnte er, wie billig, ab. Wir hatten in dem Gefechte außer einigen Verwundeten einen Husaren und ein Pferd verloren, der Verlust der Polen betrug auch nur ein paar Mann.

Reynier verließ sich übrigens so wenig auf eine Konvention, daß er mir immer die größte Vorsicht empfahl. Ich mußte bei den Hauptposten Lärmstangen errichten lassen, durch die nach den verschiedenen Feuern die Regimenter, die Brigaden oder auch die ganze Division auf die Sammelplätze gerufen werden konnten. Ich habe jedoch nicht nötig gehabt, Gebrauch davon zu machen; solange die gegenwärtigen Verhältnisse blieben, ging alles noch glücklich. Der Obrist Tettenborn kommandierte die Brigade mit Ordnung und ohne Pedanterie, und bei der Avantgarde hatte ich an dem Obristen Hann einen geschickten und treuen Gehilfen. Der Obristleutnant, jetzt General, Brause, dem man vor vier Wochen von obenherein ein besonderes Kommando bei meiner Avantgarde aufgetragen hatte, wo er von mir unabhängig sein sollte, war vor wenig Tagen in aller Stille wieder abberufen worden.

Der schwächste Punkt meiner Stellung war bei Mokobody, wo unser linker Flügel nur eine lockere Verbindung mit den Franzosen und dabei den Nachteil des Bodens hatte, der überall von der feindlichen Seite beherrscht wurde. Da gerade auf diesem Punkte wegen der Verbindung mit den Franzosen, die nicht unter mir standen, die Stellung aus dem Hauptquartiere vorgeschrieben war, so konnte ich sie ohne vorherige Meldung nicht andern. Es scheint aber, daß meine Meldung nicht in Reyniers Hände gekommen ist, denn Langenau antwortete mir in seinem eigenen Namen, es wäre von dieser Seite kein Angriff zu erwarten, übrigens würde Gablenz in wenigen Tagen zurückkommen und das Kommando über die ganze Avantgarde übernehmen, wo er dann die nötigen Änderungen treffen könnte.

Am 6. Januar jedoch meldete mir Lindenau, daß die Russen Mordy verlassen hätten und sich gegen Sokolow zögen. Bald nachher erfuhren wir, daß eine wahrscheinlich von Drohiczyn kommende Kolonne ein Kommando von 50 Polen, die unter dem Befehle eines französischen Stabsoffiziers von der Division Durutte, des Majors Querzasson, in Sokolow standen, vertrieben worden waren. Bei dieser Gelegenheit wurde ein Offizier und 4 Mann von „Polenz“, die dort Futter fassen sollten, nebst mehreren Polen und Franzosen gefangen. Die Feinde sollten ungefähr 1000 Mann stark sein, 8 Kanonen bei sich haben und sofort den Marsch gegen Wengrow angetreten haben.

Auf diese Nachricht, die durch die Franzosen ebenso geschwind ins Hauptquartier wie zu mir gekommen war, erhielt ich aus Okuniew Befehl, mich sofort gegen Stanislawow zurückzuziehen. Durutte schrieb mir zugleich aus seinem Quartier bei diesem Orte einen sehr ängstlichen Brief, worin er mich dringend bat, ihn von allem zu benachrichtigen und auf den ersten Alarm zu ihm zu stoßen, weil er jeden Augenblick einen Angriff erwartete. Ich ging daher am 7. nach Czarnoglow auf der Mitternachtsseite der Straße (15 km onö. Stanislowow). Der Boden wird hier von Hügelreihen, die sich von Mittag gegen Mitternacht erstrecken, durchschnitten. Sie sind zum Teil mit Wald bedeckt, zum Teil frei; in den Tälern laufen kleine Bäche hin, die sich zuletzt in den Liwiec ergießen. Die Straße, die von Warschau aus gegen Morgen geht, läuft in Wellenlinien über diese Hügelrücken hin, die gute Stellungen zur Verteidigung darbieten, die man jedoch nur solange halten kann, wie man von den Flanken nicht umgangen wird. Eine solche Stellung hatte ich bei Cierpienta auf dem Hügelrücken, eine ähnliche, in den Flanken noch gesichertere nahm ich bei Zimnawoda-Czarnoglow.

Da ich am 8. jedoch erfuhr, daß die Russen anstatt nach Wengrow zu marschieren, sich rechts gegen Sterdyn (19 km n. Sokolow) gewendet hätten, so vermutete ich, daß jener Befehl aus Okuniew wohl nur eine von den auf Blanketts geschriebene Order sein könnte, und beschloß, meine vorige Stellung wieder zu nehmen. Für meine Person ging ich nach Stawiska zurück. Kaum dort eingetroffen, erhielt ich eine Order von Reynier, die mir freistellte, zwischen Kaluszyn und Zimnowoda (9 km n. Kaluszyn) nach meinem Gutdünken, doch so, daß der Sammelplatz bei diesem Orte wäre und die Batterie daselbst aufgestellt würde, eine gedrängte Kantonierung zu nehmen. Ich schrieb ihm, daß ich vor der Hand in Stawiska bleiben würde. Hann zog sich von Mokobody den Strom abwärts auf das linke Ufer des Liwiec, Lindenau von Chadow auf unsere linke Flanke bei Liw und Rzotkewicz von Siedlce nach der Gegend von Kaluszyn.

General Sahr, der seit unserm ersten Abmarsch von Brest sehr krank gewesen war und keinen Dienst getan hatte, kam jetzt von Warschau wieder zu der Division. Ich übergab ihm seine Brigade wieder, hielt es aber für billig, dem Obristen Tettenborn, der während der ganzen Zeit und des schwierigsten Teiles des Feldzugs den Dienst als Brigadier getan und nicht einmal die völlige Heilung seiner bei Biala erhaltenen Wunde abgewartet hatte, um wieder bei dem Korps einzutreffen, das Kommando der drei aus den Trümmern der Brigade Klengel gebildeten Bataillone zu übergeben. Ich fragte deshalb bei Lecoq an, erhielt aber zur Antwort, ich möchte diese drei Bataillone, sowie die dritte Fußbatterie einstweilen unter meinem unmittelbaren Kommando behalten. Tettenborn war bei Langenau ebenso übel angeschrieben, wie ich, und Lecoq, von dem eigentlich diese Anordnungen allein abhingen, war längst ein blindfolgsames Werkzeug Langenaus geworden.

Am 10. traf auch Gablenz wieder bei der Avantgarde ein und übernahm das Kommando. Er ging nach Liw; das aus dem 2. leichten Regimente gebildete Bataillon blieb bei ihm, ebenso die halbe reitende Batterie, die andere Hälfte kam nach Grembkow (halbwegs zwischen Liw und Kaluszyn), wohin ich auch das Bataillon Bose (oder Niesemeuschel) zurückgezogen hatte. Von dem Bataillon Eychelberg mußte ich die Hä fte als Wache nach Warschau schicken.

Am 11. gegen Mittag glaubte ich in der Entfernung schießen zu hören. Ich sollte mich geirrt haben, auch die Schildwache bei den Lärmstangen wollte nichts gehört haben. Es war auch wirklich alles still, als wir zu ihr hinausgingen. Dennoch schickte ich meinen Adjutanten Wolfersdorff fort, um Nachrichten einzuziehen. Er fand die Vorposten überall im eiligen Rückzuge begriffen und wäre beinahe von den verfolgenden Kosaken abgeschnitten worden. Die eigentlichen Umstände des ganzen Vorgangs habe ich nie genau erfahren können, soviel aber ist gewiß, daß Gablenz in seiner neuen, im Hauptquartier verabredeten Stellung zwischen Liw und Wengrow am hellen Tage überfallen worden war; und es scheint, daß er den Kopf darüber verloren hatte, denn er vergaß ganz und gar, sowohl die übrigen Posten der Avantgarde, als auch die zu seiner Unterstützung bestimmten Posten meiner Division durch Ordonnanzen oder durch Anzünden von Lärmstangen, zu benachrichtigen. Die Feinde hatten ihn auf dem Eise umgangen und zu gleicher Zeit im Rücken und in der Front angegriffen, ehe seine Kavallerie auf die Pferde und die Bespannung zu den Geschützen kommen konnte. Durch die treffliche Haltung der leichten Infanterie wurde jedoch das Geschütz gerettet. Die beiden Kompagnien, die er bei sich hatte, stel ten sich, da sie zu schwach waren, ein Viereck zu bilden, im Haken auf und feuerten indem das zweite Glied rückwärts Front machte, nach allen vier Seiten. Die Kosaken wurden dadurch abgehalten, bis man Zeit gewann, die Kanonen zu retten und der ganze Hauptposten sich zurückziehen konnte. Was er dabei verloren hat, weiß ich nicht.

Durch seinen Rückzug waren nun aber die übrigen Posten der Avantgarde sämtlich in der linken Flanke und im Rücken entblößt und mußten eilig an ihre Sicherheit denken. Zu ihm konnten sie nicht kommen, weil niemand Nachricht hatte, wohin er sich gewendet hatte. Sie folgten daher der früheren Anweisung, sich auf die II. Division zurückzuziehen. Ich hatte diese gleich auf den Anhöhen bei Cierpienta versammelt und das Dorf Wierzbno (4,5 km n. Cierpienta) in meiner linken Flanke besetzt. Hier nahm ich die drei Kanonen von Grembkow, einen Teil des Regiments Polenz und die meisten einzelnen Posten der Avantgarde auf und erwartete den Feind in einer Stellung, wo ich ihn aufhalten oder auch im Falle der Not einen ziemlich sicheren Rückzug nach Zimnowoda nehmen konnte.

Die Russen fanden es jedoch nicht für gut, mich anzugreifen. Da ich aber wegen meiner linken Flanke nicht gesichert war, so marschierte ich den Abend, als es dunkel wurde, nachdem ich sowohl das Hauptquartier, als auch die Polen benachrichtigt hatte, mit der Division bis Zimnowoda zurück. Die Avantgarde unter Hann ging bis auf einen Hügelrücken auf halben Wege zwischen Czerpienta und diesem Orte und schickte Patrouillen bis Grembkow, Wierzbno und Stawiska. Der Trompeter von meinen Ordonnanzen war so dreist, aus diesem Orte noch unsere zurückgelassene Fourage zu holen und brachte sie, als ich ihn schon verloren gegeben hatte, glücklich durch. Die dicht an dem bei Czarnoglow durchfließenden Bache nahe beisammenliegenden Dörfer boten mir einen guten Aufenthalt für die Nacht, aber keine bequeme Stellung, wenn ich angegriffen werden sollte. Ich ging daher am folgenden Morgen noch eine Stunde weiter bis Kamionka zurück, weil ich hier den Vorteil hatte, daß der Sammelplatz vorwärts lag, ein Umstand, der den üblen Eindruck vermeidet, den es auf die Leute macht, wenn sie bei einem Angriff eine Strecke zurückgehen müssen, um sich aufzustel en. Sie schlagen sich allemal mit mehr Mut, wenn sie ihre Stellung vorwärts nehmen. Die Avantgarde zog sich bis an den hart vor Zimnowoda liegenden Hügelrücken zurück. Von Gablenz erfuhr ich immer noch nichts, doch hörte ich zwischen 10 und 11 Uhr in der Gegend der von Liw nach Stanislawow führenden Straße kanonieren, woraus ich schloß, daß er sich auf dieser zurückzöge. Da Stanislawow von der Division Durutte besetzt war, so konnte ich sicher sein, daß er nicht weiter, als bis Dobre (9 km nö. Stanislawow) zurückgehen würde, der Feind ihn aber nicht einmal soweit verfolgen würde, weil er sonst seine linke Flanke mir bloß gegeben hätte. Auf einen Angriff in der Front aber war ich gefaßt und glaubte daher, in meiner Stellung erst die weiteren Befehle aus dem Hauptquartier abwarten zu können. Es war unterdessen Mittag geworden und ich hatte mich eben zu Tisch gesetzt, als eine Ordonnanz mir die mit einem Kurier angekommene Nachricht von meiner Rückberufung nach Sachsen überbrachte. Obgleich dadurch betroffen, ließ ich mir meinen Lebensmut doch nicht weiter stören. Ich gab in der Eile noch die nötigen Befehle, übertrug dem General Sahr das Kommando, setzte mich zu Pferd und ritt noch den 12. abends nach Stanislawow.

 

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